Minderjährige Sportler: EuGH bestätigt potentielle Missbräuchlichkeit von Vertragskonditionen bei Nachwuchsverpflichtungen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich den lettischen Fall eines jungen Sportlers bewertet. Und man ahnt es: Wenn der EuGH von einem Unionsmitglied angefragt wird, entfaltet das Urteil auch in der übrigen Union seine Wirkung. Da sich der Fall um den Sportnachwuchs und seine Vertragskonditionen dreht, ist er für das sportverrückte Deutschland sicherlich nicht uninteressant.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich den lettischen Fall eines jungen Sportlers bewertet. Und man ahnt es: Wenn der EuGH von einem Unionsmitglied angefragt wird, entfaltet das Urteil auch in der übrigen Union seine Wirkung. Da sich der Fall um den Sportnachwuchs und seine Vertragskonditionen dreht, ist er für das sportverrückte Deutschland sicherlich nicht uninteressant.

Im Jahr 2009 schloss ein minderjähriger Sportler einen Vertrag mit einem lettischen Unternehmen ab. Dabei wurde er durch seine Eltern vertreten. Dem Jungen sollte dabei eine erfolgreiche Karriere als Berufssportler im Basketball ermöglicht werden. Der Vertrag war für die Dauer von 15 Jahren abgeschlossen und sah eine Reihe von Dienstleistungen vor - unter anderem Training, sportmedizinische Leistungen, psychologische Begleitung sowie Unterstützung im Bereich Marketing, Rechtsberatung und Buchhaltung. Dafür sollte der Junge bei erfolgreicher Profikarriere 10 % sämtlicher während der Laufzeit des Vertrags erzielten Nettoeinnahmen aus Sportveranstaltungen, Werbung, Marketing und Medienauftritten im Zusammenhang mit dem betreffenden Sport zahlen, sofern seine Einnahmen mindestens 1.500 EUR pro Monat betrugen. Der Junge wurde zwischenzeitlich ein erfolgreicher Profibasketballspieler und musste an das Unternehmen mehr als 1,6 Millionen EUR zahlen. Dieses Geld verlangt er nun zurück. Die lettischen Gerichte hielten die Vertragsklausel durchaus für missbräuchlich, setzten jedoch das Verfahren aus und legten dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor.

Der EuGH hielt die Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen für anwendbar. Eine Vertragsklausel, die einen jungen Sportler verpflichtet, einen Teil seiner Einnahmen zu zahlen, falls er Berufssportler werde, könne durchaus missbräuchlich sein. Das nationale Gericht muss nun die Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel prüfen - unter Berücksichtigung insbesondere ihrer Klarheit und Verständlichkeit in Bezug auf die wirtschaftlichen Folgen dieser Verpflichtung. Dabei kann der Umstand, dass der Sportler zum Zeitpunkt des Abschlusses minderjährig gewesen war und dieser Vertrag von seinen Eltern in seinem Namen geschlossen wurde, für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit relevant sein.

Hinweis: Immer wieder werden Vertragsklauseln in Verträgen von Sportlern von den Gerichten für unwirksam erklärt. Im Zweifel kann dies ein Rechtsanwalt genau beurteilen.


Quelle: EuGH, Urt. v. 20.03.2025 - C-365/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 06/2025)

Fisch gegen Amphibie: Forellenzüchter wehrt sich als Anlieger erfolgreich gegen Straßensperrung für Krötenwanderung

Selbst wenn die Überschrift in ihrer Kürze lustig anmuten mag, letztlich war die Maßnahme, die ein Landkreis hier erließ, für einen gewerblichen Straßenanlieger existenzgefährdend. Daher war im Folgenden auch das Verwaltungsgericht Osnabrück (VG) gefragt. Es musste sich mit einer behördlich angeordneten Straßensperrung zugunsten einer Krötenwanderung beschäftigen.

Selbst wenn die Überschrift in ihrer Kürze lustig anmuten mag, letztlich war die Maßnahme, die ein Landkreis hier erließ, für einen gewerblichen Straßenanlieger existenzgefährdend. Daher war im Folgenden auch das Verwaltungsgericht Osnabrück (VG) gefragt. Es musste sich mit einer behördlich angeordneten Straßensperrung zugunsten einer Krötenwanderung beschäftigen.

Der Landkreis Osnabrück hatte auf Antrag des NABU e.V. seine straßenverkehrsrechtliche Zustimmung zur teilweisen Sperrung der Bergstraße in Bad Iburg vom 01.02. bis zum 30.04.2025, jeweils von 18 Uhr bis 8 Uhr, erteilt. Die Maßnahme sei zum Schutz der Amphibien erforderlich und angemessen. Dagegen klagte ein Anlieger, der an der Straße eine Forellenzucht und den Handel einschließlich der Direktvermarktung betrieb. Er hielt das Ganze für alles andere als angemessen. Und da lag er nicht falsch.

Das VG war auf der Seite des Forellenzüchters und beschloss die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen die teilweise Sperrung der Bergstraße. Die Behörde wurde einstweilen verpflichtet, unverzüglich die Verkehrsschilder zu entfernen und die Schranken zu öffnen. Die Sperrung war schlichtweg unverhältnismäßig und außerdem zu unbestimmt. Insbesondere hätten die wirtschaftlichen und persönlichen Interessen des Antragstellers stärker berücksichtigt werden müssen.

Hinweis: Das Vorgehen gegen behördliche Anordnungen ist in der Regel erfolgversprechender, wenn ein Rechtsanwalt das Verfahren begleitet.


Quelle: VG Osnabrück, Beschl. v. 29.03.2025 - 1 B 10/25
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 06/2025)

Verweigerter Kreuzfahrtantritt: Positiver PCR-Test kann in Risikosphäre der reisenden Vertragspartei fallen

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich erneut mit der Corona-Pandemie beschäftigen - und das sicherlich nicht zum letzten Mal. Wer meint, es müsse doch mal gut sein, dem sei gesagt, dass die meisten der diesbezüglichen Urteile auch für andere ansteckende Krankheiten interessant sein werden. Die Frage hier war, ob ein positiver PCR-Test eines Reisenden im Ausland Rückzahlungsansprüche bedingt.

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich erneut mit der Corona-Pandemie beschäftigen - und das sicherlich nicht zum letzten Mal. Wer meint, es müsse doch mal gut sein, dem sei gesagt, dass die meisten der diesbezüglichen Urteile auch für andere ansteckende Krankheiten interessant sein werden. Die Frage hier war, ob ein positiver PCR-Test eines Reisenden im Ausland Rückzahlungsansprüche bedingt.

Ein Mann hatte für sich, seine Ehefrau und den damals zweijährigen gemeinsamen Sohn eine Kreuzfahrt, beginnend auf Mallorca, gebucht. Den Reisepreis in Höhe von 1.400 EUR hatte er vollständig bezahlt. Der PCR-Test, dem sich der Sohn des Mannes bei der Einschiffung am Morgen laut Anordnung des spanischen Gesundheitsministeriums unterziehen musste, ergab ein positives Ergebnis. Der Familie des Klägers wurde daraufhin die Teilnahme an der Reise verweigert. Nach zwei Tagen in einem Quarantänehotel auf Mallorca flog die Familie schließlich wieder nach Hause. Nun wollte der Mann die Rückzahlung des Reisepreises erhalten und eine Entschädigung in gleicher Höhe wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit. Weiterhin ging es ihm um Ersatz von Kosten für den Flug, die Unterbringungsbeförderung und Ähnliches. Das Geld erhielt er allerdings bislang nicht.

Der BGH sagte dazu, dass Umstände, die in die Risikosphäre einer Vertragspartei fallen, grundsätzlich keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände sind. Deshalb habe der Reiseveranstalter seinen Anspruch auf den Reisepreis nicht verloren. Unter diesen Prämissen geht der Fall somit zurück an die Vorinstanz.

Hinweis: Der Kläger wird mit großer Wahrscheinlichkeit seine Klage verlieren.


Quelle: BGH, Urt. v. 18.02.2025 - X ZR 68/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 06/2025)

Einstweilige Verfügung: Vermieterin darf Wasser nicht einfach abstellen

Vollendete Tatsachen zu schaffen, ist im Streitfall nur selten anzuraten - auch dann nicht, wenn die Auseinandersetzung schon in Form einer Räumungsklage zu einer gerichtlichen Angelegenheit geworden ist. Mit einer eigenmächtig handelnden Vermieterin, die im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Mieterin den Hahn zudrehte, hatte es das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) zu tun.

Vollendete Tatsachen zu schaffen, ist im Streitfall nur selten anzuraten - auch dann nicht, wenn die Auseinandersetzung schon in Form einer Räumungsklage zu einer gerichtlichen Angelegenheit geworden ist. Mit einer eigenmächtig handelnden Vermieterin, die im wahrsten Sinne des Wortes ihrer Mieterin den Hahn zudrehte, hatte es das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) zu tun.

Ein befristeter Gewerbemietvertrag über Büroräume enthielt Verlängerungsoptionen. Ob eben jene Verlängerungsoptionen wirksam ausgeübt worden waren, war der Kern im Streit zwischen Mieterin und Vermieterin. Im Zuge dieser Unstimmigkeiten erklärte die Vermieterin dann mehrfach die Kündigung. Die Mieterin nutzte die Räume dennoch weiter, behielt dabei aber auch die Zahlungen von Mietzins und Betriebskosten im Voraus bei. Schließlich erhob die Vermieterin eine Räumungsklage und stellte noch während des Räumungsprozesses die Wasserversorgung ein. Dagegen beantragte die Mieterin dann den Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Das OLG entschied, dass die Mieterin die Wiederherstellung der Wasserversorgung und die Unterlassung der Versorgungssperre verlangen konnte. Stellt der Vermieter von Büroräumlichkeiten in einem laufenden Räumungsprozess die Wasserversorgung ab, kann der Mieter hiergegen in der Regel im Wege der einstweiligen Verfügung vorgehen, wenn er sowohl den Mietzins als auch die Betriebskostenvorauszahlungen weiterhin zahlt. Für die Mieterin bestand ein erhebliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Wasserversorgung, da die Nutzung der Geschäftsräume ohne diese nicht möglich war. Insbesondere waren ohne Leitungswasser weder Handwaschbecken noch die WC-Spülung oder die Küche zu betreiben, so dass die Mitarbeiter dort nicht im vertretbaren Sinne arbeiten konnten. Durch die hierdurch bedingte Einstellung des Betriebs drohten der Mieterin erhebliche Umsatzausfälle. Auf der anderen Seite entstand dem Verfügungsbeklagten kein Schaden durch die Weiterversorgung, da sowohl die Miete als auch die Nebenkostenvorauszahlungen gezahlt wurden.

Hinweis: Vermieter, die so oder ähnlich handeln, müssen sich nicht wundern, wenn sie eine einstweilige Verfügung kassieren. Daneben kommt übrigens auch häufig eine Strafbarkeit in Betracht.


Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 05.02.2025 - 4 U 95/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Geplatzter Haustraum: Was eine Nichtabnahmeentschädigung ist und wann sie anfällt

Wenn ein Hauskauf wider Erwarten doch nicht zustande kommt, das Darlehen jedoch bereits vereinbart wurde, verlangt die Bank häufig eine sogenannte Nichtabnahmeentschädigung. Wer im Ernstfall dafür haften muss - etwa, wenn der Verkäufer wie hier kurz vor Abschluss abspringt -, hat der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich entschieden.

Wenn ein Hauskauf wider Erwarten doch nicht zustande kommt, das Darlehen jedoch bereits vereinbart wurde, verlangt die Bank häufig eine sogenannte Nichtabnahmeentschädigung. Wer im Ernstfall dafür haften muss - etwa, wenn der Verkäufer wie hier kurz vor Abschluss abspringt -, hat der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich entschieden.

Ein Ehepaar beabsichtigte, ein Einfamilienhaus zu kaufen. Als die angefragte Bank die Finanzierung über 450.000 EUR ablehnte, kontaktierte das Paar einen Darlehensvermittler. Daraufhin unterzeichneten sie einen Darlehensvertrag über 350.000 EUR und ein Beratungsprotokoll. Darin war folgender Hinweis enthalten: "Wichtig! Unterzeichnen Sie Bau-, Kauf- und Finanzierungsverträge erst, wenn alle wichtigen Faktoren Ihres Bau- oder Kaufvorhabens geklärt und schriftlich festgehalten wurden. Ansonsten drohen bei einer Rückabwicklung hohe Kosten, wie Vertragsstrafen und Nichtabnahmeentschädigungen."

Vier Wochen später unterzeichnete das Paar dann noch ein KfW-Darlehen über 100.000 EUR. Schließlich teilten sie dem Verkäufer mit, dass nun ein Notartermin möglich wäre. Der Verkäufer informierte sie jedoch darüber, dass er das Haus aus persönlichen Gründen doch nicht verkaufen wolle. Die Bank trat daraufhin vom Darlehensvertrag zurück und verlangte von den potentiellen Käufern eine Nichtabnahmeentschädigung von 35.862,29 EUR, die das Paar vollständig bezahlte. Den Betrag forderten sie von dem Darlehensvermittler als Schadensersatz zurück und klagten. Das Landgericht hat den Darlehensvermittler zur Zahlung der Hälfte verurteilt, das Oberlandesgericht (OLG) daraufhin die Klage insgesamt abgewiesen.

Der BGH hob als letzte Instanz das OLG-Urteil nun auf und wies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an den dortigen Senat zurück. Denn ein nicht gebundener Vermittler von Immobiliarverbraucherdarlehensverträgen schuldet seinen Kunden eine umfassende und richtige Aufklärung über die in Betracht kommenden Finanzierungsmöglichkeiten. Im Rahmen der geschuldeten Aufklärung darf ein reales Risiko (hier: Nichtzustandekommen des Grundstückskaufvertrags nach bereits geschlossenem und nicht mehr widerruflichem Darlehensvertrag) nicht derart verharmlost werden, dass der Eindruck entsteht, es sei nur theoretischer Natur. Zu einer umfassenden Aufklärung gehört in einem solchen Fall ein Hinweis auf die Möglichkeit einer zeitlichen Staffelung: Es wäre in Betracht gekommen, dass die Käufer ihre auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen später abgeben oder den Notartermin vorziehen.

Hinweis: Nun wird also die Vorinstanz die Angelegenheit nochmals prüfen und entscheiden müssen. Alles spricht dafür, dass der Makler des Darlehensvertrags wegen Nichterfüllung der Aufklärungspflichten zu zahlen hat.
 
 


Quelle: BGH, Urt. v. 20.02.2025 - I ZR 122/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 06/2025)

Augen auf im Supermarkt: Sturz über Preiseinschub nicht durch Verletzung von Verkehrssicherungspflichten verursacht

Mit der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten ist es immer wieder so eine Sache - war das fahrlässig, und wenn ja, von welcher Seite überhaupt? Und da jeder Fall einzeln betrachtet werden muss, war das Landgericht München II (LG) gefragt, sich nach einem Sturz in einem Supermarkt auf Ursachenforschung zu begeben.

Mit der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten ist es immer wieder so eine Sache - war das fahrlässig, und wenn ja, von welcher Seite überhaupt? Und da jeder Fall einzeln betrachtet werden muss, war das Landgericht München II (LG) gefragt, sich nach einem Sturz in einem Supermarkt auf Ursachenforschung zu begeben.

Die klagende Kundin eines Supermarkts hatte in selbigem einen Gang mit Aktionsartikeln beschritten, als sie mit ihrem Fuß an einen leicht hervorstehenden Einschub stieß, der zur Preiskennzeichnung an einer Europalette befestigt war. Dieser Preisschildeinschub löste sich, die Frau stürzte und erlitt dabei einen Bruch des Oberschenkelknochens. Schließlich klagte sie gegen den Supermarktbetreiber auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Denn für sie war die Sache klar: Der Betreiber hatte die ihm obliegenden Verkehrssicherungspflichten nicht beachtet.

Das LG war anderer Ansicht und wies die Klage ab, da es keine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten feststellen konnte. Denn Kameraaufnahmen belegten, dass von der Europalette kein Risiko ausgegangen war. Dass das Preisschild nicht angeschraubt war, habe das Risiko nicht nennenswert erhöht. Im Gegensatz zur Behauptung der Kundin stand der Preiseinschub auch nicht ab, sondern lag bündig an der Palette an. Das LG wies zudem darauf hin, dass eine 100%ige Sicherheit in einem Supermarkt auch prinzipiell nicht erwartet werden könne.

Hinweis: Ob in einem Ladengeschäft die Verkehrssicherungspflichten beachtet werden oder nicht, lässt sich häufig erst im Nachhinein durch ein Gericht feststellen. Natürlich kann keine 100%ige Sicherheit in einem Supermarkt erwartet werden. Trotzdem lohnt es sich in solchen Fällen, den Rechtsanwalt des Vertrauens zu fragen, ob ein Rechtsstreit zur Erlangung eines Schmerzensgeldes und von Schadensersatz Aussicht auf Erfolg hat.


Quelle: LG München II, Urt. v. 25.02.2025 - 1 O 576/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 06/2025)

Fiktive Abrechnung: Vortrag seitens des Klägers zu angefallenen Reparaturkosten nicht notwendig

Zur sogenannten fiktiven Abrechnung wird im Schadensfall ermittelt, welcher Betrag für die Schadensbeseitigung am Fahrzeug nötig ist. Dieser Betrag gilt - egal, ob der Geschädigte den Schaden damit beseitigen lässt, und wenn ja, für welchen tatsächlichen Betrag. Dass der gegnerische Versicherer hingegen darauf besteht, dass der im Reparaturfall angefallene Betrag nachgewiesen und auch nur dieser dann beglichen wird, stieß vor dem Bundesgerichtshof (BGH) auf Widerstand.

Zur sogenannten fiktiven Abrechnung wird im Schadensfall ermittelt, welcher Betrag für die Schadensbeseitigung am Fahrzeug nötig ist. Dieser Betrag gilt - egal, ob der Geschädigte den Schaden damit beseitigen lässt, und wenn ja, für welchen tatsächlichen Betrag. Dass der gegnerische Versicherer hingegen darauf besteht, dass der im Reparaturfall angefallene Betrag nachgewiesen und auch nur dieser dann beglichen wird, stieß vor dem Bundesgerichtshof (BGH) auf Widerstand.

Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall seines in Deutschland zugelassenen Fahrzeugs ein Gutachten eingeholt, das Reparaturkosten von 3.000 EUR netto auswies. Während eines Aufenthalts in der Türkei ließ der Kläger sein Fahrzeug vollständig reparieren - und zwar fach- und sachgerecht. Zu den Reparaturkosten machte er hingegen keine Angaben. Seine Klage auf Schadensersatz - unter anderem die im Gutachten festgestellten Reparaturkosten - hat das Amtsgericht Meinerzhagen (AG) zurückgewiesen. Die Klage sei laut AG unschlüssig, da der Kläger nur die in der Türkei tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen könne. Und eben dazu habe er nichts vorgetragen. Auf die Berufung des Klägers hin hat dann das Landgericht Hagen dieses Urteil teilweise abgeändert und dem Kläger die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zugesprochen (unter Berücksichtigung einer Haftungsquote in Höhe von 40 %). Die hiergegen eingelegte Revision der Beklagten war erfolglos.

Der BGH stellte klar, dass es keine Verpflichtung für den Kläger gibt, zu den tatsächlichen Reparaturkosten vorzutragen. Dem Geschädigten kann nicht mangels Vorlage einer Reparaturkostenrechnung oder mangels Vortrags zu den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten Schadensersatz versagt werden. Richtschnur für den vom Schädiger zu leistenden Ersatz sind nicht die vom Geschädigten tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten, sondern der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag. Bei der Ermittlung dieses Betrags sind im Rahmen der fiktiven Abrechnung Gesichtspunkte, die eine tatsächlich durchgeführte Reparatur (gleich an welchem Ort) betreffen, grundsätzlich irrelevant.

Hinweis: Der BGH stellt klar, dass die Rechte der Geschädigten bei der fiktiven Abrechnung im Hinblick auf eine nachfolgende Reparatur nicht beschnitten werden dürfen. Zu erstatten ist der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag, nicht tatsächlich entstandene Reparaturkosten.


Quelle: BGH, Urt. v. 28.01.2025 - VI ZR 300/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Gemeinschaftliches Testament: Wiederverheiratungsklausel zur Vorerbschaft ohne Bindungswirkung auf Verfügungen von Todes wegen

Wechselbezügliche Verfügungen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments können nach dem Tod des Erstversterbenden nicht ohne weiteres geändert werden. Die Eheleute haben daher die Möglichkeit, hiervon abweichende Vereinbarungen zu treffen, so dass der überlebende Ehegatte in seiner Verfügungsbefugnis frei ist. Eine derartige Vereinbarung war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).

Wechselbezügliche Verfügungen im Rahmen eines gemeinschaftlichen Testaments können nach dem Tod des Erstversterbenden nicht ohne weiteres geändert werden. Die Eheleute haben daher die Möglichkeit, hiervon abweichende Vereinbarungen zu treffen, so dass der überlebende Ehegatte in seiner Verfügungsbefugnis frei ist. Eine derartige Vereinbarung war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).

Die Eheleute hatten im Jahr 1980 ein gemeinschaftliches Testament errichtet und sich gegenseitig zu alleinigen Erben eingesetzt. Darüber hinaus verfügten sie, dass Erben des überlebenden Ehegatten die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen sein sollten. Das Testament enthielt des Weiteren eine Klausel, dass dem überlebenden Ehepartner keinerlei Beschränkungen auferlegt sein sollen - mit Ausnahme des Falls der Wiederheirat. In diesem Fall sollte der überlebende Ehegatte lediglich Vorerbe sein. Das Testament enthielt zudem eine Pflichtteilsstrafklausel in Bezug auf die gemeinsamen Kinder. Schließlich verstarb die Ehefrau bereits kurz nach der Errichtung des Testaments.

Der Erblasser errichtete seinerseits kurz vor seinem Tod ein weiteres, eigenhändiges gemeinschaftliches Testament mit seiner zweiten Ehefrau und widerrief alle vorherigen Verfügungen von Todes wegen. Die Eheleute setzten sich auch in diesem Fall wechselseitig zu Alleinerben ein, wobei eine neue Schlusserbeneinsetzung erfolgte. In der Folge entstand ein Streit darüber, ob der Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau überhaupt noch dazu befugt gewesen sei, eine neue Schlusserbeneinsetzung vorzunehmen.

Sowohl das Nachlassgericht als auch das OLG bestätigten, dass der Erblasser auch nach dem Tod seiner ersten Ehefrau dazu berechtigt war, eine neue Verfügung hinsichtlich der Schlusserben zu treffen. Dies resultierte zum einen aus dem Testament selbst, da die Eheleute verfügt haben, dass dem überlebenden Ehepartner keinerlei Beschränkungen auferlegt sein sollten. Auch die Wiederverheiratungsklausel führte nicht dazu, dass der Erblasser in seinen Befugnissen beschränkt war. Die Klausel hatte nur zur Folge, dass der überlebende Ehepartner als Vorerbe in seinen Befugnissen unter Lebenden beschränkt war. Daraus könne jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass sich diese Beschränkung auch auf Verfügungen von Todes wegen erstreckt.

Hinweis: Eine Pflichtteilsstrafklausel in einem gemeinschaftlichen Testament kann ein Hinweis darauf sein, dass diese Verfügung wechselbezüglich ist und nach dem Tod nicht abgeändert werden soll. Dies wird nicht anzunehmen sein, wenn eine Freistellungsklausel - wie in diesem Fall - in dem Testament enthalten ist.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.03.2025 - 3 W 4/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

196 Tage Nutzungsausfall: Verzögerungstaktik wird für Versicherung zur teuren Angelegenheit

Gut ist es, im Ernstfall versichert zu sein. Blöd ist es, wenn die gegnerische Versicherung die Regulierung eines unverschuldeten Schadens nicht nur in die Länge zieht, sondern auch noch versucht, dem Geschädigten den ein oder anderen Schwarzen Peter zuzuschieben. Gut Ding wollte hier nicht nur Weile haben, sondern wurde dank des Landgerichts Osnabrück (LG) letztlich zu einer richtig teuren Angelegenheit für den Versicherer.

Gut ist es, im Ernstfall versichert zu sein. Blöd ist es, wenn die gegnerische Versicherung die Regulierung eines unverschuldeten Schadens nicht nur in die Länge zieht, sondern auch noch versucht, dem Geschädigten den ein oder anderen Schwarzen Peter zuzuschieben. Gut Ding wollte hier nicht nur Weile haben, sondern wurde dank des Landgerichts Osnabrück (LG) letztlich zu einer richtig teuren Angelegenheit für den Versicherer.

Ein Autofahrer erlitt mit seinem sehr hochwertigen Fahrzeug einen Verkehrsunfall. Die Erklärung der Kostenübernahme durch die gegnerische Versicherung zog sich dann über einen sehr langen Zeitraum. Erst wurde eingewandt, dass der Unfallhergang unklar sei. Dann wurde eine Dash-Cam-Aufzeichnung übermittelt, deren Daten angeblich nicht verwertbar seien, so dass der Versicherer die Freigabe der Kostenübernahme nicht erteilte. Schließlich wurde seitens der Versicherung nach geraumer Zeit ein eigener Gutachter eingesetzt. Als die Kostenübernahme daraufhin endlich erfolgte, wurde dann auch der Reparaturauftrag erteilt. Aufgrund organisatorischer Probleme zog sich auch noch die anschließende Reparatur in die Länge. Neben anderen Forderungen machte der Geschädigte daraufhin Nutzungsausfallentschädigung für 196 Tage à 175 EUR pro Tag geltend - also satte 34.300 EUR. Die Versicherung verweigerte die Zahlung mit dem Hinweis, der Mann hätte sich ein Interimsfahrzeug anschaffen können oder seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen müssen.

Das LG gab dem Geschädigten recht. Zwar sei es richtig, dass unter normalen Umständen nicht immer auf die Kostenübernahme der Versicherung gewartet werden dürfe. Hier aber habe der Geschädigte bereits mit der Schadensmeldung darauf hingewiesen, dass er selbst die Reparatur nicht vorfinanzieren könne. Einwendungen seitens der Versicherung erfolgten daraufhin nicht. Zudem habe die Versicherung die Regulierung wegen unterschiedlicher Schadensschilderungen abgelehnt, so dass zu befürchten war, dass nicht alles erstattet werde. Auch musste die Vollkaskoversicherung nicht in Anspruch genommen werden - deren Sinn und Zweck sei schließlich nicht die Entlastung des Schädigers. Dabei sei zudem zu berücksichtigen, dass der Verlust der günstigen Schadensfreiheitsklasse gedroht hätte. Zu guter Letzt habe sich der Geschädigte auch kein Interimsfahrzeug anschaffen müssen. Schließlich sei gar nicht absehbar gewesen, dass sich die Regulierung so lange hinziehen würde. Auch die Verzögerung der Reparatur konnte der Geschädigte nicht beeinflussen.

Hinweis: Das Oberlandesgericht Schleswig hat in einer Entscheidung vom 16.04.2024 (7 U 109/23) entschieden, dass der Geschädigte sich im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht dann ein Interimsfahrzeug anzuschaffen hat, wenn ein längerer Nutzungsausfall aufgrund einer sich verzögernden Reparatur absehbar ist (hier zehn Monate wegen der Corona-Pandemie und den daraufhin erfolgten langen Lieferzeiten).


Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 12.02.2025 - 5 O 2598/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Hinterlegung der Abschleppkosten: Wer privaten Stellplatz zuparkt, zahlt für Rückgabe seines Pkw

Seinen Pkw auf privatem Gelände einfach so nach Gusto abzustellen, ist ebenso wenig anzuraten wie im öffentlichen Raum, und zwar auch ohne polizeilich initiierte Folgen. Das zeigt auch das folgende Urteil des Amtsgerichts München (AG), das Licht in die Tiefgaragensituation brachte, die zu diesem Gerichtstermin führte.

Seinen Pkw auf privatem Gelände einfach so nach Gusto abzustellen, ist ebenso wenig anzuraten wie im öffentlichen Raum, und zwar auch ohne polizeilich initiierte Folgen. Das zeigt auch das folgende Urteil des Amtsgerichts München (AG), das Licht in die Tiefgaragensituation brachte, die zu diesem Gerichtstermin führte.

Die Klägerin parkte ihren Pkw in einer Tiefgarage auf einer privaten Stellplatzzufahrt. Der Nutzer des Stellplatzes, den die Klägerin somit zuparkte, beauftragte daraufhin ein Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs. Das schleppte den Pkw ab und übersandte der Klägerin eine Rechnung in Höhe von etwa 765 EUR. Die Klägerin hinterlegte den Rechnungsbetrag beim AG und erhielt ihren Pkw daraufhin zurück. Daraufhin verklagte sie allerdings das Abschleppunternehmen auf Bewilligung der Freigabe des hinterlegten Geldes zu ihren Gunsten - oder deutlicher: Sie wollte die 765 EUR zurück. Sie ging nämlich davon aus, dass das Abschleppen nicht notwendig gewesen sei. Das Abschleppunternehmen wiederum verklagte die Klägerin auf Bewilligung der Freigabe des hinterlegten Geldes zu Gunsten des Abschleppunternehmens, denn der Abschlepper war der Überzeugung, der hinterlegte Betrag stünde ihm zu.

Das AG hat dem Abschleppunternehmen Recht gegeben. Zur Überzeugung des Gerichts stand fest, dass die Klägerin ihren Pkw so abstellte, dass der Stellplatznutzer mit seinem Kfz nicht aus der Parkfläche herausfahren konnte. Das Gericht ging weiterhin davon aus, dass das Fahrzeug der Klägerin die Ausfahrt nicht nur kurzzeitig blockierte. Dies ergab sich aus dem geschilderten Zeitablauf von der Alarmierung der Beklagten bis zum tatsächlichen Abschleppvorgang. In diesem Vorgang liegt eine Eigentumsverletzung am Pkw des Stellplatznutzers, da er diesen in diesem Zeitraum nicht bestimmungsgemäß benutzen konnte. Der Stellplatznutzer war auch nicht gehalten, über einen Anruf bei der Polizei die Identität der Klägerin zu erforschen und diese zum Wegfahren zu bewegen. Das Falschparken der Klägerin erfolgte zudem auf privatem Grund, so dass keine originäre polizeiliche Aufgabe bestand.

Hinweis: Das Urteil ist rechtskräftig. Wer in einer Tiefgarage einen privaten Stellplatz so zuparkt, dass dem Stellplatznutzer die Ausfahrt unmöglich ist, muss damit rechnen, dass sein Fahrzeug abgeschleppt wird und er die Kosten hierfür tragen muss.
 
 
 


Quelle: AG München, Urt. v. 20.01.2025 - 191 C 19243/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

"Gefangenes" Grundstück: Auch Parken ist vom Notwegerecht umfasst

Das sogenannte Notwegerecht, dass Zu- und Abfahrten zu einem Grundstück ermöglicht, das selber über keine Anbindung an öffentliche Straßen und Wege verfügt, ist immer wieder Anlass für nachbarschaftlichen Zwist. Im folgenden Fall zum Thema hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun darüber geurteilt, ob dieses Wegerecht nur für Zu- und Abfahrten mit dem Kfz gilt oder auch für das Befahren zu Parkzwecken auf dem sogenannten "gefangenen" Grundstück.

Das sogenannte Notwegerecht, dass Zu- und Abfahrten zu einem Grundstück ermöglicht, das selber über keine Anbindung an öffentliche Straßen und Wege verfügt, ist immer wieder Anlass für nachbarschaftlichen Zwist. Im folgenden Fall zum Thema hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun darüber geurteilt, ob dieses Wegerecht nur für Zu- und Abfahrten mit dem Kfz gilt oder auch für das Befahren zu Parkzwecken auf dem sogenannten "gefangenen" Grundstück.

Durch Teilung eines ursprünglich einheitlichen Grundstücks wurden daraus zwei Grundstücke. Das hintere Grundstück lag in der zweiten Baureihe und hatte keine Anbindung an eine öffentliche Straße. Deshalb mussten die Eigentümer des hinteren Grundstücks durch Nutzung ihres Notwegerechts über das Grundstück des vorderen Eigentümers fahren. Dieser zog nun vor Gericht, da er zwar das Notwegerecht akzeptierte, nicht jedoch das Befahren, um ein Fahrzeug auf dem gefangenen Grundstück zu parken. Während die Vorinstanzen noch über die Höhe einer sogenannten Notwegerente unterschiedlicher Meinung waren - eine Entschädigung, die vom hinteren Eigentümer an einen vorderen gezahlt wird, wenn er dessen Grundstück als Notweg nutzen muss -, war das Oberlandesgericht sogar der Ansicht, dass lediglich notwendige Fahrten vom Notwegerecht umfasst seien und bis auf nur wenige Ausnahmen keine Fahrten zu Parkzwecken.

Ebendies sah der BGH anders. Es bestand ein Notwegerecht nach § 917 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch. Fehlt einem Grundstück demnach die zur ordnungsmäßigen Benutzung notwendige Verbindung zu einem öffentlichen Weg, kann der Eigentümer von den Nachbarn verlangen, die Benutzung ihrer Grundstücke zur Herstellung der erforderlichen Verbindung zu dulden. Soweit die Zufahrt über das Grundstück zu dulden ist, muss auch Nutzungsberechtigten wie Mietern die Zufahrt gewährt werden. Im Gegenzug haben die Eigentümer des Forderungsgrundstücks durchaus einen Anspruch auf eine Notwegerente - also einen Geldanspruch. Das Notwegerecht des Eigentümers eines verbindungslosen ("gefangenen") Wohngrundstücks umfasst grundsätzlich aber auch die Zufahrt mit Kfz zum Zweck des Parkens auf dem verbindungslosen Wohngrundstück. Wären Zufahrten zu Parkzwecken von dem Notwegerecht ausgenommen, würde dies zudem zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu Rechtsunsicherheit führen. So dürfte der Notwegeberechtigte sein Kfz beispielsweise dennoch abstellen, wenn die Zufahrt nicht zu Parkzwecken, sondern zum Be- und Entladen erfolgte - nicht aber, wenn das Abstellen alleiniger Zweck der Zufahrt wäre. Der Fahrt mit dem Kfz könne man aber nicht ohne weiteres ansehen, zu welchem Zweck sie erfolge.

Hinweis: Nun ist es also endlich entschieden, dass das Notwegerecht auch dann besteht, wenn Kraftfahrzeuge auf dem hinteren Grundstück nur parken sollen.


Quelle: BGH, Urt. v. 14.03.2025 - V ZR 79/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Nachweis der Rechtsnachfolge: Keine Pflicht für Registergericht, Gleichwertigkeit ausländischer Nachweise eigenständig zu prüfen

Erbfälle sind nicht nur im privaten Bereich, sondern oft auch im beruflichen Kontext mit Konsequenzen verbunden. Sie können bei Letzterem beispielsweise die Notwendigkeit nach sich ziehen, dass Eintragungen im Handelsregister vorgenommen werden müssen. Im Fall des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (OLG) ging es um die Eintragung der Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Kommanditisten einer KG.

Erbfälle sind nicht nur im privaten Bereich, sondern oft auch im beruflichen Kontext mit Konsequenzen verbunden. Sie können bei Letzterem beispielsweise die Notwendigkeit nach sich ziehen, dass Eintragungen im Handelsregister vorgenommen werden müssen. Im Fall des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen (OLG) ging es um die Eintragung der Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Kommanditisten einer KG.

Zum Zweck der Eintragung der Änderung im Handelsregister wurde ein Beschluss des österreichischen Bezirksgerichts Salzburg als Nachweis der Erbfolge vorgelegt. Das Registergericht wies jedoch darauf hin, dass ein Eintragungshindernis bestehe, da kein ausreichender Nachweis über die Erbfolge vorgelegt worden sei. Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde, die nun jedoch zurückgewiesen wurde.

