Bolzen ohne Sicherungsstift: Bringt ein Montagefehler einen Drehkran zu Fall, haften alle Beteiligten gemeinsam

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) befasste sich mit einem schweren Unfall. Ein Turmdrehkran stürzte während der Bauarbeiten um und fiel auf einen benachbarten Supermarkt. Dort verletzte er zwei Menschen und kostete einem Kind das Leben. Dass ein solcher Kran nicht nur von einem Paar Hände montiert und kontrolliert wird, hatte zur Folge, dass das Gericht über die Verantwortung aller Beteiligten und somit deren Haftungsverteilung zu befinden hatte.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) befasste sich mit einem schweren Unfall. Ein Turmdrehkran stürzte während der Bauarbeiten um und fiel auf einen benachbarten Supermarkt. Dort verletzte er zwei Menschen und kostete einem Kind das Leben. Dass ein solcher Kran nicht nur von einem Paar Hände montiert und kontrolliert wird, hatte zur Folge, dass das Gericht über die Verantwortung aller Beteiligten und somit deren Haftungsverteilung zu befinden hatte.

Die Verletzten verlangten Schmerzensgeld und Ersatz der materiellen Schäden. Darauf verklagt wurden schließlich die Eigentümerin des Krans, die mit dem Aufbau beauftragte GmbH, ihr Geschäftsführer sowie ein weiterer Prüfsachverständiger. Das Landgericht gab den Forderungen weitgehend statt.

Das OLG bestätigte diese Entscheidung - mit Ausnahme des Prüfsachverständigen, der nicht haften musste. Nach Feststellungen des Gerichts war der Kran nicht korrekt montiert worden. Am entscheidenden Bolzen fehlte ein notwendiger Sicherungsstift, wodurch der Kran instabil wurde und schließlich umstürzte. Dieser Montagefehler war nach Überzeugung der Sachverständigen die alleinige Unfallursache. Die Eigentümerin des Krans musste sich das fehlerhafte Handeln der beauftragten Firma zurechnen lassen. Auch die GmbH und ihr Geschäftsführer hafteten, weil sie beim Aufbau gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen hatten. Sie hätten dafür sorgen müssen, dass die Montage gefahrlos durchgeführt wird und Dritte nicht gefährdet werden. Der hinzugezogene Sachverständige, der den Kran regelmäßig überprüfte, wurde jedoch entlastet. Sein Prüfauftrag diente nur der Kontrolle nach Unfallverhütungsvorschriften und schützte keine zufällig betroffenen Personen auf Nachbargrundstücken.

Hinweis: Wer einen Kran aufstellt oder montiert, trägt große Verantwortung. Fehler beim Aufbau können nicht nur Sach-, sondern auch Personenschäden verursachen und führen zur Haftung aller Beteiligten.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 15.09.2025 - 29 U 50/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2025)

Tod im Hotelzimmer: Keine Kostenübernahme für Tatortreinigung und Renovierung

Wenn ein TV-Krimi nach 90 Minuten endet, sind meist alle offensichtlich spannenden Fragen gelöst. Der Fall vor dem Landgericht Regensburg (LG) zeigt jedoch, dass nach Klärung eines realen (wenngleich hier natürlichen) Todesfalls immer noch viele Antworten offenbleiben - zum Beispiel, ob ein Hotel von einem Nachlasspfleger Schadensersatz für die Aufwendungen verlangen kann, die durch dem Tod eines Gastes im Hotelzimmer entstanden waren.

Wenn ein TV-Krimi nach 90 Minuten endet, sind meist alle offensichtlich spannenden Fragen gelöst. Der Fall vor dem Landgericht Regensburg (LG) zeigt jedoch, dass nach Klärung eines realen (wenngleich hier natürlichen) Todesfalls immer noch viele Antworten offenbleiben - zum Beispiel, ob ein Hotel von einem Nachlasspfleger Schadensersatz für die Aufwendungen verlangen kann, die durch dem Tod eines Gastes im Hotelzimmer entstanden waren.

Ein Gast verstarb im März 2022 in seinem Hotelzimmer. Der Mann war 2011 nach Südafrika ausgewandert, kam aber regelmäßig nach Deutschland zurück und blieb 2021 aufgrund der Corona-Pandemie ganze acht Monate im Hotel. Ob es an den Kontaktrestriktionen dieser Zeit lag oder daran, dass der Mann schon so eine lange Zeit Hotelgast war und somit quasi schon zur Einrichtung gehörte - an dieser Stelle bleibt ungewiss, warum der Mann nach seinem Versterben "eine gewisse" Zeit unentdeckt blieb. Dies war nicht nur aus menschlicher Sicht traurig, sondern auch aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise des Hoteliers, denn durch die eingesetzte Verwesung des Leichnams entstanden Schäden am Zimmer und am Mobiliar. Der Hotelbetreiber verlangte vom Nachlasspfleger daher 25.543 EUR für Tatortreinigung, Renovierung, neue Möbel und die Minibar. Außerdem waren noch Beträge aus Restaurantbesuchen offen. Der Nachlasspfleger argumentierte hingegen, dass der Gast seinen eigenen Tod nicht zu vertreten habe und die geltend gemachten Kosten weder notwendig noch üblich seien. Außerdem berief er sich auf Verjährung.

Das LG wies die meisten Forderungen ab - lediglich die offene Restaurantrechnung von 10,20 EUR wurde anerkannt. Das Gericht stellte klar, dass ein Hotelvertrag aus Miet-, Dienst- und Verwahrungsvertragselementen besteht. Schäden, die durch den natürlichen Tod eines Gastes entstehen, gelten nicht als Pflichtverletzung und sind dem Vertrag rechtlich nicht zuzurechnen. Auch eine Haftung des Erben scheide aus, weil der Erbe nur für Verbindlichkeiten hafte, die vor dem Tod des Verstorbenen entstanden seien. Kosten, die erst nach dem Tod durch Verwesung oder Reinigung entstehen, gehören nicht dazu. Die Restaurantrechnung fällt jedoch in die Kategorie einer klassischen Altverbindlichkeit und kann daher eingefordert werden.

Hinweis: Hotels tragen das Risiko von natürlichen Todesfällen ihrer Gäste. Aufwendungen für Reinigung oder Renovierung nach einem Todesfall können nicht vom Erben eingefordert werden. Offene Rechnungen, die vor dem Tod entstanden sind, müssen jedoch beglichen werden.


Quelle: LG Regensburg, Urt. v. 19.09.2025 - 85 O 1495/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2025)

Veranstalter haftet für Reisebürofehler: Kunden können bei erheblichen Abweichungen vor Reiseantritt kostenlos stornieren

Ein Kunde mit Reiselust hatte eigentlich noch Glück im Unglück, denn der Mangel an seiner geplanten Auszeit kam schon vor Reiseantritt ans Licht. Dennoch sah er sich mit einer Stornorechnung des Veranstalters konfrontiert, der für die fehlerhafte Informationen eines Reisebüromitarbeiters nicht verantwortlich sein wollte. Also kam doch noch Ärger auf, mit dem sich schließlich das Amtsgericht München (AG) auseinandersetzen musste.

Ein Kunde mit Reiselust hatte eigentlich noch Glück im Unglück, denn der Mangel an seiner geplanten Auszeit kam schon vor Reiseantritt ans Licht. Dennoch sah er sich mit einer Stornorechnung des Veranstalters konfrontiert, der für die fehlerhafte Informationen eines Reisebüromitarbeiters nicht verantwortlich sein wollte. Also kam doch noch Ärger auf, mit dem sich schließlich das Amtsgericht München (AG) auseinandersetzen musste.

Ein Mann buchte über ein Reisebüro eine Reise nach Ägypten für zwei Personen. Dabei wählte er ein Junior-Suite-Doppelzimmer mit All-Inclusive-Verpflegung. Aufgrund bereits gemachter Erfahrungen mit ägyptischen Hotelzimmern erkundigte sich der Reisewillige wiederholt über den Zustand der Zimmer. Der Mitarbeiter des Reisebüros versicherte seinem Kunden daraufhin, dass alle Zimmer des Hotels renoviert seien und daher auch er ein renoviertes Zimmer bekomme - entsprechend den Beispielbildern des Hotels, die mit "Wohnbeispiel" gekennzeichnet waren. Nach der Buchung stellte der Kunde zu Hause jedoch fest, dass durchaus nicht alle Zimmer renoviert seien. Und Treffer: Bei Rückfrage bestätigte die Reiseveranstalterin, dass für den Kunden kein renoviertes Zimmer reserviert worden und dies auch nicht mehr möglich sei. Tatsächlich gäbe es zwar einige renovierte Zimmer, diese waren aber ausgebucht oder nicht verfügbar. Die Hotelbeschreibung des Veranstalters machte keinen Unterschied zwischen renovierten und nicht renovierten Zimmern. Daraufhin stornierten die Reisenden die Reise und der Veranstalter stellte eine Stornorechnung über 657 EUR aus.

Das AG wies die Forderung auf Stornokosten ab und stellte fest, dass der Reisevertrag wegen eines Reisemangels erheblich beeinträchtigt war. Der Veranstalter musste sich die falschen Angaben des Reisebüros zurechnen lassen, weil er das Büro mit der Buchung beauftragt hatte. Auch die bereitgestellten Beispielbilder galten als Teil der Vereinbarung über den Zimmerstandard. Der Reiseveranstalter hafte daher dafür, dass die Weitergabe der Informationen durch das Reisebüro fehlerhaft erfolgte.

Hinweis: Reiseveranstalter haften für falsche Auskünfte ihrer Partnerbüros. Beispielbilder und mündliche Zusagen eines Mitarbeiters können den Vertrag beeinflussen. Kunden können bei erheblichen Abweichungen vor Reiseantritt kostenlos stornieren.


Quelle: AG München, Urt. v. 08.09.2025 - 112 C 7280/25
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2025)

Bedingte Verfügung: Wenn das Testament nur für den gemeinsamen Todesfall gilt

Die Auslegung von Testamenten spielt in der Rechtspraxis eine bedeutende Rolle. Was hat der Erblasser mit der Formulierung gewollt? Das Oberlandesgericht München (OLG) musste genau das herausfinden, nachdem eine Frau, die in einem Testament nur "für den Fall, dass mir und meinem Bruder auf den Reisen etwas passiert", als Alleinerbin eingesetzt wurde, nun das Erbe einforderte.

Die Auslegung von Testamenten spielt in der Rechtspraxis eine bedeutende Rolle. Was hat der Erblasser mit der Formulierung gewollt? Das Oberlandesgericht München (OLG) musste genau das herausfinden, nachdem eine Frau, die in einem Testament nur "für den Fall, dass mir und meinem Bruder auf den Reisen etwas passiert", als Alleinerbin eingesetzt wurde, nun das Erbe einforderte.

Die Erblasserin war ledig, kinderlos und hatte nur einen Bruder. Im Jahr 2007 schrieb sie eigenhändig ein Testament mit der genannten Formulierung und unterschrieb es. Nach ihrem Tod 2019 war das Original zunächst nicht auffindbar, nur eine Kopie lag vor. Das Gericht stellte jedoch fest, dass die Kopie echt war und das Testament wirksam errichtet wurde. In dem Testament hatte die Erblasserin folgende Formulierung gewählt: "Sollte mir und meinem Bruder auf den Reisen etwas passieren (...)".

Das OLG sah darin jedoch keine allgemeine Erbeinsetzung, sondern eine Bedingung: Die Begünstigte sollte nur dann Erbin werden, wenn die Erblasserin und ihr Bruder gemeinsam oder gleichzeitig auf Reisen sterben würden. Da die Erblasserin Jahre später eines natürlichen Todes starb und ihr Bruder sie überlebte, griff diese Bedingung nicht. Somit trat die gesetzliche Erbfolge ein und der Bruder wurde Alleinerbe. Das Gericht stellte klar, dass derartige Formulierungen im Testament sorgfältig ausgelegt werden müssen. Nicht jeder Hinweis auf einen bestimmten Anlass - etwa eine Reise oder eine Operation - bedeute automatisch, dass die Regelung nur für diesen Fall gelten solle. Im konkreten Fall sprachen jedoch die Wortwahl und der familiäre Hintergrund eindeutig für eine bedingte Verfügung.

Hinweis: Wer ein Testament schreibt, sollte klar unterscheiden, ob eine Erbeinsetzung für alle Fälle gelten soll oder nur für eine bestimmte Situation - etwa bei einem Unfall oder während einer Reise. Unklare Formulierungen können sonst dazu führen, dass das Testament wirkungslos bleibt und die gesetzliche Erbfolge greift.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 08.10.2025 - 33 Wx 25/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Betriebsschaden: Ohne äußeren Einfluss geplatzter Reifen ist kein versicherter Unfall in der Vollkaskoversicherung

Wozu hat man denn eine Vollkasko, wenn ein geplatzter Reifen nicht zu den versicherten Schäden gehört? Die Antwort auf diese erst einmal logisch erscheinende Entrüstung hatte das Oberlandesgericht Dresden (OLG), und die Logik ebendieser Antwort war nicht von der Hand zu weisen. Lesen Sie selbst.

Wozu hat man denn eine Vollkasko, wenn ein geplatzter Reifen nicht zu den versicherten Schäden gehört? Die Antwort auf diese erst einmal logisch erscheinende Entrüstung hatte das Oberlandesgericht Dresden (OLG), und die Logik ebendieser Antwort war nicht von der Hand zu weisen. Lesen Sie selbst.

Der hier klagende Autofahrer war mit hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn unterwegs, als ein Reifen platzte. Der Wagen verunfallte schwer. Als der Fahrzeughalter den Schaden bei seiner Vollkaskoversicherung geltend machte, verweigerte diese die Zahlung. Nach den Versicherungsbedingungen sei schließlich nur ein Unfallereignis versichert - hier aber sei lediglich ein vorgeschädigter Reifen geplatzt, nach den vorliegenden Informationen ohne äußerlichen mechanischen Einfluss. Daher handelte es sich auch nicht um ein versichertes Ereignis.

Das OLG gab der Versicherung recht. Nach den Feststellungen des vom Gericht beauftragten Sachverständigen konnte nicht bewiesen werden, dass der Kläger einen auf der Fahrbahn liegenden Gegenstand überfahren hatte, bevor der Reifen platzte. Es war ebenso möglich, dass schon das Überfahren einer Fahrbahnunebenheit, mit der im normalen Fahrbetrieb zu rechnen ist - wie eine Dehnungsfuge oder eine Bodenwelle -, das Platzen des vorgeschädigten Reifens herbeigeführt habe. Der Sachverständige konnte im Ergebnis nicht feststellen, dass die Ursache für den Schaden das Überfahren eines Gegenstands oder eine Fahrbahnunebenheit war. Dies geht zu Lasten des beweisbelasteten Klägers, denn das Überfahren einer Fahrbahnunebenheit ist kein von außen einwirkendes Ereignis. Schäden, die durch Ereignisse und Umstände hervorgerufen werden, in denen sich Gefahren verwirklichen, denen das Fahrzeug im Rahmen seiner vorgesehenen konkreten Verwendung üblicherweise ausgesetzt ist, sind Betriebsschäden und nicht versichert. Die Versicherung hat daher zu Recht die Zahlung verweigert.

Hinweis: Für die Annahme eines Unfalls ist eine Einwirkung "von außen" notwendig und dass der Gegenstand, von dem die auf das versicherte Fahrzeug wirkende mechanische Gewalt ausgehen muss, nicht Teil des Fahrzeugs selbst ist.


Quelle: OLG Dresden, Beschl. v. 11.06.2025 - 4 U 88/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Keine Job- oder Existenzbedrohung: Arzttätigkeit rechtfertigt allein kein Absehen vom Fahrverbot nach Geschwindigkeitsüberschreitung

Wer bei einer Bleifußfahrt erwischt wird, hat oft am meisten Angst vor einem Fahrverbot. Zu Recht, wie der folgende Fall des Bayerischen Oberlandesgerichts (BayObLG) beweist. Denn was alle Arbeitnehmer betrifft, die auf ihren fahrbaren Untersatz angewiesen sind, gilt eben auch prinzipiell für alle. Wann ein gegebener Ermessensspielraum ausgereizt werden darf, um die Sanktionen zu mindern - und wann eben nicht -, lesen Sie hier.

Wer bei einer Bleifußfahrt erwischt wird, hat oft am meisten Angst vor einem Fahrverbot. Zu Recht, wie der folgende Fall des Bayerischen Oberlandesgerichts (BayObLG) beweist. Denn was alle Arbeitnehmer betrifft, die auf ihren fahrbaren Untersatz angewiesen sind, gilt eben auch prinzipiell für alle. Wann ein gegebener Ermessensspielraum ausgereizt werden darf, um die Sanktionen zu mindern - und wann eben nicht -, lesen Sie hier.

Ein Autofahrer wurde mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 46 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften gemessen. Gegen ihn erging ein Bußgeldbescheid in Höhe von 320 EUR und ein einmonatiges Fahrverbot. Dem Umstand, dass der Betroffene gegen die Verhängung des Fahrverbots Einspruch einlegte, verdanken wir die Tatsache, dass der Fall hier Erwähnung findet. Und siehe da: Das Amtsgericht gab dem Einspruch auch statt. Denn der Mann hatte argumentiert, dass er als Arzt mit besonderen Verpflichtungen auf den Führerschein angewiesen sei und mit dem Fahrverbot daher eine unzumutbare Härte vorliege. "Nö", meinte die Staatsanwaltschaft und legte Rechtsbeschwerde ein.

Das BayObLG gab der Rechtsbeschwerde statt. Allein die Tatsache, dass der Betroffene als Weiterbildungsassistent in einer Hausarztpraxis zu Besuchen in Pflegeheimen, Hausbesuchen und auch Diensten im Krankenhaus verpflichtet sei, genüge für die Annahme eines Härtefalls nicht. Dazu müsse eine erhebliche Beeinträchtigung seiner beruflichen Pflichten oder gar eine Gefährdung der medizinischen Versorgung seiner Patienten nachgewiesen sein. Hier sei aber anzunehmen, dass die Folgen des Fahrverbots durch organisatorische Maßnahmen - mit gelegentlichen Taxifahrten oder einem Aushilfsfahrer - zu überbrücken seien. Schließlich seien viele Arbeitnehmer dringend auf ihr Fahrzeug angewiesen, diese Tatsache reiche allein nicht aus, um die Folgen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu mindern. Eine Existenzbedrohung sei angesichts des Einkommens des Betroffenen (hier: 6.500 EUR brutto) ebenfalls nicht nachgewiesen. Es sei auch nicht zu berücksichtigen, dass ein Augenblicksversagen zu dem Verstoß geführt hat, da an der entsprechenden Stelle ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter vorhanden war, der die zulässige streckenbezogene Höchstgeschwindigkeit schrittweise in Etappen auf den Zielwert herab begrenzt. Es war also nicht anzunehmen, dass gleich mehrere Schilder nicht wahrgenommen wurden.

