Keine Pflichtwahl: Frage um Ausschussvorsitz von AfD-Nachrückern in Landschaftsversammlung Rheinland geklärt

Wenn einer seinen Sitz aufgibt, dann rückt eben ein anderer nach. So in etwa stellte es sich die AfD-Fraktion in der Landschaftsversammlung Rheinland vor. Ob diese Landschaftsversammlung die Nachbesetzung freigewordener Ausschussvorsitze der AfD-Fraktion durch die zur Wahl gestellten Kandidaten habe ablehnen dürfen, musste das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen final entscheiden.

Wenn einer seinen Sitz aufgibt, dann rückt eben ein anderer nach. So in etwa stellte es sich die AfD-Fraktion in der Landschaftsversammlung Rheinland vor. Ob diese Landschaftsversammlung die Nachbesetzung freigewordener Ausschussvorsitze der AfD-Fraktion durch die zur Wahl gestellten Kandidaten habe ablehnen dürfen, musste das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen final entscheiden.

Nachdem einige Vertreter der AfD-Fraktion aus dem Landschaftsausschuss sowie aus verschiedenen Fachausschüssen der Landschaftsversammlung Rheinland ausgeschieden waren, beantragte die AfD-Fraktion in verschiedenen Sitzungen, Nachfolger für diese Sitze in den Ausschüssen zu wählen. Die Landschaftsversammlung lehnte eine Nachbesetzung mit den von der Fraktion vorgeschlagenen Kandidaten teilweise ab. Mit ihrer dagegen eingereichten Klage wollte die Fraktion hingegen festgestellt wissen, dass dies rechtswidrig war. Sie meinte, die Landschaftsversammlung sei verpflichtet gewesen, die vorgeschlagenen Kandidaten zu wählen.

Das sah das OVG jedoch anders. Die Landschaftsversammlung Rheinland durfte die Nachbesetzung freigewordener Ausschusssitze der Fraktion durchaus ablehnen. Das Recht der Fraktionen ist darauf beschränkt, dass sie Kandidaten für die Wahl vorschlagen können und dass die freie Wahl ordnungsgemäß - insbesondere frei von Rechtsmissbrauch - durchgeführt werde. Für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen der Landschaftsversammlung bestünden hier keine Anhaltspunkte. Insbesondere habe sie gegenüber der AfD-Fraktion keine "Blockadehaltung" verfolgt: Schließlich waren bei den in einer Sitzung im März 2023 durchgeführten Einzelwahlen durch die Landschaftsversammlung elf der insgesamt 14 von der Fraktion vorgeschlagenen Personen gewählt worden.

Hinweis: Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden.


Quelle: OVG Münster, Urt. v. 11.11.2024 - 15 A 1404/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2025)

Flugverspätung: Fluggesellschaft muss ausreichend Ersatzflüge anbieten, um Zahlungsansprüche auszuräumen

Hat ein Flug Verspätung, steht dem Fluggast häufig eine Entschädigungszahlung zu. Doch darf die Fluggesellschaft stattdessen auch eine Ersatzbeförderung anbieten? Und wenn ja, wie muss diese aussehen? Die Antworten kommen vom Bundesgerichtshof (BGH), der hierfür die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zurate zog.

Hat ein Flug Verspätung, steht dem Fluggast häufig eine Entschädigungszahlung zu. Doch darf die Fluggesellschaft stattdessen auch eine Ersatzbeförderung anbieten? Und wenn ja, wie muss diese aussehen? Die Antworten kommen vom Bundesgerichtshof (BGH), der hierfür die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zurate zog.

Ein Fluggast verfügte über eine bestätigte Buchung für einen Flug, der planmäßig am 29.07.2019 um 18:55 Uhr (Ortszeit) in Berlin-Tegel starten und um 20:10 Uhr in Düsseldorf landen sollte. Die Fluggesellschaft annullierte sowohl diesen als auch den im Anschluss vorgesehenen und vom selben Flugzeug durchzuführenden (Rück-)Flug. Sie bot dem Fluggast über den Login-Bereich ihrer Homepage mehrere Flüge ihres Unternehmens als Ersatzbeförderung an, von denen einer noch am selben Tag und die übrigen an den Folgetagen vorgesehen waren. Der Fluggast entschied sich für jedoch für eine Fahrt mit der Bahn und verlangte eine Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung.

Der BGH gab dem Fluggast Recht. Nach der Rechtsprechung des EuGH müsse das Luftfahrtunternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch außergewöhnliche Umstände genötigt ist, einen Flug zu annullieren. Gleiches gilt, wenn der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommen. Zu den demnach gebotenen Maßnahmen gehöre es, dem Fluggast eine mögliche anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anzubieten, den das betroffene oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt. Hier hatte die Fluggesellschaft aber nur eigene wenige Flüge angeboten. Ebendies reichte jedoch nicht aus, so dass der Fluggast eine Entschädigung erhielt.

Hinweis: Ob einem Fluggast eine Ausgleichszahlung für einen verspäteten Flug zusteht, kann ein Rechtsanwalt prüfen. Jeder Fall ist anders und jeder Fall bedarf einer besonderen Aufmerksamkeit.


Quelle: BGH, Urt. v. 24.09.2024 - X ZR 109/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2025)

Vertragliche Grundlage: Die Kündigung des Girokontos auch durch Genossenschaftsbanken jederzeit möglich

Genossenschaftsbanken wie beispielsweise die Volksbanken haben Mitglieder statt Kunden - und zwar ihre Genossen. Daher ist die Eröffnung eines Kontos ohne eine Mitgliedschaft auch nicht möglich. Ob eine solche Bank einem Genossen dessen Konto einfach kündigen darf, musste der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Genossenschaftsbanken wie beispielsweise die Volksbanken haben Mitglieder statt Kunden - und zwar ihre Genossen. Daher ist die Eröffnung eines Kontos ohne eine Mitgliedschaft auch nicht möglich. Ob eine solche Bank einem Genossen dessen Konto einfach kündigen darf, musste der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Ein Mann hatte ein Girokonto, ein Kreditkartenkonto und ein Wertpapierdepot bei einer Genossenschaftsbank und war somit auch Mitglied bei dem Kreditinstitut. Nach  Allgemeinen Geschäftsbedingungen war die Bank berechtigt, jederzeit unter Einhaltung einer angemessenen Kündigungsfrist die Konten zu kündigen. Genau das tat die Bank dann auch - zum Missfallen des Kunden. Dieser zog vor Gericht und beantragte, festzustellen, dass die Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien weiterhin fortbestehe. Er meinte, weil er Mitglied der Genossenschaft sei, wäre eine Kündigung nicht möglich.

Die Klage wurde vor dem BGH allerdings abgewiesen. Wenn der Geschäftsverkehr der Mitglieder mit ihrer Genossenschaft auf vertraglicher Grundlage beruhe, spiele er sich außerhalb des Mitgliedschaftsverhältnisses ab, so dass rein schuldrechtliche Beziehungen entstehen und das Mitglied der Genossenschaft insoweit wie ein außenstehender Dritter gegenübertritt. Deshalb konnte die Bank die Geschäftsbeziehung kündigen.