Das OLG stellte klar, dass das Registergericht durchaus zu Recht die Vorlage eines deutschen Erbscheins oder eines europäischen Nachlasszeugnisses verlangt habe. Das Gericht kommt damit seinem pflichtgemäßen Ermessen nach, wenn es Urkunden genügen lässt, die einem deutschen Erbschein gleichstehen. Das Registergericht sei aber nicht verpflichtet, die Gleichwertigkeit ausländischer Nachweise eigenständig rechtlich zu prüfen, um die Rechtsnachfolge nachzuweisen. Hintergrund ist, dass derartige unter Umständen umfangreiche Ermittlungen zu Verzögerungen bei den Handelsregistereintragungen führen können.

Hinweis: Zweck des europäischen Nachlasszeugnisses ist, dass die berechtigten Personen - wie beispielsweise Erben - ihren Status und ihre Befugnisse in einem anderen Mitgliedstaat einfach nachweisen können, um somit eine schnelle unkomplizierte Abwicklung der Erbsache mit grenzüberschreitendem Bezug zu ermöglichen.


Quelle: Hanseatisches OLG in Bremen, Beschl. v. 18.03.2025 - 2 W 37/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Erbscheinsverfahren: Was passiert, wenn das Testament im Original unauffindbar ist?

Wird ein Erbschein auf der Grundlage eines Testaments beantragt, wird in der Regel auch das entsprechende Testament im Original vorgelegt. Wie mit dem Fall umzugehen ist, wenn das Testament im Original nicht auffindbar ist, war Gegenstand der folgenden Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).

Wird ein Erbschein auf der Grundlage eines Testaments beantragt, wird in der Regel auch das entsprechende Testament im Original vorgelegt. Wie mit dem Fall umzugehen ist, wenn das Testament im Original nicht auffindbar ist, war Gegenstand der folgenden Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).

Der Erblasser war in zweiter Ehe verheiratet. Nach seinem Tod hat die Ehefrau einen Erbschein beantragt und angegeben, dass kein Testament des Erblassers vorhanden sei. Etwa einen Monat später teilte sie dem Nachlassgericht mit, dass der Erblasser ein handschriftliches Testament hinterlassen habe, in dem er sie als Alleinerbin eingesetzt habe. Das Testament habe sie bislang aber nicht finden können. Mehrere Monate später reichte sie beim Nachlassgericht die Kopie eines von ihr eigenhändig geschriebenen und mit insgesamt drei Unterschriften versehenen Testaments vom 20.07.2018 ein, in dem die Eheleute sich wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt haben. Dieses Testament war von der Ehefrau, dem Erblasser sowie einem Zeugen unterschrieben worden. Der Sohn des Erblassers aus erster Ehe beantragte hingegen die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins auf der Basis der gesetzlichen Erbfolge. Nachdem das Nachlassgericht zunächst noch einen Erbschein zugunsten der Ehefrau auf der Basis der Kopie des Testaments erteilt hatte, hob das OLG diese Entscheidung wieder auf.

Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Ehefrau die Feststellungslast für das von ihr vorgelegte Testament trägt, das jedoch nur in Kopie vorliegt. Ein nicht mehr vorhandenes Testament ist zwar nicht allein wegen seiner Unauffindbarkeit ungültig; Form und Inhalt des Testaments können mit allen zulässigen Beweismitteln festgestellt werden - auch durch Vorlage einer Kopie oder die Benennung von Zeugen. Hier konnte die Ehefrau den Beweis über die Errichtung eines formgültigen Testaments nach Ansicht des Gerichts nicht führen. Zweifel an der Errichtung des Testaments gingen daher zu Lasten der Ehefrau. In Ermangelung einer Verfügung von Todes wegen kam stattdessen die gesetzliche Erbfolge zum Tragen - mit der Folge, dass ein gemeinschaftlicher Erbschein zu erteilen war.

Hinweis: Im Fall der Unauffindbarkeit eines Testaments besteht keine Vermutung, dass dieses vom Erblasser vernichtet worden ist.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 03.04.2025 - 3 W 53/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit? Sind angebrachte Zweifel nicht belegbar, hat ein ärztliches Attest hohen Beweiswert

Häufig sorgen angeblich falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für gerichtliche Ausienandersetzungen, die sich meist mit der Beweiskraft von ärztlichen Attesten befassen. Jeder einzelne Fall bringt aber Besonderheiten mit sich, die interessante Blickwinkel aufwerfen - so auch im Fall vor dem Landesarbeitsgericht Köln (LAG).

Häufig sorgen angeblich falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für gerichtliche Ausienandersetzungen, die sich meist mit der Beweiskraft von ärztlichen Attesten befassen. Jeder einzelne Fall bringt aber Besonderheiten mit sich, die interessante Blickwinkel aufwerfen - so auch im Fall vor dem Landesarbeitsgericht Köln (LAG).

Ein Finanzdienstleister plante Restrukturierungsmaßnahmen und lud deshalb acht Arbeitnehmer zu einem Personalgespräch am 11.07.2022 ein. Für den betreffenden Tag meldeten sich dann jedoch gleich alle acht eingeladenen Mitarbeiter arbeitsunfähig krank. Der Arbeitgeber forderte daraufhin die Beschäftigten auf, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag vorzulegen. Einer der Arbeitnehmer lieferte die geforderte Bescheinigung am 12.07.2022, mit der ihm eine Arbeitsunfähigkeit vom 11.07. bis einschließlich 15.07.2022 ärztlich bestätigt wurde. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe seine Arbeitsunfähigkeit lediglich vorgetäuscht. Dagegen klagte der Arbeitnehmer und erhob eine Kündigungsschutzklage.

Das LAG sah keinen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung. Ein ärztliches Attest habe einen hohen Beweiswert. Bezweifelt der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit, muss er die Umstände, die gegen die Arbeitsunfähigkeit sprechen, darlegen und notfalls beweisen. Dass die Arbeitsunfähigkeit bei acht Mitarbeitern gleichzeitig in Zusammenhang mit einem schwierigen Personalgespräch auftrat, rechtfertigte auch in den Augen des Gerichts Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Allerdings bestätigte die Fachärztin, die die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt hatte, ihre Diagnose anhand ihrer Aufzeichnungen. Dem hatte der Arbeitgeber nichts entgegenzusetzen und somit keinen Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung.

Hinweis: In dieser Sache wurde eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Sofern es zu einer Revisionsverhandlung kommen wird, werden wir weiter berichten.


Quelle: LAG Köln, Urt. v. 12.12.2024 - 8 Sa 409/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Vertretungsverhältnisse beachten: Genehmigungsfreiheit einer Erbanteilsübertragung an einen Minderjährigen

Um Minderjährige zu schützen, dürfen bestimmte Verfügungen zu ihren Gunsten nicht getroffen werden, sobald hiermit auch die Übernahme von Belastungen verbunden ist. Da sie in der Regel von ihren Eltern gesetzlich vertreten werden, bedarf es bei Übertragungen an die Kinder häufig einer Genehmigung durch das Familiengericht. Ein Fall, in dem die Eltern von ihrem Vertretungsrecht ausdrücklich ausgeschlossen waren, war kürzlich Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).

Um Minderjährige zu schützen, dürfen bestimmte Verfügungen zu ihren Gunsten nicht getroffen werden, sobald hiermit auch die Übernahme von Belastungen verbunden ist. Da sie in der Regel von ihren Eltern gesetzlich vertreten werden, bedarf es bei Übertragungen an die Kinder häufig einer Genehmigung durch das Familiengericht. Ein Fall, in dem die Eltern von ihrem Vertretungsrecht ausdrücklich ausgeschlossen waren, war kürzlich Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG).

Ein Großvater wollte einen Anteil seines Erbes an seine drei Enkel übertragen, von denen einer zum Zeitpunkt der Übertragung noch minderjährig war. In der notariellen Urkunde wurde der Großvater von Nachlassverbindlichkeiten durch den Enkel freigestellt. In der notariellen Vereinbarung wurde der minderjährige Enkel allein von seinem Vater vertreten. Das Grundbuchamt war der Ansicht, dass für die Umsetzung der Erbteilsübertragung und die Umschreibung im Grundbuch die Bestellung eines Ergänzungspflegers und eine familiengerichtliche Genehmigung einzuholen waren; der Sohn hätte in diesem Fall nicht vom Vater vertreten werden dürfen.

Diese Entscheidung wurde durch das OLG aufgehoben. Nach Ansicht des Gerichts handelte es sich eben nicht um ein Rechtsgeschäft, bei dem der Minderjährige für fremde Schulden haftet. Der im Gesetz vorgesehene Ausschluss des Vertretungsrechts betrifft nur jenen Elternteil, der hiervon direkt betroffen ist. Dies wäre bei der Erbteilsübertragung zugunsten der Enkel die Tochter des Erblassers, also die Mutter seiner drei Enkel. Diese hat das minderjährige Kind im Rahmen der Erbteilsübertragung aber gerade nicht vertreten.

Hinweis: Verfügungen im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge sind ein häufig angewandtes Instrumentarium zur Gestaltung zu Lebzeiten des Erblassers. Gerade bei Verfügungen zugunsten Minderjähriger ist besonders auf die Vertretungsverhältnisse zu achten.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.03.2025 - 3 W 9/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Rücktritt vom Kaufvertrag? Zu viel Formaldehyd in Raumluft eines 70er-Jahre-Fertighauses

Einem Immobilienverkäufer darf - verkürzt gesagt - das Verschweigen eines Mangels nicht angelastet werden, nur das Lügen darum. Wenn also - ebenso verkürzt - etwas nicht erwähnt bzw. nachgefragt wird, macht der im Kaufvertrag enthaltene Haftungsausschluss das, was er soll: Haftung ausschließen. Wer sich beim Immobilienkauf trotz mangelnder Fachkenntnisse also allein auf sein Bauchgefühl verlässt, zieht wie hier vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) selbst bei Formaldehyd in der Raumluft den Kürzeren.

Einem Immobilienverkäufer darf - verkürzt gesagt - das Verschweigen eines Mangels nicht angelastet werden, nur das Lügen darum. Wenn also - ebenso verkürzt - etwas nicht erwähnt bzw. nachgefragt wird, macht der im Kaufvertrag enthaltene Haftungsausschluss das, was er soll: Haftung ausschließen. Wer sich beim Immobilienkauf trotz mangelnder Fachkenntnisse also allein auf sein Bauchgefühl verlässt, zieht wie hier vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG) selbst bei Formaldehyd in der Raumluft den Kürzeren.

Der Kläger hatte ein Fertighaus aus den 1970er-Jahren gekauft. Einen Monat vor Abschluss des Kaufvertrags hatte er das Haus besichtigt. Im Kaufvertrag war auch ein Haftungsausschluss enthalten. Die Schlüsselübergabe erfolgte rund zwei Monate nach Abschluss des Vertrags. Weitere fünf Monate später wurde die Verkäuferin von dem Käufer aufgefordert, Schäden anzuerkennen. Das Haus sei mangelhaft, da es mit krebserregenden Substanzen belastet sei. Innerhalb der Wohnräume bestehe eine extreme Geruchsbelastung. Schließlich klagte der Käufer. Im Verfahren behauptete er, dass die Raumluftanalyse einen zu hohen Wert an Formaldehyd und Lindan ergeben habe. Er sei mit seiner Familie ausgezogen. Die Geruchsbelastung sei ihm erst nach Abschluss des Kaufvertrags aufgefallen. Es handele sich um einen spezifischen Geruch, der sämtlichen Kleidungsstücken anhafte. Die Verkäuferin behauptet dagegen, dass es zu keinem Zeitpunkt eine Geruchs- oder eine Schadstoffbelastung gegeben habe.

Die Klage des Käufers wurde abgewiesen. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht bei Vertragsverhandlungen keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Wenn ein gemachter Sachvortrag in seiner Gesamtheit eine feststehend unzureichende, entstellende oder verharmlosende Aufklärung zum Inhalt hätte, läge eine Aufklärungspflichtverletzung vor. Daher war es hier unerheblich, ob das Fertighaus die behaupteten Mängel einer Geruchsbelästigung sowie einer Schadstoffbelastung mit Formaldehyd und Lindan aufgewiesen hat. In jedem Fall konnten sich die Verkäufer auf den zwischen den Parteien vereinbarten Haftungsausschluss des notariellen Kaufvertrags berufen.

Hinweis: Vor dem Kauf eines Hauses ist die Besichtigung mit einer fachkundigen Person zu empfehlen, am besten mit einem Gutachter. Natürlich sind das zusätzliche Kosten, die jedoch schnell vor bösen Überraschungen schützen können, wie dieser Fall zeigt.


Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 17.02.2025 - 22 U 117/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Milieuschutzgebiete: Behutsame Anhebung der Ausstattung auf durchschnittliche Standards möglich

Milieuschutzgebiete sind städtebauliche Gebiete, die die bestehende Wohnbevölkerung vor Verdrängung schützen und die soziale Zusammensetzung des Gebiets erhalten sollen. Sie werden durch städtebauliche Verordnungen, insbesondere im Rahmen des Baugesetzbuchs festgelegt. Bauliche Änderungen bedürfen in Milieuschutzgebieten folglich stets einer behördlichen Genehmigung. Ein Thema, mit dem sich das Verwaltungsgericht (VG) Berlin naturgemäß gut auskennt.

Milieuschutzgebiete sind städtebauliche Gebiete, die die bestehende Wohnbevölkerung vor Verdrängung schützen und die soziale Zusammensetzung des Gebiets erhalten sollen. Sie werden durch städtebauliche Verordnungen, insbesondere im Rahmen des Baugesetzbuchs festgelegt. Bauliche Änderungen bedürfen in Milieuschutzgebieten folglich stets einer behördlichen Genehmigung. Ein Thema, mit dem sich das Verwaltungsgericht (VG) Berlin naturgemäß gut auskennt.

In diesem Fall ging es um ein Schutzgebiet in Berlin-Mitte, einen bundesweiten Hotspot der sogenannten Gentrifizierung, deren Folgen Anlass für den Milieuschutz gaben. Eine Eigentümerin wollte im Badezimmer einer Wohnung ein Stand-WC durch ein an der Wand hängendes WC ersetzen und einen Handtuchheizkörper einbauen. Eine andere Eigentümerin wollte zudem den Anbau von 13 Balkonen von jeweils 4 m² an die Wohnungen ihres Mehrfamilienhauses durchsetzen. Als das Bezirksamt die Genehmigungen versagte, klagten beide Eigentümerinnen.

Das VG gab den Klagen statt. Das Bezirksamt muss die Genehmigungen erteilen. Wandhängende WCs und Handtuchheizkörper in Standardausführung sowie Balkone in der Größe von lediglich 4 m² sind nach Ansicht der Richter in Milieuschutzgebieten genehmigungsfähig, weil sie der Herstellung eines zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung dienen.

Hinweis: Es handelt sich sicherlich um ein zeitgemäßes Urteil. Sollen Modernisierungen vorgenommen werden, haben Eigentümer natürlich das "Milieu" in den entsprechenden Gebieten zu berücksichtigen. Eine behutsame Anhebung des Ausstattungsstandards ist jedoch möglich.


Quelle: VG Berlin, Urt. v. 02.04.2025 - VG 19 K 17/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Ausgewertete Fallakte: Einsichtsrechte im Bußgeldverfahren beim Vorwurf der Geschwindigkeitsübertretung

Bei einem vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß ist es schwer, genaue Einsicht in die erfassten Daten zu erhalten. Die auf Überlassung der sogenannten Falldatei gerichtete Rechtsbeschwerde wurde im folgenden Fall zwar verworfen. Doch mit seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nun grundsätzlich geklärt, wie eine Überprüfung des vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes erfolgen kann.

Bei einem vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß ist es schwer, genaue Einsicht in die erfassten Daten zu erhalten. Die auf Überlassung der sogenannten Falldatei gerichtete Rechtsbeschwerde wurde im folgenden Fall zwar verworfen. Doch mit seiner Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nun grundsätzlich geklärt, wie eine Überprüfung des vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoßes erfolgen kann.

Der Betroffene war wegen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um 27 km/h zu einem Bußgeld von 240 EUR verurteilt worden. Sein Verteidiger begehrte im Rahmen des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde die Überlassung der sogenannten Falldatei durch die Zentrale Bußgeldstelle in Kassel. Diesen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das erstinstanzliche Urteil hat das OLG zwar verworfen, da die vom Verteidiger erhobene Rüge prozessual unzureichend erhoben worden und damit unzulässig sei. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung hat der Senat jedoch zum Anlass genommen, grundsätzlich zusammenzufassen, wie die Betroffenen Einsicht in ihre sogenannte Falldatei erhalten können.

Die von den Messgeräten erzeugte digitale Falldatei ist Ausgangspunkt aller Geschwindigkeitsvorwürfe mit zugelassener Messtechnik. Diese verschlüsselte Datei enthält den amtlichen Messwert und das Messbild. Zu ihrer Auswertung bedarf es deshalb eines zugelassenen Auswertungsprogramms und entsprechender Schlüssel. Beides liegt in Hessen bei der Zentralen Bußgeldstelle in Kassel vor. Die Bußgeldbehörde hat vor Erlass eines Bußgelds grundsätzlich die Tragfähigkeit der Beweismittel zu prüfen. Dies macht sie, indem sie die digitale verschlüsselte Falldatei entschlüsselt und mit dem zugelassenen Auswertungsprogramm auswertet. Dadurch entsteht eine aus Messbild und Messwert bestehende lesbare Version. Der Messwert wird dem Objekt auf dem Messbild zugeordnet, und somit wird der notwendige Kontext zwischen der gefahrenen Geschwindigkeit (amtlicher Messwert), dem Täterfahrzeug (Objekt) und dem verantwortlichen Fahrer hergestellt. Die Auswertung der Falldatei muss jederzeit von allen Verfahrensbeteiligten - Gericht, Staatsanwaltschaft, Betroffener, Verteidiger - zur Prüfung eigenständig wiederholt werden können. Deshalb muss die Bußgeldstelle die Falldatei, das dazu notwendige zugelassene Auswertungsprogramm und die entsprechenden Schlüssel vorhalten. Der Betroffene eines Bußgeldbescheids kann selbst auch ohne Verteidiger seine Rechte im Bußgeldverfahren wahrnehmen und die Zuordnung des amtlichen Messwerts zu seinem Kraftfahrzeug und des Messbilds zu ihm als Fahrer anhand seiner Falldatei überprüfen. Dafür kann er entweder nach Terminvereinbarung bei der Bußgeldbehörde die unausgewertete Falldatei einsehen und mit dem dort vorgehaltenen Auswertungsprogramm und Schlüssel eigenständig auswerten. Alternativ kann er die Übersendung einer ausgewerteten Falldatei in lesbarer Version auf eigene Kosten beantragen. In diesem Fall muss auf die Authentizität vertraut werden.