Hinweis: Ein Fahrverbot ist in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen nicht ausnahmslos zu verhängen. Vielmehr steht dem Tatrichter (in Bußgeldsachen dem Amtsrichter) ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat.


Quelle: BayObLG, Beschl. v. 12.05.2025 - 202 ObOWi 262/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Ohne vorherigen Beschluss: Nachträgliche Zustimmung der Eigentümergemeinschaft zur Beauftragung durch Verwalterin erlaubt

Der allgemeinen Logik zufolge kann etwas nur dann wirklich verpflichtend sein, wenn es im Vorhinein vereinbart wurde. So dachte wohl auch ein Wohnungseigentümer und klagte gegen die nachträgliche Zustimmung seiner Miteigentümer zu einer durch die Verwalterin bereits erteilte Beauftragung. Und weil sich selbst Amts- und Landgericht (AG und LG) hierbei nicht einig waren, musste der Bundesgerichtshof (BGH) bewerten, ob dies ohne vorherigen Beschluss möglich sei.

Der allgemeinen Logik zufolge kann etwas nur dann wirklich verpflichtend sein, wenn es im Vorhinein vereinbart wurde. So dachte wohl auch ein Wohnungseigentümer und klagte gegen die nachträgliche Zustimmung seiner Miteigentümer zu einer durch die Verwalterin bereits erteilte Beauftragung. Und weil sich selbst Amts- und Landgericht (AG und LG) hierbei nicht einig waren, musste der Bundesgerichtshof (BGH) bewerten, ob dies ohne vorherigen Beschluss möglich sei.

In einer Wohnungseigentümergemeinschaft hatte die Verwalterin mehrere Gutachter und eine Anwaltskanzlei beauftragt - jedoch ohne Zustimmung der Eigentümer. Die Gutachter untersuchten Baumängel am Gemeinschaftseigentum und berechneten rund 50.000 EUR. Später stimmten die Eigentümer in einer Versammlung dieser Beauftragung nachträglich zu. Außerdem beschlossen sie, die Anwaltskanzlei auch weiterhin zu beauftragen und mit ihr eine Honorarvereinbarung zu schließen. Was nach "Glück gehabt!" klingt, machte ein Mitglied der Gemeinschaft zunichte. Denn dieses war mit einem derartigen Prozedere nicht einverstanden und ging dagegen vor Gericht - auch weil das Mitglied der Meinung war, dass bei der Beauftragung von Anwälten oder Gutachtern immer mehrere Angebote eingeholt werden müssen.

Während das AG die Beschlüsse für wirksam hielt, erklärte das LG sie teilweise für ungültig. Schließlich musste der BGH ein Machtwort sprechen und hob diese Entscheidung des LG auf. Nach seiner Auffassung durften die Eigentümer selbst entscheiden, ob sie eine vom Verwalter veranlasste Maßnahme auch im Nachhinein billigen. Eine solche Genehmigung sei erlaubt, solange die Maßnahme selbst ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche. Der Verwalter dürfe also grundsätzlich ohne Beschluss handeln, solange die Eigentümer später seine Entscheidung bestätigen können. Auch die Beauftragung eines Rechtsanwalts sei rechtmäßig erfolgt. Der BGH stellte klar, dass Wohnungseigentümer vor einem solchen Beschluss keine Vergleichsangebote anderer Anwälte einholen müssten - selbst dann nicht, wenn ein Stundenhonorar vereinbart werde. Bei Gutachtern gelte das Gleiche. Der BGH betonte, dass es zum Ermessen der Gemeinschaft gehöre, wie sie vorgehe, solange die Verwaltung sachgerecht und nachvollziehbar bleibe.

Hinweis: Wohnungseigentümer dürfen Entscheidungen des Verwalters nachträglich bestätigen, wenn diese sachlich richtig und notwendig waren. Mehrere Angebote von Anwälten oder Gutachtern müssen vor einem Beschluss nicht eingeholt werden.


Quelle: BGH, Urt. v. 18.07.2025 - V ZR 76/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Ohne Unterschrift unwirksam: Keine Erbeinsetzung des Begünstigten durch Nottestament

In extremen Ausnahmesituationen, beispielsweise bei akuter Lebensgefahr, kann ein Testament auch mündlich vor drei Zeugen errichtet werden. Das Oberlandesgericht München (OLG) musste im Folgenden entschieden, ob ein solches Dreizeugentestament ohne die Unterschrift des Erblassers unwirksam ist oder eine mündliche Erklärung vor Zeugen ausreicht, wenn der Erblasser noch schreiben konnte, seine Unterschrift aber nicht geleistet hat.

In extremen Ausnahmesituationen, beispielsweise bei akuter Lebensgefahr, kann ein Testament auch mündlich vor drei Zeugen errichtet werden. Das Oberlandesgericht München (OLG) musste im Folgenden entschieden, ob ein solches Dreizeugentestament ohne die Unterschrift des Erblassers unwirksam ist oder eine mündliche Erklärung vor Zeugen ausreicht, wenn der Erblasser noch schreiben konnte, seine Unterschrift aber nicht geleistet hat.

Im konkreten Fall hatte eine verwitwete, kinderlose Frau wenige Tage vor ihrem Tod in ihrer Wohnung ein Nottestament errichten lassen. Drei Zeugen unterzeichneten die Erklärung, die den Lebensgefährten zum Alleinerben machte. Die Erblasserin selbst unterschrieb jedoch nicht. Zwar befand sie sich in einem schlechten Gesundheitszustand, hatte aber kurz zuvor noch eine medizinische Belehrung unterschrieben, mit der sie eine Krankenhauseinweisung ablehnte. Das Nachlassgericht wies deshalb den Antrag des Begünstigten auf Erteilung eines Erbscheins ab.

Das OLG bestätigte diese Entscheidung und stellte klar, dass eine Unterschrift bei einem Dreizeugentestament grundsätzlich zwingend erforderlich ist. Nur wenn der Erblasser nachweislich nicht mehr schreiben könne, dürfe sie entfallen. Dafür reiche aber nicht aus, dass der Betroffene geschwächt sei oder eine Stütze beim Sitzen brauche. Da die Frau kurz vor der Testamentserrichtung noch eine eigene Unterschrift leisten konnte, hätte sie auch das Testament unterschreiben müssen. Zudem war nach Ansicht des OLG nicht ausreichend belegt, dass ein Notar zur Beurkundung tatsächlich nicht mehr erreichbar gewesen wäre. Das Nottestament war damit unwirksam. Die Erbfolge richtet sich nun vielmehr nach dem Gesetz, der Lebensgefährte erhielt somit keinen Erbschein.

Hinweis: Ein Nottestament ist nur in echten Ausnahmesituationen gültig - etwa bei akuter Lebensgefahr, wenn kein Notar erreichbar ist. Selbst dann muss der Erblasser, soweit möglich, eigenhändig unterschreiben. Fehlt die Unterschrift ohne zwingenden Grund, ist das Testament unwirksam.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 30.10.2025 - 33 Wx 174/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Vermächtnis statt Erbe: Lebensgefährtin muss Bestattungskosten nicht zahlen

Ob die Zuwendung eines wesentlichen Vermögensgegenstands bereits eine Erbeinsetzung ist oder nur eine Vermächtnisanordnung, ist oft eine der offenen Fragen nach einem Todesfall. Und so war sie auch Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG). Denn schließlich trennen beide Formen entscheidende Feinheiten, die große Auswirkungen haben.

Ob die Zuwendung eines wesentlichen Vermögensgegenstands bereits eine Erbeinsetzung ist oder nur eine Vermächtnisanordnung, ist oft eine der offenen Fragen nach einem Todesfall. Und so war sie auch Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig (OLG). Denn schließlich trennen beide Formen entscheidende Feinheiten, die große Auswirkungen haben.

Der Erblasser hatte wenige Monate vor seinem Tod ein handschriftliches Testament verfasst. Darin teilte er einzelne Gegenstände zu: die Wohnungseinrichtung, einen Porsche und vor allem das Ladengeschäft mit den dazugehörigen Gewerberäumen. Seine beiden Töchter sollten "keine weiteren Werte" erhalten, weil sie zu Lebzeiten bereits bedacht worden waren. Die Töchter bezahlten die Beerdigung und verlangten daraufhin die Erstattung der Kosten von der Lebensgefährtin, die aus Sicht der beiden nun Alleinerbin sei. Nachdem die Lebensgefährtin den Hauptbetrag überwiesen hatte, stritten die Parteien jedoch nur noch über Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten.

Das OLG stellte dann aber klar: Entscheidend ist, was der Verstorbene gewollt habe, wer den Nachlass organisieren und Schulden tragen sollte. In der Verfügung des Erblassers wurde das Wort "Erbe" aber gar nicht verwendet. Vielmehr wurden einzelne Vermögensstücke gezielt verteilt. Auch wenn die Gewerbeimmobilie den weitaus größten Wert hatte, folgt daraus nicht automatisch, dass die damit bedachte Lebensgefährtin auch Erbin ist. Denn ein Erbe übernimmt den gesamten Nachlass - mit allen Rechten und Pflichten. Ein Vermächtnis verschafft hingegen nur einen Anspruch auf einen bestimmten Gegenstand gegen den oder die Erben. Und hier wollte der Verstorbene seine Lebensgefährtin gerade nicht mit der komplexen Abwicklung eines verschuldeten Nachlasses belasten, sondern ihr nur das Ladengeschäft zukommen lassen.

Dabei half dem Gericht der Blick auf einen älteren Erbvertrag zwischen den Beteiligten. Schon 2018 hatte der Verstorbene die Lebensgefährtin bewusst durch ein Vermächtnis begünstigt - ausdrücklich ohne ihr eine Erbenstellung zu geben. Das passte auch zu seiner Situation: hohe Schulden, die von den Töchtern in der Vergangenheit bereits teilweise aufgefangen worden waren. Dieses Gesamtbild sprach dafür, dass auch das spätere handschriftliche Testament nur einzelne Zuwendungen anordnen, aber keine Erben benennen sollte. Maßgeblich ist, ob die Person nach dem Willen des Erblassers die wirtschaftliche Stellung fortführen und die Nachlassschulden tragen soll. Das war hier nicht der Fall. Dies hatte aber zur Folge, dass in Ermangelung einer Erbeinsetzung die gesetzliche Erbfolge eingriff. Weil die Lebensgefährtin damit nicht Erbin war, fehlte von Anfang an die Grundlage für den Erstattungsanspruch der Töchter auf die Bestattungsaufwendungen. Ohne diesen Hauptanspruch gab es auch keine Verzugszinsen und keine Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Das OLG hob das Urteil des Landgerichts daher auf und wies die Klage vollständig ab.

Hinweis: "Erbe" und "Vermächtnis" sind nicht dasselbe. Erben treten in alle Rechte und Pflichten ein und müssen auch Schulden und Bestattungskosten tragen; Vermächtnisnehmer erhalten nur den zugewandten Gegenstand als Anspruch gegen die Erben. Wer vermeiden will, dass Begünstigte später für Schulden haften, sollte dies klar im Testament regeln und die Rolle der Erben ausdrücklich bestimmen.


Quelle: OLG Braunschweig, Urt. v. 03.11.2025 - 10 U 81/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Verkehrssicherungspflicht: Betreiber haftet nicht für jeden Ausrutscher im Supermarkt

In diesem Fall ging es um das weite Feld der Verkehrssicherungspflicht. Dabei musste das Landgericht Frankenthal (LG) die Frage beantworten, wie weit die Pflicht eines Supermarktbetreibers greift, die Böden zur Unfallvermeidung sauber zu halten: Reicht eine Kontrolle aus, die jede halbe Stunde erfolgt, oder sind hier kürzere Takte zumutbar?

In diesem Fall ging es um das weite Feld der Verkehrssicherungspflicht. Dabei musste das Landgericht Frankenthal (LG) die Frage beantworten, wie weit die Pflicht eines Supermarktbetreibers greift, die Böden zur Unfallvermeidung sauber zu halten: Reicht eine Kontrolle aus, die jede halbe Stunde erfolgt, oder sind hier kürzere Takte zumutbar?

Eine Frau rutschte beim Einkauf in einem Supermarkt in der Obst- und Gemüseabteilung aus, verletzte sich dabei am Brustwirbel und verlangte schließlich 10.000 EUR Schmerzensgeld. Die Betreiberin des Supermarkts erklärte, dass der Boden jeden Morgen maschinell gereinigt und alle 30 Minuten kontrolliert werde. Bei den Kontrollen entferne das Personal Verschmutzungen sofort.

Für das LG ausreichend, denn es wies die Schmerzensgeldforderung ab. Nach Ansicht des Gerichts genügten die Reinigungs- und Kontrollintervalle, um die Verkehrssicherungspflicht entsprechend zu erfüllen. Ein Supermarktbetreiber muss nicht ständig jeden Quadratmeter sauber halten, sondern nur in zeitlich angemessenen Abständen, die wirtschaftlich vertretbar sind. Gefahren durch das Verhalten anderer Kunden können auch bei sorgfältiger Kontrolle nicht völlig ausgeschlossen werden. Es ist daher zumutbar, dass solche Risiken gelegentlich auftreten. Eine häufigere Kontrolle als alle 30 Minuten sei weder zumutbar noch wirtschaftlich erforderlich.

Hinweis: Supermarktbetreiber müssen ihre Böden zwar regelmäßig überprüfen, aber nicht permanent. Unfälle durch kurzfristige Verschmutzungen lassen sich nicht vollständig vermeiden. Kunden müssen auch ein gewisses Eigenrisiko tragen.


Quelle: LG Frankenthal (Pfalz), Urt. v. 16.09.2025 - 1 O 21/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2025)

Ungewöhnlich, aber korrekt: Quittungsähnlicher Brief kann durchaus als Testament gelten

Aus einem Testament muss hervorgehen, dass es sich um eine letztwillige Verfügung des Erblassers handelt. Das klingt zunächst einmal nach einer großen Freiheit in der weiteren Gestaltung. So hatte es auch das Oberlandesgericht München (OLG) kürzlich einmal mehr mit einem eher ungewöhnlichen Testament zu tun - einem handschriftlich unterschriebenem Brief, der wie eine Quittung formuliert war. Ob dieses Schreiben den Anforderungen an ein Testament genügte, lesen Sie hier.

Aus einem Testament muss hervorgehen, dass es sich um eine letztwillige Verfügung des Erblassers handelt. Das klingt zunächst einmal nach einer großen Freiheit in der weiteren Gestaltung. So hatte es auch das Oberlandesgericht München (OLG) kürzlich einmal mehr mit einem eher ungewöhnlichen Testament zu tun - einem handschriftlich unterschriebenem Brief, der wie eine Quittung formuliert war. Ob dieses Schreiben den Anforderungen an ein Testament genügte, lesen Sie hier.

Der Erblasser war ledig und kinderlos. 1999 setzte er seine Lebensgefährtin in einem selbstgeschriebenen Testament als Alleinerbin zwar ein, unterschrieb dieses Blatt aber nicht. 2002 verfasste er zusätzlich ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Schreiben. Darin bestätigte er seiner Partnerin ein Darlehen für Hausumbauten und ordnete an, dass im Fall seines Todes der genannte Betrag vorab vom Nachlass abgezogen werde und "ihr als Erbin" zugutekomme. Beide Schriftstücke lagen in seinem Schreibtisch. Nach dem Tod beantragte eine Angehörige einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge; das Nachlassgericht kündigte die Erteilung an. Dagegen legte die Lebensgefährtin Beschwerde ein - mit Erfolg.

Das OLG stellte klar: Das Schriftstück von 1999 ist mangels Unterschrift zwar formunwirksam, darauf kommt es aber nicht an, weil das zusätzliche Schreiben von 2002 alle Anforderungen erfüllt und mit erkennbarer Absicht verfasst wurde, die Nachlassverteilung zu regeln. Zwar beginnt der Text wie eine Bestätigung bzw. Quittung. Entscheidend ist jedoch die eindeutige Anordnung "im Falle meines Todes" und der ausdrückliche Bezug auf die Partnerin "als Erbin". Damit bringt der Erblasser unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie seine Rechtsnachfolgerin sein soll. Dass der Brief zugleich eine Zahlung bestätigt, schadet nicht: Eine letztwillige Verfügung kann auch dann vorliegen, wenn sie mit anderen Erklärungen in einem einzigen Schriftstück verbunden ist - solange der Wille zur Erbeinsetzung zweifelsfrei zu erkennen ist. In der Folge wurde der Beschluss des Nachlassgerichts aufgehoben und der Antrag der Angehörigen auf einen Erbschein nach gesetzlicher Erbfolge zurückgewiesen.

Hinweis: Für ein wirksames handschriftliches Testament kommt es vor allem darauf an, dass es vollständig eigenhändig geschrieben und unterschrieben ist und klar erkennbar regelt, wer was bekommen soll. Auch ein schlicht formulierter, unterschriebener Brief kann genügen, wenn daraus eindeutig hervorgeht, dass eine Person als Erbe eingesetzt wird.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 09.10.2025 - 33 Wx 44/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Kein Geldbetrag fällig: Lidl darf seine App weiterhin als kostenlos bezeichnen

"Wenn etwas kostenlos ist, bist du das Produkt", ist ein weiser Spruch, der nicht erst durch das "www" oftmals bittere Wahrheit erfahren hat. Doch besonders seit Erfindung des Internets sind Daten eine harte Währung, die sich für Unternehmen jeglicher Art digital rentiert. Was aber rechtlich dran ist an diesen Worten, musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) klären. Die Frage war, ob ein Discounter seine App als "kostenlos" bezeichnen darf, obwohl dafür Nutzerdaten erhoben und verarbeitet werden.

"Wenn etwas kostenlos ist, bist du das Produkt", ist ein weiser Spruch, der nicht erst durch das "www" oftmals bittere Wahrheit erfahren hat. Doch besonders seit Erfindung des Internets sind Daten eine harte Währung, die sich für Unternehmen jeglicher Art digital rentiert. Was aber rechtlich dran ist an diesen Worten, musste das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) klären. Die Frage war, ob ein Discounter seine App als "kostenlos" bezeichnen darf, obwohl dafür Nutzerdaten erhoben und verarbeitet werden.

Lidl bietet seine App "Lidl Plus" an, über die die Kunden Rabatte, Sonderaktionen und personalisierte Angebote erhalten können. Für die Nutzung müssen Verbraucher die App installieren, persönliche Daten angeben und den Teilnahmebedingungen zustimmen, die satte 18 Seiten umfassen und unter anderem erklären, dass die Teilnahme "kostenlos" sei und welche Daten gespeichert und verwendet würden. Ein Verbraucherschutzverband hielt die App daher nicht für wirklich kostenlos, weil die Nutzer im Austausch für die Vorteile ihre Daten preisgeben müssten. Er verlangte, dass Lidl die Nutzung der App nicht mehr als kostenlos bezeichnen dürfe und einen "Gesamtpreis" angeben müsse.