Hinweis: Es ist also für eine Genossenschaftsbank möglich, einen Girovertrag eines Mitglieds ohne Angabe von Gründen zu kündigen.


Quelle: BGH, Urt. v. 15.10.2024 - XI ZR 50/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2025)

Optische Beeinträchtigung: Entfernen von Strandkorb und Wäschespinne aus Gemeinschaftsgarten durchgesetzt

Schon Schiller wusste, dass der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Und so beschäftigt sich das Mietrecht nicht nur mit Zwistigkeiten zwischen Mietern und Vermietern, sondern auch mit Nachbarschaftsstreitereien, wie in diesem Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG).

Schon Schiller wusste, dass der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Und so beschäftigt sich das Mietrecht nicht nur mit Zwistigkeiten zwischen Mietern und Vermietern, sondern auch mit Nachbarschaftsstreitereien, wie in diesem Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG).

Hier ging es nämlich um Wohnungseigentümer und deren Benutzung von Gemeinschaftsflächen. Die Wohnungseigentümergemeinschaft bestand zwar aus lediglich zwei Parteien - das war aber nachweislich schon genug für einen gerichtlichen Streit. Ihr Gemeinschaftseigentum umfasste einen Garten, in dem sich sowohl ein Strandkorb als auch eine Wäschespinne befanden. Die eine Eigentümerin verlangte nun die Unterlassung des Aufstellens dieser beiden Elemente, da sie der Meinung war, darin eine optische Beeinträchtigung zu sehen.

Und siehe da: Das AG entschied zugunsten der Klägerin. Ihr stehe nämlich nach § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch, § 14 Abs. 2 Nr. 1 Wohnungseigentumsgesetz ein entsprechender Anspruch auf Unterlassung zu. Beim abgestellten Strandkorb und der aufgestellten Wäschespinne handelte es sich in diesem Sinne um eine tatsächlich nicht hinzunehmende optische Beeinträchtigung. Eine derartige Nutzung des Gemeinschaftseigentums sei damit unzulässig. Zudem sei es unerheblich, ob die Klägerin in der Vergangenheit selbst eine Wäschespinne im Garten genutzt habe. Denn auch dies wäre unzulässig gewesen und hätte auch von der Beklagten unterbunden werden können.

Hinweis: In der Wohnungseigentumsanlage kann es immer wieder zu Konflikten kommen. Oftmals kann hier auch ein Mediator helfen, den Konflikt beizulegen. Viele Anwälte sind auch als Mediator ausgebildet.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 18.04.2024 - 514 C 112/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Wohnungseigentümerversammlung online: Wahl von Hard- und Software darf in Absprache mit dem Beirat der Verwaltung überlassen werden

Spätestens während der Corona-Pandemie erwies sich die moderne Informationstechnologie als Fluch und Segen zugleich - und zwar für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen. Doch nach wie vor bringt ihre Anwendung Rechtsstreitigkeiten mit sich. Das Amtsgericht Berlin-Mitte (AG) musste sich mit Hard- und Softwarefragen bei Versammlungen der Wohnungseigentümergemeinschaft beschäftigen, die künftig auch online ablaufen sollten.

Spätestens während der Corona-Pandemie erwies sich die moderne Informationstechnologie als Fluch und Segen zugleich - und zwar für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen. Doch nach wie vor bringt ihre Anwendung Rechtsstreitigkeiten mit sich. Das Amtsgericht Berlin-Mitte (AG) musste sich mit Hard- und Softwarefragen bei Versammlungen der Wohnungseigentümergemeinschaft beschäftigen, die künftig auch online ablaufen sollten.

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft fällte den Beschluss, dass es für die Folgeversammlung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) gestattet sein soll, online an der Versammlung teilzunehmen. Dabei wurde bestimmt, dass das elektronische Kommunikationssystem seitens der Hausverwaltung in Absprache mit dem Verwaltungsbeirat festgelegt werden solle. Gegen diesen Beschluss zog eine Eigentümerin vor Gericht, da sie der Ansicht war, die Wohnungseigentümer hätten eine Entscheidung über die Modalitäten der Teilnahme treffen müssen - insbesondere zur Wahl des elektronischen Kommunikationssystems oder zu Vorgaben zu den technischen Anforderungen an Hard- und Software.

Das AG wies die Klage jedoch ab. Weder die inhaltliche Ausgestaltung des Beschlusses noch die fehlenden Erläuterungen zu Hard- und Softwareausstattung begründeten eine Nichtigkeit. Es ist durchaus möglich, diese Entscheidungen der Verwaltung in Absprache mit dem Beirat zu überlassen. Der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG sieht nämlich lediglich vor, dass eine Entscheidung über die grundsätzliche Gestattung und die wahrzunehmenden Eigentümerrechte zu treffen ist.

Hinweis: In § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG heißt es wörtlich: "Die Wohnungseigentümer können beschließen, dass Wohnungseigentümer an der Versammlung auch ohne Anwesenheit vor Ort teilnehmen und sämtliche oder einzelne ihrer Rechte ganz oder teilweise im Wege elektronischer Kommunikation ausüben können." In der Praxis werden solche Onlineversammlungen derzeit noch selten durchgeführt. Das wird sich in absehbarer Zeit sicherlich ändern.


Quelle: AG Berlin-Mitte, Urt. v. 02.05.2024 - 22 C 50/23 WEG
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Unklarer "Kündigungsbutton": Eine Kündigung zu beabsichtigen bedeutet nicht, auch wirklich zu kündigen

Verbraucher müssen eine Kündigung eines im Internet geschlossenen Vertrags abgeben können - und zwar stets auf einfache Art und Weise. Wie das genau auszusehen hat, hat das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) im folgenden Fall geklärt.

Verbraucher müssen eine Kündigung eines im Internet geschlossenen Vertrags abgeben können - und zwar stets auf einfache Art und Weise. Wie das genau auszusehen hat, hat das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) im folgenden Fall geklärt.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände beanstandete gerichtlich das Fehlen eines Kündigungsbuttons auf der Website eines Portals, das Verbrauchern den Abschluss von Strom- und Gasverträgen anbot. Ein solcher Button müsse auf der Bestätigungsseite zu finden sein, mit der der Verbraucher die Kündigungserklärung abgeben könne. Diese Bestätigungsschaltfläche müsse mit den Worten "jetzt kündigen" oder einer anderen entsprechend eindeutigen Formulierung beschriftet sein. Die verwendete Formulierung "Kündigungsabsicht abschicken" lasse die von § 312k Bürgerliches Gesetzbuch geforderte Deutlichkeit vermissen.

Das OLG hat der Klage stattgegeben. Eine Bestätigungsschaltfläche "Kündigungsabsicht abschicken" ist nicht ebenso eindeutig wie "jetzt kündigen". Jedenfalls kann bei der Formulierung "Kündigungsabsicht abschicken" und dabei vor allem dem gewählten Wort "Kündigungsabsicht" der Eindruck entstehen, dass noch keine endgültige Kündigungserklärung damit verbunden ist. Damit genügte diese Formulierung nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Hinweis: Es wird deutlich, dass die Gerichte den Gesetzestext auch eindeutig umgesetzt haben wollen. Denn andernfalls ist nicht sichergestellt, dass Verbraucher auch tatsächlich eine Kündigungserklärung abgeben können.


Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 26.09.2024 - 5 UKI 1/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2025)

Kein Auszug bei Modernisierung: Wer zur Duldung verurteilt wurde, darf sich meist auf passives Zulassen von Maßnahmen beschränken

Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten müssen in den meisten Fällen seitens der Mieter geduldet werden. Natürlich kann man nicht alle Maßnahmen einfach passiv ertragen, wenn man mitten im anfallenden Chaos leben muss. Die Frage aber, ob ein Mieter währenddessen auch zum Auszug gezwungen werden kann, wenn er bereits zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verurteilt wurde, musste das Landgericht Berlin II (LG) entscheiden.

Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten müssen in den meisten Fällen seitens der Mieter geduldet werden. Natürlich kann man nicht alle Maßnahmen einfach passiv ertragen, wenn man mitten im anfallenden Chaos leben muss. Die Frage aber, ob ein Mieter währenddessen auch zum Auszug gezwungen werden kann, wenn er bereits zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verurteilt wurde, musste das Landgericht Berlin II (LG) entscheiden.

Im Jahr 2021 war der Mieter zur Duldung mehrerer Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten verurteilt worden. Das Gericht hatte ihn verpflichtet, den von der Vermieterin beauftragten Handwerkern den Zutritt zur Ausführung der Arbeiten jeweils nach entsprechender rechtzeitiger Ankündigung vom Montag bis Freitag im Zeitraum zwischen 7 und 18 Uhr zu gewähren. Mit mehreren Schreiben forderte die Vermieterin den Mieter zwischen Juli und September 2023 auf, für Baufreiheit zu sorgen und das Haus zu räumen, da die Bewohnbarkeit der Immobilie in der Zeit der Bauphase nicht gegeben sei. Der Mieter erwiderte hingegen, dass er nur zur Duldung und Zutrittsgewährung, nicht jedoch zur vorübergehenden Räumung verurteilt worden sei. Daraufhin legte die Vermieterin eine Räumungsklage ein.

Die Klage wurde vor dem LG abgewiesen. Der im Gesetz verwendete Begriff der Duldung erfasse kein aktives Handeln, sondern beschränke sich auf ein passives Zulassen der Maßnahmen und die Gewährung von Zutritt. Ein zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verpflichteter Mieter muss das Mietobjekt während der Bauarbeiten nicht auf bloßes Verlangen des Vermieters räumen. Dies komme höchstens unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht - etwa dann, wenn die Maßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders erledigt werden können. Dafür waren hier weder dem Ankündigungsschreiben noch den außergerichtlichen Schreiben entsprechende Anhaltspunkte zu entnehmen.

Hinweis: Gerade im Mietverhältnis ist das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme wichtig. Das gilt sowohl für den Mieter als auch für den Vermieter.


Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 22.10.2024 - 65 S 139/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Schlägerei beim Sportverein: Konzertveranstalter haften nicht automatisch für Folgen durch hinzugezogene Sicherheitskräfte

Selbst kleine körperliche Auseinandersetzungen können zu gravierenden Schädigungen führen. Das zieht dann meistens umfangreiche gerichtliche Verfahren nach sich. Wie mit einem solchen Verfahren mit Schadensersatzforderungen umzugehen ist, und ob der Veranstalter für durch ihn beauftragte Ordner haftet, musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) entscheiden.

Selbst kleine körperliche Auseinandersetzungen können zu gravierenden Schädigungen führen. Das zieht dann meistens umfangreiche gerichtliche Verfahren nach sich. Wie mit einem solchen Verfahren mit Schadensersatzforderungen umzugehen ist, und ob der Veranstalter für durch ihn beauftragte Ordner haftet, musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) entscheiden.

Ein Sportverein veranstaltete jährlich am ersten Weihnachtstag in einem Gemeindezentrum ein "Weihnachtsrock"-Konzert und erhielt von der Gemeinde die Auflage, die dortige Sicherheit zu gewährleisten. Es wurde daher ein Ordner beauftragt, der wiederum zwei weitere Sicherheitskräfte rekrutierte. Diese erhielten statt einer Bezahlung Freigetränke und eine Einladung zu einem späteren Helferfest. Dann kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, deren Einzelheiten im Wesentlichen streitig blieben. Jedenfalls erlitt ein Gast durch eine Schlägerei mit einem Mitglied des Sicherheitspersonals einen Schädelbasisbruch mit Schädelhirntrauma dritten Grades und Hirnblutungen. Die Sicherheitskraft wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Der Täter sowie der Verein wurden sodann verklagt und als Gesamtschuldner zur Zahlung von 91.132 EUR sowie eines angemessenen Schmerzensgeldes verurteilt. Der Verein wehrte sich dagegen mit einer Berufung - und zwar erfolgreich.

Das OLG urteilte, dass der Gewaltexzess des Ordners nicht automatisch dem Konzertveranstalter zugerechnet werden kann. Die Begehung der vorsätzlichen Körperverletzung durch eine von einem örtlichen Verein für eine Konzertveranstaltung beauftragte Sicherheitskraft stand nicht mehr in einem inneren Zusammenhang mit der übertragenen Tätigkeit, weil diese ohne ersichtlichen Grund oder Provokation erfolgt sei und auch ein Außenstehender die Tätigkeit nicht als Teil der übertragenen Aufgabe aufgefasst hätte.

Hinweis: Ob und in welcher Höhe Ansprüche nach tätlichen Angriffen gegen den Schädiger bestehen, kann am besten der Rechtsanwalt des Vertrauens einschätzen.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.10.2024 - 9 U 85/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2025)

Fingiert oder nicht? Versicherung muss mutmaßliche Vortäuschung eines Unfalls beweisen können

Der eine sagt so, der andere sagt so - das ist auch bei der Untersuchung eines Unfalls Alltag. Schließlich muss den Beteiligten unterstellt werden, nicht täglich mit derart ungewöhnlichen Umständen konfrontiert zu werden. Das sah ein Versicherer aber anders, weshalb die Beteiligten eines Verkehrsunfalls vor dem Landgericht Lübeck (LG) landeten.

Der eine sagt so, der andere sagt so - das ist auch bei der Untersuchung eines Unfalls Alltag. Schließlich muss den Beteiligten unterstellt werden, nicht täglich mit derart ungewöhnlichen Umständen konfrontiert zu werden. Das sah ein Versicherer aber anders, weshalb die Beteiligten eines Verkehrsunfalls vor dem Landgericht Lübeck (LG) landeten.