Hinweis: Das OLG hat die Einsichtsrechte im Bußgeldverfahren beim Vorwurf einer Geschwindigkeitsübertretung geklärt. Demnach muss der Betroffene oder sein Anwalt die korrekte Zuordnung und Auswertung der Messdaten anhand der Falldatei überprüfen können. Die nicht ausgewertete Falldatei ist aber nicht Teil der Verfahrensakte und damit nicht vom Einsichtsrecht umfasst. Sie dient nur als Basis für die Auswertung.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 04.02.2025 - 2 Orbs 233/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Kein "doppeltes" Regelfahrverbot: Wenn der Verkehrssünder Erziehungswirkung des kürzlich beendeten Fahrverbots erkennen lässt

Wer kurz hintereinander gleich zweimal übers Ziel hinausschießt, muss auch zweimal bestraft werden - oder etwa nicht? Das Amtsgericht Dortmund (AG) setzte im folgenden Fall auf Augenmaß. Denn wenn unterstellt werden darf, dass eine erst kurz vor Gerichtstermin verbüßte Strafe die gewünschte Wirkung erzielt hat, kann von einem erneuten Fahrverbot abgesehen werden. Folgenlos blieb der zweite Verstoß dennoch nicht.

Wer kurz hintereinander gleich zweimal übers Ziel hinausschießt, muss auch zweimal bestraft werden - oder etwa nicht? Das Amtsgericht Dortmund (AG) setzte im folgenden Fall auf Augenmaß. Denn wenn unterstellt werden darf, dass eine erst kurz vor Gerichtstermin verbüßte Strafe die gewünschte Wirkung erzielt hat, kann von einem erneuten Fahrverbot abgesehen werden. Folgenlos blieb der zweite Verstoß dennoch nicht.

Der Anlass für den Termin vor dem AG ist schnell erklärt: Der Betroffene überschritt am 29.08.2024 innerorts mit seinem Pkw die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 32 km/h. Deswegen erging gegen ihn ein Bußgeldbescheid über 260 EUR, verbunden mit einem Fahrverbot von einem Monat. Hiergegen legte er Einspruch ein.

Das AG sah in der Tat von der Verhängung eines Fahrverbots ab, erhöhte hingegen die Geldbuße auf 500 EUR. In der Verhandlung stellte sich anhand des verlesenen Fahreignungsregisterauszugs nämlich heraus, dass die Bußgeldbehörde in Magdeburg gegen den Betroffenen bereits wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes eine Geldbuße von 600 EUR festgesetzt hatte - ein Fahrverbot von zwei Monaten inklusive. Zudem konnte festgestellt werden, dass der Betroffene seinen Führerschein am 13.12.2024 bei der Polizei abgegeben hatte. Die Verbotsfrist endete mit dem 12.02.2025 erst kurz vor dem Termin in Dortmund.

Für das dortige AG stellte sich nun die Frage des Umgangs mit der Tatsache, dass nach der hier verhandelten Tat bereits eine zweimonatige Fahrverbotsvollstreckung in anderer Sache stattgefunden hatte. Nun war der Betroffene selbst das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag für die Entscheidung des Gerichts gab. Da sich der Mann durch die erst vor etwa drei Wochen abgelaufene zweimonatige Fahrverbotsvollstreckung erkennbar beeindruckt zeigte, erschien es dem AG in diesem Fall ausreichend, die Geldbuße zu erhöhen und von einem weiteren Fahrverbot abzusehen. Durch die bereits erfolgte Fahrverbotsanordnung war die beabsichtigte Erziehungswirkung bei dem Betroffenen offenbar bereits eingetreten.

Hinweis: Von einem Regelfahrverbot kann unter Anwendung des § 4 Abs. 4 Bußgeldkatalog-Verordnung und damit einhergehender Erhöhung der Geldbuße dann abgesehen werden, wenn zwischen der Anlasstat und der Verurteilung ein anderes zweimonatiges Fahrverbot vollstreckt wurde.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 06.03.2025 - 729 OWi-256 Js 159/25 -16/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Erheblicher Pflichtverstoß: Geldentnahme aus Nachlass führt zur Verwirkung der Testamentsvollstreckervergütung

Ein Testamentsvollstrecker kann für seine Tätigkeit eine angemessene Vergütung verlangen, sofern der Erblasser nicht etwas anderes bestimmt hat. Ein Anspruch auf eine solche Vergütung kann aber auch entfallen, wenn dem Testamentsvollstrecker ein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Im folgenden Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) war ein Notar zum Testamentsvollstrecker eingesetzt worden.

Ein Testamentsvollstrecker kann für seine Tätigkeit eine angemessene Vergütung verlangen, sofern der Erblasser nicht etwas anderes bestimmt hat. Ein Anspruch auf eine solche Vergütung kann aber auch entfallen, wenn dem Testamentsvollstrecker ein Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Im folgenden Fall des Oberlandesgerichts München (OLG) war ein Notar zum Testamentsvollstrecker eingesetzt worden.

Der Testamentsvollstrecker ließ in seiner Eigenschaft unter anderem ein Nachlassverzeichnis erstellen und Immobilien aus dem Vermögen der Erblasserin schätzen. Hierfür erhielt er eine Vergütung in Höhe von ca. 117.000 EUR. Zudem hatte sich der Testamentsvollstrecker weitere 27.000 EUR aus dem Nachlass entnommen, um Kosten für ein Gerichtsverfahren zu decken, von dem er persönlich betroffen war. Die Erben waren der Ansicht, dass es sich hierbei um eine erhebliche Pflichtverletzung gehandelt habe, die dazu führe, dass der Testamentsvollstrecker auch seinen Vergütungsanspruch zurückzahlen müsse. Die Entnahmen für die Kosten des Gerichtsverfahrens hatte der Testamentsvollstrecker in der Zwischenzeit wieder an den Nachlass zurückgeführt.

Sowohl das vorinstanzliche Landgericht als auch das OLG waren der Ansicht, dass der Testamentsvollstrecker mit der Entnahme von insgesamt 27.000 EUR aus dem Nachlass für eigene Zwecke erheblich gegen seine Pflichten verstoßen habe. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass er den Geldbetrag an den Nachlass zurückgezahlt habe. Die Pflichtverletzung wurde als derart schwerwiegend eingestuft, dass dies zur Folge hatte, dass auch der Vergütungsanspruch des Testamentsvollstreckers damit erloschen war.

Hinweis: Grundsätzlich vertritt der Testamentsvollstrecker den Nachlass in Rechtsstreitigkeiten. Richtet sich diese Rechtsstreitigkeit aber gegen den Testamentsvollstrecker selbst, sind die Erben dazu berechtigt, den Prozess selbst zu führen.


Quelle: OLG München, Urt. v. 07.04.2025 - 33 U 241/22
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Unbefugte Gebrauchsüberlassung: Vermieterzustimmung zur Aufnahme eines Familienmitglieds gilt nicht für alleinige Nutzung

Im Mietrecht gibt es häufig Pläne, die eine Zustimmung des Vermieters benötigen, ohne dass dieser eigentlich viel dagegen einwenden darf. Der Wunsch, Untermieter aufzunehmen, gehört dazu. Dass aber selbst Verwandten, die zur angefragten und genehmigten Untermiete mit einziehen, damit nicht auch die alleinige Nutzung der Wohnung eingeräumt wird, zeigt dieser Fall des Amtsgerichts Frankfurt am Main (AG).

Im Mietrecht gibt es häufig Pläne, die eine Zustimmung des Vermieters benötigen, ohne dass dieser eigentlich viel dagegen einwenden darf. Der Wunsch, Untermieter aufzunehmen, gehört dazu. Dass aber selbst Verwandten, die zur angefragten und genehmigten Untermiete mit einziehen, damit nicht auch die alleinige Nutzung der Wohnung eingeräumt wird, zeigt dieser Fall des Amtsgerichts Frankfurt am Main (AG).

Ein Mieter hatte mit Genehmigung der Vermieterin seinen Neffen in die Wohnung aufgenommen. Fünf Jahre später erhielt die Vermieterin schließlich Kenntnis davon, dass der ursprüngliche Mieter ausgezogen war und die Wohnung seinem Neffen zum alleinigen Gebrauch überlassen hatte. Eine Einwohnermeldeamtsanfrage bestätigte dies. Die Vermieterin bat daraufhin um Stellungnahme, worauf nicht reagiert wurde. Schließlich kündigte sie das Mietverhältnis wegen unbefugter Gebrauchsüberlassung fristlos sowie hilfsweise ordentlich fristgerecht und legte eine Räumungsklage gegen den Mieter und den Neffen ein.

Der Klage wurde vor dem AG stattgegeben. Auch in Fällen, in denen der Vermieter zuvor zugestimmt hat, einen nahen Familienangehörigen in die Wohnung mit aufzunehmen, darf diesem die Wohnung nicht zum alleinigen Gebrauch überlassen werden. Andernfalls liegt eine unbefugte Gebrauchsüberlassung vor und damit eine Kündigungsmöglichkeit für den Vermieter.

Hinweis: Wer eine Wohnung untervermieten möchte, benötigt in aller Regel die Zustimmung des Vermieters. Der wiederum ist seinerseits in den meisten Fällen dazu verpflichtet, die Zustimmung zu erteilen.


Quelle: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 20.02.2025 - 33093 C 422/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Befriedung statt Bestrafung: Bereits der Verdacht der sexuellen Belästigung unter Kollegen berechtigt Arbeitgeber zur Versetzung

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste über die Versetzung eines Arbeitnehmers entscheiden, dem die sexuelle Belästigung einer Kollegin vorgeworfen wurde. Diese blieb zwar nach Recherchen des Arbeitgebers unbewiesen, so dass die diesbezügliche Abmahnung auch keinen Bestand hatte. Die Versetzung wollte der Arbeitnehmer jedoch auch nicht hinnehmen und empfand diese als unberechtigte Bestrafung. Zu Recht?

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste über die Versetzung eines Arbeitnehmers entscheiden, dem die sexuelle Belästigung einer Kollegin vorgeworfen wurde. Diese blieb zwar nach Recherchen des Arbeitgebers unbewiesen, so dass die diesbezügliche Abmahnung auch keinen Bestand hatte. Die Versetzung wollte der Arbeitnehmer jedoch auch nicht hinnehmen und empfand diese als unberechtigte Bestrafung. Zu Recht?

Nach einer Abteilungsversammlung behauptete eine Arbeitnehmerin, ein Kollege habe sie an der Schulter berührt und "Schätzchen" genannt. Im weiteren Tagesverlauf soll der Mitarbeiter ihr zudem im Vorbeigehen bewusst auf das Gesäß geschlagen haben. Der Arbeitgeber nahm die Ermittlungen auf und hörte unter anderem mehrere Zeugen der Abteilungsversammlung an. Schließlich sprach er eine Abmahnung aus und versetzte den Mitarbeiter an einen anderen Standort. Dagegen klagte der Arbeitnehmer. Er bestritt, die Kollegin sexuell belästigt zu haben. Insbesondere habe er sie nicht am Gesäß berührt.

Das LAG urteilte, dass die Abmahnung unwirksam gewesen sei und deshalb aus der Personalakte entfernt werden müsse. Schließlich konnte der Arbeitgeber die sexuelle Belästigung der Arbeitnehmerin nicht beweisen. Anders sah es das Gericht jedoch mit der Versetzung. Diese hatte der Arbeitgeber wirksam vorgenommen. Es ist nach Auffassung des Gerichts nämlich Sache des Arbeitgebers, zu entscheiden, wie er auf Konfliktlagen reagieren will. Er muss dabei nicht erst die Ursachen und Verantwortlichkeiten für die entstandenen Konflikte im Einzelnen aufklären. Sei eine Konfliktlage gegeben und könne der Arbeitgeber diese Konfliktsituation durch Ausübung seines Direktionsrechts beenden, kann er diese Maßnahme auch ergreifen. Die Trennung der betroffenen Arbeitnehmer war eine geeignete und sachgerechte Maßnahme zur Lösung des Konflikts. Der Arbeitgeber habe zuvor im Rahmen seiner Möglichkeiten sogar überobligatorisch gehandelt, um den Sachverhalt aufzuklären.

Hinweis: Dem Gericht war klar, dass der (unschuldige) Mitarbeiter die Umsetzung als Strafe empfinden wird. Hier diente sie jedoch der Befriedung des Konflikts und hatte deshalb keine bestrafende Intention.


Quelle: LAG Köln, Urt. v. 25.02.2025 - 7 SLa 456/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Sohn oder Berufsbetreuer? Wie bei der Betreuerauswahl korrekt vorzugehen ist

Die Feststellung, dass eine Person unter Betreuung gestellt werden muss, ist die eine Sache. Die andere ist es, einen geeigneten Betreuer zu finden. Besonders schwierig wird es, wenn Familienmitglieder gegen Berufsbetreuer konkurrieren. So hat hier erst der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden, wie für eine rechtsgültige Bewertung in solchen Fällen vorzugehen ist.

Die Feststellung, dass eine Person unter Betreuung gestellt werden muss, ist die eine Sache. Die andere ist es, einen geeigneten Betreuer zu finden. Besonders schwierig wird es, wenn Familienmitglieder gegen Berufsbetreuer konkurrieren. So hat hier erst der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden, wie für eine rechtsgültige Bewertung in solchen Fällen vorzugehen ist.

Eine im Jahr 1934 geborene Frau leidet an einer Aphasie sowie schweren psychischen Störungen und kann ihre Angelegenheiten rechtlich nicht mehr besorgen. Das Amtsgericht (AG) bestellte deswegen einen Berufsbetreuer sowie eine berufliche Verhinderungsbetreuerin. Dagegen wendete sich der einzige Sohn der Betreuten. Die Betreuung müsse ihm als dem einzigen Sohn übertragen werden. Das Gericht sah ihn aber als ungeeignet an. Er habe sich nachweislich unvernünftig und auch übergriffig der Mutter gegenüber verhalten. Der Sohn wiederum gab an, sich bessern zu wollen. Dem AG reichte das nicht, es hielt dieses Versprechen für eine bloße Absichtserklärung. Während die Beschwerde des Sohns beim Landgericht (LG) noch erfolglos blieb, konnte er vor dem BGH nun einen Etappensieg erringen.

Nach § 1816 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch muss dem Wunsch des Betroffenen nach einem bestimmten Betreuer entsprochen werden, außer dieser ist ungeeignet. Schlägt der Betroffene niemanden vor, sind Familienangehörige und Berufsbetreuer gegeneinander abzuwägen. Will ein Familienangehöriger die Betreuung übernehmen und steht dem kein Wunsch des Betroffenen selbst entgegen, ist dem Familienangehörigen der Vorzug zu geben - außer, er ist für die Betreuung ungeeignet. Ob der Sohn ungeeignet ist, hatte das LG jedoch erst gar nicht ausermittelt. Genau aus diesem Grund wurde der Fall dorthin zurückverwiesen.

Hinweis: Achten Sie in einer ähnlichen Situation darauf, dass die Eignung des Betreuers aus dem Familienkreis umfassend beurteilt wird. Es muss eine Gesamtschau vorgenommen werden: War der Familienangehörige unvernünftig? Wenn ja, warum? Wie lange ist das her? Wie ist die Prognose? Nur, wenn die Gesamtschau negativ ist, kann ihm die Betreuung versagt werden.


Quelle: BGH, Beschl. v. 05.03.2025 - XII ZB 260/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Verabredung zum Mord: Ehemann darf zum Nebenkläger gegen mordlüsterne Ehefrau werden

Viele heiraten - viele trennen sich. Zwar lassen Krimis anderes mutmaßen, doch in der Realität wollen wohl die wenigsten lieber über einen Auftragskiller statt über eine Scheidung Fakten schaffen lassen. Wenn man dennoch diesen illegalen Weg wählt und schließlich versagt - so wie im Fall vor dem Landgericht Ansbach (LG) -, darf in solchen Konstellationen das einst ins Visier geratene Opfer im Strafverfahren als Nebenkläger auftreten.

Viele heiraten - viele trennen sich. Zwar lassen Krimis anderes mutmaßen, doch in der Realität wollen wohl die wenigsten lieber über einen Auftragskiller statt über eine Scheidung Fakten schaffen lassen. Wenn man dennoch diesen illegalen Weg wählt und schließlich versagt - so wie im Fall vor dem Landgericht Ansbach (LG) -, darf in solchen Konstellationen das einst ins Visier geratene Opfer im Strafverfahren als Nebenkläger auftreten.

Der Ehemann war in Urlaub in Thailand. Seine Frau und deren Liebhaber wollten endlich freie Bahn haben und beschlossen, den Ehemann töten zu lassen. Dazu beauftragten sie einen Auftragskiller. Der Killer nahm zwar das Geld an, die Tötung wollte er dann doch nicht ausführen. Der Plan kam schließlich ans Licht. Ehefrau, Liebhaber und Killer wurden wegen Verabredung zum Mord angeklagt. Am Ende saßen alle drei wegen Verabredung zum Mord - der Killer zudem wegen Betrugs - auf der Anklagebank beim LG.

Nach der Untersuchungshaft nahm der Ehemann die Ehefrau zwar wieder in die eheliche Wohnung auf, beantragte aber die Zulassung als Nebenkläger im Strafverfahren. Dies wurde ihm vom LG schließlich auch erlaubt. Nach § 395 Abs. 3 Strafprozessordnung kann die Nebenklage zugelassen werden, wenn diese wegen der schweren Folgen der Tat zur Wahrnehmung der Interessen des Geschädigten geboten erscheint. Das war hier der Fall. Schließlich sollte dem Mann das Leben genommen werden. Zudem hat er mit der Ehefrau gemeinsames Vermögen und auch gemeinsame Kinder. Es besteht also ein Interesse am Ausgang des Verfahrens.