Das OLG wies die Klage ab, ließ aber wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesgerichtshof zu. Nach Ansicht des Gerichts müssen die Nutzer für die App keinen Geldbetrag zahlen. Das deutsche und europäische Recht definieren einen Preis jedoch ausdrücklich als zu zahlenden Geldbetrag. Die Erhebung und Nutzung von Daten stelle dabei keinen derartigen Preis im rechtlichen Sinne dar. Deshalb durfte und darf Lidl die App als kostenlos bezeichnen. Wer die Teilnahmebedingungen liest, wird darüber informiert, welche Daten erhoben werden, und dass "kostenlos" nur bedeute, dass kein Geld verlangt werde. Wer die Bedingungen nicht lese, erfahre ohnehin nichts über die App, so dass auch kein irreführender Eindruck entstehe.

Hinweis: "Kostenlos" bezieht sich auf Geld, nicht auf Daten. Unternehmen müssen aber klar darlegen, welche Informationen sie sammeln und wie sie genutzt werden. Wer die Bedingungen liest, erhält alle notwendigen Informationen.


Quelle: OLG Stuttgart, Urt. v. 23.09.2025 - 6 UKl 2/25
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 12/2025)

Berliner Vermieter scheitern: BGH lehnt selbständiges Beweisverfahren zur Feststellung der ortsüblichen Miete ab

Berlin scheint immer mehr zu einer Art Lackmustest zu werden, wenn im bundesweit hart umkämpften Wohnungsmarkt Grenzen des Machbaren ausgetestet werden. Von Berlin aus ging es schließlich bis nach Karlsruhe, und zwar zum dortigen Bundesgerichtshof (BGH). Der musste die Frage beantworten, ob Vermieter durch ein eigenständiges Beweisverfahren die ortsübliche Vergleichsmiete oder Wohnwertmerkmale einer Wohnung feststellen lassen können oder eben nicht.

Berlin scheint immer mehr zu einer Art Lackmustest zu werden, wenn im bundesweit hart umkämpften Wohnungsmarkt Grenzen des Machbaren ausgetestet werden. Von Berlin aus ging es schließlich bis nach Karlsruhe, und zwar zum dortigen Bundesgerichtshof (BGH). Der musste die Frage beantworten, ob Vermieter durch ein eigenständiges Beweisverfahren die ortsübliche Vergleichsmiete oder Wohnwertmerkmale einer Wohnung feststellen lassen können oder eben nicht.

Die Vermieter beantragten beim Amtsgericht (AG) ein schriftliches Gutachten eines Sachverständigen zu 18 Merkmalen der Wohnung, um eine Mieterhöhung zu begründen. Das AG lehnte den Antrag jedoch ab. Und auch das Landgericht bestätigte die Entscheidung seiner vorinstanzlichen Kollegen. Weil mögliche Mehreinnahmen aber bekanntlich eine sehr ernste und somit streitenswerte Angelegenheit sind, war damit noch nicht Schluss, und der BGH spielte letzten Endes das Zünglein an der Waage.

Auch der BGH bestätigte, dass das eigenständige Beweisverfahren unzulässig war. Das Gericht erklärte, dass ein solches Verfahren nur dann erlaubt ist, wenn ein rechtliches Interesse besteht, den Zustand oder Wert einer Sache festzustellen. Bei der ortsüblichen Vergleichsmiete oder den Wohnwertmerkmalen ist ein solches Interesse jedoch nicht gegeben, weil das Mieterhöhungsverfahren nach den §§ 558 ff. Bürgerliches Gesetzbuch andere Regelungen vorsieht und die Rechte des Mieters schützt. Würde man ein eigenständiges Beweisverfahren zulassen, könnten die gesetzlichen Fristen und Schutzvorschriften für Mieter umgangen werden. Außerdem könnte ein solches Verfahren den Zweck nicht erfüllen, einen Rechtsstreit zu vermeiden, weil es oft nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen abgeschlossen werden kann. Nach Auffassung des BGH ist der Schutz des Mieters durch das Mieterhöhungsverfahren selbst gewährleistet.

Hinweis: Vermieter können nicht einfach ein Sachverständigengutachten außerhalb des Mieterhöhungsverfahrens einholen, um die Miete zu erhöhen. Alle Anträge müssen den gesetzlichen Vorgaben und Fristen folgen. Eigenständige Beweisverfahren dienen nicht der Vorbereitung einer Mieterhöhung.


Quelle: BGH, Urt. v. 15.07.2025 - VIII ZB 69/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Unterlassungsanspruch nach Sanierung: Gemeinde muss Nachbargrundstücke vor Regenwassereintritt schützen

Wenn Gemeinden nicht nur den Willen zur Sanierung zeigen, sondern diese auch durchführen, sind Anlieger doch allgemein recht froh. Im folgenden Fall, der seinen Anfang 2008 nahm, war das nicht ganz der Fall. Denn Anwohner verlangten, dass ihre Gemeinde Maßnahmen gegen das Überlaufen von Regenwasser ergreift. Schließlich musste das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) klarstellen, dass sich auch Behörden an die Regeln des Wasser- und Nachbarrechts halten müssen.

Wenn Gemeinden nicht nur den Willen zur Sanierung zeigen, sondern diese auch durchführen, sind Anlieger doch allgemein recht froh. Im folgenden Fall, der seinen Anfang 2008 nahm, war das nicht ganz der Fall. Denn Anwohner verlangten, dass ihre Gemeinde Maßnahmen gegen das Überlaufen von Regenwasser ergreift. Schließlich musste das Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) klarstellen, dass sich auch Behörden an die Regeln des Wasser- und Nachbarrechts halten müssen.

Die entsprechende Gemeinde hatte im Jahr 2008 eine Straße saniert, die direkt an ein privates Grundstück grenzte. Nach der Sanierung kam es bei starkem Regen immer wieder dazu, dass Regenwasser von der Straße auf das angrenzende Grundstück lief - unter anderem in den Jahren 2010 und 2022. Die Eigentümer sahen darin einen Fehler der Gemeinde, weil durch die Baumaßnahmen das seitliche Gefälle verändert und die Entwässerung unzureichend geplant worden war. Sie forderten, dass die Gemeinde künftig Maßnahmen ergreife, um das Übertreten von Wasser zu verhindern.

Das Landgericht gab ihnen recht, weil die Gemeinde die Ableitung des Regenwassers so verändert hatte, dass nunmehr eine Gefährdung des Nachbargrundstücks bestand. Das OLG bestätigte das Urteil der Vorinstanz. Es folgerte aus dem Verhalten der Gemeinde einen sogenannten Unterlassungsanspruch: Wer durch sein Handeln eine Gefahr für fremdes Eigentum schafft, muss dafür sorgen, dass diese Gefahr nicht eintritt. Ein derartiger Anspruch gelte nicht erst, wenn eine Überschwemmung tatsächlich erneut auftrete, sondern bereits dann, wenn eine solche Beeinträchtigung künftig zu befürchten sei. Das OLG betonte außerdem, dass der Anspruch sogar dann bestehen könne, wenn eine Beeinträchtigung bislang noch gar nicht stattgefunden habe - also schon bei einer sogenannten Erstbegehungsgefahr. Da die Gemeinde als Straßenbaulastträgerin die Regeln zum Ablauf von Regenwasser nicht beachtet hatte, war sie verpflichtet, Vorsorge zu treffen. Nach Ansicht des Gerichts waren die vorhandenen Entwässerungselemente - etwa Mulden, Rohre und Rinnen - zu klein dimensioniert und damit technisch unzureichend.

Hinweis: Auch öffentliche Stellen müssen sicherstellen, dass Wasser von ihren Flächen nicht auf Nachbargrundstücke übertritt. Eine Pflicht zum Handeln besteht daher schon dann, wenn künftig mit Schäden zu rechnen ist.


Quelle: OLG Brandenburg, Urt. v. 07.08.2025 - 5 U 89/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Fortsetzung zumutbar: Streit über Nebenkosten rechtfertigt keine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses

Eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Vermieter und Mieter über die Nebenkostenabrechnung führte zu einem Wiedersehen beider Parteien vor dem Amtsgericht Saarbrücken (AG). Denn am Ende des Streits stand die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, da eine unüberlegte Bemerkung des Mieters durch den Vermieter als ernsthafte Bedrohung gewertet wurde. Zu Recht?

Eine hitzige Auseinandersetzung zwischen Vermieter und Mieter über die Nebenkostenabrechnung führte zu einem Wiedersehen beider Parteien vor dem Amtsgericht Saarbrücken (AG). Denn am Ende des Streits stand die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, da eine unüberlegte Bemerkung des Mieters durch den Vermieter als ernsthafte Bedrohung gewertet wurde. Zu Recht?

Der Mieter hatte sich mit dem Geschäftsführer seiner Vermieterin, einer Wohnungsgesellschaft, wegen der Nebenkostenabrechnung gestritten und soll dabei laut durchs Treppenhaus gerufen haben, er beschäftige Schwarzarbeiter. Außerdem sagte er: "Ich brech’ jetzt das Gespräch ab, sonst klatsche ich dir eine." Der Geschäftsführer sah darin eine Drohung, kündigte die Wohnung fristlos und verlangte die entsprechende Räumung.

Das AG sah die Sache jedoch anders. Denn was manchmal besonders in Mietshäusern stören kann, erwies sich hier als nützlich: Es gab Menschen, die der Situation beigewohnt hatten. Nach deren Zeugenaussagen konnte nicht bewiesen werden, dass der Mieter tatsächlich gedroht oder den Geschäftsführer körperlich bedroht hatte - im Gegenteil, er hatte sich vielmehr im Streit zurückgezogen, um eine Eskalation zu vermeiden. Seine Aussage, er müsse gehen, bevor er handgreiflich werde, verstand das Gericht nicht als Drohung, sondern als Versuch, die Situation zu beruhigen. Das Gespräch war zwar laut, doch beide Seiten hatten sich wohl deutlich im Ton vergriffen. Das allein reichte daher nicht aus, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der angebliche Vorwurf der Schwarzarbeit konnte ebenso nicht sicher festgestellt werden. Ein Zeuge erklärte, der Mieter habe lediglich über hohe Gartenpflegekosten gesprochen und dabei vermutet, dass etwas nicht korrekt abgerechnet worden sei. Und selbst, wenn er den Verdacht geäußert hätte, wäre das nach Ansicht des Gerichts kein so schweres Fehlverhalten gewesen, dass es eine sofortige Beendigung des Mietverhältnisses gerechtfertigt hätte. Insgesamt war der Vermieterin die Fortsetzung des Mietverhältnisses zuzumuten.

Hinweis: Nicht jede hitzige Auseinandersetzung zwischen Mieter und Vermieter ist ein Kündigungsgrund. Wer sich im Streit zurücknimmt oder die Situation abbricht, zeigt Deeskalation - und das spricht gegen eine fristlose Kündigung.


Quelle: AG Saarbrücken, Urt. v. 12.02.2025 - 3 C 181/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Nicht unabwendbarer Unfall: Mithaftung trotz Rotlichtverstoßes des Unfallgegners

Wer durch einen Rotlichtverstoß einen Unfall verursacht, ist doch wohl zu 100 % daran schuld, oder etwa nicht? Der Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) zeigt, dass sich die mutmaßlich unschuldig Geschädigten nicht zu schnell zurücklehnen sollten. Denn wie immer zahlen auch beim Offensichtlichen die Gesamtumstände ein, die hier selbst die Vorinstanz nicht gänzlich erfasst hatte.

Wer durch einen Rotlichtverstoß einen Unfall verursacht, ist doch wohl zu 100 % daran schuld, oder etwa nicht? Der Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) zeigt, dass sich die mutmaßlich unschuldig Geschädigten nicht zu schnell zurücklehnen sollten. Denn wie immer zahlen auch beim Offensichtlichen die Gesamtumstände ein, die hier selbst die Vorinstanz nicht gänzlich erfasst hatte.

Der Kläger fuhr mit dem Pkw seines Vaters innerorts in südliche Fahrtrichtung, der Beklagte kam ihm mit einem Linienbus aus nördlicher Richtung entgegen. Der Kläger ordnete sich im Kreuzungsbereich auf der Linksabbiegerspur hinter vier weiteren Fahrzeugen ein und fuhr nach dem Umschalten des Linksabbiegerpfeils auf Grün als fünftes und letztes Fahrzeug in die Kreuzung ein, um zu wenden. Der ihm entgegenkommende Beklagte kollidierte mit seinem Bus bei seiner Geradeausfahrt mit dem Fahrzeug des Klägers. Das Frankfurter Landgericht (LG) hatte der Schadensersatzklage bei Annahme einer alleinigen Haftung des Beklagten überwiegend stattgegeben. Doch das ließ der Busfahrer nicht auf sich sitzen, so dass die Sache vor dem OLG landete.

Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG entschieden, dass auch den Kläger eine Mithaftung trifft - und zwar in Höhe von 1/5. Somit greift zu Lasten des beklagten Busfahrers eine Haftung von 4/5. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war davon auszugehen, dass der Unfall für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis gewesen sei. Zu Lasten des Beklagten ging, dass die Ampel für den Bus unmittelbar vor der Kollision bereits seit mindestens 22 Sekunden Rot gezeigt hatte. Dass eine Fehlschaltung in Form eines sogenannten "feindlichen Grüns" (beispielsweise bei einem Defekt der Ampelanlage) vorgelegen hat, war auszuschließen. Darüber hinaus musste berücksichtigt werden, dass der Busfahrer mit 58 km/h - und damit mit leicht überhöhter Geschwindigkeit - gefahren war. Zu Lasten des Klägers sprach hingegen, dass dieser sich ungewöhnlich lange im Kreuzungsbereich aufgehalten hatte. Er beabsichtigte, unter Nutzung der Linksabbiegespur ein Wendemanöver durchzuführen. Dadurch habe er sich infolge der geringeren Geschwindigkeit länger (9 Sekunden) als üblich (4 bis 4,5 Sekunden) im Kreuzungsbereich aufgehalten. Er hätte die Kollision mit dem für ihn sichtbaren Bus bei rechtzeitiger Bremsung also vermeiden können. Zu guter Letzt war auch noch von einem Gelblichtverstoß des Klägers auszugehen. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge auf Seiten des Beklagten (Rotlichtverstoß, überhöhte Geschwindigkeit und erhöhte Betriebsgefahr des Busses) und des Klägers (Gelblichtverstoß, längeres Aufhalten im Kreuzungsbereich infolge Wendemanövers) führte zu einer Haftungsverteilung von 4/5 zu Lasten des Beklagten und 1/5 zu Lasten des Klägers.

Hinweis: Ist ein Verkehrsunfall für keinen der Beteiligten unabwendbar, sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge am Zustandekommen des Unfalls zu würdigen. Der Rotlichtverstoß des Busfahrers wiegt deutlich schwerer als der Gelblichtverstoß des Pkw-Fahrers.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.09.2025 - 10 U 213/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Überholverbot außer Kraft: Linksabbiegender haftet nach Kollision mit Einsatzfahrzeug unter Vollalarm

Blaulicht und Sirene bedeuten Vollalarm und setzen die Rücksicht aller anderen Verkehrsteilnehmer voraus. Denn sie signalisieren, dass die sogenannte Wege- und Sonderrechte in Anspruch genommen werden. Wer sich weder an das signalisierte "Platz da, Menschen in Not" hält noch alle dazu notwendigen Vorsichtsmaßnahmen einhält, um weitere Gefahren abzuwenden, zieht im Schadensfall den Kürzeren. Das hat auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) so bewerten müssen.

Blaulicht und Sirene bedeuten Vollalarm und setzen die Rücksicht aller anderen Verkehrsteilnehmer voraus. Denn sie signalisieren, dass die sogenannte Wege- und Sonderrechte in Anspruch genommen werden. Wer sich weder an das signalisierte "Platz da, Menschen in Not" hält noch alle dazu notwendigen Vorsichtsmaßnahmen einhält, um weitere Gefahren abzuwenden, zieht im Schadensfall den Kürzeren. Das hat auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) so bewerten müssen.

Eine Frau war mit ihrem Auto auf einer Straße unterwegs, auf der ein Überholverbot galt. Sie verließ sich auf diese Beschilderung und wollte links in eine Tankstelleneinfahrt einbiegen. In genau diesem Moment wurde sie von einem Einsatzfahrzeug einer Hundestaffel überholt, das unter sogenanntem Vollalarm auf dem Weg zu einer Bombenentschärfung war. Dennoch knallte es, aber nun wegen der erfolgten Kollision der beiden Fahrzeuge. Die Autofahrerin war jetzt erwartungsgemäß der Ansicht, dass sie sich auf das Überholverbot habe verlassen dürfen, und forderte Schadensersatz. Ebenso zu erwarten war die Replik der Versicherung; die nämlich verweigerte die geforderte Zahlung unter Hinweis auf die Sonderrechte des Einsatzfahrzeugs.

Das OLG wies die Klage ab. Zum einen spreche der Beweis des ersten Anscheins regelmäßig für ein Verschulden der Linksabbiegerin, wenn es zu einer Kollision kommt. Dieser Beweis war hier auch nicht durch das geltende Überholverbot erschüttert, denn die Frau hätte den Schulterblick machen müssen. Und natürlich waren dem Einsatzfahrzeug Sonderrechte eingeräumt, so dass es berechtigt war, gegen das Überholverbot zu verstoßen. Es war somit von einem alleinigen Verschulden der Autofahrerin auszugehen.

Hinweis: Das Einsatzfahrzeug war wegen der Alarmierung auf berechtigter Einsatzfahrt gewesen und daher von den Regeln der Straßenverkehrsordnung - insbesondere dem Überholverbot - befreit. Bei einer Einsatzfahrt dürften Fahrer grundsätzlich davon ausgehen, dass wegen der gebotenen Eile Sonderrechte in Anspruch genommen werden dürfen und diese auch beachtet werden.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 06.06.2025 - 7 U 87/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Streit der Erbengemeinschaft: Keine Einrichtung einer Nachlasspflegschaft, wenn lediglich die Erbquoten strittig sind

Eine Nachlasspflegschaft kann angeordnet werden, um den Nachlass einer verstorbenen Person zu sichern und zu verwalten, wenn kein handlungsfähiger Erbe vorhanden oder bekannt ist. Das Oberlandesgericht München (OLG) musste kürzlich entscheiden, ob eine Nachlasspflegschaft angeordnet werden muss, wenn zwar Uneinigkeit über die Erbquoten besteht, die Erben selbst aber feststehen.

Eine Nachlasspflegschaft kann angeordnet werden, um den Nachlass einer verstorbenen Person zu sichern und zu verwalten, wenn kein handlungsfähiger Erbe vorhanden oder bekannt ist. Das Oberlandesgericht München (OLG) musste kürzlich entscheiden, ob eine Nachlasspflegschaft angeordnet werden muss, wenn zwar Uneinigkeit über die Erbquoten besteht, die Erben selbst aber feststehen.