Der Sohn des Klägers hatte im Haus seiner Eltern eine Party veranstaltet, bei der auch die Freundin des Beklagten zu Gast war. Eben dieser Beklagte wollte sie mit dem (bei der ebenfalls mitverklagten Haftpflichtversicherung) versicherten Auto abholen. Sie wartete gemeinsam mit einer weiteren Zeugin an der Haustür, während der Beklagte das Auto holte. Er fuhr rückwärts vor das Haus und kollidierte dabei mit dem geparkten Fahrzeug des Klägers. Der Kläger hat die mitverklagte Haftpflichtversicherung daraufhin vergeblich zum Schadensersatz aufgefordert. Die Versicherung meinte nämlich, der Beklagte sei in Absprache mit dem Gastgeber absichtlich gegen dessen Auto gefahren, um die Versicherungssumme zu kassieren.

Das LG entschied nun, dass die Versicherung die Schäden ersetzen muss. Meint die Haftpflichtversicherung, der Unfall sei abgesprochen gewesen, muss sie beweisen, dass der Geschädigte mit der Beschädigung einverstanden gewesen sei. Derartiges konnte die Versicherung hier jedoch nicht beweisen. Im Streitfall wurden der Fahrer und weitere Partygäste zu dem Vorfall befragt und ein technischer Sachverständiger hinzugezogen. Daraus hat sich nach dem Gericht ergeben, dass der Fahrer aus Versehen gegen das Auto des Klägers gefahren sei und es keine Verabredung zu einem fingierten Unfall gegeben habe. Das Gericht wies dabei auch darauf hin, dass teilweise widersprüchliche Unfalldarstellungen nicht unbedingt für eine erfolgte Absprache sprechen.

Hinweis: Bei Verdacht auf ein fingiertes Unfallereignis kann der vom Kfz-Haftpflichtversicherer zu erbringende Nachweis im Rahmen des sogenannten Indizienbeweises geführt werden. Dieser Beweis ist bereits dann geführt, wenn sich eine Häufung von Umständen und Beweiszeichen findet, die in der Gesamtschau nach richterlicher Überzeugung darauf hindeutet. Typische Beweisanzeichen können sich aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, persönlichen Beziehungen oder den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien ergeben.


Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 26.09.2024 - 3 O 193/22
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Unbekannte (Mit-)Erben: Notwendigkeit der Nachlasspflegschaft muss für jeden potentiellen Erben einzeln geprüft werden

Der Nachlasspfleger als gesetzlicher Vertreter noch unbekannter Erben muss den Nachlass bis zur Ermittlung der Erben sichern und verwalten. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) war von zwei potentiellen Erben von einem nicht bekannt, ob er die Erbschaft ausschlage oder überhaupt Kenntnis von dem Erbfall habe. Das Amtsgericht (AG) hatte eine Nachlasspflegschaft über den gesamten Nachlass eingelegt. Hiergegen wendete sich die Miterbin mit einer Beschwerde.

Der Nachlasspfleger als gesetzlicher Vertreter noch unbekannter Erben muss den Nachlass bis zur Ermittlung der Erben sichern und verwalten. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) war von zwei potentiellen Erben von einem nicht bekannt, ob er die Erbschaft ausschlage oder überhaupt Kenntnis von dem Erbfall habe. Das Amtsgericht (AG) hatte eine Nachlasspflegschaft über den gesamten Nachlass eingelegt. Hiergegen wendete sich die Miterbin mit einer Beschwerde.

Das OLG stellte in seiner Entscheidung klar, dass eine Überprüfung der Notwendigkeit zur Anordnung einer Nachlasspflegschaft für jeden potentiellen Erben erfolgen müsse. Die vom AG vorgenommene Anordnung einer Gesamtnachlasspflegschaft widerspreche dieser Grundannahme, sobald ein Teil der Erben bereits bekannt und auch handlungsfähig ist. Die Anordnung einer Teilnachlasspflegschaft erfolge auch im Interesse von Gläubigern, die Ansprüche gegen den Nachlass geltend machen wollen, weil ihnen bei einer unklaren Erbfolge und ohne die Einrichtung einer Nachlasspflegschaft nicht möglich ist, ihre Ansprüche zu verfolgen.

Hinweis: Jeder Gläubiger, der ein berechtigtes Interesse hat, einen Anspruch gegenüber dem Nachlass anzumelden, ist berechtigt, einen Antrag auf Einrichtung einer Nachlasspflegschaft zu stellen.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 11.07.2024 - 3 W 17/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Nachweispflicht: Ein totes Reh vor der Motorhaube macht noch lange keinen Wildunfall

Autofahrer müssen nach einem Wildunfall für Ansprüche gegen die Kaskoversicherung den Nachweis führen, dass das Wildtier für die Schäden ursächlich war. Das Amtsgericht München (AG) hatte eine derartige Klage gegen einen Kfz-Versicherer zu bewerten. Und siehe da: Obwohl ein Reh beim verunfallten Pkw lag, konnte das Sachverständigengutachten den behaupteten Unfallhergang nicht bestätigen. Das hatte seine Gründe.

Autofahrer müssen nach einem Wildunfall für Ansprüche gegen die Kaskoversicherung den Nachweis führen, dass das Wildtier für die Schäden ursächlich war. Das Amtsgericht München (AG) hatte eine derartige Klage gegen einen Kfz-Versicherer zu bewerten. Und siehe da: Obwohl ein Reh beim verunfallten Pkw lag, konnte das Sachverständigengutachten den behaupteten Unfallhergang nicht bestätigen. Das hatte seine Gründe.

Der Kläger machte gegen eine Versicherung nach einem behaupteten Wildunfall aus einem Kaskoversicherungsvertrag eine Entschädigung von 2.730 EUR sowie Abschleppkosten von 223,23 EUR geltend. Der Kläger trug vor, er sei im März 2021 gegen 21:30 Uhr auf einer abschüssigen, ländlichen Straße in Nordrhein-Westfalen gefahren. In einem Kurvenbereich sei ihm plötzlich ein Reh auf die Motorhaube gesprungen, weshalb er nichts mehr gesehen und die Kontrolle über das Fahrzeug verloren habe. Er sei zweimal gegen die rechte Leitplanke gestoßen. Nach dem Stillstand sei das Reh schließlich von der Motorhaube gerutscht. Der Kläger habe nach dem Unfall die Polizei verständigt, bei deren Ankunft das tote Reh noch an besagter Stelle lag. An dem Pkw sei ein wirtschaftlicher Totalschaden entstanden. Die Versicherung verweigerte jedoch eine Regulierung des Schadens mit der Begründung, dass sich mit Ausnahme des toten Rehs keine Anzeichen für einen Wildunfall finden ließen.