Hinweis: Das ist sicher kein klassischer familienrechtlicher Fall. Sie sehen aber, dass Sie aus der familiären Verbundenheit Ihre Position auch in anderen Rechtsbereichen stärken können. Wäre der Mann nicht mit der Frau verheiratet gewesen und hätten sie keine gemeinsamen Kinder, wäre die Nebenklage wahrscheinlich versagt worden.


Quelle: LG Ansbach, Beschl. v. 04.03.2025 - Ks 1060 Js 3390/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Bei hohem Betreuungsanteil: Mitbetreuung rechtfertigt Herabgruppierung des Kindesunterhalts

Beide Eltern sind den Kindern zu Unterhalt verpflichtet - durch Betreuung oder finanziell. Was passiert, wenn ein Elternteil an sich Barunterhalt schuldet, die Kinder aber de facto mitbetreut, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG).

Beide Eltern sind den Kindern zu Unterhalt verpflichtet - durch Betreuung oder finanziell. Was passiert, wenn ein Elternteil an sich Barunterhalt schuldet, die Kinder aber de facto mitbetreut, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG).

Nach der Trennung im Dezember 2019 blieben die drei Kinder im Haushalt der Kindesmutter. Der Vater zahlte für die Kinder Unterhalt in Höhe von 100 % des Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergelds. Zudem betreute er sie in jeder ungeraden Kalenderwoche von Mittwoch nach Schulschluss bis Montagmorgen zum Schulbeginn, zusätzlich während der Hälfte der Schulferien. Als der Vater vom Amtsgericht verpflichtet wurde, rückwirkend Kindesunterhalt von 115 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe zu zahlen, legte er Beschwerde gegen die Festsetzung des Unterhalts ein, soweit dieser 100 % übersteigt.

Der Vater hatte damit vor dem OLG auch Erfolg: Er blieb der Zahlungspflicht von 100 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe der Kinder nach der Düsseldorfer Tabelle verpflichtet (abzüglich des hälftigen Kindergeldes). Dies ist wegen der beachtlichen Mitbetreuung der Kinder durch den Vater gerechtfertigt. Der Vater betreut die drei Kinder an fünf von 14 Tagen. Addiert man hierzu noch die Betreuung während der Hälfte der Schulferien, entspricht dies einem Betreuungsanteil von gut 35 % - also von mehr als einem Drittel. Ein deutlich erweiterter Umgang kann daher auch zu einer Herabgruppierung der Unterhaltspflicht führen. Dabei spielt es eine Rolle, inwieweit bei der Betreuungszeit über die Gewährung von Naturalunterhalt der Unterhaltsverpflichtung bereits entsprochen und der hauptbetreuende Elternteil entlastet wird.

Hinweis: Auch bei einer Trennung sollte sich jeder Elternteil seine Betreuungsanteile bewusst machen, zum Beispiel durch eine schriftliche Aufstellung. Vielleicht sind diese zu hoch, so dass der Barunterhalt reduziert werden kann.


Quelle: OLG Braunschweig, Beschl. v. 04.04.2025 - 1 UF 136/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Der kontrollierte Kontroletti: Fristlos Entlassener muss Kosten für Detektiv erstatten, der seinen Arbeitszeitbetrug nachwies

Der Einsatz eines Detektivs gegen einen Mitarbeiter darf nur unter ganz engen Voraussetzungen geschehen. Wann das der Fall ist, musste das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) entscheiden. Dabei ging es um den Nachweis des arbeitgeberseitigen Verdachts, dass ein Arbeitnehmer Arbeitszeitbetrug begehe.

Der Einsatz eines Detektivs gegen einen Mitarbeiter darf nur unter ganz engen Voraussetzungen geschehen. Wann das der Fall ist, musste das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) entscheiden. Dabei ging es um den Nachweis des arbeitgeberseitigen Verdachts, dass ein Arbeitnehmer Arbeitszeitbetrug begehe.

Der Arbeitnehmer war seit April 2009 bei einem Verkehrsunternehmen im öffentlichen Nahverkehr als Fahrausweisprüfer angestellt. Er war in Vollzeit tätig, wobei die Zeiterfassung über eine mobile App erfolgte. Der Arbeitgeber stellte schließlich Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeiterfassung des Arbeitnehmers fest und hegte den Verdacht, dass der Mitarbeiter trotz Arbeitszeiterfassung an verschiedenen Tagen etwa ein Fitnessstudio oder einen Friseur besucht habe. Der Arbeitgeber beauftragte daraufhin eine Detektei, den Mitarbeiter an mehreren Tagen zu observieren. Aus dem Abschlussbericht ergab sich, dass der Arbeitnehmer ohne Pauseneintrag mehrfach längere Pausen in Bäckereien und Cafes sowie bei seiner Freundin eingelegt hatte. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos. Obendrein forderte er auch die Erstattung der Detektivkosten von über 21.000 EUR. Dagegen erhob der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage.

Doch das LAG gab dem Arbeitgeber Recht. Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund war wegen des nachgewiesenen Arbeitszeitbetrugs gerechtfertigt. Und der Arbeitnehmer musste auch die Detektivkosten erstatten, denn der Arbeitgeber durfte wegen des dringenden und konkreten Tatverdachts einen Detektiv zur weiteren Aufklärung beauftragen. Ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht oder die Grundrechte lag nicht vor.

Hinweis: Solche Fallkonstellationen können also für Arbeitnehmer wirklich richtig teuer werden. Da hilft nur eins: das vertragsgerechte rechtmäßige Verhalten.


Quelle: LAG Köln, Urt. v. 11.02.2025 - 7 Sa 635/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Teilungsversteigerung: Kindeswohl ist auch bei Zwangsvollstreckung zu beachten

Die Teilungsversteigerung einer gemeinsamen Immobilie kann dem anderen Ehegatten gegenüber rücksichtslos sein, etwa wenn sein Vermögen nachhaltig geschädigt wird oder das Wohl der gemeinsamen Kinder auf dem Spiel steht. Doch wie so oft, steht auch in solchen Fällen die gerichtliche Abwägung vor einem Urteil - so auch im Fall vor dem Amtsgericht Frankenthal (AG).

Die Teilungsversteigerung einer gemeinsamen Immobilie kann dem anderen Ehegatten gegenüber rücksichtslos sein, etwa wenn sein Vermögen nachhaltig geschädigt wird oder das Wohl der gemeinsamen Kinder auf dem Spiel steht. Doch wie so oft, steht auch in solchen Fällen die gerichtliche Abwägung vor einem Urteil - so auch im Fall vor dem Amtsgericht Frankenthal (AG).

Die Eheleute leben getrennt, sind aber noch nicht geschieden. Ein Wohnhaus, das im gemeinsamen Eigentum der Ehegatten stand, sollte nun auf Betreiben des Mannes zwangsversteigert werden. Es gehört zu 2/3 der Ehefrau, zu 1/3 dem Mann und wird von der Frau mit den beiden gemeinsamen Kindern bewohnt. Die Tochter ist in kinderpsychologischer Behandlung, die laut der Mutter wegen der Trennung erforderlich sei. Deswegen wollte sie die Teilungsversteigerung auch untersagen lassen.

Grundsätzlich sind das Verlangen und die Durchführung einer Teilungsversteigerung nachvollziehbar. Im Zuge der Scheidung soll auch eigentumsrechtlich Klarheit geschaffen werden. Im Einzelfall kann das Betreiben der Teilungsversteigerung gegenüber dem anderen Ehegatten rücksichtslos sein. Es müssen daher stets die beiderseitigen Interessen abgewogen werden. Auf Seiten des Mannes stehen vermögensrechtliche Interessen - auf Seiten der Frau stehen neben deren Vermögensinteressen aber auch psychologische Gründe. Sie lebt mit den gemeinsamen Kindern in dem Haus. Eine der Töchter hat wegen der Trennung psychologische Probleme, durch die Versteigerung könnten sich diese noch verstärken. Zudem gehören der Ehefrau 2/3 des Hauses. Die Interessen der Ehefrau sind laut AG demnach höher zu bewerten als die Interessen des Mannes. Sie konnte also mit den Kindern im Haus bleiben.

Hinweis: Ob einem Antrag auf Teilungsversteigerung stattgegeben wird oder nicht, richtet sich also immer nach den berechtigten Interessen. Zur Feststellung der berechtigten Interessen zählen Vermögensinteressen genauso, wie sonstige berechtigte Interessen. Hier können Sie so viel wie möglich in die Waagschale werfen: Eigentumsanteile, Kindeswohl und nicht zuletzt auch die eigene psychische Gesundheit.


Quelle: AG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 24.03.2025 - 5 K 13/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Versorgungsausgleich: Kein Versorgungsausgleich bei folgenschwerer Körperverletzung

Häusliche Gewalt ist nach wie vor ein großes gesellschaftliches Problem. Wenn sie zu folgenschweren Körperverletzungen während der Ehe führt, kann sogar der Versorgungsausgleich ausgeschlossen werden. Genau dies musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) im Folgenden überprüfen, nachdem die Vorinstanz dem Gewalttäter einen solchen Ausgleich noch zugesprochen hatte.

Häusliche Gewalt ist nach wie vor ein großes gesellschaftliches Problem. Wenn sie zu folgenschweren Körperverletzungen während der Ehe führt, kann sogar der Versorgungsausgleich ausgeschlossen werden. Genau dies musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) im Folgenden überprüfen, nachdem die Vorinstanz dem Gewalttäter einen solchen Ausgleich noch zugesprochen hatte.

Eine 2011 in der Türkei geschlossene Ehe wurde am 03.04.2024 rechtskräftig in Deutschland geschieden. Ein gemeinsamer Sohn war 2009 geboren worden. Der Ehemann hatte nie gearbeitet und während der Ehezeit illegale Drogen konsumiert. Am 21.02.2014 hatte der Mann die Ehefrau auf einer Busfahrt zu einer Drogenentzugsklinik an einer Haltestelle aus dem Bus gezerrt. Er schlug so massiv auf sie ein, dass sie bewusstlos wurde und auf dem rechten Auge erblindete. Der Sohn verblieb bei der Mutter, der Vater zahlte keinen Unterhalt und war mehrfach im Gefängnis. Er beantragte schließlich den Versorgungsausgleich. Das Amtsgericht führte diesen auch durch. Die Ehefrau erhob Beschwerde hiergegen.

Damit war sie auch erfolgreich. Denn die Durchführung des Versorgungsausgleichs zu ihren Lasten wäre in Augen des OLG grob unbillig (§ 27 Gesetz über den Versorgungsausgleich). Schließlich hat der Ehemann ein Verbrechen zu ihren Lasten begangen, unter dessen Folgen sie lebenslänglich leiden wird. Es wäre unerträglich, den Ehemann dann noch vom Versorgungsausgleich profitieren zu lassen. Auch hätte der Vater in den Phasen in Freiheit arbeiten können, um so zumindest den Kindesunterhalt zahlen zu können. Dies hatte er aber schuldhaft nicht getan, was ebenso für einen Ausschluss des Versorgungsausgleichs spricht.

Hinweis: Soll der Versorgungsausgleich ausgeschlossen werden, sind alle Gesamtumstände des Einzelfalls abzuwägen. Dabei kommt es auch darauf an, wie sich der Ex-Partner verhalten hat. Bei Gewalt in der Ehe, durch die dauerhafter Schaden entstanden ist, und durch die schuldhafte Vereitelung von Unterhalt kann der Versorgungsausgleich kippen. Wichtig ist, dass alle Punkte, die in die Gesamtabwägung einfließen sollen, ordentlich aufgelistet und eingebracht werden.


Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 27.01.2025 - 11 UF 222/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Gegenbeweis blieb aus: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wertet "Digital Native" als Altersdiskriminierung

Mit "flotten" oder "freshen" Stellengesuchen - suchen Sie sich aus, was Sie anspricht - sollten Arbeitgeber künftig besser aufpassen. Denn die folgende Klage eines abgelehnten Bewerbers hatte vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) auch deshalb Erfolg, weil sich das Unternehmen dabei Begriffen bediente, die schon bei kurzem Nachschlagen zur Bedeutung alle Alarmglocken bei Personalverantwortlichen hätten erklingen lassen.

Mit "flotten" oder "freshen" Stellengesuchen - suchen Sie sich aus, was Sie anspricht - sollten Arbeitgeber künftig besser aufpassen. Denn die folgende Klage eines abgelehnten Bewerbers hatte vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) auch deshalb Erfolg, weil sich das Unternehmen dabei Begriffen bediente, die schon bei kurzem Nachschlagen zur Bedeutung alle Alarmglocken bei Personalverantwortlichen hätten erklingen lassen.

Ein Diplom-Wirtschaftsjurist hatte sich auf eine Stelle bei einem Sportartikelhändler beworben. In der Stellenausschreibung suchte dieser einen "Digital Native", der sich in der "Social-Media-Welt zuhause fühlt". Er suche außerdem einen "absoluten Teambuddy" und biete ein dynamisches "Team mit attraktiver Vergütung und Chancen zur beruflichen Entwicklung". Der Diplom-Wirtschaftsjurist stellte sich dabei ein Gehalt von 90.000 EUR im Jahr vor. Der Arbeitgeber lehnte seine Bewerbung jedoch ab. Der Bewerber klagte, denn er vertrat die Ansicht, dass die Formulierung in der Stellenanzeige ein Indiz für eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei. Er ging von einer Altersdiskriminierung aus und klagte auf eine Entschädigung nach dem AGG in Höhe von 37.500 EUR.

Das LAG bestätigte das Urteil der ersten Instanz. Der diplomierte Wirtschaftsjurist erhielt 7.500 EUR, da er wegen seines Alters eine ungünstigere Behandlung erfahren hatte als der letztlich vom Arbeitgeber eingestellte Bewerber. Der Begriff "Digital Native" knüpft unmittelbar an das Lebensalter an. So definiert der Duden damit eine Person, die mit digitalen Technologien aufgewachsen und in ihrer Benutzung geübt ist, wobei Ersteres bestimmte noch berufstätige Jahrgänge naturgemäß ausschließt.

Hinweis: Das Gericht stellte klar, dass das AGG vermute, dass Bewerber in solchen Fällen zumindest auch aus Altersgründen abgelehnt worden seien. Deshalb wäre es in diesem Fall am Arbeitgeber gewesen, einen Gegenbeweis zu liefern. Das hatte der Arbeitgeber jedoch nicht getan.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 07.11.2024 - 17 Sa 2/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Keine Eilbedürftigkeit gegeben: Teilzeitantrag kann nicht während einer Brückenteilzeit gestellt werden

Die sogenannte Brückenteilzeit ist eine befristete Herabsetzung der Arbeitszeit. Ist diese Form der Teilzeit beendet, kehrt der Arbeitnehmer zu der davor festgelegten Arbeitszeit zurück. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte in diesem Zusammenhang ein Urteil zur Frage gefällt, ob ein Antrag auf Teilzeit noch während einer bestehenden Brückenteilzeit möglich ist.

Die sogenannte Brückenteilzeit ist eine befristete Herabsetzung der Arbeitszeit. Ist diese Form der Teilzeit beendet, kehrt der Arbeitnehmer zu der davor festgelegten Arbeitszeit zurück. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte in diesem Zusammenhang ein Urteil zur Frage gefällt, ob ein Antrag auf Teilzeit noch während einer bestehenden Brückenteilzeit möglich ist.

Die Arbeitnehmerin dieses Falls hatte sich mit ihrem Arbeitgeber auf eine Brückenteilzeit geeinigt und reduzierte für die Zeit vom 01.09.2022 bis zum 31.08.2024 ihre Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden. Beide Seiten vereinbarten darüber hinaus, dass die Arbeitszeit auf vier Wochentage verteilt werden sollte. Noch während dieser vereinbarten Brückenteilzeit beantragte die Beschäftigte im März 2024 eine unbefristete Teilzeittätigkeit nach § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz mit 30 Wochenstunden. Diese solle nach Vorstellung der Arbeitnehmerin mit dem Ende der Brückenteilzeit beginnen. Als der Arbeitgeber das ablehnte, klagte die Arbeitnehmerin ihr vermeintliches Recht ein. Erfolg hatte sie damit allerdings nicht.

Das LAG entschied, dass Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf eine unbefristete Teilzeit haben. Das Gericht stellte in seiner Entscheidung klar, dass ein Antrag auf unbefristete Teilzeit während einer laufenden Brückenteilzeit unzulässig ist. Allein der Umstand, dass die Durchsetzung des möglichen Anspruchs im Hauptsacheverfahren mehrere Monate dauern kann, begründet eine solche Eilbedürftigkeit nämlich noch nicht.

Hinweis: Nun ist also klar, dass während einer bestehenden Brückenteilzeit kein Teilzeitantrag auf die Zeit danach gestellt werden kann. Für alle Beteiligten ist es ohnehin besser, wenn eine einvernehmliche Regelung für eine Teilzeitarbeit möglich ist.


Quelle: Hessisches LAG, Urt. v. 02.12.2024 - 16 GLa 821/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 06/2025)

Betriebspflicht in Einkaufszentren: Fehlender Konkurrenzausschluss spricht nicht gegen Offenhaltungspflicht

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Ein Mieter hatte ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum zum Betrieb "eines hochwertigen "Fan World‘-Einzelhandelsgeschäfts für den Verkauf von Fan-, Lizenz- und Geschenkartikeln und Assessoires" gemietet. Dabei wurden vertraglich eine entsprechende Sortimentsbindung, ein Ausschluss von Konkurrenzprodukten sowie die Betriebspflicht vereinbart, das Ladengeschäft zu den Kernöffnungszeiten Montag bis Samstag von 9 Uhr bis 22 Uhr geöffnet zu halten. Der Mieter hielt sich jedoch nicht an diese Öffnungszeiten. Schließlich klagte die Vermieterin auf Einhaltung der Öffnungszeiten.