Ein verwitweter Mann hatte in einem Testament seine zweite Ehefrau und seine drei Kinder aus erster Ehe zu Erben bestimmt. Nach seinem Tod kam es zwischen den Erben zum Streit darüber, wer welchen Anteil am Nachlass erhalten sollte. Die Ehefrau wollte die Hälfte des Nachlasses beanspruchen, während die Kinder von einer gleichmäßigen Verteilung zu je einem Viertel ausgingen. Da die Kinder ohne Zustimmung der Ehefrau über Nachlassgegenstände verfügten, beantragte sie beim Nachlassgericht die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft. Das Amtsgericht gab dem Antrag zunächst statt.

Das OLG hob diese Entscheidung jedoch auf. Es stellte klar, dass die Bestellung eines Nachlasspflegers nach dem Gesetz nur dann zulässig ist, wenn der oder die Erben unbekannt sind - wenn also unklar ist, wer überhaupt erbt. Das war hier allerdings nicht der Fall: Die Erben waren namentlich bekannt und hatten die Erbschaft teils ausdrücklich, teils stillschweigend angenommen. Der Streit betraf nur die Höhe der jeweiligen Anteile. Solche Meinungsverschiedenheiten gehören zur internen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, rechtfertigen aber keine Nachlasspflegschaft.

Hinweis: Eine Nachlasspflegschaft dient allein der Sicherung des Nachlasses, wenn also unklar ist, wer Erbe ist oder ob jemand die Erbschaft annimmt. Sobald die Erben feststehen, bleiben Verwaltung und Klärung interner Streitfragen Sache der Erbengemeinschaft selbst.
 
 
 


Quelle: OLG München, Beschl. v. 27.10.2025 - 33 Wx 219/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Teure Pflichtverletzung: Betriebskosten dürfen nur in Ausnahmefällen anders verteilt werden als bislang üblich

In diesem Fall stolperte eine Vermieterin über ihre eigenen Füße. Denn das Landgericht Hanau (LG) bestätigte zwar, dass eine Änderung des Verteilungsschlüssels in der Betriebskostenabrechnung auch ohne Zustimmung des Mieters legitim sein kann. Doch dafür braucht es eine diese Ausnahme eindeutig begründende Argumentation. Und nun raten Sie mal, woran die Vermieterin am Ende völlig zu Recht scheiterte.

In diesem Fall stolperte eine Vermieterin über ihre eigenen Füße. Denn das Landgericht Hanau (LG) bestätigte zwar, dass eine Änderung des Verteilungsschlüssels in der Betriebskostenabrechnung auch ohne Zustimmung des Mieters legitim sein kann. Doch dafür braucht es eine diese Ausnahme eindeutig begründende Argumentation. Und nun raten Sie mal, woran die Vermieterin am Ende völlig zu Recht scheiterte.

Die Vermieterin verlangte von einem Mieter Nachzahlungen aus mehreren Betriebskostenabrechnungen sowie offene Mieten. Der Mieter zahlte jedoch nicht, weil er bemerkt hatte, dass die Vermieterin die Abrechnungen geändert hatte. Statt wie bisher nach Anzahl der im Haus lebenden Personen rechnete sie nun nach der Wohnfläche ab - was dazu führte, dass der Mieter mehr zahlen sollte. Er zog die zu viel berechneten Beträge sowie die Kosten für seinen Anwalt von den geforderten Nachzahlungen ab.

Das erstinstanzliche Amtsgericht gab ihm weitgehend recht und auch das LG sah keinen Grund, die Berechnungsweise der Vermieterin zu akzeptieren. Nach der Entscheidung des Gerichts war der ursprünglich verwendete Schlüssel nach Personen weiterhin verbindlich. Eine Änderung durfte nur mit Zustimmung des Mieters erfolgen. Nur wenn es für den Vermieter unzumutbar sei, den bisherigen Schlüssel weiterhin anzuwenden, könne  eine Anpassung ausnahmsweise erlaubt sein. Die Vermieterin behauptete zwar, es sei kaum möglich, die genaue Zahl der Bewohner festzustellen, doch diese Begründung überzeugte das LG nicht. Denn an anderer Stelle derselben Abrechnung verwendete sie den alten Schlüssel weiter - ohne zu erklären, warum dort keinerlei Probleme bestünden. Dadurch habe sie ihr Recht auf Änderung insgesamt verloren. Der Mieter durfte daher die überhöhten Kosten mit seinen Ansprüchen verrechnen und bekam zusätzlich die Anwaltskosten ersetzt, da die falsche Abrechnung eine Pflichtverletzung darstellte.

Hinweis: Vermieter können den Verteilungsschlüssel für Betriebskosten nur in Ausnahmefällen einseitig ändern. Wer an mehreren Stellen unterschiedlich abrechnet, riskiert, den Anspruch auf eine Änderung zu verlieren.


Quelle: LG Hanau, Urt. v. 15.08.2025 - 32 C 16/25
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Finger weg! Benutzung des Touchdisplay einer E-Zigarette fällt auch unter das "Handyverbot"

Was einst als "Handyverbot" gestartet ist, umfasst mittlerweile immer mehr Geräte, die am Steuer um unsere Aufmerksamkeit ringen. Und man darf gewiss sein, dass sich künftig noch mehr technische "Helferlein" um unser Interesse reißen werden. Deshalb gilt prinzipiell: Hände ans Lenkrad, Blick und Konzentration auf die Fahrsituation! Sonst findet man sich vor Gericht wieder, so wie in diesem Fall vor dem Oberlandesgericht Köln (OLG).

Was einst als "Handyverbot" gestartet ist, umfasst mittlerweile immer mehr Geräte, die am Steuer um unsere Aufmerksamkeit ringen. Und man darf gewiss sein, dass sich künftig noch mehr technische "Helferlein" um unser Interesse reißen werden. Deshalb gilt prinzipiell: Hände ans Lenkrad, Blick und Konzentration auf die Fahrsituation! Sonst findet man sich vor Gericht wieder, so wie in diesem Fall vor dem Oberlandesgericht Köln (OLG).

Ein Mann war im März 2024 auf einer Autobahn von zwei Polizeibeamten dabei beobachtet worden, wie er am Steuer seines fahrenden Autos Tippbewegungen auf einem Gerät vornahm. Die Beamten gingen dabei von der naheliegenden Nutzung eines Mobiltelefons aus. Die Stadt Siegburg verhängte gegen den Autofahrer deshalb eine Geldbuße über 150 EUR. Der Einspruch des Betroffenen hatte vor dem Siegburger Amtsgericht im Ergebnis keinen Erfolg. In der Beweisaufnahme stellte sich aber heraus, dass der Autofahrer kein Handy benutzt, sondern den Stärkegrad seiner E-Zigarette auf deren Touchdisplay geändert hatte.

Die vom OLG zugelassene Rechtsbeschwerde des Autofahrers hatte in der Sache dennoch keinen Erfolg. Das Tippen auf dem Touchdisplay einer E-Zigarette zur Veränderung ihres Stärkegrads verstößt ebenfalls gegen das Verbot der Nutzung elektronischer Geräte durch Fahrzeugführende. Eine E-Zigarette mit Touchdisplay ist ein Gerät mit "Berührungsbildschirm" im Sinne der einschlägigen Vorschrift, die das sogenannte Handyverbot regelt. Zudem hält eine E-Zigarette auch weitere Informationen bereit, sobald die veränderte Dampfstärke auf einem Touchdisplay angezeigt wird. Zwar bestehe der Zweck einer E-Zigarette in erster Linie in der Produktion von Dämpfen zum Einatmen. Die Regelung der Dampfstärke über ein Touchdisplay stelle aber eine Hilfsfunktion dar, die ihre Hauptfunktion unterstützt. Ihre Bedienung begründe auch ein erhebliches Ablenkungspotential für den Fahrzeugführer, das sich nicht von der Veränderung der Lautstärke eines Mobiltelefons unterscheidet. Daher liegt in der Einstellung der Dampfstärke über das Touchdisplay ein verbotswidriges Benutzen.

Hinweis: Unter das Handyverbot fallen alle elektronischen Geräte, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen und dafür in der Hand gehalten werden, wie Mobiltelefone, Smartphones, Tablets und Navigationsgeräte. Auch andere Geräte, die diese Funktionen haben können - wie elektronische Terminplaner, E-Book-Reader, Laptops, Smartwatches, Videorekorder und Audiorekorder - sind eingeschlossen.


Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 25.09.2025 - III-1 ORbs 139/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Entscheidungszeitpunkt entscheidet: Gesetzlicher Schwellenwert für Kündigungsschutz nicht durch Staffelentlassungen absenkbar

Auch in diesem Arbeitsrechtsfall war das "Was" untrennbar mit dem "Wann" verbunden. Bei Ersterem handelte es sich um einen geplanten Personalabbau und die schließlich auch durchgeführten Kündigungen. Das "Wann" spielte für das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) dabei das entscheidende Zünglein an der Waage. Denn zum tatsächlichen Kündigungszeitpunkt waren nur noch fünf Beschäftigte übrig - zu wenig für den gesetzlichen Kündigungsschutz.

Auch in diesem Arbeitsrechtsfall war das "Was" untrennbar mit dem "Wann" verbunden. Bei Ersterem handelte es sich um einen geplanten Personalabbau und die schließlich auch durchgeführten Kündigungen. Das "Wann" spielte für das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) dabei das entscheidende Zünglein an der Waage. Denn zum tatsächlichen Kündigungszeitpunkt waren nur noch fünf Beschäftigte übrig - zu wenig für den gesetzlichen Kündigungsschutz.

Ein Konstrukteur war seit 2004 in einem großen Konzern mit fast 49.000 Beschäftigten angestellt. Nach fast 20 Jahren wurde seine Abteilung im Juli 2023 auf ein anderes Unternehmen übertragen. Er und 37 Kollegen lehnten den Übergang ab. Dadurch blieb ein sogenannter Restbetrieb beim bisherigen Arbeitgeber bestehen, bei dem sie weiterarbeiteten. Die Firma teilte ihm mit, dass er vorerst dort verbleiben könne. In den folgenden Monaten bewarb er sich intern auf neue Stellen, erhielt jedoch keine Zusage. Schließlich kündigte ihm das Unternehmen im Februar 2024 zum 31.08.2024. Zu diesem Zeitpunkt waren im Restbetrieb nur noch fünf Personen beschäftigt. Der Konstrukteur hielt die Kündigung für unwirksam und meinte, dass das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) greifen müsse, weil im Juli 2023 - also beim Entstehen des Restbetriebs - noch deutlich mehr als zehn Beschäftigte dort tätig gewesen seien. Die Firma sah das anders und argumentierte, der Betrieb gelte wegen der geringen Anzahl an Arbeitnehmern zum Kündigungszeitpunkt als Kleinbetrieb.

Das Arbeitsgericht folgte zunächst der Ansicht des Unternehmens. Doch in der Berufung bekam der Beschäftigte recht. Das LAG stellte klar, dass für die Anwendung des KSchG die Mitarbeiterzahl zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Personalabbau zähle. Wenn ein Arbeitgeber eine einheitliche Abbauplanung verfolge, könne er den Schutz der Beschäftigten nicht dadurch umgehen, dass er Kündigungen zeitlich versetzt ausspreche. Entscheidend sei, wie viele Personen ursprünglich von der Maßnahme betroffen gewesen seien. So werde verhindert, dass Unternehmen durch gestaffelte Entlassungen den gesetzlichen Schwellenwert von mehr als zehn Beschäftigten unterlaufen.

Hinweis: Für die Anwendung des KSchG zählt der Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung, nicht der Zugang der Kündigung. Arbeitgeber sollten deshalb ihre Personalplanungen genau dokumentieren.


Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 25.07.2025 - 12 SLa 640/25
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Staatliches Ordnungsinteresse: Auch bei nicht geklärter Identität eines Elternteils muss ein Kind einen Namen haben

Wie selbstverständlich tragen wir alle unseren Nachnamen, ob den ursprünglichen Familiennamen oder den freiwillig angenommenen Namen nach einer Heirat. Aber was ist, wenn der Name des namensgebenden Elternteils nicht bekannt bzw. nicht nachgewiesen ist - welchen Namen trägt dann das Kind?

Wie selbstverständlich tragen wir alle unseren Nachnamen, ob den ursprünglichen Familiennamen oder den freiwillig angenommenen Namen nach einer Heirat. Aber was ist, wenn der Name des namensgebenden Elternteils nicht bekannt bzw. nicht nachgewiesen ist - welchen Namen trägt dann das Kind?

Die Eltern des Kindes, das im August 2022 geboren wurde, sind afghanische Staatsangehörige. Nach der Geburt ihres Kindes wählten die Eltern für die Namensführung des Kindes das deutsche Recht und bestimmten den Namen des Vaters zum Geburtsnamen des Kindes. Sowohl Identität des Vaters als auch die Eheschließung der Eltern konnten nicht nachgewiesen werden. Davon ungeachtet hatte der Vater die Vaterschaft jedoch anerkannt, und das bereits vor der Geburt. Dennoch erfolgte die Eintragung des Kindes im Geburtenregister zunächst mit dem Namen der Mutter. Das Standesamt trug das Kind dann mit dem Namen des Vaters ein - mit dem Zusatz "Namensführung nicht nachgewiesen". Die Standesamtsaufsicht legte dagegen Beschwerde ein.

Die Beschwerde wurde durch den Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Eltern dürfen wählen, welchen Namen das Kind tragen und wie es im Personenstandsregister eingetragen werden soll. Ist der gewählte Name des Elternteils nicht nachgewiesen, ist im Geburtenregister als gewählter Geburtsname des Kindes der vom Elternteil tatsächlich geführte Name mit dem einschränkenden Zusatz "Namensführung nicht nachgewiesen" zu beurkunden. Denn nur so kann dem staatlichen Ordnungsinteresse an der lückenlosen Registrierung feststehender Personenstandsfälle Rechnung getragen werden.

Hinweis: Wir leben in einer Zeit, in der leider viele Kriege toben. Viele Menschen müssen ihre Heimat schnell und oft auch ohne Papiere verlassen. Namen können dann nicht immer nachgewiesen werden, und trotzdem müssen die Kinder erfasst werden. Da ist es nur richtig und auch pragmatisch, wenn die "Nichtnachweisbarkeit" erfasst wird. Dennoch sollten betroffene Eltern versuchen, so viel "Namensbelege" wie möglich vorzulegen.


Quelle: BGH, Beschl. v. 01.10.2025 - XII ZB 503/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Arbeitgeber muss nicht warten: Kein Sozialplan, wenn Betriebsrat erst nach Beginn von Betriebsänderungen gegründet wird

Die Zeiten zurückdrehen zu können, wünschten sich offensichtlich einige Arbeitnehmer, die sich mit ihrer Kündigung konfrontiert sahen. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) musste aber im Hier und Jetzt entscheiden und darüber befinden, ob ein Betriebsrat einen Anspruch auf einen Sozialplan haben kann, wenn der Arbeitgeber bereits mit der Betriebsänderung begonnen hatte, als der Betriebsrat noch gar nicht existierte.

Die Zeiten zurückdrehen zu können, wünschten sich offensichtlich einige Arbeitnehmer, die sich mit ihrer Kündigung konfrontiert sahen. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) musste aber im Hier und Jetzt entscheiden und darüber befinden, ob ein Betriebsrat einen Anspruch auf einen Sozialplan haben kann, wenn der Arbeitgeber bereits mit der Betriebsänderung begonnen hatte, als der Betriebsrat noch gar nicht existierte.

Ein Unternehmen, das Parkräume bewirtschaftete, hatte seinen Hauptsitz in Deutschland als europäisches Zentrum des Konzerns genutzt. Ende März 2025 arbeiteten dort noch 46 Personen. Anfang April kündigte die Firma 32 Beschäftigten, weil große Teile des Betriebs verlagert werden sollten. Den Betroffenen bot das Unternehmen Abwicklungsverträge mit Abfindungen an. Einige Kündigungen betrafen auch Beschäftigte mit besonderem Kündigungsschutz. Erst nach diesen Kündigungen wurde ein Betriebsrat gewählt. Die Wahl fand im April 2025 statt, die erste Sitzung war am 23.04. Der Betriebsrat wollte eine Einigungsstelle einsetzen lassen, um über einen Sozialplan zu verhandeln. Er war der Meinung, die Kündigungen seien Teil einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung. Außerdem habe die Unternehmensleitung auf einer Versammlung im März 2025 falsche Angaben zum Stand der Planungen gemacht, um die Wahl des Betriebsrats zu verzögern.

Das Arbeitsgericht lehnte den Antrag ab, und auch das LAG bestätigte diese Entscheidung. Es bestehe schlichtweg kein Anspruch auf einen Sozialplan, wenn der Arbeitgeber mit der Maßnahme bereits begonnen hat, bevor ein Betriebsrat gebildet wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müsse ein Arbeitgeber in diesem Fall nicht abwarten und darf mit der Umsetzung starten, sofern er die Gründung eines Betriebsrats nicht behindert. Auch die Täuschung über den Planungsstand änderte daran nichts. Zwar könne eine solche Täuschung Schadensersatzansprüche begründen, jedoch diene sie nicht dem Zweck, die rechtzeitige Bildung eines Betriebsrats zu sichern. Das LAG stellte außerdem klar, dass es keinen rechtlichen "Wettlauf" zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gebe. Der Arbeitgeber darf die Umsetzung einer Maßnahme sogar beschleunigen, wenn die Entscheidung bereits gefallen ist.

Hinweis: Ein Sozialplan kann nur verlangt werden, wenn der Betriebsrat schon existiert, bevor die Betriebsänderung beginnt. Arbeitgeber dürfen geplante Maßnahmen durchführen, ohne auf die Wahl des Betriebsrats zu warten.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.09.2025 - 2 TaBV 2/25
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Umgangsrecht: Näherungsverbot gegen den Stiefvater ist selbst durch Mutter nicht anfechtbar

Wenn gegen den Stiefvater eines Kindes ein Näherungsverbot ausgesprochen wird, obwohl ein Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist, kann die Ehefrau und Mutter des Kindes ein Beschwerdeverfahren dagegen einlegen - oder etwa nicht? Nein, sagt das Oberlandesgericht Rostock (OLG), und legt eine eindeutige Begründung seiner Entscheidung vor.

Wenn gegen den Stiefvater eines Kindes ein Näherungsverbot ausgesprochen wird, obwohl ein Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist, kann die Ehefrau und Mutter des Kindes ein Beschwerdeverfahren dagegen einlegen - oder etwa nicht? Nein, sagt das Oberlandesgericht Rostock (OLG), und legt eine eindeutige Begründung seiner Entscheidung vor.