Das AG hat die Klage tatsächlich abgewiesen, da es nach Durchführung der Beweisaufnahme den Nachweis, dass das Reh für den Unfall ursächlich war, als nicht geführt ansah. Das unfallanalytische Sachverständigengutachten konnte zwar einzelne Schäden dem Kontakt mit einer Leitplanke vor Ort zurechnen - nicht jedoch alle insoweit maßgeblichen Beschädigungen an dem Fahrzeug. Anknüpfungspunkte, dass es zu einer Anstoßsituation mit einem Reh gekommen ist, hatten sich aus technischer Sicht nicht ergeben. Der Kläger konnte keinen Zeugen vorweisen, der den Unfallhergang beobachtet hatte, habe auch keine Fotos am Unfallort gefertigt oder von den Polizeibeamten fertigen lassen. Außerdem hatte er das Fahrzeug verkauft, das anschließend verschrottet wurde. Insofern hatte er vereitelt, dass ein Gerichtssachverständiger weitere Überprüfungen vornehmen konnte. Nachdem der Kläger Ansprüche gegen seine Versicherung geltend machen wollte, hätte es ihm oblegen, entsprechende Beweise zu sichern. Der Kläger hatte nach eigenen Angaben innerhalb von zwei bis drei Jahren stolze zehn Wildunfälle gehabt und Ansprüche gegenüber unterschiedlichen Versicherungen geltend gemacht, da er die Versicherungen gewechselt hatte. Die Aussagen des Klägers waren in Anbetracht der oben geschilderten Ausführungen nicht ausreichend, um nachzuweisen, dass der geltend gemachte Schaden darauf zurückzuführen sei, dass ein Reh auf seiner Motorhaube zum Liegen kam und er zweimal ohne sein eigenes Verschulden eine Leitplanke berührt habe.

Hinweis: Der Versicherungsnehmer hat den Vollbeweis dafür, dass ein Zusammenstoß mit einem Tier erfolgt ist, zu erbringen. Er muss also beweisen, dass es zu einem Zusammenstoß zwischen dem in Fahrt befindlichen versicherten Fahrzeug und einem Tier gekommen ist. Er muss auch darlegen und beweisen, dass bei diesem Zusammenstoß diejenigen Schäden entstanden sind, für die er die Versicherungsleistung geltend macht.


Quelle: AG München, Urt. v. 22.08.2024 - 123 C 13553/23
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Sturz im Bus: Vernachlässigung der Eigensicherung kostet den Schmerzensgeldanspruch

Wer sich im öffentlichen Raum bewegt, sollte immer ein Auge auf seine Umgebung und eines auf das eigene Verhalten gerichtet haben. Da man das Verhalten Fremder nämlich nicht erahnen kann, legen Gerichte darauf Wert, dass man stets für ein Mindestmaß an Eigensicherung sorgt, um Kollisionen sämtlicher Art zu umgehen. So ist das Urteil des Amtsgerichts München (AG) einem im Bus gestürzten Fahrgast gegenüber nur folgerichtig.

Wer sich im öffentlichen Raum bewegt, sollte immer ein Auge auf seine Umgebung und eines auf das eigene Verhalten gerichtet haben. Da man das Verhalten Fremder nämlich nicht erahnen kann, legen Gerichte darauf Wert, dass man stets für ein Mindestmaß an Eigensicherung sorgt, um Kollisionen sämtlicher Art zu umgehen. So ist das Urteil des Amtsgerichts München (AG) einem im Bus gestürzten Fahrgast gegenüber nur folgerichtig.

Der 76-Jährige fuhr in einem Linienbus und hielt sich mit einer Hand an der Haltestange fest, während die andere Hand auf seinem Trolley lag. Als der Bus auf der Rechtsabbiegespur auf eine rote Ampel zufuhr, wechselte ein Pkw kurz vor ihm auf dieselbe Abbiegespur, woraufhin der Busfahrer eine Vollbremsung durchführte. Der Fahrgast verlor das Gleichgewicht, konnte sich nicht halten und stürzte. Dabei verletzte er sich und forderte von der Haftpflichtversicherung des Autofahrers Schmerzensgeld. Diese lehnte ab und war der Ansicht, dass der Geschädigte den Schaden selbst verschuldet hatte, weil er sich nicht ordentlich festgehalten habe.

Das AG gab der Versicherung recht. Das Gericht ging zwar davon aus, dass die Fahrweise des Autofahrers zum Sturz des Mannes beigetragen habe und dass die Straßenverkehrs-Ordnung ihm für den Spurwechsel ein Höchstmaß an Sorgfaltspflicht auferlege, gegen die er verstoßen habe. Ein Fahrgast sei jedoch stets verpflichtet, sich im Linienbus einen festen Halt zu verschaffen. Die von dem Mann eingenommene stehende Position war nicht geeignet, um bei einer Bremssituation gesichert zu sein. Im vorliegenden Fall waren sowohl Sitzplätze frei als auch die Haltestange mit beiden Händen greifbar gewesen. Es ist zudem im Stadtverkehr mit plötzlichen Bremsmanövern zu rechnen. Dabei ist die Sicherung mit nur einer Hand ungeeignet, ruckartige Bewegungen auszugleichen. Das Ablegen der anderen Hand auf dem Trolley war eher eine zusätzliche Gefährdung als eine Sicherung. Das Verschulden des Fahrgasts ist daher als so hoch anzusetzen, dass die Versicherung des Pkw-Fahrers nicht hafte.

Hinweis: Der Fahrer eines Linienbusses darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass die Fahrgäste entsprechend ihrer Verpflichtung aus § 14 Abs. 3 Nr. 4 Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr selbst dafür sorgen, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen. Dem Fahrgast eines Linienbusses obliegt es daher, für seine Sicherheit selbst zu sorgen, einen Sitzplatz - soweit dies möglich ist - einzunehmen und sich ausreichend Halt zu verschaffen. Jeder Fahrgast ist grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, dass er durch typische und zu erwartende Bewegungen eines Fahrzeugs nicht zu Fall kommt. Kommt es bei einem stehenden Fahrgast zu einem Sturz - etwa im Rahmen eines Anfahr- oder Abbremsvorgangs des Busses -, trifft ihn regelmäßig die Alleinhaftung für das Sturzgeschehen. Gegen ihn spreche dann bereits der Beweis des ersten Anscheins.
 
 


Quelle: AG München, Urt. v. 18.10.2024 - 338 C 15281/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Der gekündigte Maklervertrag: Anteilig berechnete Bürokosten führen zur Gesamtunwirksamkeit des vereinbarten Aufwendungsersatzes

Prinzipiell kann ein Kunde einen Maklervertrag jederzeit kündigen. Die Frage, die dann jedoch zumeist im Raum steht, ist, ob und - wenn ja - welche Vergütung der Makler dann noch erhält. Die Antworten darauf hat nun das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) gegeben.

Prinzipiell kann ein Kunde einen Maklervertrag jederzeit kündigen. Die Frage, die dann jedoch zumeist im Raum steht, ist, ob und - wenn ja - welche Vergütung der Makler dann noch erhält. Die Antworten darauf hat nun das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) gegeben.

Ein Mann beauftragte eine Immobilienmaklerin mit der Vermarktung seines Einfamilienhauses im Hintertaunus zum Angebotspreis von 695.000 EUR. Nach Nr. 6 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Maklervertrags war der Auftraggeber bei eventueller Aufgabe seiner Verkaufsabsichten zu einem Aufwendungsersatz verpflichtet. Zu diesen erstattungspflichtigen Aufwendungen sollten auch anteilige Bürokosten zählen. Nach vier Monaten kam es tatsächlich zur Kündigung, als der Mann der Maklerin mitteilte, dass das Haus doch nicht kurzfristig verkauft werden solle. Die Maklerin stellte ihm daraufhin 11.450 EUR in Rechnung, wovon 280 EUR auf "Fremdkosten laut Aufstellung" und der übrige Betrag auf Arbeitsstunden entfallen seien. Hierauf zahlte der Mann 6.280 EUR, die er nun mit einer Klage doch zurückverlangte - und zwar zu Recht.