Der BGH stellte klar, dass die formularvertraglich vereinbarte Betriebs- und Offenhaltungspflicht des Mieters eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum auch im Zusammenspiel mit fehlendem Konkurrenzschutz keine unangemessene Benachteiligung darstellt, wenn sie mit keiner hinreichend konkreten Sortimentsbindung verbunden ist. Im Ergebnis war deshalb für den vorliegenden Fall die Kombination der Betriebspflicht mit der nur vage abgrenzbaren Sortimentsbindung und dem Ausschluss jedes Sortiments- und Konkurrenzschutzes unter dem Aspekt des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu beanstanden. Damit hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache an eben jene zurück, um erneut darüber zu entscheiden.

Hinweis: Wer langfristige Mietverträge im Gewerbebereich abschließt, sollte auf der Hut sein. Fehler beim Abschluss des Vertrags können weitreichende finanzielle Konsequenzen haben. Die Prüfung durch einen Rechtsanwalt ist mehr als sinnvoll.


Quelle: BGH, Urt. v. 06.10.2021 - XII ZR 11/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Entlassung des Testamentsvollstreckers: Pflichtverletzungen müssen schuldhaft begangen und von erheblichem Gewicht sein

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Der Erblasser hinterließ mehrere Erben in einer ungeteilten Erbengemeinschaft und ordnete zudem eine Testamentsvollstreckung an. Eine Miterbin, die dem Testamentsvollstrecker pflichtwidriges Verhalten wegen angeblich rechtswidriger Zahlungen an andere Miterben vorwarf, beantragte die Entlassung aus dem Amt. Nachdem das Nachlassgericht diesem Antrag zunächst stattgegeben hatte, hob das OLG die Entscheidung auf.

Eine Entlassung aus dem Amt des Testamentsvollstreckers käme nur dann in Betracht, wenn die zur Last gelegte Pflichtverletzung dazu geeignet sei, die berechtigten Belange des antragstellenden Miterben - insbesondere seine Vermögensinteressen - zu beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung muss darüber hinaus schuldhaft begangen worden und von erheblichem Gewicht sein. Dies kann nur angenommen werden, wenn es sich um eine grobe Verfehlung des Testamentsvollstreckers handelt, die vergleichbar ist mit einer Untätigkeit. Schließlich muss eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Erblassers an der Fortführung der Testamentsvollstreckung und dem Interesse der Erben vorgenommen werden. Nur wenn dem Antragsteller eine Fortsetzung im Amt des Testamentsvollstreckers nicht mehr zugemutet werden kann, kommt eine Entlassung durch das Nachlassgericht in Betracht. Nach Ansicht des OLG lagen bereits im Tatsächlichen keine der genannten Voraussetzungen im konkreten Fall vor.

Hinweis: Das Recht der Erben, einen Testamentsvollstrecker zu entlassen, kann durch den Erblasser im Rahmen seiner Verfügung von Todes wegen nicht wirksam eingeschränkt werden.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.10.2021 - 3 Wx 59/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Rotlichtverstoß: Absehen vom Fahrverbot als unzumutbare Härte bei Dreifachmutter in Ausbildung

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Eine Autofahrerin überfuhr eine rote Ampel. Da das Rotlicht bereits länger als eine Sekunde aufleuchtete, wurde neben einem Bußgeld und zwei Punkten auch ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Die Betroffene legte Einspruch ein: Als Mutter von drei Kindern träfe sie das Fahrverbot besonders hart. Das sah sogar das AG nicht anders.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Verhängung eines Fahrverbots in diesem Fall eine unzumutbare Härte darstellt. Die Betroffene ist Mutter von drei Kindern im Alter von zwölf, neun und zweieinhalb Jahren. Sie selbst befindet sich in der Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Die jüngeren Kinder besuchten die Grundschule bzw. Kita, zu welchen die Betroffene die Kinder jeden Morgen fahre. Die Einrichtungen liegen nebeneinander, so dass sie anschließend ihre Ausbildungsstätte anfahren könne. Zweimal in der Woche müsse sie in die Berufsschule. Abends hole sie die Kinder auf dem Rückweg ab. Ihr Mann sei Landschaftsgärtner, er arbeite oft außerhalb und könne die Fahrten nicht übernehmen.

Hinweis: Das AG hat in seiner Entscheidung zudem berücksichtigt, dass eine anzuordnende Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG durchaus die Situation im Rahmen der Vollstreckung entspannen und zudem auch Urlaub genommen werden könne. Die Betroffene erklärte hier jedoch nachvollziehbar, dass sie im laufenden Jahr nicht ausreichend Urlaubsansprüche habe, um das Fahrverbot entsprechend abzubüßen.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 05.08.2021 - 729 OWi-253 Js 1054/21-83/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Trotz Gehbehinderung: Beklagter muss Abschleppkosten nach (mehrmaligem) Falschparken in der Tiefgarage zahlen

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Der Sohn des 87-jährigen Beklagten hatte dessen Fahrzeug in der Tiefgarage einer Wohnanlage in einem Bereich abgestellt, der mit eingeschränktem Halteverbot beschildert war. Der Hausmeister der Anlage beauftragte daraufhin das klagende Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs, wofür das Unternehmen einen Tiefgaragenberger und einen Kranplateauschlepper schickte. Bei deren Eintreffen befand sich das Fahrzeug jedoch nicht mehr in der Tiefgarage. Der Beklagte trug vor, sein Sohn hätte das Fahrzeug maximal für 15 Minuten dort abgestellt, um ihn abzuholen. Der Hausmeister wiederum wisse, dass er nur kurze Strecken zu Fuß zurücklegen könne und wegen seiner Behinderung eine Begleitung benötige. Mit Anruf oder Klingeln hätte man die Störung schnell beseitigen können. Der Hausmeister gab als Zeuge jedoch an, dass das Fahrzeug an selbiger Stelle den Zugang zu anderen Garagenboxen oft für Stunden in (geschätzt) 50 Fällen blockiert habe. Er habe den Halter fast jedes Mal darauf angesprochen. Mit der Hausverwaltung sei daher abgestimmt worden, dass man den Wagen beim nächsten Mal abschleppen lasse. Natürlich sei das Parken dort praktisch, da diese Stelle unmittelbar neben dem Zugang zum Aufzug liege - seine genau dort befindliche Garagenbox habe der Beklagte allerdings anderweitig vermietet. Zudem gebe es einen für längeres Halten vorgesehenen Platz in nur 15 Metern Entfernung. Der Sohn erklärte in seiner Zeugenaussage, maximal fünfmal angesprochen worden zu sein. Andere Hausbewohner dürften dort unbeanstandet be- und entladen. Der Hausmeister hege wohl einen Grundhass gegen ihn.

Das AG gab nach Anhörung aller Argumente schließlich der Klägerin Recht und verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Abschleppkosten. Das Gericht war davon überzeugt, dass das Fahrzeug dort über einen längeren Zeitraum geparkt habe, ohne dass ein konkretes Ein- oder Aussteigen oder ein Be- bzw. Entladevorgang vorlag. Auch habe der Sohn des Beklagten zugegeben, dass er das Parkverbotsschild kannte und bereits in früherer Zeit mehrfach seitens des Hausmeisters der Anlage darauf hingewiesen worden war, dass an dieser Stelle ein Parkverbot bestehe und bei Zuwiderhandlung ein Abschleppen drohe.

Hinweis: Zutreffend weist das AG darauf hin, dass vor Beauftragung des Abschleppunternehmens eine Recherche dahingehend nicht erforderlich sei, welches Abschleppunternehmen das Abschleppen am kostengünstigsten durchführt. Etwas anderes gilt in Fällen von vorhandenen Rahmenverträgen zwischen Grundstücksbesitzern und Abschleppunternehmen.


Quelle: AG München, Urt. v. 31.08.2021 - 473 C 2216/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Neues zu Flugverspätungen: Ist der Verspätungszeitraum strittig, ist die Beweisführung für Passagiere schwierig

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Es ging um einen Flug von Bremen nach Teneriffa, wo das Flugzeug planmäßig um 15:25 Uhr landen sollte. Wegen eines technischen Defekts verzögerte sich der Abflug um circa drei Stunden, die genaue Ankunftszeit war zwischen den Parteien streitig. Der Fluggast behauptete, die Ankunft wäre erst um 18:35 Uhr gewesen, die Fluggesellschaft meinte, die Landung wäre eher erfolgt - also unterhalb der Dreistundengrenze. Nun klagte der Fluggast eine Entschädigungszahlung ein.

Die Beweislast für das Vorliegen einer großen Ankunftsverspätung trifft nun einmal den Fluggast. Ist unsicher, ob die Ankunftsverspätung mindestens drei Stunden betragen hat, ist das Luftfahrtunternehmen zwar verpflichtet, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen mitzuteilen, die Rückschlüsse auf den maßgeblichen Zeitpunkt ermöglichen. Es ist aber laut BGH nicht dazu verpflichtet, im Bordbuch oder an anderer Stelle den Zeitpunkt zu dokumentieren, zu dem beispielsweise die erste Tür geöffnet und den Fluggästen der Ausstieg ermöglicht worden ist. Da der Fluggast hier also nicht beweisen konnte, dass sich der Flug um mehr als drei Stunden verspätet hatte, bekam er auch keine Entschädigungszahlung.

Hinweis: Hat ein Flug einmal eine Verspätung gehabt, kommt es darauf an, wie lang die Verspätung war. Am besten beauftragen Sie den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens mit einer Prüfung der Angelegenheit.


Quelle: BGH, Urt. v. 09.09.2021 - X ZR 94/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Elternzeit endet automatisch: Besonderer Kündigungsschutz endet nach Trennung und Verbleib der Kinder beim Partner

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Eine Arbeitnehmerin war für drei Jahre in Elternzeit. Währenddessen trennte sie sich jedoch von ihrem Ehemann, der die Kinder behielt. Ein Jahr nach Beginn der Elternzeit beleidigte und verleumdete die Frau einige ihrer Kollegen und Vorgesetzten mit öffentlich zugänglichen Posts auf ihrem privaten Facebook-Account. Der Arbeitgeber kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis fristlos. Dagegen klagte die Arbeitnehmerin. Sie meinte, die Kündigung sei allein deshalb schon unwirksam, weil der Arbeitgeber vorher nicht die Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingeholt habe. Denn sie stehe schließlich nach § 18 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz unter besonderem Kündigungsschutz.

Das sah das LAG jedoch anders. Denn der Anspruch auf Elternzeit setzt voraus, dass Arbeitnehmer mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und es selbst betreuen. Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Arbeitgeber unverzüglich zu informieren, wenn diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist. Die Elternzeit endete nach Auffassung der Richter automatisch. Hier hatte die Mitarbeiterin nach der Trennung von ihrem Mann und den Kindern deshalb keinen besonderen Kündigungsschutz mehr - und es lag zudem ein wichtiger Kündigungsgrund vor. Die Kündigung hatte das Arbeitsverhältnis also gültig beendet.

Hinweis: In dieser Sache ist unter Umständen noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn das BAG hat zu dieser Frage noch nichts entschieden. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.09.2021 - 12 Sa 23/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Landes- oder Bundesgesetz? BGH trifft Entscheidung zur (landes-)gesetzlichen Regelung von grenzüberschreitender Wärmedämmung

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Es ging um einen Nachbarschaftsstreit in Nordrhein-Westfalen. Die beiden betreffenden Grundstücke waren mit Mehrfamilienhäusern bebaut. Die Giebelwand des vor mehreren Jahrzehnten errichteten Gebäudes des einen Nachbarn stand direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, während das Gebäude des anderen Nachbarn etwa fünf Meter von der Grenze entfernt war. Eine Innendämmung des auf der Grundstücksgrenze stehenden Gebäudes konnte nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden. Deshalb verlangte nun der eine Nachbar von dem anderen, dass die grenzüberschreitende Außendämmung der Giebelwand zu dulden ist, und klagte sein Recht ein. Nun kam es darauf an, ob die nordrhein-westfälische Regelung rechtmäßig war oder die Regelungen, die der Bund für solche Fälle vorsieht.

Der BGH hat die nordrhein-westfälische Regelung für rechtmäßig angesehen und den Überbau erlaubt. Das Nachbarrecht des Bundes regelt in § 912 BGB, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger Überbau auf das Nachbargrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes geduldet werden muss. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ein vorsätzlicher Überbau im Grundsatz nicht hingenommen werden muss. Erlaubt ist hingegen der Erlass neuer landesgesetzlicher Vorschriften, die das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn anderen als den im BGB bestimmten Beschränkungen unterwerfen.

Das Landesrecht darf Beschränkungen vorsehen, die dieselbe Rechtsfolge wie eine vergleichbare nachbarrechtliche Regelung des Bundes anordnen, aber an einen anderen Tatbestand anknüpfen und einem anderen Regelungszweck dienen. Allerdings muss dabei die Grundkonzeption des Bundesgesetzes gewahrt bleiben - und das war hier der Fall.

Hinweis: Wer eine Wärmedämmung anbringen möchte und dabei nicht nur das Grundstück des Nachbarn betreten, sondern es sogar überbauen will, sollte auf der rechtlich sicheren Seite sein. Dabei hilft ein Rechtsanwalt.


Quelle: BGH, Urt. v. 12.11.2021 - V ZR 115/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Bummel-Azubi: Berufsausbildungsbeihilfe bei objektiv ausgeschlossenem Unterhaltsanspruch gegen die Eltern

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Im Zeitraum von acht Jahren hatte ein Mann ingesamt fünf Ausbildungen bzw. Studiengänge begonnen und wieder abgebrochen. Dessen Eltern hatten ihm bis zum 25. Geburtstag noch das Kindergeld weitergeleitet und danach nichts mehr an ihn gezahlt. Für die 2012 begonnene sechste Ausbildung beantragte der Sohn, der inzwischen verheiratet war, nun elternunabhängige Berufsausbildungshilfe (BAB), ein mit BAföG vergleichbares System. Er begründete den Antrag damit, dass seine Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig seien, da er die jeweiligen Ausbildungen übermäßig verzögert und damit die Verpflichtung zu Zielstrebigkeit, Fleiß und Sparsamkeit verletzt habe. Demnach habe er seine Eltern auch nicht verklagen müssen, um die fehlende Unterhaltspflicht nachzuweisen.

Das LSG sah es wie der Sohn: Bei einer solchen Sachlage sind Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig. Und wenn der Unterhaltsanspruch des Auszubildenden nach objektivem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist, muss er auch kein Gerichtsverfahren gegen seine Eltern führen.

Hinweis: Verzögerungen der Ausbildungszeit, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind, müssen Eltern hinnehmen. Verletzt das Kind aber nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Eine Unterhaltspflicht kommt umso weniger in Betracht, je älter der Auszubildende ist, je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet und je weniger eine Kommunikation über seine Ausbildungspläne erfolgt.


Quelle: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 08.10.2021 - L 2 AL 49/14
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Betriebsratswahl: Nur schwerwiegende Fehler führen zum Wahlabbruch im Eilverfahren

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

In einem Betrieb sollte der Betriebsrat neu gewählt werden. Der eingesetzte Wahlvorstand wurde dann jedoch vom Arbeitgeber aufgefordert, das eingeleitete Verfahren zur Wahl eines Betriebsrats abzubrechen. Denn er meinte, dass das Verfahren zur Bestellung des Wahlvorstands nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei - weder sei die Wahlausschreibung ordnungsgemäß ausgefüllt noch an allen erforderlichen Orten ausgehängt worden. Die zur Wahl Aufgerufenen würden teilweise nicht in den Zuständigkeitsbereich des Wahlvorstands fallen und dürften nicht wählen, weil sie nicht Beschäftigte im Betrieb seien. Der Arbeitgeber leitet ein arbeitsgerichtliches Eilverfahren ein.

Doch die Richter des ArbG entschieden, dass die Betriebsratswahl zumindest nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren abzubrechen war. Sie stellten klar, dass dies nur ausnahmsweise möglich sei - und zwar dann, wenn ganz erhebliche Fehler festgestellt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die entsprechenden Fehler zur Nichtigkeit der Wahl führen könnten. Das war hier nicht gegeben.

Hinweis: In der Regel kann der Arbeitgeber erst nach Abschluss der Wahl prüfen, ob diese korrekt abgelaufen ist. Gegebenenfalls kann er dann die Wahl anfechten und durch das ArbG für unwirksam erklären lassen. Ein Eilverfahren ist dagegen nur dann möglich, wenn es sich um wirklich schwerwiegende und offensichtliche Fehler handelt.


Quelle: ArbG Berlin, Beschl. v. 17.11.2021 - 3 BVGa 10332/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Nur bei tatsächlicher Mehrarbeit: Keine grundsätzliche Verweigerung von Rufbereitschaft durch schwerbehinderte Arbeitnehmer

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Ein als Wassermeister beschäftigter Arbeitnehmer sollte in jeder vierten Woche nach dem Ende der täglichen Arbeitszeit sowie am Wochenende Rufbereitschaft absolvieren, um damit die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Er konnte sich währenddessen aufhalten, wo er wollte, musste aber bei Bedarf zur Arbeit kommen. Für diese tatsächlichen Einsatzzeiten erhielt er einen Freizeitausgleich. Da der Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten gleichgestellt war, meinte er nun, keine Rufbereitschaft mehr leisten zu müssen. Die Bereitschaftszeit sei stets als Mehrarbeit einzuordnen und für ihn somit unzumutbar und unzulässig.

Das BAG sah jedoch keinen Anspruch auf eine vollständige Befreiung von der Rufbereitschaft. Allerdings verwiesen die Richter die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht als Vorinstanz zurück. Das muss jetzt noch prüfen, ob die Rufbereitschaft hier tatsächlich als Arbeitszeit gilt. Denn da es sich bei einer Rufbereitschaft nicht immer um Mehrarbeit handelt, können schwerbehinderte Arbeitnehmer diese auch nicht grundsätzlich ablehnen.

Hinweis: Es kommt also darauf an, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Mehrarbeit handelt oder nicht. Liegt keine Mehrarbeit vor, können schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer die Rufbereitschaft natürlich  nicht grundsätzlich ablehnen.