Die alleinsorgeberechtigte Mutter hatte drei Kinder, unter anderem das betreffende im Mai 2014 geborene Mädchen. Zum leiblichen Vater bestand kein Kontakt. Bis zu seiner Wegweisung durch die Polizei, also einer Wohnungsverweisung kombiniert mit einem Rückkehr- und Betretungsverbot, im Juli 2024 wohnte dort auch der Ehemann der Mutter, somit der Stiefvater der Tochter. Ebenso wurde zu dieser Zeit das mittlerweile knapp zehn Jahre alte Mädchen durch das Jugendamt in Obhut genommen. Das Amt regte an, kindesschutzrechtliche Maßnahmen wie ein Näherungsverbot zu prüfen, da der Verdacht eines schweren sexuellen Missbrauchs durch den Stiefvater vorliege. Das Mädchen wies schwere Verletzungen im Genitalbereich auf, als sie vom Stiefvater ins Krankenhaus gebracht wurde, wo es mehrere Tage bleiben musste. Die Mutter trat dem damit entgegen, dass die Verletzungen durch einen Unfall, einen Sturz auf eine Leitersprosse, entstanden seien. Das einstweilige Näherungsverbot gegen den Stiefvater wurde schließlich im August verfügt, die Mutter legte dagegen Beschwerde ein. Diese wurde vom OLG zurückgewiesen.

Zum einen sind Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen grundsätzlich nicht anfechtbar. Eine Ausnahme hiervon bestehe nur dann, wenn "über die elterliche Sorge für ein Kind" entschieden werde. Dies lag hier nicht vor. Zum anderen war entscheidend, dass hier keine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung der Mutter vorlag. Und wessen Rechte durch eine getroffene Entscheidung nicht beeinträchtigt wurden, kann auch keine Beschwerde dagegen einlegen.

Hinweis: Die Entscheidung ist absolut nachvollziehbar und richtig. Natürlich sollen Familien nach Möglichkeit zusammengeführt werden - hier aber ging es um das Kindeswohl. Es muss sicher und abschließend geklärt sein, dass vom Stiefvater keine Gefahr ausgeht, bevor man ihn wieder zu dem Mädchen lässt. Und genau das Kindeswohl muss in solchen Prozessen auch immer das Hauptargument sein.


Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 21.10.2025 - 10 UF 84/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Selbstbestimmung im Umgangsrecht: Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass verbindliche Umgangsregelung kein Muss ist

Eltern, die den Umgang mit ihren Kindern gerichtlich regeln lassen wollen, können sich grundsätzlich auf Art. 6 Grundgesetz (GG - Schutz von Ehe und Familie) berufen. Zu beachten ist hierbei das Wort "grundsätzlich" - denn trotz des Grundrechts müssen die Fachgerichte hier nicht immer eine Entscheidung treffen. So nahm das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsbeschwerden zweier Eltern nicht an.

Eltern, die den Umgang mit ihren Kindern gerichtlich regeln lassen wollen, können sich grundsätzlich auf Art. 6 Grundgesetz (GG - Schutz von Ehe und Familie) berufen. Zu beachten ist hierbei das Wort "grundsätzlich" - denn trotz des Grundrechts müssen die Fachgerichte hier nicht immer eine Entscheidung treffen. So nahm das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsbeschwerden zweier Eltern nicht an.

Eltern haben das Recht und die Pflicht, Kontakt zu ihrem Kind zu pflegen. Können sich getrennt lebende Eltern nicht einigen, trifft das Familiengericht eine entsprechende Umgangsregelung, mit der ein konkreter Umgang durchgeführt oder gar der Umgang ausgeschlossen werden soll. Doch es gibt auch Ausnahmefälle.

  • In einem Fall sagte der Sohn, dass er zwar Interesse an seinem Vater habe, aber selbst entscheiden wolle, wann er ihn sehe. Also traf das mit der Sache befasste Familiengericht keine Entscheidung, um das Selbstbestimmungsrecht des Kindes zu achten.
  • Im zweiten Fall hatte eine Mutter seit Jahren keinen Kontakt zu ihrem Kind, das beim Vater lebte, und beantragte mehrfach eine Umgangsregelung. Doch das Familiengericht traf keine, da die Mutter eine längerfristige professionelle Begleitung der Treffen ablehnte. Das Gericht war überzeugt, dass ohne eine entsprechende Umgangsbegleitung eine Kindeswohlgefährdung drohe.

In beiden Fällen stützte das BVerfG die Entscheidungen der Gerichte. Es forderte aber auch, dass die Fachgerichte bei einem länger andauernden oder unbefristeten Umgangsausschluss die drohenden kindlichen Schäden konkret benennen müssen - sonst sei der Eingriff in Art. 6 GG zu groß.

Hinweis: Über allem steht das Kindeswohl. Schadet der Umgang dem Kind oder ist das Kind schon reif genug, um zu sagen "Ich will über den Umgang bestimmen", kann das Gericht von einer Umgangsregelung absehen. Als Elternteil, der einen Umgang gerichtlich regeln will, muss man also genau darlegen, warum der Umgang dem Kindeswohl dienlich sein kann, und darauf achten, dass das Gericht sauber und konkret benennt, warum es das Kindeswohl gefährdet sieht.


Quelle: BVerfG, Beschl. v. 08.10.2025 - 1 BvR 316/24 und 1 BvR 810/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Vertrauen zerstört: Fristlose Kündigung nach körperlicher Attacke auf Vorgesetzten rechtens

Ab wann sich ein Mensch bedroht fühlt, ist immer individuell, so dass es eindeutiger Grenzen bedarf, wo verschiedenste Menschen miteinander klarkommen müssen. Dennoch waren sich in diesem Fall Arbeitsgericht (ArbG) und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) nicht einig. Im Raum stand die fristlose Kündigung nach einer Attacke ohne schwere Gewalt.

Ab wann sich ein Mensch bedroht fühlt, ist immer individuell, so dass es eindeutiger Grenzen bedarf, wo verschiedenste Menschen miteinander klarkommen müssen. Dennoch waren sich in diesem Fall Arbeitsgericht (ArbG) und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) nicht einig. Im Raum stand die fristlose Kündigung nach einer Attacke ohne schwere Gewalt.

Der Mann arbeitete seit Anfang 2019 als Be- und Entlader und nutzte während seiner Arbeitszeit sein privates Handy, obwohl das im Betrieb verboten war. Als sein Gruppenleiter ihn darauf hinwies, reagierte der Mann heftig. Er schrie den Vorgesetzten mit den Worten "Hau ab hier!" an, stieß ihn an der Schulter und trat in seine Richtung, wobei es zu einer leichten Berührung kam. Anschließend drohte er mit weiteren Worten und erhobenem Zeigefinger, bevor er wieder auf sein Handy schaute. Der gesamte Vorfall wurde auf Video festgehalten. Drei Tage später informierte die Firma den Betriebsrat über die geplante Kündigung. Nachdem dieser zugestimmt hatte, wurde das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich beendet. Der Beschäftigte wehrte sich dagegen vor Gericht.

Das ArbG gab ihm zunächst recht, doch das LAG sah das anders und bestätigte die Kündigung. Nach Ansicht des LAG lag ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Bürgerliches Gesetzbuch vor. Auch wenn der Angriff keine erheblichen Verletzungen verursachte, war das Verhalten so respektlos und aggressiv, dass der Arbeitgeber die Zusammenarbeit nicht mehr fortsetzen musste. Der Vorgesetzte hatte sich korrekt verhalten und auf die Einhaltung der betrieblichen Regeln geachtet. Das Gericht betonte, dass schon die verbale Aufforderung "Hau ab hier!" eine erhebliche Pflichtverletzung darstellte. Durch das Stoßen und Treten verschärfte der Mann die Situation zusätzlich. Eine Abmahnung sei daher überflüssig gewesen, da das Vertrauen endgültig zerstört war.

Hinweis: Wer seinen Vorgesetzten körperlich angreift, riskiert stets den sofortigen Verlust des Arbeitsplatzes. Auch kleine körperliche Gesten können schwerwiegende Folgen haben, wenn sie mit Respektlosigkeit verbunden sind. Arbeitgeber sollten solche Vorfälle genau dokumentieren.


Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 25.08.2025 - 15 SLa 315/25
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Inobhutnahme: Lebensbedrohliche Misshandlung eines Säuglings unter elterlicher Obhut

War ein wenige Wochen alter Säugling unter elterlicher Obhut, wo er schwerste Verletzungen erleidet, muss davon ausgegangen werden, dass mindestens ein Elternteil dafür verantwortlich ist. Was aber, wenn die Umstände nicht näher aufgeklärt werden können? Darf das Jugendamt dennoch die Erziehungsrechte übernehmen? Das Oberlandesgericht Hamm (OLG) war gefragt.

War ein wenige Wochen alter Säugling unter elterlicher Obhut, wo er schwerste Verletzungen erleidet, muss davon ausgegangen werden, dass mindestens ein Elternteil dafür verantwortlich ist. Was aber, wenn die Umstände nicht näher aufgeklärt werden können? Darf das Jugendamt dennoch die Erziehungsrechte übernehmen? Das Oberlandesgericht Hamm (OLG) war gefragt.

Die Mutter des Babys war allein sorgeberechtigt. Am 14.06.2023 stellten die Eltern das Baby zur Untersuchung "U3" der Kinderärztin vor. Diese stellte Auffälligkeiten fest und wies das Baby wegen des Verdachts auf eine Infektion in die Kinderklinik ein. Dort wurde ein lebensbedrohlicher Zustand nach Reihenfraktur von insgesamt neun Rippen festgestellt. Die Klinik informierte das Jugendamt, da diese Verletzungen nur durch eine sehr massive Gewaltanwendung hervorgerufen worden sein konnten. Die Eltern gaben ein mögliches Unfallereignis an, was aber nicht glaubhaft erschien, so dass das Kind in Obhut genommen wurde. Ein Strafverfahren wurde durchgeführt, und das rechtsmedizinische Gutachten stützte die Ansicht des Krankenhauses. Allerdings konnten die Eltern nicht strafrechtlich verurteilt werden, da nicht feststellbar war, ob Vater oder Mutter oder beide gemeinschaftlich gehandelt haben. Dennoch wurden der Kindesmutter die Erziehungsrechte umfassend entzogen und auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen. Dagegen legte die Mutter Beschwerde ein.

Sie scheiterte vor dem OLG. Denn dieses teilte die Ansicht, dass in den Fällen, in denen Eltern nicht in der Lage seien, Gefahren vom Kind abzuwenden, ihnen die elterliche Sorge ganz oder teilweise entzogen werden müsse. Eine Kindeswohlgefährdung setze dabei eine gegenwärtige, in solchem Maß vorhandene Gefahr voraus, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen, seelischen oder körperlichen Wohls des Kindes voraussehen ließe. Hier ist das Kind bereits massiv geschädigt worden, und bei dem Tathergang muss davon ausgegangen werden, dass sich die Gefahr durch die Eltern jederzeit wieder realisieren kann. Davor muss das Kind geschützt werden.

Hinweis: Das Kindeswohl steht über allem, auch über dem Erziehungsrecht der Eltern. Es wäre nicht auszudenken, dass das Kind den Eltern zurückgegeben wird und es in der Folge zu weiteren Verletzungen oder gar zum Tod des Kindes kommt.


Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 16.07.2025 - 4 UF 213/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Kindergeld: Wechselmodell bringt anteiliges Elterngeld

Kindergeld wird immer von nur einem Elternteil bezogen. Solange die Eltern zusammenleben, ist das kein Problem, das Kindergeld fließt dann in den gemeinsamen Haushalt. Im Fall der Trennung muss dann aber auch das Kindergeld aufgeteilt werden. Wie es sich dabei mit dem Anspruch des Elternteils verhält, der nicht das Kindergeld bezieht, klärte das Oberlandesgericht Celle (OLG).

Kindergeld wird immer von nur einem Elternteil bezogen. Solange die Eltern zusammenleben, ist das kein Problem, das Kindergeld fließt dann in den gemeinsamen Haushalt. Im Fall der Trennung muss dann aber auch das Kindergeld aufgeteilt werden. Wie es sich dabei mit dem Anspruch des Elternteils verhält, der nicht das Kindergeld bezieht, klärte das Oberlandesgericht Celle (OLG).

Die Eltern dreier Kinder trennten sich. Die Eltern erzogen zwei der Kinder im Wechselmodell. Das dritte Kind blieb ganz bei der Mutter. Die Mutter erhielt das Kindergeld für alle drei gemeinsamen Kinder. Die Eltern forderten sich im Trennungsverfahren nicht nur gegenseitig zur Auskunft über ihre Einkünfte auf; der Vater forderte zudem noch ein Viertel des bezogenen Kindergelds der Mutter.

Das sah das OLG ebenso und verfügte, dass die Mutter dem Vater das Kindergeld anteilig abgeben müsse. Denn im Wechselmodell kann der das Kindergeld nicht beziehende Elternteil ein Viertel des Kindergeldes fordern - auch ohne Vortrag zum Unterhaltsanspruch des Kindes. Jeder Elternteil schulde seinem Kind schließlich Unterhalt. Bezieht ein Elternteil kein Kindergeld, werde der Unterhaltsanspruch entsprechend gemindert. Es kann grundsätzlich kein Kindergeldanteil isoliert gefordert werden. Im Wechselmodell aber kann das anteilige Kindergeld als Ausgleichsanspruch geltend gemacht werden.

Hinweis: Denken Sie an diese Besonderheit, wenn Sie die Kinder im Wechselmodell erziehen, und fordern Sie Ihr anteiliges Kindergeld. Das Kindergeld beträgt noch bis zum 31.12.2025 monatlich 255 EUR pro Kind, ab dem 01.01.2026 monatlich 259 EUR pro Kind - Geld, das im Übrigen für die Kindererziehung eingesetzt werden soll.


Quelle: OLG Celle, Beschl. v. 19.08.2025 - 17 UF 52/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

15.000 EUR Entschädigung: Dauerhafte Kameraüberwachung am Arbeitsplatz kann Arbeitgeber teuer zu stehen kommen

Unternehmen bestehen nachvollziehbarerweise auf die Kontrolle über alle betrieblichen Abläufe. Dass bei der Videoüberwachung des Betriebsgeländes dennoch Vorsicht geboten ist, zeigt dieser Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) landete. Auf dem Richtertisch lag eine fast zwei Jahre andauernde, unzulässige Videoüberwachung am Arbeitsplatz und damit auch eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Unternehmen bestehen nachvollziehbarerweise auf die Kontrolle über alle betrieblichen Abläufe. Dass bei der Videoüberwachung des Betriebsgeländes dennoch Vorsicht geboten ist, zeigt dieser Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) landete. Auf dem Richtertisch lag eine fast zwei Jahre andauernde, unzulässige Videoüberwachung am Arbeitsplatz und damit auch eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Ein Stahlunternehmen hatte auf seinem Betriebsgelände insgesamt 34 Kameras installiert. Diese waren rund um die Uhr mit hoher Bildqualität aktiv - und das auch in den Büroräumen. Die Aufnahmen konnten live eingesehen werden oder bis zu 48 Stunden nach Aufzeichnung, denn so lang wurden sie gespeichert. Entsprechende Hinweisschilder wiesen zwar auf die allgemeine Überwachung hin, doch die Kameras erfassten nahezu alle Bereiche des Betriebs. Ein Produktionsmitarbeiter, der dort seit August 2020 arbeitete, hatte der Überwachung mehrfach widersprochen. Im Arbeitsvertrag stand zwar, dass personenbezogene Daten verarbeitet werden dürften, doch eine ausdrückliche Zustimmung zur Kameraüberwachung lag nicht vor. Schon 2023 hatte es einen Streit über die Kameras gegeben, den beide Seiten damals durch Vergleich beendeten. An der Überwachung änderte sich jedoch nichts. Schließlich verlangte der Mitarbeiter Auskunft über die Aufzeichnungen, Unterlassung der Überwachung - und eine Entschädigung. Das Unternehmen verteidigte sich hingegen mit dem Argument, die Kameras dienten der Sicherheit auf dem Gelände.

Das LAG sah das anders, indem es feststellte, dass die Überwachung übertrieben und rechtswidrig war. Sie griff massiv in das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten ein, weil sie über 22 Monate nahezu ununterbrochen lief. Eine wirksame Einwilligung habe nicht vorgelegen, da Beschäftigte wegen des Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber dem Arbeitgeber ihre Zustimmung nicht frei erteilen könnten. Auch andere Rechtsgrundlagen wie das Bundesdatenschutzgesetz oder die Datenschutz-Grundverordnung rechtfertigten die Maßnahme nicht. Nach Ansicht des Gerichts war die Überwachung unverhältnismäßig, weil keine konkreten Gefahren oder Sicherheitsprobleme belegt worden waren. Wegen der Schwere des Eingriffs und dessen langer Dauer hielt das LAG eine Entschädigung von 15.000 EUR für angemessen.

Hinweis: Dauerhafte Kameraüberwachung ohne rechtliche Grundlage verletzt das Persönlichkeitsrecht. Beschäftigte müssen einer solchen Überwachung freiwillig zustimmen, sonst ist sie unzulässig. Arbeitgeber sollten prüfen, ob Kameras wirklich notwendig sind, und sie nur in Ausnahmefällen einsetzen.


Quelle: LAG Hamm, Urt. v. 28.05.2025 - 18 SLa 959/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Zentrales Schutzrecht: Kein Verzicht auf Arbeitszeugnis vor dem Ende des Jobs möglich

In Sachen Arbeitszeugnis kommt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer wieder zu Streit, der erst von den Gerichten entschieden werden kann. Wäre es da für Arbeitgeber nicht praktisch, diesen Aufwand vertraglich auszuschließen, indem er sich beispielsweise auf ausländisches Recht beruft? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) weiß nicht nur die Antwort auf diese Frage, sondern auch die einleuchtende Begründung - völlig egal, was in anderen Ländern gilt.

In Sachen Arbeitszeugnis kommt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer wieder zu Streit, der erst von den Gerichten entschieden werden kann. Wäre es da für Arbeitgeber nicht praktisch, diesen Aufwand vertraglich auszuschließen, indem er sich beispielsweise auf ausländisches Recht beruft? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) weiß nicht nur die Antwort auf diese Frage, sondern auch die einleuchtende Begründung - völlig egal, was in anderen Ländern gilt.

In dem Fall hatten ein Unternehmen und ein Beschäftigter im Arbeitsvertrag festgelegt, dass das Recht des US-Bundesstaats Illinois gelten sollte. Nach diesem Recht gab es keinen Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Als das Arbeitsverhältnis endete, wollte der Beschäftigte trotzdem ein solches Zeugnis erhalten. Der Arbeitgeber lehnte das ab und verwies auf die Rechtswahl im Vertrag.