Die Nr. 6 der AGB des Maklervertrags (Aufwendungsersatz für anteilige Bürokosten) war in Augen des OLG unwirksam. Die Regelung benachteiligte den Vertragspartner unangemessen. Zwar kann eine Pflicht des Maklerkunden zum Aufwendungsersatz grundsätzlich in den AGB vereinbart werden - sie muss sich dann aber wirklich und ausschließlich auf den Ersatz des konkreten Aufwands beziehen. Eine darüber hinausgehende Pflicht zum Aufwendungsersatz lässt sich in AGB nicht wirksam vereinbaren. Grundsätzlich ist beim Maklervertrag die Provision vom Erfolg der Tätigkeit abhängig. Wird im Gewand des Aufwendungsersatzes in Wahrheit eine erfolgsunabhängige Provision vereinbart, widerspricht dies dem Leitbild - die Regelung ist damit unwirksam. Die Unwirksamkeit der Belastung mit anteiligen Bürokosten führte hier zur Gesamtunwirksamkeit der Vereinbarung über den Aufwendungsersatz. Andernfalls wäre es einem Makler möglich, risikolos rechtlich nicht geschuldete Positionen abzurechnen in der Hoffnung, dass zumindest ein Teil der Kunden hierauf eine Zahlung leistet.

Hinweis: Wer überraschende Klauseln in seinem Vertragswerk benutzt, sollte sicherstellen, dass diese Klauseln auch rechtmäßig sind. Andernfalls muss er damit rechnen, dass dieser Fehler sehr teuer werden kann. Ob Vertragsklauseln wirksam sind oder nicht, prüft der Anwalt des Vertrauens.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.10.2024 - 19 U 134/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Dienstkleidungsvorgaben: Umkleidezeiten sind trotz Krankheit und Urlaubs zu bezahlen

Im Fall von Krankheit gilt das sogenannte Lohnausfallprinzip: Der Arbeitgeber muss dem erkrankten Arbeitnehmer das bezahlen, was dieser bekäme, wenn er gearbeitet hätte. Wie es unter diesem Gesichtspunkt aber mit bezahlten Umkleidezeiten aussieht, musste das Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG) entscheiden.

Im Fall von Krankheit gilt das sogenannte Lohnausfallprinzip: Der Arbeitgeber muss dem erkrankten Arbeitnehmer das bezahlen, was dieser bekäme, wenn er gearbeitet hätte. Wie es unter diesem Gesichtspunkt aber mit bezahlten Umkleidezeiten aussieht, musste das Landesarbeitsgericht Nürnberg (LAG) entscheiden.

Ein Rettungssanitäter war verpflichtet, bei seiner Arbeit eine spezielle Schutzkleidung zu tragen. Für das An- und Ablegen der Schutzkleidung erhielt er für jede geleistete Schicht eine pauschale Zeitgutschrift von zwölf Minuten. Der Arbeitgeber sah nicht ein, diese Zeiten bei Abwesenheit des Arbeitnehmers - ob aus Krankheits- oder Urlaubsgründen - mit Zeitgutschrift dieser zwölf Minuten zu vergüten. Deshalb verklagte ihn der Rettungssanitäter auf die Korrektur seines Arbeitszeitkontos.

Das LAG gab dem Sanitäter recht - zumindest teilweise. Es entschied, dass ihm eine Gutschrift von insgesamt mehr als zehn Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto zustehe. Gutschriften erhielt der Beschäftigte für die Zeiten gewährten Urlaubs und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Die Entscheidung begründete das Gericht mit dem anwendbaren Tarifvertrag. Dieser regelt, dass bei Abwesenheitszeiten, die der Arbeit gleichstehen (z.B. Urlaub, Krankheit), die jeweilig dienstplanmäßig vorgesehene Arbeitszeit, die auf Grundlage der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden festzulegen sei, gutzuschreiben ist. Dieser Pflicht sei der Arbeitgeber im Hinblick auf die Umkleidezeiten nicht nachgekommen. Den Anspruch auf Gutschrift weiterer geforderten Stunden hatte der Arbeitnehmer hingegen zu spät geltend gemacht.

Hinweis: Wann sind Umkleidezeiten überhaupt zu bezahlen? Das ist dann der Fall, wenn Arbeitnehmer verpflichtet sind, eine Schutzausrüstung oder eine bestimmte Dienstkleidung zu tragen.
 
 


Quelle: LAG Nürnberg, Urt. v. 16.08.2024 - 4 Sa 339/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Fiskus muss zahlen: Thüringer OLG klärt Freistaat auf, wann Berufung auf Verschweigungseinrede Gültigkeit besitzt

Nicht immer geht es im Erbrecht um hohe Geldbeträge, wie der Fall des Thüringer Oberlandesgerichts (OLG) zeigt. Der Freistaat Thüringen berief sich zu angefallenen Gerichtskosten von nur 35,70 EUR auf die sogenannte Verschweigungseinrede, nach der ein Nachlassgläubiger keine Erstattung seiner Forderung erhält, wenn er diese später als fünf Jahre nach dem Erbfall dem Erben gegenüber geltend macht. Mit dieser Einrede war der Freistaat jedoch nicht erfolgreich.

Nicht immer geht es im Erbrecht um hohe Geldbeträge, wie der Fall des Thüringer Oberlandesgerichts (OLG) zeigt. Der Freistaat Thüringen berief sich zu angefallenen Gerichtskosten von nur 35,70 EUR auf die sogenannte Verschweigungseinrede, nach der ein Nachlassgläubiger keine Erstattung seiner Forderung erhält, wenn er diese später als fünf Jahre nach dem Erbfall dem Erben gegenüber geltend macht. Mit dieser Einrede war der Freistaat jedoch nicht erfolgreich.

Nachdem der Erblasser verstorben war, hatte das Amtsgericht im Juni 2023 festgestellt, dass kein anderer Erbe als der Fiskus des Freistaats Thüringen vorhanden war. Bezüglich der Auslagen für die öffentliche Aufforderung zur Anmeldung möglicher Erbrechte am Nachlass wurden durch die Justiz gegenüber dem Freistaat im August 2023 Kosten in Höhe von 35,70 EUR geltend gemacht. Da der Erblasser zu diesem Zeitpunkt bereits vor mehr als fünf Jahren verstorben war, berief sich der Fiskus auf die gesetzliche Ausschlussfrist und war deshalb nicht willens, den geforderten Betrag zu leisten.