Quelle: BAG, Urt. v. 27.07.2021 - 9 AZR 448/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schutzbehauptung entlarvt: Angestrengte Körperhaltung auf dem Messfoto kann für vorsätzliche Begehung sprechen

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein Autofahrer befuhr innerorts eine Straße und wurde hierbei aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 60 % geblitzt. Daraufhin erging ein Bußgeldbescheid, in dem ihm eine vorsätzliche Geschwindigkeitsübertretung vorgeworfen wurde, was zur Verdoppelung des Bußgelds führte. Zudem wurde ein Fahrverbot verhängt. Dagegen legte der Mann Einspruch ein. Er berief sich darauf, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Es sei einige Jahre zuvor noch eine Limitierung auf 70 Stundenkilometer vorhanden gewesen, was er genau so wohl noch in Erinnerung gehabt habe.

Dennoch ging das AG aus unterschiedlichen Gründen davon aus, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung vorsätzlich begangen wurde. Zum einen sei der Mann innerorts losgefahren und habe kein Ortsschild passiert, das das Ende der Ortschaft anzeigen würde. Die Behauptung, früher seien dort 70 Stundenkilometer erlaubt gewesen, sah das AG als eine Schutzbehauptung an. Nachforschungen hatten ergeben, dass an der betreffenden Stelle seit mindestens fünf Jahren Tempo 50 gilt. Die Straße führe an der Messstelle sogar bergauf, so dass die bewusste Betätigung des Gaspedals notwendig sei, um das gefahrene Tempo zu halten oder gar zu steigern. Außerdem hatte der Betroffene selbst ein Motiv eingeräumt - er hatte es eilig, weil er noch Unterlagen von zu Hause abholen musste. Dies sei auch am Messfoto zu erkennen. Der Fahrer wirke darauf sehr konzentriert, schaue mit weit geöffneten Augen nach vorne, was in Augen des AG Anspannung und Konzentration widerspiegele. Die sichtbare Hand umklammere das Lenkrad mit fester Faust, auch das weise auf Anspannung und somit Vorsatz hin. Zudem musste der Mann anhand der Umgebung erkennen, dass er sich innerhalb eines Orts befand.

Hinweis: Die Bußgeldkatalogverordnung geht beim Regelsatz von fahrlässiger Begehungsweise aus. Vorsatz bedeutet, dass die Ordnungswidrigkeit mit Absicht und in vollem Bewusstsein begangen wurde. Ein direkter Vorsatz liegt vor, wenn der Fahrer sicher ist, dass die Tat, die er ausüben möchte, gesetzlich nicht erlaubt ist. Mit bedingtem Vorsatz handelt ein Fahrer, wenn er ernsthaft die Möglichkeit sieht, dass sein Handeln eine Missachtung des Gesetzes ist und er das Ergebnis seiner Tat billigend in Kauf nimmt.


Quelle: AG Straubing, Urt. v. 16.08.2021 - 9 OWi 705 Js 16602/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Abgasskandal: Voraussetzungen für den Rücktritt vom Kaufvertrag

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von VW hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug der Marke Škoda. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren dieses Typs im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von VW entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update. Der Kläger ließ das Software-Update jedoch nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

Der BGH entschied, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich - also verzichtbar - ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht worden ist. Auch der (bloße) Verdacht, dass ein zur Mängelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könne, zähle nicht. Hier bedarf es zunächst einer weitergehenden Prüfung und einer (sachverständigen) Feststellung. Ein Rücktritt setze grundsätzlich einen Sachmangel voraus. Ebenso müsse dazu eine erfolglose (angemessene) Fristsetzung zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) vorausgehen. Der Senat hat den Rechtsstreit daher zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Hinweis: Eine Fristsetzung ist nur entbehrlich, wenn dem Käufer eine Nacherfüllung unzumutbar ist oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Dies bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt. Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht ohne weiteres auf Fälle wie diesen übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalteinrichtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war.


Quelle: BGH, Urt. v. 29.09.2021 - VIII ZR 111/20
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Laden im Lockdown: Coronapandemie ist allein kein Grund für Zahlungseinstellung von Gewerberaummiete

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es ging um ein Geschäft, das während der COVID-19-Pandemie geschlossen werden musste. Das Unternehmen betrieb viele Warenhäuser, zahlte aber für eine Geschäftsfläche keine Miete mehr. Die Vermieterin klagte die Miete ein und war der Ansicht, dass ein Sachmangel an der Mietsache nicht bestehen würde - schließlich könnten die Räume frei genutzt werden.

Das LG gab der Vermieterin in der Tat Recht und urteilte, dass ein Anspruch auf Einstellung der Gewerberaummiete nach einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung nicht grundsätzlich besteht. Es kann wegen der Unwägbarkeiten in Erwägung gezogen werden, dass die Nachteile solidarisch von beiden Parteien getragen werden. Eine solche Anpassung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn das Festhalten am Vertrag für den Mieter unzumutbar sei. Hier hatte die Mieterin nicht genügend dazu vorgetragen. Zum einen waren nicht sämtliche Mitarbeiter in Kurzarbeit, zum anderen bestand die Möglichkeit des Online-Handels. Letztendlich widersprach das Verhalten der Mieterin den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns.

Hinweis: Der Bundesgerichtshof wird Mitte Januar zu dieser Problematik entscheiden. Es dürfte dabei stets auf den Einzelfall ankommen, ob Mieten während der Geschäftsschließungen in der Pandemie gezahlt werden müssen oder nicht.


Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 27.10.2021 - 18 O 184/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schwellenwert unterschritten: Automatische Auflösung der Schwerbehindertenvertretung

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

In einem Betrieb waren fünf schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Mitarbeiter beschäftigt. Deshalb wurde eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Sieben Monate später waren jedoch nur noch vier schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber war nun der Meinung, die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung sei durch das Unterschreiten des Schwellenwerts von fünf Arbeitnehmern beendet. Die Schwerbehindertenvertretung vertrat hingegen die Ansicht, dass sie ihre Amtszeit von vier Jahren voll ausschöpfen dürfe, und zog vor das Gericht.

Doch hier konnte das LAG der Schwerbehindertenvertretung leider nicht weiterhelfen. Denn das entsprechende Gesetz kenne hier schlicht und ergreifend keinen Übergangszeitraum. Mit Unterschreitung des Schwellenwerts nach § 177 Abs. 1 SGB IX endete daher die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung. Das Gesetz regelt nicht, dass es bei der Feststellung der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten ausschließlich auf den Zeitpunkt der Wahl ankommt.

Hinweis: Die Schwerbehindertenvertretungen sollten also aufpassen, dass ihre Amtszeit nicht durch ein Absinken der entsprechend Beschäftigten unterhalb des Schwellenwerts plötzlich endet. Helfen kann dabei, dass sämtliche schwerbehinderte Mitarbeiter ihre Schwerbehinderung auch tatsächlich gegenüber dem Arbeitgeber offenbaren.


Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 31.08.2021 - 4 TaBV 19/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Verkauf unrenovierter Wohnung: Ohne nachgewiesenen Mindererlös gibt es keinen Schadensersatz vom ehemaligen Mieter

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

In diesem Fall klagte ein Vermieter gegen seine ehemaligen Mieter. Er wollte Schadensersatz in Höhe von knapp 15.000 EUR für an der Wohnung entstandene Schäden, die die Mieter verursacht haben sollen. Die Mietwohnung hat der Vermieter zwischenzeitlich verkauft. Und das war ein Fehler.

Die vorhandenen Beschädigungen an der Mietwohnung hatte der ehemalige Vermieter nämlich gar nicht beseitigt, sondern die Wohnung mit den bestehenden Mängeln veräußert. Somit hat er auch keinen Vermögensverlust erlitten. Ob der Vermieter wegen der unterstellten Mängel einen Mindererlös erlitten hat, war für das AG unerheblich, weil er das nicht geltend gemacht hatte. Zudem war es durchaus möglich, dass ein solcher Mindererlös überhaupt nicht eingetreten ist.

Hinweis: Bei unterlassenen Schönheitsreparaturen geht es häufig um viel Geld. Da sollte der Rechtsanwalt des Vertrauens zuvor eingeschaltet werden. Das gilt für beide Seiten: sowohl für den Vermieter als auch für den Mieter.


Quelle: AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 27.05.2021 - 96 C 1358/19
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unterhaltspflichtiger im Ausland: Unterschiedliche Kaufkraft beider Länder muss bei Unterhaltsberechnung berücksichtigt werden

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Der Ehemann hatte nach der Trennung Deutschland verlassen. Er lebt und arbeitet seitdem in Norwegen und macht deshalb erheblich höhere Lebenshaltungs-, insbesondere Wohnkosten geltend. Die Kaufkraft sei schließlich in Norwegen nachweislich kleiner. Mit der in den Unterhaltsleitlinien vorgesehenen Warmmiete von 480 EUR könne er dort keine Wohnung bezahlen, so dass sein Selbstbehalt entsprechend zu erhöhen sei.

Das OLG hat daraufhin aus der Eurostat-Statistik die Lebenshaltungskosten ermittelt, danach das Einkommen beider Gatten ins Verhältnis gesetzt und dann hälftig verteilt. Der Wohnkostenanteil im Selbstbehalt musste damit nicht noch zusätzlich berücksichtigt werden.

Hinweis: Spielt der grenzüberschreitende Fall in Europa - aber nicht in Norwegen, Island oder der Schweiz -, ist die Zuständigkeit nach der Europäischen Unterhaltsverordnung zu beurteilen.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.09.2021 - 13 UF 89/18
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kosten eines Erbscheins: Nachlassgerichte dürfen grundsätzlich auf Grundbucheintragungen abstellen

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Besonderheit des Falls lag darin, dass sich der erfolglose Antragsteller im Erbscheinsverfahren darauf berief, dass die im Grundbuch eingetragenen Miteigentumsanteile an der Immobilie falsch waren, weshalb von einem geringeren Geschäftswert ausgegangen werden müsse.

Das OLG hat klargestellt, dass das Nachlassgericht im Grundsatz immer auf die Eintragungen im Grundbuch abstellen dürfe. Abweichungen hiervon seien aber dann zulässig, wenn die abweichenden Eigentumsverhältnisse zwischen allen Beteiligten unstreitig sind oder sich zweifelsfrei aus öffentlichen Urkunden ergeben. In allen anderen Fällen sei es nicht Aufgabe des Nachlassgerichts, eine streitige materielle Eigentumslage im Wertfestsetzungsverfahren selbst zu klären. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn das Grundbuchamt von Amts wegen einen Widerspruch im Grundbuch eingetragen hat. Das Nachlassgericht darf einen solchen Amtswiderspruch nicht einfach übergehen, es kann in einem solchen Fall die Wertfestsetzung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit des Widerspruchs aufschieben. Unbenommen bleibt dem Nachlassgericht, die Eigentumslage anhand einer summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu prüfen.

Hinweis: Ist die abweichende Eigentumslage bereits Gegenstand eines anderen gerichtlichen Verfahrens, wird das Verfahren zur Festsetzung des Verfahrenswerts im Allgemeinen ausgesetzt.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2021 - 3 Wx 173/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Keine Bindung an Beweisvorschrift: Grundbuchamt entscheidet frei, ob einem Verkauf eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Der vorverstorbene Vater hatte seine beiden Kinder zu Nacherben und dessen (mittlerweile ebenfalls verstorbene) Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt. Die Eheleute waren hälftig Miteigentümer einer neu errichteten Eigentumswohnung, die im Jahr 2004 für circa 210.000 EUR erworben wurde. Nachdem der Mann verstorben war, hatte die Frau mit notariellem Kaufvertrag aus dem Jahr 2015 die Eigentumswohnung veräußert. Dabei übertrug sie ihren eigenen Anteil schenkungsweise und den unter befreiter Vorerbschaft stehenden Miteigentumsanteil ihres Ehemanns gegen Zahlung eines Kaufpreises von 100.000 EUR. Ihr selbst wurde ein lebenslanges Wohnrecht in der Immobilie durch den Erwerber eingeräumt. Der Eigentümer sowie die Nacherben stritten sich in der Folge darüber, ob der Nacherbenvermerk im Grundbuch gelöscht werden müsse. Die Nacherben vertraten die Ansicht, dass das Wohnungseigentum unter Wert veräußert wurde, weshalb es aus der Nacherbschaft nicht frei geworden sei.

Das OLG führte zunächst aus, dass der befreite Vorerbe befugt sei, entgeltlich über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen. Eine solche Verfügung sei auch dann wirksam, wenn der Nacherbe ihr nicht zugestimmt hatte. Entsprechend scheidet die Immobilie mit dem Vollzug der von dem Vorerben erklärten Auflassung wirksam und endgültig aus dem Nachlass aus - der Nacherbenvermerk im Grundbuch ist zu löschen. Anstelle des veräußerten Grundstücks fällt die im Kaufvertrag vereinbarte Gegenleistung des Käufers in den Nachlass und steht nach Tod des Vorerben gemäß dessen Vermögenslage zu dem Zeitpunkt den Nacherben zu.

Ob eine Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Immobilie entgeltlich war - ihr also eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand - , kann das Grundbuchamt laut OLG anhand aller Umstände frei würdigen. Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn der Vorerbe einen Kaufpreis vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode maximal vertreten lässt. Zweifel ergeben sich nicht allein aus dem Umstand, dass verschiedene Wertgutachten zu unterschiedlichen Schätzpreisen gelangen.

Hinweis: Tritt der Nacherbfall ein, ist der für den Vorerben erteilte Erbschein unrichtig geworden. Dieser ist von Amts wegen bei Bekanntwerden der Umstände einzuziehen.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.09.2021 - 3 Wx 125/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Dreimonatszeitraum: Ablehnung von Brückenteilzeit bei Nichteinhaltung der Ankündigungsfrist

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Eine Mitarbeiterin beantragte am 22.01. eine Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 33 Stunden für ein Jahr ab dem 01.04. Doch ihr Arbeitgeber meinte, dass der Antrag unwirksam sei, da die Mitarbeiterin die dreimonatige Ankündigungsfrist nicht eingehalten habe. Außerdem lehnte er den Antrag wegen entgegenstehender dringender Betriebsgründe ab. Die Arbeitnehmerin meinte dagegen, ihr Antrag sei so auszulegen, als sei er zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt - nämlich drei Monate nach der Antragstellung. Schließlich klagte sie, doch das vergeblich.

Der Antrag auf Brückenteilzeit musste in Augen des BAG nicht auf einen späteren Beginn umgedeutet werden. Denn ein Arbeitgeber kann bei einem Antrag auf Brückenteilzeit nicht wissen, ob ein Arbeitnehmer die Brückenteilzeit insgesamt nach hinten verschieben will oder ob diese zum ursprünglich beantragten Termin enden soll.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten also genau darauf achten, den Dreimonatszeitraum bei einer Brückenteilzeit einzuhalten. Der Antrag auf Gewährung einer Brückenteilzeit ist mindestens drei Monate vor dem Beginn zu stellen.


Quelle: BAG, Urt. v. 07.09.2021 - 9 AZR 595/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Voneinander unabhängig: Unterschiedliche Verjährung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Die im Jahr 2014 verstorbene Erblasserin hinterließ mehrere Töchter sowie ein Testament, in dem sie eine Tochter sowie eine Enkelin zu Alleinerben eingesetzt hatte. Die nicht bedachten Töchter führten zunächst über mehrere Jahre einen Rechtsstreit vor dem Nachlassgericht im Rahmen der Erteilung eines Erbscheins. Im November 2016 entschied das Nachlassgericht, dass die testamentarische Verfügung der Erblasserin wirksam war, und erteilte einen entsprechenden Erbschein. Letztlich rechtskräftig wurde diese Entscheidung im Jahr 2019.

In einem Folgeprozess im September 2020 machten die nicht bedachten Töchter Auskunftsansprüche gegenüber den Erben zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen geltend. Bei den Pflichtteilergänzungsansprüchen ging es insbesondere um mögliche ausgleichspflichtige Schenkungen zu Lebzeiten der Erblasserin. Die Erben beriefen sich darauf, dass entsprechende Auskunftsansprüche verjährt seien, was das OLG zumindest teilweise bestätigt hat. Zu unterscheiden war zwischen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Grundsätzlich gilt auch für Ansprüche aus der Erbschaft, dass diese nach drei Jahren verjähren. Die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall, von der ihn beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung und von der Person des Erben erlangt hat oder zumindest hätte erlangen können.

Bezüglich der Pflichtteilsansprüche stellt das OLG auf den Beschluss des Nachlassgerichts im November 2016 ab. Die drei Voraussetzungen - insbesondere die Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung - hatten die Töchter damit bereits im November 2016 mit der Entscheidung des Nachlassgerichts. Entsprechende Ansprüche verjährten damit mit Ablauf des 31.12.2019, also vor Klageerhebung. Nicht verjährt waren hingegen die Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die Parteien stritten um die Frage von ausgleichspflichtigen Schenkungen durch die Erblasserin, wobei zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Erben nicht eingewandt haben, dass die Töchter Kenntnis von den Schenkungen gehabt hätten. Insoweit bejahte das Gericht den Auskunftsanspruch der Pflichtteilsberechtigten.

Hinweis: Die Verjährung muss als sogenannte Einrede ausdrücklich geltend gemacht werden. Sie wird nicht zwangsläufig im Rahmen eines Rechtsstreits von einem Gericht berücksichtigt.


Quelle: OLG München, Urt. v. 22.11.2021 - 33 U 2768/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Ermittlung ortsüblicher Vergleichsmieten: Selbstfinanzierte Ausstattung der Mietsache muss dauerhaft unberücksichtigt bleiben

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Eine Vermieterin verlangte eine Mieterhöhung für eine im Jahr 1918 erbaute Wohnung. Bei der Berechnung des Erhöhungsbetrags ging sie davon aus, dass die Wohnung mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist. Die Mieterin entgegnete jedoch, dass sie selbst die Zentralheizung damals eingebaut habe. Das müsse bei der Berechnung der Vergleichsmiete als Grundlage der Erhöhung entsprechende Berücksichtigung finden.

Das sah das AG ebenfalls so. Eine vom Mieter auf eigene Kosten geschaffene Ausstattung der Mietsache - wie hier die Heizung - bleibt bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete grundsätzlich auf Dauer unberücksichtigt.