Das BAG sah das jedoch anders und legte dar, dass bestimmte Grundregeln des deutschen Arbeitsrechts immer gelten - unabhängig davon, welches ausländische Recht vereinbart wurde. Zu diesen Grundregeln gehört nach § 109 Abs. 1 Gewerbeordnung auch das Recht auf ein qualifiziertes Zeugnis. Dieses Gesetz schützt Beschäftigte und darf nicht durch Vertragsklauseln oder Rechtswahl umgangen werden. Nach Ansicht des Gerichts ist ein Arbeitszeugnis wichtig für die weitere berufliche Laufbahn und beeinflusst die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich. Deshalb durfte auch in diesem Fall niemand im Voraus auf diesen Anspruch verzichten. Die Vereinbarungen, die einen solchen Verzicht vorsahen, waren unwirksam und galten als nichtig. Auch der Hinweis auf ausländisches Recht half dem Arbeitgeber nicht weiter, weil das deutsche Arbeitsrecht in solchen Schutzfragen stets Vorrang hat.

Hinweis: Ein Arbeitszeugnis ist ein zentrales Schutzrecht und kann nicht durch Vertragsklauseln ausgeschlossen werden. Selbst wenn im Vertrag ausländisches Recht gilt, bleibt der Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis bestehen. Arbeitgeber sollten daher keine derartigen Verzichtsregelungen aufnehmen.


Quelle: BAG, Urt. v. 18.06.2025 - 2 AZR 96/24 (B)
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 12/2025)

Betriebspflicht in Einkaufszentren: Fehlender Konkurrenzausschluss spricht nicht gegen Offenhaltungspflicht

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Ein Mieter hatte ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum zum Betrieb "eines hochwertigen "Fan World‘-Einzelhandelsgeschäfts für den Verkauf von Fan-, Lizenz- und Geschenkartikeln und Assessoires" gemietet. Dabei wurden vertraglich eine entsprechende Sortimentsbindung, ein Ausschluss von Konkurrenzprodukten sowie die Betriebspflicht vereinbart, das Ladengeschäft zu den Kernöffnungszeiten Montag bis Samstag von 9 Uhr bis 22 Uhr geöffnet zu halten. Der Mieter hielt sich jedoch nicht an diese Öffnungszeiten. Schließlich klagte die Vermieterin auf Einhaltung der Öffnungszeiten.

Der BGH stellte klar, dass die formularvertraglich vereinbarte Betriebs- und Offenhaltungspflicht des Mieters eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum auch im Zusammenspiel mit fehlendem Konkurrenzschutz keine unangemessene Benachteiligung darstellt, wenn sie mit keiner hinreichend konkreten Sortimentsbindung verbunden ist. Im Ergebnis war deshalb für den vorliegenden Fall die Kombination der Betriebspflicht mit der nur vage abgrenzbaren Sortimentsbindung und dem Ausschluss jedes Sortiments- und Konkurrenzschutzes unter dem Aspekt des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu beanstanden. Damit hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache an eben jene zurück, um erneut darüber zu entscheiden.

Hinweis: Wer langfristige Mietverträge im Gewerbebereich abschließt, sollte auf der Hut sein. Fehler beim Abschluss des Vertrags können weitreichende finanzielle Konsequenzen haben. Die Prüfung durch einen Rechtsanwalt ist mehr als sinnvoll.


Quelle: BGH, Urt. v. 06.10.2021 - XII ZR 11/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Entlassung des Testamentsvollstreckers: Pflichtverletzungen müssen schuldhaft begangen und von erheblichem Gewicht sein

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Der Erblasser hinterließ mehrere Erben in einer ungeteilten Erbengemeinschaft und ordnete zudem eine Testamentsvollstreckung an. Eine Miterbin, die dem Testamentsvollstrecker pflichtwidriges Verhalten wegen angeblich rechtswidriger Zahlungen an andere Miterben vorwarf, beantragte die Entlassung aus dem Amt. Nachdem das Nachlassgericht diesem Antrag zunächst stattgegeben hatte, hob das OLG die Entscheidung auf.

Eine Entlassung aus dem Amt des Testamentsvollstreckers käme nur dann in Betracht, wenn die zur Last gelegte Pflichtverletzung dazu geeignet sei, die berechtigten Belange des antragstellenden Miterben - insbesondere seine Vermögensinteressen - zu beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung muss darüber hinaus schuldhaft begangen worden und von erheblichem Gewicht sein. Dies kann nur angenommen werden, wenn es sich um eine grobe Verfehlung des Testamentsvollstreckers handelt, die vergleichbar ist mit einer Untätigkeit. Schließlich muss eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Erblassers an der Fortführung der Testamentsvollstreckung und dem Interesse der Erben vorgenommen werden. Nur wenn dem Antragsteller eine Fortsetzung im Amt des Testamentsvollstreckers nicht mehr zugemutet werden kann, kommt eine Entlassung durch das Nachlassgericht in Betracht. Nach Ansicht des OLG lagen bereits im Tatsächlichen keine der genannten Voraussetzungen im konkreten Fall vor.

Hinweis: Das Recht der Erben, einen Testamentsvollstrecker zu entlassen, kann durch den Erblasser im Rahmen seiner Verfügung von Todes wegen nicht wirksam eingeschränkt werden.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.10.2021 - 3 Wx 59/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Rotlichtverstoß: Absehen vom Fahrverbot als unzumutbare Härte bei Dreifachmutter in Ausbildung

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Eine Autofahrerin überfuhr eine rote Ampel. Da das Rotlicht bereits länger als eine Sekunde aufleuchtete, wurde neben einem Bußgeld und zwei Punkten auch ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Die Betroffene legte Einspruch ein: Als Mutter von drei Kindern träfe sie das Fahrverbot besonders hart. Das sah sogar das AG nicht anders.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Verhängung eines Fahrverbots in diesem Fall eine unzumutbare Härte darstellt. Die Betroffene ist Mutter von drei Kindern im Alter von zwölf, neun und zweieinhalb Jahren. Sie selbst befindet sich in der Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Die jüngeren Kinder besuchten die Grundschule bzw. Kita, zu welchen die Betroffene die Kinder jeden Morgen fahre. Die Einrichtungen liegen nebeneinander, so dass sie anschließend ihre Ausbildungsstätte anfahren könne. Zweimal in der Woche müsse sie in die Berufsschule. Abends hole sie die Kinder auf dem Rückweg ab. Ihr Mann sei Landschaftsgärtner, er arbeite oft außerhalb und könne die Fahrten nicht übernehmen.

Hinweis: Das AG hat in seiner Entscheidung zudem berücksichtigt, dass eine anzuordnende Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG durchaus die Situation im Rahmen der Vollstreckung entspannen und zudem auch Urlaub genommen werden könne. Die Betroffene erklärte hier jedoch nachvollziehbar, dass sie im laufenden Jahr nicht ausreichend Urlaubsansprüche habe, um das Fahrverbot entsprechend abzubüßen.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 05.08.2021 - 729 OWi-253 Js 1054/21-83/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Trotz Gehbehinderung: Beklagter muss Abschleppkosten nach (mehrmaligem) Falschparken in der Tiefgarage zahlen

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Der Sohn des 87-jährigen Beklagten hatte dessen Fahrzeug in der Tiefgarage einer Wohnanlage in einem Bereich abgestellt, der mit eingeschränktem Halteverbot beschildert war. Der Hausmeister der Anlage beauftragte daraufhin das klagende Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs, wofür das Unternehmen einen Tiefgaragenberger und einen Kranplateauschlepper schickte. Bei deren Eintreffen befand sich das Fahrzeug jedoch nicht mehr in der Tiefgarage. Der Beklagte trug vor, sein Sohn hätte das Fahrzeug maximal für 15 Minuten dort abgestellt, um ihn abzuholen. Der Hausmeister wiederum wisse, dass er nur kurze Strecken zu Fuß zurücklegen könne und wegen seiner Behinderung eine Begleitung benötige. Mit Anruf oder Klingeln hätte man die Störung schnell beseitigen können. Der Hausmeister gab als Zeuge jedoch an, dass das Fahrzeug an selbiger Stelle den Zugang zu anderen Garagenboxen oft für Stunden in (geschätzt) 50 Fällen blockiert habe. Er habe den Halter fast jedes Mal darauf angesprochen. Mit der Hausverwaltung sei daher abgestimmt worden, dass man den Wagen beim nächsten Mal abschleppen lasse. Natürlich sei das Parken dort praktisch, da diese Stelle unmittelbar neben dem Zugang zum Aufzug liege - seine genau dort befindliche Garagenbox habe der Beklagte allerdings anderweitig vermietet. Zudem gebe es einen für längeres Halten vorgesehenen Platz in nur 15 Metern Entfernung. Der Sohn erklärte in seiner Zeugenaussage, maximal fünfmal angesprochen worden zu sein. Andere Hausbewohner dürften dort unbeanstandet be- und entladen. Der Hausmeister hege wohl einen Grundhass gegen ihn.

Das AG gab nach Anhörung aller Argumente schließlich der Klägerin Recht und verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Abschleppkosten. Das Gericht war davon überzeugt, dass das Fahrzeug dort über einen längeren Zeitraum geparkt habe, ohne dass ein konkretes Ein- oder Aussteigen oder ein Be- bzw. Entladevorgang vorlag. Auch habe der Sohn des Beklagten zugegeben, dass er das Parkverbotsschild kannte und bereits in früherer Zeit mehrfach seitens des Hausmeisters der Anlage darauf hingewiesen worden war, dass an dieser Stelle ein Parkverbot bestehe und bei Zuwiderhandlung ein Abschleppen drohe.

Hinweis: Zutreffend weist das AG darauf hin, dass vor Beauftragung des Abschleppunternehmens eine Recherche dahingehend nicht erforderlich sei, welches Abschleppunternehmen das Abschleppen am kostengünstigsten durchführt. Etwas anderes gilt in Fällen von vorhandenen Rahmenverträgen zwischen Grundstücksbesitzern und Abschleppunternehmen.


Quelle: AG München, Urt. v. 31.08.2021 - 473 C 2216/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Neues zu Flugverspätungen: Ist der Verspätungszeitraum strittig, ist die Beweisführung für Passagiere schwierig

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Es ging um einen Flug von Bremen nach Teneriffa, wo das Flugzeug planmäßig um 15:25 Uhr landen sollte. Wegen eines technischen Defekts verzögerte sich der Abflug um circa drei Stunden, die genaue Ankunftszeit war zwischen den Parteien streitig. Der Fluggast behauptete, die Ankunft wäre erst um 18:35 Uhr gewesen, die Fluggesellschaft meinte, die Landung wäre eher erfolgt - also unterhalb der Dreistundengrenze. Nun klagte der Fluggast eine Entschädigungszahlung ein.

Die Beweislast für das Vorliegen einer großen Ankunftsverspätung trifft nun einmal den Fluggast. Ist unsicher, ob die Ankunftsverspätung mindestens drei Stunden betragen hat, ist das Luftfahrtunternehmen zwar verpflichtet, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen mitzuteilen, die Rückschlüsse auf den maßgeblichen Zeitpunkt ermöglichen. Es ist aber laut BGH nicht dazu verpflichtet, im Bordbuch oder an anderer Stelle den Zeitpunkt zu dokumentieren, zu dem beispielsweise die erste Tür geöffnet und den Fluggästen der Ausstieg ermöglicht worden ist. Da der Fluggast hier also nicht beweisen konnte, dass sich der Flug um mehr als drei Stunden verspätet hatte, bekam er auch keine Entschädigungszahlung.

Hinweis: Hat ein Flug einmal eine Verspätung gehabt, kommt es darauf an, wie lang die Verspätung war. Am besten beauftragen Sie den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens mit einer Prüfung der Angelegenheit.


Quelle: BGH, Urt. v. 09.09.2021 - X ZR 94/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Elternzeit endet automatisch: Besonderer Kündigungsschutz endet nach Trennung und Verbleib der Kinder beim Partner

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Eine Arbeitnehmerin war für drei Jahre in Elternzeit. Währenddessen trennte sie sich jedoch von ihrem Ehemann, der die Kinder behielt. Ein Jahr nach Beginn der Elternzeit beleidigte und verleumdete die Frau einige ihrer Kollegen und Vorgesetzten mit öffentlich zugänglichen Posts auf ihrem privaten Facebook-Account. Der Arbeitgeber kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis fristlos. Dagegen klagte die Arbeitnehmerin. Sie meinte, die Kündigung sei allein deshalb schon unwirksam, weil der Arbeitgeber vorher nicht die Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingeholt habe. Denn sie stehe schließlich nach § 18 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz unter besonderem Kündigungsschutz.

Das sah das LAG jedoch anders. Denn der Anspruch auf Elternzeit setzt voraus, dass Arbeitnehmer mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und es selbst betreuen. Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Arbeitgeber unverzüglich zu informieren, wenn diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist. Die Elternzeit endete nach Auffassung der Richter automatisch. Hier hatte die Mitarbeiterin nach der Trennung von ihrem Mann und den Kindern deshalb keinen besonderen Kündigungsschutz mehr - und es lag zudem ein wichtiger Kündigungsgrund vor. Die Kündigung hatte das Arbeitsverhältnis also gültig beendet.

Hinweis: In dieser Sache ist unter Umständen noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn das BAG hat zu dieser Frage noch nichts entschieden. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.09.2021 - 12 Sa 23/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Landes- oder Bundesgesetz? BGH trifft Entscheidung zur (landes-)gesetzlichen Regelung von grenzüberschreitender Wärmedämmung

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Es ging um einen Nachbarschaftsstreit in Nordrhein-Westfalen. Die beiden betreffenden Grundstücke waren mit Mehrfamilienhäusern bebaut. Die Giebelwand des vor mehreren Jahrzehnten errichteten Gebäudes des einen Nachbarn stand direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, während das Gebäude des anderen Nachbarn etwa fünf Meter von der Grenze entfernt war. Eine Innendämmung des auf der Grundstücksgrenze stehenden Gebäudes konnte nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden. Deshalb verlangte nun der eine Nachbar von dem anderen, dass die grenzüberschreitende Außendämmung der Giebelwand zu dulden ist, und klagte sein Recht ein. Nun kam es darauf an, ob die nordrhein-westfälische Regelung rechtmäßig war oder die Regelungen, die der Bund für solche Fälle vorsieht.

Der BGH hat die nordrhein-westfälische Regelung für rechtmäßig angesehen und den Überbau erlaubt. Das Nachbarrecht des Bundes regelt in § 912 BGB, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger Überbau auf das Nachbargrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes geduldet werden muss. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ein vorsätzlicher Überbau im Grundsatz nicht hingenommen werden muss. Erlaubt ist hingegen der Erlass neuer landesgesetzlicher Vorschriften, die das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn anderen als den im BGB bestimmten Beschränkungen unterwerfen.

Das Landesrecht darf Beschränkungen vorsehen, die dieselbe Rechtsfolge wie eine vergleichbare nachbarrechtliche Regelung des Bundes anordnen, aber an einen anderen Tatbestand anknüpfen und einem anderen Regelungszweck dienen. Allerdings muss dabei die Grundkonzeption des Bundesgesetzes gewahrt bleiben - und das war hier der Fall.

Hinweis: Wer eine Wärmedämmung anbringen möchte und dabei nicht nur das Grundstück des Nachbarn betreten, sondern es sogar überbauen will, sollte auf der rechtlich sicheren Seite sein. Dabei hilft ein Rechtsanwalt.


Quelle: BGH, Urt. v. 12.11.2021 - V ZR 115/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Bummel-Azubi: Berufsausbildungsbeihilfe bei objektiv ausgeschlossenem Unterhaltsanspruch gegen die Eltern

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Im Zeitraum von acht Jahren hatte ein Mann ingesamt fünf Ausbildungen bzw. Studiengänge begonnen und wieder abgebrochen. Dessen Eltern hatten ihm bis zum 25. Geburtstag noch das Kindergeld weitergeleitet und danach nichts mehr an ihn gezahlt. Für die 2012 begonnene sechste Ausbildung beantragte der Sohn, der inzwischen verheiratet war, nun elternunabhängige Berufsausbildungshilfe (BAB), ein mit BAföG vergleichbares System. Er begründete den Antrag damit, dass seine Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig seien, da er die jeweiligen Ausbildungen übermäßig verzögert und damit die Verpflichtung zu Zielstrebigkeit, Fleiß und Sparsamkeit verletzt habe. Demnach habe er seine Eltern auch nicht verklagen müssen, um die fehlende Unterhaltspflicht nachzuweisen.

Das LSG sah es wie der Sohn: Bei einer solchen Sachlage sind Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig. Und wenn der Unterhaltsanspruch des Auszubildenden nach objektivem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist, muss er auch kein Gerichtsverfahren gegen seine Eltern führen.

Hinweis: Verzögerungen der Ausbildungszeit, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind, müssen Eltern hinnehmen. Verletzt das Kind aber nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Eine Unterhaltspflicht kommt umso weniger in Betracht, je älter der Auszubildende ist, je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet und je weniger eine Kommunikation über seine Ausbildungspläne erfolgt.


Quelle: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 08.10.2021 - L 2 AL 49/14
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Betriebsratswahl: Nur schwerwiegende Fehler führen zum Wahlabbruch im Eilverfahren

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

In einem Betrieb sollte der Betriebsrat neu gewählt werden. Der eingesetzte Wahlvorstand wurde dann jedoch vom Arbeitgeber aufgefordert, das eingeleitete Verfahren zur Wahl eines Betriebsrats abzubrechen. Denn er meinte, dass das Verfahren zur Bestellung des Wahlvorstands nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei - weder sei die Wahlausschreibung ordnungsgemäß ausgefüllt noch an allen erforderlichen Orten ausgehängt worden. Die zur Wahl Aufgerufenen würden teilweise nicht in den Zuständigkeitsbereich des Wahlvorstands fallen und dürften nicht wählen, weil sie nicht Beschäftigte im Betrieb seien. Der Arbeitgeber leitet ein arbeitsgerichtliches Eilverfahren ein.

Doch die Richter des ArbG entschieden, dass die Betriebsratswahl zumindest nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren abzubrechen war. Sie stellten klar, dass dies nur ausnahmsweise möglich sei - und zwar dann, wenn ganz erhebliche Fehler festgestellt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die entsprechenden Fehler zur Nichtigkeit der Wahl führen könnten. Das war hier nicht gegeben.

Hinweis: In der Regel kann der Arbeitgeber erst nach Abschluss der Wahl prüfen, ob diese korrekt abgelaufen ist. Gegebenenfalls kann er dann die Wahl anfechten und durch das ArbG für unwirksam erklären lassen. Ein Eilverfahren ist dagegen nur dann möglich, wenn es sich um wirklich schwerwiegende und offensichtliche Fehler handelt.