Das OLG entschied jedoch, dass die Ausschlussfrist in diesem Fall nicht greife, da die Forderung selbst schließlich erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist entstanden sei. Die Einrede jedoch greife nur in solchen Fällen, in denen ein Gläubiger zu lange zögert, eine ihm bekannte Forderung gegenüber dem Erben geltend zu machen. Die Beschwerde des Freistaats wurde also zurückgewiesen.

Hinweis: Die Verschweigungseinrede zeigt, dass ein Gläubiger gut daran tut, eine ihm bekannte Forderung rechtzeitig gegenüber dem Erben geltend zu machen. Der Nachlassgläubiger ist nur dann nicht mit seiner Forderung ausgeschlossen, wenn diese dem Erben gegenüber bekannt geworden ist oder sie in einem Aufgebotsverfahren angemeldet wurde.


Quelle: Thüringer OLG, Beschl. v. 25.10.2024 - 6 W 319/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Flurstück ist kein Grundstück: Erbauseinandersetzung durch Teilungsversteigerung

Eine Teilungsversteigerung dient der Aufhebung einer Gemeinschaft durch die Verwertung einer Immobilie in einem gerichtlichen Versteigerungsverfahren und der anschließenden Verteilung des Erlöses. Sie kann daher ein Mittel sein, eine Erbengemeinschaft auch zwangsweise auseinanderzusetzen. So war es auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH), der entscheiden musste, ob ein Miteigentümer 1/14 eines Grundstücks teilversteigern lassen dürfe.

Eine Teilungsversteigerung dient der Aufhebung einer Gemeinschaft durch die Verwertung einer Immobilie in einem gerichtlichen Versteigerungsverfahren und der anschließenden Verteilung des Erlöses. Sie kann daher ein Mittel sein, eine Erbengemeinschaft auch zwangsweise auseinanderzusetzen. So war es auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH), der entscheiden musste, ob ein Miteigentümer 1/14 eines Grundstücks teilversteigern lassen dürfe.

Das gesamte Grundstück der hier relevanten Erbengemeinschaft bestand aus 14 Flurstücken. Ein Miteigentümer einer Erbengemeinschaft beantragte zur Vorbereitung der Nachlassteilung nun die Anordnung einer Teilungsversteigerung eines einzelnen Flurstücks. Beide Vorinstanzen waren der Ansicht, dass eine solche Teilungsversteigerung nur eines einzelnen Flurstücks nicht möglich sei, und verwiesen den Rechtsstreit an den BGH.

Der BGH bestätigte die Rechtsansichten der Vorinstanzen. Eine Teilungsversteigerung diene der Aufhebung der Gemeinschaft des gesamten Grundstücks. "Grundstück" sei im rechtlichen Sinne aber eine Einheit, die im Grundbuch unter einer laufenden Nummer eingetragen sei. Ein Flurstück hingegen sei nur ein vermessungstechnischer Begriff und keine eigenständige Einheit im Grundbuch. Der BGH wies den Antrag auf Einleitung der Teilungsversteigerung damit zurück.

Hinweis: Die Teilungsversteigerung dient nicht dem Zweck der Aufteilung des Grundstücks, sondern der Aufhebung der Gemeinschaft. Dies hinderte die Eigentümer nicht daran, bei Einverständnis der Beteiligten das Grundstück im Vorfeld in eigenständige Grundstücke - mit einer jeweils neuen Grundbuchblattnummer - zu unterteilen.


Quelle: BGH, Beschl. v. 26.09.2024 - V ZB 8/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Ausschluss bei Krankheit: Inflationsausgleichsprämie kann als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung gestaltet werden

Die Inflation trifft uns alle. Und besonders in der Arbeitswelt ist eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern nur in seltenen Fällen gestattet, und zwar nur dann, wenn es dafür nachvollziehbare Gründe gibt. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) musste prüfen, ob dazu auch gehört, Arbeitnehmer von der Inflationsausgleichsprämie ausnehmen zu dürfen, wenn sie im gesamten Jahr arbeitsunfähig erkrankt waren.

Die Inflation trifft uns alle. Und besonders in der Arbeitswelt ist eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern nur in seltenen Fällen gestattet, und zwar nur dann, wenn es dafür nachvollziehbare Gründe gibt. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) musste prüfen, ob dazu auch gehört, Arbeitnehmer von der Inflationsausgleichsprämie ausnehmen zu dürfen, wenn sie im gesamten Jahr arbeitsunfähig erkrankt waren.

Ein Arbeitnehmer war im gesamten Jahr 2023 arbeitsunfähig erkrankt. Andere Arbeitnehmer erhielten mit der Vergütung für März 2023 von der Arbeitgeberin eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.500 EUR netto. Der Arbeitnehmer war nun der Auffassung, ihm stehe auch eine Zahlung zu, und klagte - vergeblich.

Eine Inflationsausgleichsprämie kann nach Auffassung des LAG als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung ausgestaltet werden. Das hatte die Arbeitgeberin getan und die Inflationsausgleichsprämie als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung ausgestaltet. Alle Arbeitnehmer, die "einen" Verdienst für geleistete Arbeit im Jahr 2023 erzielt hatten, waren somit anspruchsberechtigt - alle anderen, die beispielsweise das gesamte Jahr arbeitsunfähig erkrankt waren, nicht.

Hinweis: Der Arbeitnehmer hat eine Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) eingelegt. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Entscheidung richtig ist. Vor allem wird die Entscheidung auch für andere Sonderzahlungen gelten. Grundsätzlich darf ein Arbeitgeber eine Sonderzahlung an die Voraussetzung knüpfen, dass in dem Zeitraum, für den die Zahlung geleistet wird, auch Arbeitsleistung erbracht wird.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.08.2024 - 10 Sa 4/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Unangemessene Benachteiligung: Mainzer Arbeitsgericht kippt nach EuGH-Urteil die Klagefrist für Schwangere

Arbeitnehmer können nur innerhalb von drei Wochen nach Kündigungszugang eine Kündigungsschutzklage erheben. Unterschiede ergeben sich bislang dann, wenn schwangere Arbeitnehmerinnen zum Zeitpunkt der Kündigung noch nichts von ihrer Schwangerschaft wussten. Nach deutschem Recht müssen sie dann bereits binnen zwei Wochen nach entsprechender Kenntniserlangung klagen. Das Arbeitsgericht Mainz (ArbG) musste sich nun mit einer verspätet eingegangenen Kündigungsschutzklage beschäftigen.

Arbeitnehmer können nur innerhalb von drei Wochen nach Kündigungszugang eine Kündigungsschutzklage erheben. Unterschiede ergeben sich bislang dann, wenn schwangere Arbeitnehmerinnen zum Zeitpunkt der Kündigung noch nichts von ihrer Schwangerschaft wussten. Nach deutschem Recht müssen sie dann bereits binnen zwei Wochen nach entsprechender Kenntniserlangung klagen. Das Arbeitsgericht Mainz (ArbG) musste sich nun mit einer verspätet eingegangenen Kündigungsschutzklage beschäftigen.