Hinweis: Eine Mieterhöhung ist kein Buch mit sieben Siegeln. Im Zweifel kann ein Rechtsanwalt helfen und ein rechtssicheres Mieterhöhungsschreiben verfassen.


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 29.10.2021 - 49 C 119/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unzulässiger Anlockeffekt: Kontaktaufnahme nach "Geschenk"-Werbung darf nicht zur Kündigungsrücknahme missbraucht werden

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Ein Kunde hatte seinen Mobilfunkvertrag gekündigt. Daraufhin erhielt er eine E-Mail, in der ihm ein Geschenk in Form eines Datenvolumens von 1 GB unter der Bedingung versprochen wurde, dass er bei der Hotline anrufe. Nach Anruf bei eben jener Hotline stellte sich dann jedoch heraus, dass eine Freischaltung dieses Datenvolumens nur dann in Betracht käme, wenn der Mann seine Kündigung zurückziehe. Dagegen klagte der Dachverband der Verbraucherzentralen. Er hielt das Verhalten des Mobilfunkanbieters für unlauter - und das zu Recht.

Es ist laut OLG durchaus irreführend, wenn dem Kunden bei der ihm gegenüber beworbenen Kontaktaufnahme mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt werde, wenn er seine Kündigung zurücknähme. Ebenso sah das Gericht im Gegensatz zu der Argumentation des Mobilfunkunternehmens hier durchaus eine Wiederholungsgefahr. Zwar hatte der Mobilfunkanbieter geltend gemacht, es habe sich um einen "Ausreißer" gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe - das ließ das Gericht jedoch nicht gelten.

Hinweis: Kunden sollten sich bei Abschluss längerfristiger Verträge stets die genaue Kündigungsfrist notieren. So können die Verträge rechtzeitig gekündigt werden, ohne dass Termine und Fristen verpasst werden.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.09.2021 - 6 U 133/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angelegenheit der elterlichen Sorge: Behörde muss die Impfpflicht gegenüber beiden Sorgeberechtigten durchsetzen

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Die Eltern eines achtjährigen Kindes waren offensichtlich Impfgegner und bestritten die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Regelungen des Infektionsschutgesetzes (IfSG). Sie waren der Behörde schon mit einer unrichtigen Impfbescheinigung und einer nicht akzeptierten Impfunfähigkeitsbescheinigung aufgefallen. Dann hatten sie eine Blutprobe eingereicht, die die Immunität des Kindes nachweisen sollte, wobei Zweifel bestanden, dass es sich um das Blut des Kindes handelte.

Vor dem OVG ging es um etliche rechtliche Aspekte, aber auch um einen familienrechtlichen: Die Behörde hatte ihre Bescheide nämlich nur an den Vater adressiert, nicht aber auch an die Mutter. Die Eltern lebten mit dem Kind zusammen und waren beide sorgeberechtigt. Da Impfentscheidungen aber eine Angelegenheit der elterlichen Sorge sind, über die nur beide gemeinsam entscheiden können, bedarf es einer behördlichen Anordnung gegenüber beiden gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen.

Hinweis: Die ergangene Rechtsprechung zur Impfpflicht gegen Masern wird sich auf die eventuelle Impfpflicht gegen COVID-19 übertragen lassen.


Quelle: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.10.2021 - 3 M 134/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angeblicher EC-Kartendiebstahl: Anscheinsbeweis zu nicht ausreichend geschützter PIN ist schwer zu entkräften

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Eine Bank hatte einer Kundin eine EC-Karte zur Verfügung gestellt. Damit konnte die Frau unter Einsatz der ihr mitgeteilten PIN Bargeldabhebungen an Geldautomaten vornehmen. Eines Tages wurden innerhalb einer Stunde an einem Geldautomaten drei Bargeldauszahlungen in Höhe von insgesamt 990 EUR vorgenommen. Das Geld wurde vom Konto der Kundin abgebucht, die erst rund fünf Stunden nach der Abbuchung die Karte sperren ließ. Dabei gab sie an, dass ihr die Karte gestohlen worden sei, und forderte ihre Bank auf, die ihr die abgebuchten Beträge zu erstatten. Die Bank lehnte das ab. Die Bargeldabhebung sei schließlich nur mit der Original-EC-Karte durch Eingabe der PIN möglich. Deshalb gebe es für die Bank einen Anscheinsbeweis dafür, dass derjenige, der das Geld abgehoben habe, Kenntnis von der PIN gehabt haben muss, weil diese nicht ausreichend geheim gehalten worden sei. Das wollte die Bankkundin nicht auf sich sitzen lassen, da sie in dem Umstand, dass sich die Bank auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft, eine wissentliche unlautere Irreführung sah. Jedenfalls wurde die Bank verklagt, es zu unterlassen, das Geld nicht zu erstatten und sich auf den Anscheinsbeweis zu berufen, dass sie als Karteninhaberin die PIN nicht ausreichend geheim gehalten habe.

Das OLG sah sei jedoch keine Irreführung durch das Berufen auf Anscheinsbeweis bei angeblich entwendeten EC-Karten. Eine irreführende geschäftliche Handlung liege nicht vor, wenn sich eine Bank zur Abwehr von Ansprüchen eines Kunden auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft.

Hinweis: Haben Sie eigentlich die Telefonnummer zum Sperren ihrer Kontokarten immer parat? Denn nach Diebstahl oder anderweitigem Verlust der Bankkarten gilt es stets, die Karte schnellstmöglich sperren zu lassen. Notieren Sie sich deshalb die Rufnummer zur Sperrung Ihrer Karte.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.09.2021 - 6 U 68/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutter dankt mit Grundstück: Wer seine Eltern pflegt, darf Schenkung erhalten

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

In dem zum entschiedenen Fall hatte ein Ehepaar im Jahr 1996 ein Testament errichtet, in dem es sich zunächst wechselseitig zu Alleinerben und die drei gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt hat. Darüber hinaus war verfügt, dass ein Sohn ein Grundstück als Erbe erhalten sollte. Nach dem Tode des Ehemanns schenkte die überlebende Erblasserin ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück, das eigentlich testamentarisch für den Sohn vorgesehen war, ihrer Tochter. Darüber hinaus wurde ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für das Grundstück im Grundbuch eingetragen. Nach dem Tod der Mutter stritten die Geschwister folglich über die Rechtmäßigkeit dieser Schenkung. Der Bruder forderte von seiner Schwester die Übertragung des Grundstücks an ihn sowie die Bewilligung der Löschung des Wohnrechts.

Das LG hat die Klage des Bruders allerdings abgewiesen. Denn ein Anspruch bestehe laut Gericht nur dann, wenn die Mutter als Erblasserin die Schenkung ausschließlich zur Beeinträchtigung des Erbes des Sohns vorgenommen hätte, es sich somit um eine missbräuchliche Verfügung gehandelt hätte. Hiervon könne nicht ausgegangen werden, da die Erblasserin im Eigeninteresse gehandelt hatte. Nach erfolgter Beweisaufnahme ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tochter sowohl vor der Übertragung als auch im Gegenzug für die Schenkung Pflegeleistungen in erheblichem Umfang erbracht habe.

Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.


Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 18.11.2021 - 1 O 222/18
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mülltonnen auf Radweg: Rechtzeitig erkennbare Gefahren stellen keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Ein Mann war auf seinem Rad auf einem Radweg unterwegs, als er eben dort zwei Mülltonnen erblickte. Sein Versuch, diesen mit knappem Abstand auszuweichen, misslang - er fuhr gegen eine der Mülltonnen, stürzte und verletzte sich daraufhin schwer. Von dem zuständigen Abfallentsorgungsunternehmen verlangte er daraufhin Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Die Antwort auf die Frage, wie es zu dem Unfall habe kommen können, lag für das LG nahe: Die Klage hatte wegen ganz überwiegenden Mitverschuldens des Radfahrers keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts kann das Abstellen von Mülltonnen auf einem Radweg selbstverständlich durchaus eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellen. Denn die Tonnen seien ein "ruhendes Hindernis", durch das der Verkehrsfluss erheblich beeinträchtigt werde. Wenn aber das ruhende Hindernis schon von Weitem erkennbar ist, muss der Radfahrer diesem mit einem ausreichenden Seitenabstand ausweichen. Hält er diesen Abstand nicht ein und stürzt, ist der Sturz nicht auf die in dem Hindernis liegende Gefahr, sondern ganz überwiegend auf seine eigene grob fahrlässige Fahrweise zurückzuführen. Auch hier habe der Radfahrer den Mülltonnen weiträumig ausweichen können, sich jedoch bewusst dazu entschieden, an diesen so knapp vorbeizufahren, dass es erst zu dem Sturz habe kommen können.

Hinweis: Verkehrssicherungspflichten dienen nur der Beseitigung von Gefahren, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht rechtzeitig erkennbar sind. Erkennbare Gefahren, vor denen man sich ohne weiteres selbst schützen kann, lösen keine Verkehrssicherungspflicht aus. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen kann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn das Handeln des Geschädigten von ganz besonderer, schlechthin unverständlicher Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.


Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.09.2021 - 4 O 25/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutwillige Klage: Vor dem Gang vors Familiengericht sollte ein Einigungsversuch durch andere Stellen stehen

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Eine Kinderärztin hatte die Frühförderung eines Kindes empfohlen, aber der Vater hatte nicht zugestimmt. Darauf beantragte die Mutter beim Familiengericht, dies allein entscheiden zu dürfen. Weil sie sich keinen Anwalt leisten konnte, beantragte sie dafür VKH. Das in der Sache zuständige Amtsgericht (AG) wollte zunächst wissen, ob es eine gemeinsame Beratung der Eltern beim Jugendamt gegeben habe, was verneint wurde. Im weiteren Verlauf stimmte der Vater außergerichtlich der Frühförderung zu und erklärte, er sei nie dagegen gewesen, sondern habe sich nicht gut informiert gefühlt. Das Verfahren war somit zwar erledigt, aber die Kosten des Anwalts der Mutter waren jedoch noch offen. Diese Kosten bekam die Mutter auch nicht von der Staatskasse - nicht nach dem AG und nicht nach dem OLG.

Es ist letztendlich auch laut OLG mutwillig gewesen, sofort zu klagen, statt zuerst kostenfreie Angebote - beispielsweise durch das Jugendamt - zu nutzen, wie es auch Selbstzahler getan hätten. Erst wenn außergerichtliche Bemühungen fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos sind oder gar eine besondere Dringlichkeit besteht, ist die VKH grundsätzlich zu gewähren.

Hinweis: In vielen Städten hat das Jugendamt die Elternberatung an freie Träger delegiert. Sie müssen regional klären, welche Voraussetzungen an den vergeblichen Einigungsversuch geknüpft werden, und dazu auch dem Gericht etwas vortragen. Das betrifft alle Kindschaftssachen wie das Sorge- und Umgangsrecht.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.11.2021 - 13 WF 189/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unerfahrene Reiterin: Auf eigenes Fehlverhalten zurückzuführender Schaden schließt Schmerzensgeldanspruch aus

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Eine nicht sonderlich reiterfahrene Frau stieg auf den Rücken eines Pferds, das sichtlich nervös war. Die Reiterin rutschte schließlich mit dem Fuß aus dem Steigbügel und hatte deshalb absteigen müssen. Nach dem Wiederaufstieg aufs Pferd wechselte dieses vom Trab in den Galopp. Dabei fiel die Frau vom Pferd und prallte mit dem Kopf gegen einen Holzpfosten. Sie litt nach der Bewusstlosigkeit an einem Schädel-Hirn-Trauma und verlangte Schmerzensgeld von der Halterin des Pferds. Diese jedoch meinte, die Reiterin habe dem Tier durch ein Anpressen der Beine den Befehl zum Galopp gegeben. Insoweit habe das Tier lediglich gehorcht. Der Unfall beruhe daher nicht auf einer Tiergefahr, sondern auf einem Reitfehler. Eine Zeugin hatte ausgesagt, das Tier sei ganz normal und sanft in den Galopp übergegangen. Die gegnerische Tierhalterhaftpflichtversicherung hatte der Reiterin bereits freiwillig 2.000 EUR Schmerzensgeld gezahlt. Die Frau wollte jedoch mehr Geld - vergeblich.

Denn laut Beweisaufnahme durch das OLG war es auch möglich, dass die Reiterin tatsächlich aus Unsicherheit die Beine angepresst und damit dem Pferd den Befehl zum Galopp gegeben habe, ohne dies eigentlich zu wollen. Damit konnte nicht festgestellt werden, dass sich eine Tiergefahr verwirklicht hat. Das wäre jedoch für eine Zahlung von Schmerzensgeld erforderlich gewesen.

Hinweis: Es ist stets sinnvoll, die Gefahren, die von einem Tier ausgehen, zu versichern. Das gilt insbesondere bei Pferden und Hunden. Wenn es dann einmal zu einem Schaden kommt, steht eine Versicherung hinter dem Halter.


Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 19.10.2021 - 2 U 106/21
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kindeswohl im Mittelpunkt: Eine Steigerung des Umgangs auf hälftiges Wechselmodell trotz elterlicher Uneinigkeit möglich

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Es ging um ein siebenjähriges Mädchen, das als Zweijährige nach der Trennung der Eltern beim Vater auf dessen Bauernhof wohnen blieb, während die Mutter weiter weg zog. Anfangs hatte die Mutter alle 14 Tage Umgang an einem kurzen Wochenende. Schließlich zog die die Mutter wieder in die Nähe des Vaters und wünschte sich ein paritätisches Wechselmodell. Zunächst bekam sie einen erweiterten Umgang; 14-tägig freitags bis dienstags, schließlich bis mittwochs. Der Vater meinte, dies würde ausreichen, und betonte, dass es für das Kind wichtig sei, einen Lebensmittelpunkt zu haben.

Das mit der Sache zuerst befasste Amtsgericht stellte jedoch fest, dass der im Laufe des Verfahrens ausgedehnte Umgang nicht zu einer Überforderung des Kindes geführt habe. Es sei mit beiden Familiensystemen (Stiefeltern, Stiefgeschwister, Großeltern) vertraut und komme damit zurecht. Die abstrakte Forderung des Kindesvaters nach einem Lebensmittelpunkt reiche nicht aus, um ein Wechselmodell in Frage zu stellen. Der Verfahrensbeistand unterstützte die Mutter: Das Wechselmodell erhöhe die Erziehungskontinuität zu beiden Eltern. Es führe bei dem Kind zu mehr emotionaler Stabilität und Sicherheit, bei beiden Eltern leben zu dürfen, und gewährleiste eine gedeihliche Identitätsentwicklung. Auch das Jugendamt hatte sich für ein Wechselmodell ausgesprochen, weil die gute Bindung zu beiden Elternteilen hierdurch gleichermaßen gepflegt und gefördert werden könne.

Auch für das OLG war das Wechselmodell die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Umgangsregelung. Keine Voraussetzung für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist nämlich, dass sich die Kindeseltern über die Wahl dieses Betreuungsmodells einig sind.

Hier gab es zu beiden Eltern eine sichere Bindung und bei der Mutter auch schon erlebten Alltag. Das Mädchen habe begeistert von ihrem Leben in beiden Haushalten und den jeweiligen Urlauben mit beiden Elternfamilien berichtet. Hierbei kamen keinerlei Präferenzen für das Leben in dem einen oder dem anderen Haushalt zum Ausdruck. Sie vermisse jeweils den Elternteil, bei dem sie sich gerade nicht aufhalte. Wenn für das Kind nach seinen Bekundungen beide Elternteile gleichermaßen von Bedeutung sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn diese Bindung an beide Elternteile mit einer paritätischen Betreuung gestärkt und aufrechterhalten wird. Die organisatorischen Schwierigkeiten seien überschaubar und nicht viel höher als beim jetzigen Modell. Nach Ansicht des OLG überwiegen die Vorteile des Wechselmodells. Die Auffassung des Kindesvaters, das Kind benötige einen Lebensmittelpunkt, werde nicht durch human- oder sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse abstrakt gestützt. Positiv war die Feststellung, dass beim Kind kein Loyalitätskonflikt erkannt werden konnte. Die erforderliche grundlegende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern war vorhanden.

Hinweis: In der Praxis sind es zumeist die Väter, die statt eines Wochenend- oder erweiterten Umgangs ein Wechselmodell einklagen. Dabei scheitert das Wechselmodell in der Regel an der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern und dem darauf beruhenden Loyalitätskonflikt der Kinder, ohne dass es darauf ankommt, wer den Konflikt verursacht.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.10.2021 - 6 UF 14/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mängelgewährleistungsrecht beim Pferdekauf: Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen nicht automatisch für eine chronische Erkrankung

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Es ging um den Kauf eines Hengstes für 65.000 EUR von einem Zucht- und Ausbildungsstall. Das Tier wurde ärztlich untersucht, besichtigt und reiterlich erprobt. Drei Monate nach dem Kauf kam es plötzlich zu Problemen: Eine Tierärztin diagnostiziert dabei unter anderem einen offenen rechten Maulwinkel. Zweieinhalb Jahre später trat die Käuferin vom Kaufvertrag zurück und behauptete, dass das Pferd bereits bei Übergabe diese Probleme gehabt habe. Es würde schließlich eine Vernarbung in der Mundhöhle vorliegen. Daher klagte sie die Rückabwicklung des Kaufvertrags ein. Recht erhielt sie jedoch nicht.

Das OLG meinte, Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen für sich genommen nicht für eine chronische Erkrankung. Es handelt sich vielmehr um einen Befund, der aufgrund reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Damit lag für die Richter der Mangel bei der Übergabe des Pferds noch nicht vor - und eine Rückabwicklung kam nicht in Betracht. Die Käuferin musste das Pferd behalten und hatte auch keine weiteren Ansprüche auf Schadensersatz, Aufwendungen für Unterhalt, Tierarztkosten und Transport.

Hinweis: Tiere sind im deutschen Recht zwar keine Sachen, sie werden aber als solche behandelt. Deshalb kommt das Mängelgewährleistungsrecht auch bei Tieren zur Anwendung.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 14.09.2021 - 6 U 127/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)