Quelle: ArbG Berlin, Beschl. v. 17.11.2021 - 3 BVGa 10332/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Nur bei tatsächlicher Mehrarbeit: Keine grundsätzliche Verweigerung von Rufbereitschaft durch schwerbehinderte Arbeitnehmer

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Ein als Wassermeister beschäftigter Arbeitnehmer sollte in jeder vierten Woche nach dem Ende der täglichen Arbeitszeit sowie am Wochenende Rufbereitschaft absolvieren, um damit die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Er konnte sich währenddessen aufhalten, wo er wollte, musste aber bei Bedarf zur Arbeit kommen. Für diese tatsächlichen Einsatzzeiten erhielt er einen Freizeitausgleich. Da der Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten gleichgestellt war, meinte er nun, keine Rufbereitschaft mehr leisten zu müssen. Die Bereitschaftszeit sei stets als Mehrarbeit einzuordnen und für ihn somit unzumutbar und unzulässig.

Das BAG sah jedoch keinen Anspruch auf eine vollständige Befreiung von der Rufbereitschaft. Allerdings verwiesen die Richter die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht als Vorinstanz zurück. Das muss jetzt noch prüfen, ob die Rufbereitschaft hier tatsächlich als Arbeitszeit gilt. Denn da es sich bei einer Rufbereitschaft nicht immer um Mehrarbeit handelt, können schwerbehinderte Arbeitnehmer diese auch nicht grundsätzlich ablehnen.

Hinweis: Es kommt also darauf an, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Mehrarbeit handelt oder nicht. Liegt keine Mehrarbeit vor, können schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer die Rufbereitschaft natürlich  nicht grundsätzlich ablehnen.


Quelle: BAG, Urt. v. 27.07.2021 - 9 AZR 448/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schutzbehauptung entlarvt: Angestrengte Körperhaltung auf dem Messfoto kann für vorsätzliche Begehung sprechen

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein Autofahrer befuhr innerorts eine Straße und wurde hierbei aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 60 % geblitzt. Daraufhin erging ein Bußgeldbescheid, in dem ihm eine vorsätzliche Geschwindigkeitsübertretung vorgeworfen wurde, was zur Verdoppelung des Bußgelds führte. Zudem wurde ein Fahrverbot verhängt. Dagegen legte der Mann Einspruch ein. Er berief sich darauf, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Es sei einige Jahre zuvor noch eine Limitierung auf 70 Stundenkilometer vorhanden gewesen, was er genau so wohl noch in Erinnerung gehabt habe.

Dennoch ging das AG aus unterschiedlichen Gründen davon aus, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung vorsätzlich begangen wurde. Zum einen sei der Mann innerorts losgefahren und habe kein Ortsschild passiert, das das Ende der Ortschaft anzeigen würde. Die Behauptung, früher seien dort 70 Stundenkilometer erlaubt gewesen, sah das AG als eine Schutzbehauptung an. Nachforschungen hatten ergeben, dass an der betreffenden Stelle seit mindestens fünf Jahren Tempo 50 gilt. Die Straße führe an der Messstelle sogar bergauf, so dass die bewusste Betätigung des Gaspedals notwendig sei, um das gefahrene Tempo zu halten oder gar zu steigern. Außerdem hatte der Betroffene selbst ein Motiv eingeräumt - er hatte es eilig, weil er noch Unterlagen von zu Hause abholen musste. Dies sei auch am Messfoto zu erkennen. Der Fahrer wirke darauf sehr konzentriert, schaue mit weit geöffneten Augen nach vorne, was in Augen des AG Anspannung und Konzentration widerspiegele. Die sichtbare Hand umklammere das Lenkrad mit fester Faust, auch das weise auf Anspannung und somit Vorsatz hin. Zudem musste der Mann anhand der Umgebung erkennen, dass er sich innerhalb eines Orts befand.

Hinweis: Die Bußgeldkatalogverordnung geht beim Regelsatz von fahrlässiger Begehungsweise aus. Vorsatz bedeutet, dass die Ordnungswidrigkeit mit Absicht und in vollem Bewusstsein begangen wurde. Ein direkter Vorsatz liegt vor, wenn der Fahrer sicher ist, dass die Tat, die er ausüben möchte, gesetzlich nicht erlaubt ist. Mit bedingtem Vorsatz handelt ein Fahrer, wenn er ernsthaft die Möglichkeit sieht, dass sein Handeln eine Missachtung des Gesetzes ist und er das Ergebnis seiner Tat billigend in Kauf nimmt.


Quelle: AG Straubing, Urt. v. 16.08.2021 - 9 OWi 705 Js 16602/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Abgasskandal: Voraussetzungen für den Rücktritt vom Kaufvertrag

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von VW hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug der Marke Škoda. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren dieses Typs im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von VW entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update. Der Kläger ließ das Software-Update jedoch nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

Der BGH entschied, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich - also verzichtbar - ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht worden ist. Auch der (bloße) Verdacht, dass ein zur Mängelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könne, zähle nicht. Hier bedarf es zunächst einer weitergehenden Prüfung und einer (sachverständigen) Feststellung. Ein Rücktritt setze grundsätzlich einen Sachmangel voraus. Ebenso müsse dazu eine erfolglose (angemessene) Fristsetzung zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) vorausgehen. Der Senat hat den Rechtsstreit daher zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Hinweis: Eine Fristsetzung ist nur entbehrlich, wenn dem Käufer eine Nacherfüllung unzumutbar ist oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Dies bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt. Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht ohne weiteres auf Fälle wie diesen übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalteinrichtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war.


Quelle: BGH, Urt. v. 29.09.2021 - VIII ZR 111/20
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Laden im Lockdown: Coronapandemie ist allein kein Grund für Zahlungseinstellung von Gewerberaummiete

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es ging um ein Geschäft, das während der COVID-19-Pandemie geschlossen werden musste. Das Unternehmen betrieb viele Warenhäuser, zahlte aber für eine Geschäftsfläche keine Miete mehr. Die Vermieterin klagte die Miete ein und war der Ansicht, dass ein Sachmangel an der Mietsache nicht bestehen würde - schließlich könnten die Räume frei genutzt werden.

Das LG gab der Vermieterin in der Tat Recht und urteilte, dass ein Anspruch auf Einstellung der Gewerberaummiete nach einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung nicht grundsätzlich besteht. Es kann wegen der Unwägbarkeiten in Erwägung gezogen werden, dass die Nachteile solidarisch von beiden Parteien getragen werden. Eine solche Anpassung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn das Festhalten am Vertrag für den Mieter unzumutbar sei. Hier hatte die Mieterin nicht genügend dazu vorgetragen. Zum einen waren nicht sämtliche Mitarbeiter in Kurzarbeit, zum anderen bestand die Möglichkeit des Online-Handels. Letztendlich widersprach das Verhalten der Mieterin den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns.

Hinweis: Der Bundesgerichtshof wird Mitte Januar zu dieser Problematik entscheiden. Es dürfte dabei stets auf den Einzelfall ankommen, ob Mieten während der Geschäftsschließungen in der Pandemie gezahlt werden müssen oder nicht.


Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 27.10.2021 - 18 O 184/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schwellenwert unterschritten: Automatische Auflösung der Schwerbehindertenvertretung

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

In einem Betrieb waren fünf schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Mitarbeiter beschäftigt. Deshalb wurde eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Sieben Monate später waren jedoch nur noch vier schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber war nun der Meinung, die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung sei durch das Unterschreiten des Schwellenwerts von fünf Arbeitnehmern beendet. Die Schwerbehindertenvertretung vertrat hingegen die Ansicht, dass sie ihre Amtszeit von vier Jahren voll ausschöpfen dürfe, und zog vor das Gericht.

Doch hier konnte das LAG der Schwerbehindertenvertretung leider nicht weiterhelfen. Denn das entsprechende Gesetz kenne hier schlicht und ergreifend keinen Übergangszeitraum. Mit Unterschreitung des Schwellenwerts nach § 177 Abs. 1 SGB IX endete daher die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung. Das Gesetz regelt nicht, dass es bei der Feststellung der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten ausschließlich auf den Zeitpunkt der Wahl ankommt.

Hinweis: Die Schwerbehindertenvertretungen sollten also aufpassen, dass ihre Amtszeit nicht durch ein Absinken der entsprechend Beschäftigten unterhalb des Schwellenwerts plötzlich endet. Helfen kann dabei, dass sämtliche schwerbehinderte Mitarbeiter ihre Schwerbehinderung auch tatsächlich gegenüber dem Arbeitgeber offenbaren.


Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 31.08.2021 - 4 TaBV 19/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Verkauf unrenovierter Wohnung: Ohne nachgewiesenen Mindererlös gibt es keinen Schadensersatz vom ehemaligen Mieter

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

In diesem Fall klagte ein Vermieter gegen seine ehemaligen Mieter. Er wollte Schadensersatz in Höhe von knapp 15.000 EUR für an der Wohnung entstandene Schäden, die die Mieter verursacht haben sollen. Die Mietwohnung hat der Vermieter zwischenzeitlich verkauft. Und das war ein Fehler.

Die vorhandenen Beschädigungen an der Mietwohnung hatte der ehemalige Vermieter nämlich gar nicht beseitigt, sondern die Wohnung mit den bestehenden Mängeln veräußert. Somit hat er auch keinen Vermögensverlust erlitten. Ob der Vermieter wegen der unterstellten Mängel einen Mindererlös erlitten hat, war für das AG unerheblich, weil er das nicht geltend gemacht hatte. Zudem war es durchaus möglich, dass ein solcher Mindererlös überhaupt nicht eingetreten ist.

Hinweis: Bei unterlassenen Schönheitsreparaturen geht es häufig um viel Geld. Da sollte der Rechtsanwalt des Vertrauens zuvor eingeschaltet werden. Das gilt für beide Seiten: sowohl für den Vermieter als auch für den Mieter.


Quelle: AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 27.05.2021 - 96 C 1358/19
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unterhaltspflichtiger im Ausland: Unterschiedliche Kaufkraft beider Länder muss bei Unterhaltsberechnung berücksichtigt werden

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Der Ehemann hatte nach der Trennung Deutschland verlassen. Er lebt und arbeitet seitdem in Norwegen und macht deshalb erheblich höhere Lebenshaltungs-, insbesondere Wohnkosten geltend. Die Kaufkraft sei schließlich in Norwegen nachweislich kleiner. Mit der in den Unterhaltsleitlinien vorgesehenen Warmmiete von 480 EUR könne er dort keine Wohnung bezahlen, so dass sein Selbstbehalt entsprechend zu erhöhen sei.

Das OLG hat daraufhin aus der Eurostat-Statistik die Lebenshaltungskosten ermittelt, danach das Einkommen beider Gatten ins Verhältnis gesetzt und dann hälftig verteilt. Der Wohnkostenanteil im Selbstbehalt musste damit nicht noch zusätzlich berücksichtigt werden.

Hinweis: Spielt der grenzüberschreitende Fall in Europa - aber nicht in Norwegen, Island oder der Schweiz -, ist die Zuständigkeit nach der Europäischen Unterhaltsverordnung zu beurteilen.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.09.2021 - 13 UF 89/18
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kosten eines Erbscheins: Nachlassgerichte dürfen grundsätzlich auf Grundbucheintragungen abstellen

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Besonderheit des Falls lag darin, dass sich der erfolglose Antragsteller im Erbscheinsverfahren darauf berief, dass die im Grundbuch eingetragenen Miteigentumsanteile an der Immobilie falsch waren, weshalb von einem geringeren Geschäftswert ausgegangen werden müsse.

Das OLG hat klargestellt, dass das Nachlassgericht im Grundsatz immer auf die Eintragungen im Grundbuch abstellen dürfe. Abweichungen hiervon seien aber dann zulässig, wenn die abweichenden Eigentumsverhältnisse zwischen allen Beteiligten unstreitig sind oder sich zweifelsfrei aus öffentlichen Urkunden ergeben. In allen anderen Fällen sei es nicht Aufgabe des Nachlassgerichts, eine streitige materielle Eigentumslage im Wertfestsetzungsverfahren selbst zu klären. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn das Grundbuchamt von Amts wegen einen Widerspruch im Grundbuch eingetragen hat. Das Nachlassgericht darf einen solchen Amtswiderspruch nicht einfach übergehen, es kann in einem solchen Fall die Wertfestsetzung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit des Widerspruchs aufschieben. Unbenommen bleibt dem Nachlassgericht, die Eigentumslage anhand einer summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu prüfen.

Hinweis: Ist die abweichende Eigentumslage bereits Gegenstand eines anderen gerichtlichen Verfahrens, wird das Verfahren zur Festsetzung des Verfahrenswerts im Allgemeinen ausgesetzt.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2021 - 3 Wx 173/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Keine Bindung an Beweisvorschrift: Grundbuchamt entscheidet frei, ob einem Verkauf eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Der vorverstorbene Vater hatte seine beiden Kinder zu Nacherben und dessen (mittlerweile ebenfalls verstorbene) Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt. Die Eheleute waren hälftig Miteigentümer einer neu errichteten Eigentumswohnung, die im Jahr 2004 für circa 210.000 EUR erworben wurde. Nachdem der Mann verstorben war, hatte die Frau mit notariellem Kaufvertrag aus dem Jahr 2015 die Eigentumswohnung veräußert. Dabei übertrug sie ihren eigenen Anteil schenkungsweise und den unter befreiter Vorerbschaft stehenden Miteigentumsanteil ihres Ehemanns gegen Zahlung eines Kaufpreises von 100.000 EUR. Ihr selbst wurde ein lebenslanges Wohnrecht in der Immobilie durch den Erwerber eingeräumt. Der Eigentümer sowie die Nacherben stritten sich in der Folge darüber, ob der Nacherbenvermerk im Grundbuch gelöscht werden müsse. Die Nacherben vertraten die Ansicht, dass das Wohnungseigentum unter Wert veräußert wurde, weshalb es aus der Nacherbschaft nicht frei geworden sei.

Das OLG führte zunächst aus, dass der befreite Vorerbe befugt sei, entgeltlich über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen. Eine solche Verfügung sei auch dann wirksam, wenn der Nacherbe ihr nicht zugestimmt hatte. Entsprechend scheidet die Immobilie mit dem Vollzug der von dem Vorerben erklärten Auflassung wirksam und endgültig aus dem Nachlass aus - der Nacherbenvermerk im Grundbuch ist zu löschen. Anstelle des veräußerten Grundstücks fällt die im Kaufvertrag vereinbarte Gegenleistung des Käufers in den Nachlass und steht nach Tod des Vorerben gemäß dessen Vermögenslage zu dem Zeitpunkt den Nacherben zu.

Ob eine Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Immobilie entgeltlich war - ihr also eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand - , kann das Grundbuchamt laut OLG anhand aller Umstände frei würdigen. Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn der Vorerbe einen Kaufpreis vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode maximal vertreten lässt. Zweifel ergeben sich nicht allein aus dem Umstand, dass verschiedene Wertgutachten zu unterschiedlichen Schätzpreisen gelangen.

Hinweis: Tritt der Nacherbfall ein, ist der für den Vorerben erteilte Erbschein unrichtig geworden. Dieser ist von Amts wegen bei Bekanntwerden der Umstände einzuziehen.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.09.2021 - 3 Wx 125/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Dreimonatszeitraum: Ablehnung von Brückenteilzeit bei Nichteinhaltung der Ankündigungsfrist

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Eine Mitarbeiterin beantragte am 22.01. eine Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 33 Stunden für ein Jahr ab dem 01.04. Doch ihr Arbeitgeber meinte, dass der Antrag unwirksam sei, da die Mitarbeiterin die dreimonatige Ankündigungsfrist nicht eingehalten habe. Außerdem lehnte er den Antrag wegen entgegenstehender dringender Betriebsgründe ab. Die Arbeitnehmerin meinte dagegen, ihr Antrag sei so auszulegen, als sei er zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt - nämlich drei Monate nach der Antragstellung. Schließlich klagte sie, doch das vergeblich.

Der Antrag auf Brückenteilzeit musste in Augen des BAG nicht auf einen späteren Beginn umgedeutet werden. Denn ein Arbeitgeber kann bei einem Antrag auf Brückenteilzeit nicht wissen, ob ein Arbeitnehmer die Brückenteilzeit insgesamt nach hinten verschieben will oder ob diese zum ursprünglich beantragten Termin enden soll.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten also genau darauf achten, den Dreimonatszeitraum bei einer Brückenteilzeit einzuhalten. Der Antrag auf Gewährung einer Brückenteilzeit ist mindestens drei Monate vor dem Beginn zu stellen.


Quelle: BAG, Urt. v. 07.09.2021 - 9 AZR 595/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Voneinander unabhängig: Unterschiedliche Verjährung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Die im Jahr 2014 verstorbene Erblasserin hinterließ mehrere Töchter sowie ein Testament, in dem sie eine Tochter sowie eine Enkelin zu Alleinerben eingesetzt hatte. Die nicht bedachten Töchter führten zunächst über mehrere Jahre einen Rechtsstreit vor dem Nachlassgericht im Rahmen der Erteilung eines Erbscheins. Im November 2016 entschied das Nachlassgericht, dass die testamentarische Verfügung der Erblasserin wirksam war, und erteilte einen entsprechenden Erbschein. Letztlich rechtskräftig wurde diese Entscheidung im Jahr 2019.

In einem Folgeprozess im September 2020 machten die nicht bedachten Töchter Auskunftsansprüche gegenüber den Erben zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen geltend. Bei den Pflichtteilergänzungsansprüchen ging es insbesondere um mögliche ausgleichspflichtige Schenkungen zu Lebzeiten der Erblasserin. Die Erben beriefen sich darauf, dass entsprechende Auskunftsansprüche verjährt seien, was das OLG zumindest teilweise bestätigt hat. Zu unterscheiden war zwischen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Grundsätzlich gilt auch für Ansprüche aus der Erbschaft, dass diese nach drei Jahren verjähren. Die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall, von der ihn beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung und von der Person des Erben erlangt hat oder zumindest hätte erlangen können.

Bezüglich der Pflichtteilsansprüche stellt das OLG auf den Beschluss des Nachlassgerichts im November 2016 ab. Die drei Voraussetzungen - insbesondere die Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung - hatten die Töchter damit bereits im November 2016 mit der Entscheidung des Nachlassgerichts. Entsprechende Ansprüche verjährten damit mit Ablauf des 31.12.2019, also vor Klageerhebung. Nicht verjährt waren hingegen die Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die Parteien stritten um die Frage von ausgleichspflichtigen Schenkungen durch die Erblasserin, wobei zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Erben nicht eingewandt haben, dass die Töchter Kenntnis von den Schenkungen gehabt hätten. Insoweit bejahte das Gericht den Auskunftsanspruch der Pflichtteilsberechtigten.

Hinweis: Die Verjährung muss als sogenannte Einrede ausdrücklich geltend gemacht werden. Sie wird nicht zwangsläufig im Rahmen eines Rechtsstreits von einem Gericht berücksichtigt.


Quelle: OLG München, Urt. v. 22.11.2021 - 33 U 2768/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Ermittlung ortsüblicher Vergleichsmieten: Selbstfinanzierte Ausstattung der Mietsache muss dauerhaft unberücksichtigt bleiben

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Eine Vermieterin verlangte eine Mieterhöhung für eine im Jahr 1918 erbaute Wohnung. Bei der Berechnung des Erhöhungsbetrags ging sie davon aus, dass die Wohnung mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist. Die Mieterin entgegnete jedoch, dass sie selbst die Zentralheizung damals eingebaut habe. Das müsse bei der Berechnung der Vergleichsmiete als Grundlage der Erhöhung entsprechende Berücksichtigung finden.

Das sah das AG ebenfalls so. Eine vom Mieter auf eigene Kosten geschaffene Ausstattung der Mietsache - wie hier die Heizung - bleibt bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete grundsätzlich auf Dauer unberücksichtigt.

Hinweis: Eine Mieterhöhung ist kein Buch mit sieben Siegeln. Im Zweifel kann ein Rechtsanwalt helfen und ein rechtssicheres Mieterhöhungsschreiben verfassen.


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 29.10.2021 - 49 C 119/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unzulässiger Anlockeffekt: Kontaktaufnahme nach "Geschenk"-Werbung darf nicht zur Kündigungsrücknahme missbraucht werden

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Ein Kunde hatte seinen Mobilfunkvertrag gekündigt. Daraufhin erhielt er eine E-Mail, in der ihm ein Geschenk in Form eines Datenvolumens von 1 GB unter der Bedingung versprochen wurde, dass er bei der Hotline anrufe. Nach Anruf bei eben jener Hotline stellte sich dann jedoch heraus, dass eine Freischaltung dieses Datenvolumens nur dann in Betracht käme, wenn der Mann seine Kündigung zurückziehe. Dagegen klagte der Dachverband der Verbraucherzentralen. Er hielt das Verhalten des Mobilfunkanbieters für unlauter - und das zu Recht.

Es ist laut OLG durchaus irreführend, wenn dem Kunden bei der ihm gegenüber beworbenen Kontaktaufnahme mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt werde, wenn er seine Kündigung zurücknähme. Ebenso sah das Gericht im Gegensatz zu der Argumentation des Mobilfunkunternehmens hier durchaus eine Wiederholungsgefahr. Zwar hatte der Mobilfunkanbieter geltend gemacht, es habe sich um einen "Ausreißer" gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe - das ließ das Gericht jedoch nicht gelten.

Hinweis: Kunden sollten sich bei Abschluss längerfristiger Verträge stets die genaue Kündigungsfrist notieren. So können die Verträge rechtzeitig gekündigt werden, ohne dass Termine und Fristen verpasst werden.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.09.2021 - 6 U 133/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angelegenheit der elterlichen Sorge: Behörde muss die Impfpflicht gegenüber beiden Sorgeberechtigten durchsetzen

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Die Eltern eines achtjährigen Kindes waren offensichtlich Impfgegner und bestritten die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Regelungen des Infektionsschutgesetzes (IfSG). Sie waren der Behörde schon mit einer unrichtigen Impfbescheinigung und einer nicht akzeptierten Impfunfähigkeitsbescheinigung aufgefallen. Dann hatten sie eine Blutprobe eingereicht, die die Immunität des Kindes nachweisen sollte, wobei Zweifel bestanden, dass es sich um das Blut des Kindes handelte.

Vor dem OVG ging es um etliche rechtliche Aspekte, aber auch um einen familienrechtlichen: Die Behörde hatte ihre Bescheide nämlich nur an den Vater adressiert, nicht aber auch an die Mutter. Die Eltern lebten mit dem Kind zusammen und waren beide sorgeberechtigt. Da Impfentscheidungen aber eine Angelegenheit der elterlichen Sorge sind, über die nur beide gemeinsam entscheiden können, bedarf es einer behördlichen Anordnung gegenüber beiden gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen.

Hinweis: Die ergangene Rechtsprechung zur Impfpflicht gegen Masern wird sich auf die eventuelle Impfpflicht gegen COVID-19 übertragen lassen.


Quelle: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.10.2021 - 3 M 134/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angeblicher EC-Kartendiebstahl: Anscheinsbeweis zu nicht ausreichend geschützter PIN ist schwer zu entkräften

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Eine Bank hatte einer Kundin eine EC-Karte zur Verfügung gestellt. Damit konnte die Frau unter Einsatz der ihr mitgeteilten PIN Bargeldabhebungen an Geldautomaten vornehmen. Eines Tages wurden innerhalb einer Stunde an einem Geldautomaten drei Bargeldauszahlungen in Höhe von insgesamt 990 EUR vorgenommen. Das Geld wurde vom Konto der Kundin abgebucht, die erst rund fünf Stunden nach der Abbuchung die Karte sperren ließ. Dabei gab sie an, dass ihr die Karte gestohlen worden sei, und forderte ihre Bank auf, die ihr die abgebuchten Beträge zu erstatten. Die Bank lehnte das ab. Die Bargeldabhebung sei schließlich nur mit der Original-EC-Karte durch Eingabe der PIN möglich. Deshalb gebe es für die Bank einen Anscheinsbeweis dafür, dass derjenige, der das Geld abgehoben habe, Kenntnis von der PIN gehabt haben muss, weil diese nicht ausreichend geheim gehalten worden sei. Das wollte die Bankkundin nicht auf sich sitzen lassen, da sie in dem Umstand, dass sich die Bank auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft, eine wissentliche unlautere Irreführung sah. Jedenfalls wurde die Bank verklagt, es zu unterlassen, das Geld nicht zu erstatten und sich auf den Anscheinsbeweis zu berufen, dass sie als Karteninhaberin die PIN nicht ausreichend geheim gehalten habe.

Das OLG sah sei jedoch keine Irreführung durch das Berufen auf Anscheinsbeweis bei angeblich entwendeten EC-Karten. Eine irreführende geschäftliche Handlung liege nicht vor, wenn sich eine Bank zur Abwehr von Ansprüchen eines Kunden auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft.

Hinweis: Haben Sie eigentlich die Telefonnummer zum Sperren ihrer Kontokarten immer parat? Denn nach Diebstahl oder anderweitigem Verlust der Bankkarten gilt es stets, die Karte schnellstmöglich sperren zu lassen. Notieren Sie sich deshalb die Rufnummer zur Sperrung Ihrer Karte.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.09.2021 - 6 U 68/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutter dankt mit Grundstück: Wer seine Eltern pflegt, darf Schenkung erhalten

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

In dem zum entschiedenen Fall hatte ein Ehepaar im Jahr 1996 ein Testament errichtet, in dem es sich zunächst wechselseitig zu Alleinerben und die drei gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt hat. Darüber hinaus war verfügt, dass ein Sohn ein Grundstück als Erbe erhalten sollte. Nach dem Tode des Ehemanns schenkte die überlebende Erblasserin ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück, das eigentlich testamentarisch für den Sohn vorgesehen war, ihrer Tochter. Darüber hinaus wurde ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für das Grundstück im Grundbuch eingetragen. Nach dem Tod der Mutter stritten die Geschwister folglich über die Rechtmäßigkeit dieser Schenkung. Der Bruder forderte von seiner Schwester die Übertragung des Grundstücks an ihn sowie die Bewilligung der Löschung des Wohnrechts.

Das LG hat die Klage des Bruders allerdings abgewiesen. Denn ein Anspruch bestehe laut Gericht nur dann, wenn die Mutter als Erblasserin die Schenkung ausschließlich zur Beeinträchtigung des Erbes des Sohns vorgenommen hätte, es sich somit um eine missbräuchliche Verfügung gehandelt hätte. Hiervon könne nicht ausgegangen werden, da die Erblasserin im Eigeninteresse gehandelt hatte. Nach erfolgter Beweisaufnahme ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tochter sowohl vor der Übertragung als auch im Gegenzug für die Schenkung Pflegeleistungen in erheblichem Umfang erbracht habe.

Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.


Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 18.11.2021 - 1 O 222/18
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mülltonnen auf Radweg: Rechtzeitig erkennbare Gefahren stellen keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Ein Mann war auf seinem Rad auf einem Radweg unterwegs, als er eben dort zwei Mülltonnen erblickte. Sein Versuch, diesen mit knappem Abstand auszuweichen, misslang - er fuhr gegen eine der Mülltonnen, stürzte und verletzte sich daraufhin schwer. Von dem zuständigen Abfallentsorgungsunternehmen verlangte er daraufhin Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Die Antwort auf die Frage, wie es zu dem Unfall habe kommen können, lag für das LG nahe: Die Klage hatte wegen ganz überwiegenden Mitverschuldens des Radfahrers keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts kann das Abstellen von Mülltonnen auf einem Radweg selbstverständlich durchaus eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellen. Denn die Tonnen seien ein "ruhendes Hindernis", durch das der Verkehrsfluss erheblich beeinträchtigt werde. Wenn aber das ruhende Hindernis schon von Weitem erkennbar ist, muss der Radfahrer diesem mit einem ausreichenden Seitenabstand ausweichen. Hält er diesen Abstand nicht ein und stürzt, ist der Sturz nicht auf die in dem Hindernis liegende Gefahr, sondern ganz überwiegend auf seine eigene grob fahrlässige Fahrweise zurückzuführen. Auch hier habe der Radfahrer den Mülltonnen weiträumig ausweichen können, sich jedoch bewusst dazu entschieden, an diesen so knapp vorbeizufahren, dass es erst zu dem Sturz habe kommen können.

Hinweis: Verkehrssicherungspflichten dienen nur der Beseitigung von Gefahren, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht rechtzeitig erkennbar sind. Erkennbare Gefahren, vor denen man sich ohne weiteres selbst schützen kann, lösen keine Verkehrssicherungspflicht aus. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen kann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn das Handeln des Geschädigten von ganz besonderer, schlechthin unverständlicher Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.


Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.09.2021 - 4 O 25/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutwillige Klage: Vor dem Gang vors Familiengericht sollte ein Einigungsversuch durch andere Stellen stehen

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Eine Kinderärztin hatte die Frühförderung eines Kindes empfohlen, aber der Vater hatte nicht zugestimmt. Darauf beantragte die Mutter beim Familiengericht, dies allein entscheiden zu dürfen. Weil sie sich keinen Anwalt leisten konnte, beantragte sie dafür VKH. Das in der Sache zuständige Amtsgericht (AG) wollte zunächst wissen, ob es eine gemeinsame Beratung der Eltern beim Jugendamt gegeben habe, was verneint wurde. Im weiteren Verlauf stimmte der Vater außergerichtlich der Frühförderung zu und erklärte, er sei nie dagegen gewesen, sondern habe sich nicht gut informiert gefühlt. Das Verfahren war somit zwar erledigt, aber die Kosten des Anwalts der Mutter waren jedoch noch offen. Diese Kosten bekam die Mutter auch nicht von der Staatskasse - nicht nach dem AG und nicht nach dem OLG.

Es ist letztendlich auch laut OLG mutwillig gewesen, sofort zu klagen, statt zuerst kostenfreie Angebote - beispielsweise durch das Jugendamt - zu nutzen, wie es auch Selbstzahler getan hätten. Erst wenn außergerichtliche Bemühungen fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos sind oder gar eine besondere Dringlichkeit besteht, ist die VKH grundsätzlich zu gewähren.

Hinweis: In vielen Städten hat das Jugendamt die Elternberatung an freie Träger delegiert. Sie müssen regional klären, welche Voraussetzungen an den vergeblichen Einigungsversuch geknüpft werden, und dazu auch dem Gericht etwas vortragen. Das betrifft alle Kindschaftssachen wie das Sorge- und Umgangsrecht.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.11.2021 - 13 WF 189/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unerfahrene Reiterin: Auf eigenes Fehlverhalten zurückzuführender Schaden schließt Schmerzensgeldanspruch aus

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Eine nicht sonderlich reiterfahrene Frau stieg auf den Rücken eines Pferds, das sichtlich nervös war. Die Reiterin rutschte schließlich mit dem Fuß aus dem Steigbügel und hatte deshalb absteigen müssen. Nach dem Wiederaufstieg aufs Pferd wechselte dieses vom Trab in den Galopp. Dabei fiel die Frau vom Pferd und prallte mit dem Kopf gegen einen Holzpfosten. Sie litt nach der Bewusstlosigkeit an einem Schädel-Hirn-Trauma und verlangte Schmerzensgeld von der Halterin des Pferds. Diese jedoch meinte, die Reiterin habe dem Tier durch ein Anpressen der Beine den Befehl zum Galopp gegeben. Insoweit habe das Tier lediglich gehorcht. Der Unfall beruhe daher nicht auf einer Tiergefahr, sondern auf einem Reitfehler. Eine Zeugin hatte ausgesagt, das Tier sei ganz normal und sanft in den Galopp übergegangen. Die gegnerische Tierhalterhaftpflichtversicherung hatte der Reiterin bereits freiwillig 2.000 EUR Schmerzensgeld gezahlt. Die Frau wollte jedoch mehr Geld - vergeblich.

Denn laut Beweisaufnahme durch das OLG war es auch möglich, dass die Reiterin tatsächlich aus Unsicherheit die Beine angepresst und damit dem Pferd den Befehl zum Galopp gegeben habe, ohne dies eigentlich zu wollen. Damit konnte nicht festgestellt werden, dass sich eine Tiergefahr verwirklicht hat. Das wäre jedoch für eine Zahlung von Schmerzensgeld erforderlich gewesen.

Hinweis: Es ist stets sinnvoll, die Gefahren, die von einem Tier ausgehen, zu versichern. Das gilt insbesondere bei Pferden und Hunden. Wenn es dann einmal zu einem Schaden kommt, steht eine Versicherung hinter dem Halter.


Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 19.10.2021 - 2 U 106/21
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kindeswohl im Mittelpunkt: Eine Steigerung des Umgangs auf hälftiges Wechselmodell trotz elterlicher Uneinigkeit möglich

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Es ging um ein siebenjähriges Mädchen, das als Zweijährige nach der Trennung der Eltern beim Vater auf dessen Bauernhof wohnen blieb, während die Mutter weiter weg zog. Anfangs hatte die Mutter alle 14 Tage Umgang an einem kurzen Wochenende. Schließlich zog die die Mutter wieder in die Nähe des Vaters und wünschte sich ein paritätisches Wechselmodell. Zunächst bekam sie einen erweiterten Umgang; 14-tägig freitags bis dienstags, schließlich bis mittwochs. Der Vater meinte, dies würde ausreichen, und betonte, dass es für das Kind wichtig sei, einen Lebensmittelpunkt zu haben.

Das mit der Sache zuerst befasste Amtsgericht stellte jedoch fest, dass der im Laufe des Verfahrens ausgedehnte Umgang nicht zu einer Überforderung des Kindes geführt habe. Es sei mit beiden Familiensystemen (Stiefeltern, Stiefgeschwister, Großeltern) vertraut und komme damit zurecht. Die abstrakte Forderung des Kindesvaters nach einem Lebensmittelpunkt reiche nicht aus, um ein Wechselmodell in Frage zu stellen. Der Verfahrensbeistand unterstützte die Mutter: Das Wechselmodell erhöhe die Erziehungskontinuität zu beiden Eltern. Es führe bei dem Kind zu mehr emotionaler Stabilität und Sicherheit, bei beiden Eltern leben zu dürfen, und gewährleiste eine gedeihliche Identitätsentwicklung. Auch das Jugendamt hatte sich für ein Wechselmodell ausgesprochen, weil die gute Bindung zu beiden Elternteilen hierdurch gleichermaßen gepflegt und gefördert werden könne.

Auch für das OLG war das Wechselmodell die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Umgangsregelung. Keine Voraussetzung für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist nämlich, dass sich die Kindeseltern über die Wahl dieses Betreuungsmodells einig sind.

Hier gab es zu beiden Eltern eine sichere Bindung und bei der Mutter auch schon erlebten Alltag. Das Mädchen habe begeistert von ihrem Leben in beiden Haushalten und den jeweiligen Urlauben mit beiden Elternfamilien berichtet. Hierbei kamen keinerlei Präferenzen für das Leben in dem einen oder dem anderen Haushalt zum Ausdruck. Sie vermisse jeweils den Elternteil, bei dem sie sich gerade nicht aufhalte. Wenn für das Kind nach seinen Bekundungen beide Elternteile gleichermaßen von Bedeutung sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn diese Bindung an beide Elternteile mit einer paritätischen Betreuung gestärkt und aufrechterhalten wird. Die organisatorischen Schwierigkeiten seien überschaubar und nicht viel höher als beim jetzigen Modell. Nach Ansicht des OLG überwiegen die Vorteile des Wechselmodells. Die Auffassung des Kindesvaters, das Kind benötige einen Lebensmittelpunkt, werde nicht durch human- oder sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse abstrakt gestützt. Positiv war die Feststellung, dass beim Kind kein Loyalitätskonflikt erkannt werden konnte. Die erforderliche grundlegende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern war vorhanden.

Hinweis: In der Praxis sind es zumeist die Väter, die statt eines Wochenend- oder erweiterten Umgangs ein Wechselmodell einklagen. Dabei scheitert das Wechselmodell in der Regel an der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern und dem darauf beruhenden Loyalitätskonflikt der Kinder, ohne dass es darauf ankommt, wer den Konflikt verursacht.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.10.2021 - 6 UF 14/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mängelgewährleistungsrecht beim Pferdekauf: Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen nicht automatisch für eine chronische Erkrankung

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Es ging um den Kauf eines Hengstes für 65.000 EUR von einem Zucht- und Ausbildungsstall. Das Tier wurde ärztlich untersucht, besichtigt und reiterlich erprobt. Drei Monate nach dem Kauf kam es plötzlich zu Problemen: Eine Tierärztin diagnostiziert dabei unter anderem einen offenen rechten Maulwinkel. Zweieinhalb Jahre später trat die Käuferin vom Kaufvertrag zurück und behauptete, dass das Pferd bereits bei Übergabe diese Probleme gehabt habe. Es würde schließlich eine Vernarbung in der Mundhöhle vorliegen. Daher klagte sie die Rückabwicklung des Kaufvertrags ein. Recht erhielt sie jedoch nicht.

Das OLG meinte, Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen für sich genommen nicht für eine chronische Erkrankung. Es handelt sich vielmehr um einen Befund, der aufgrund reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Damit lag für die Richter der Mangel bei der Übergabe des Pferds noch nicht vor - und eine Rückabwicklung kam nicht in Betracht. Die Käuferin musste das Pferd behalten und hatte auch keine weiteren Ansprüche auf Schadensersatz, Aufwendungen für Unterhalt, Tierarztkosten und Transport.

Hinweis: Tiere sind im deutschen Recht zwar keine Sachen, sie werden aber als solche behandelt. Deshalb kommt das Mängelgewährleistungsrecht auch bei Tieren zur Anwendung.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 14.09.2021 - 6 U 127/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)