In der Entscheidung ging es um eine Pflegehelferin, die einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag geschlossen hatte. Noch in der Probezeit kündigte der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis zum 21.10.2022. Erst drei Wochen nach Ablauf der Probezeit unterrichtete die Pflegehelferin den Arbeitgeber dann über ihre zwischenzeitlich festgestellte Schwangerschaft. Gleichzeitig berief sie sich darauf, dass die Kündigung damit unwirksam sei. Doch erst nach einem weiteren Monat erhob sie die entsprechende  Kündigungsschutzklage. Das ArbG hatte die Angelegenheit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt. Denn nach deutschem Recht wäre die Klage als verfristet abzuweisen gewesen.

Der EuGH kam dann allerdings zum Ergebnis, dass die im Vergleich zur generell geltenden Frist um eine Woche verkürzte Klagefrist von zwei Wochen Schwangere unangemessen benachteilige, die zum Zeitpunkt der Kündigung noch nichts von ihrer Schwangerschaft wussten (Urteil vom 27.06.2024 - C-284/23). Das ArbG urteilte deshalb nun, dass betroffene Frauen überhaupt keine Klagefrist einzuhalten haben. Folglich war die Klage nicht zu spät eingereicht worden - die Kündigung wurde kassiert und die Arbeitnehmerin muss weiter beschäftigt werden.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten möglichst binnen drei Wochen nach Zugang einer Kündigung ihre Kündigungsschutzklage erheben. Dann sind sie auf jeden Fall auf der sicheren Seite.


Quelle: ArbG Mainz, Urt. v. 10.09.2024 - 4 Ca 1424/22
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Erbschaftsausschlagung: Umdeutung in eine Anfechtung der Annahme

Sind Beantragung und Erhalt der sogenannten dreimonatigen Witwenrente automatisch mit einer Erbschaftsannahme gleichzusetzen? Das Oberlandesgericht München (OLG) musste die zuerst erfolgte Ausschlagung mit der parallel erfolgten Beantragung dieser Übergangsleistung abwägen.

Sind Beantragung und Erhalt der sogenannten dreimonatigen Witwenrente automatisch mit einer Erbschaftsannahme gleichzusetzen? Das Oberlandesgericht München (OLG) musste die zuerst erfolgte Ausschlagung mit der parallel erfolgten Beantragung dieser Übergangsleistung abwägen.

Ein ehemaliger Zahnarzt war im Juni 2018 verstorben und zunächst von seiner Ehefrau beerbt worden. Diese hatte die Erbschaft im September 2018 dann jedoch ausgeschlagen. Zugleich hatte sie von der kassenärztlichen Vereinigung für einen Zeitraum von drei Monaten als Übergangsleistung die volle Rente des Erblassers beantragt und erhalten (sogenanntes Witwenquartal). Auf Antrag des nachberufenen Ersatzerben wurde im April 2019 ein Nachlassinsolvenzverfahren eröffnet, in dem die Erben mit Abfindungsansprüchen des ehemaligen Geschäftspartners des verstorbenen Zahnarztes konfrontiert waren.

Das OLG stellte (neben den gesellschaftsrechtlichen Ansprüchen des ehemaligen Geschäftspartners) bei dieser Gelegenheit fest, dass die Erbschaftsausschlagung der Ehefrau des Erblassers im September 2018 durchaus wirksam gewesen war - und das, obwohl die Ausschlagungsfrist versäumt wurde. In der Beantragung des Witwenquartals könne man zwar durchaus eine konkludente Annahme der Erbschaft sehen. In einem solchen Fall sei jedoch die Ausschlagungserklärung in eine Anfechtung der Annahme umzudeuten. Dies sei dann möglich, wenn ein Anfechtungsgrund vorliege, beispielsweise ein Irrtum des Erben über die Zusammensetzung des Nachlasses. Anerkannt ist, dass dies insbesondere dann möglich ist, wenn der Erbe keine Kenntnis von wesentlichen Nachlassverbindlichkeiten hatte.

Hinweis: Die Verjährung von Ansprüchen im Fall einer Nachlassinsolvenz wird gehemmt durch die Anmeldung des Anspruchs im Insolvenzverfahren. Die reguläre Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.


Quelle: OLG München, Urt. v. 13.11.2024 - 7 U 2821/22
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Kein hölzerner Flickenteppich: Materialprobleme machen Komplettaustausch von Parkett nach Wasserschaden unumgänglich

Wer schon einmal das Vergnügen hatte, Parkett zu verlegen, weiß nur zu gut, dass das schöne Ganze aus verflixt vielen einzelnen Teilen besteht. Entsprechend verhält es sich auch bei der Beseitigung von Schäden des edlen Untergrunds. Das Landgericht Lübeck (LG) musste daher in der Frage entscheiden, wie viel eine Wohngebäudeversicherung für einen teilbeschädigten Parkettboden bezahlen muss.

Wer schon einmal das Vergnügen hatte, Parkett zu verlegen, weiß nur zu gut, dass das schöne Ganze aus verflixt vielen einzelnen Teilen besteht. Entsprechend verhält es sich auch bei der Beseitigung von Schäden des edlen Untergrunds. Das Landgericht Lübeck (LG) musste daher in der Frage entscheiden, wie viel eine Wohngebäudeversicherung für einen teilbeschädigten Parkettboden bezahlen muss.

Im Wohnhaus der Klägerin wurde versehentlich eine Hauswasserleitung angebohrt. Deshalb beschädigte austretendes Leitungswasser das Parkett und die Tapete an einigen Stellen in der Wohnung. Die Frau meldete den Schaden bei ihrer Wohngebäudeversicherung. Die übernahm jedoch nur die Kosten für einen Teilaustausch der beschädigten Flächen, da sie den Austausch des gesamten Parketts nicht für notwendig hielt. Deshalb klagte die Frau. Sie meinte, nur durch den kompletten Austausch könne ein einheitliches Erscheinungsbild des Parketts und der Tapete wiederhergestellt werden.

Das sahen die Richter des LG genauso - zumindest beim Parkett. Denn klar war: Eine Reparatur ohne Austausch war wegen der Feuchtigkeitsschäden nicht möglich. Dabei käme ein Teilaustausch jedoch nicht in Betracht, da die entsprechende Parkettsorte gar nicht mehr erhältlich war. Mit unterschiedlichen Parkettsorten seien hingegen nicht hinnehmbare optische Brüche geblieben. Für einen Komplettaustausch der Tapeten muss die Versicherung jedoch nicht aufkommen. Hier sei lediglich ein optischer Bruch zwischen Wohn- und Essbereich zu erwarten - und dieser sei wegen der Trennung der Räume als durchaus akzeptabel anzusehen.

Hinweis: Egal, um welchen Schaden es in einer Wohnung geht: Das Sichern der Beweise ist ganz wichtig. Der erste Schritt ist es, Fotos anzufertigen.


Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 05.06.2024 - 4 O 345/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Messverfahren durch Verfolgung: Grundlagen der Geschwindigkeitsmessung müssen dem Urteil zu entnehmen sein

Messdaten sind nur dann objektiv, wenn ihnen exakt definierte Eckpunkte zugrunde liegen, anhand derer die Ergebnisse bewertet werden können. Dies veranlasste kürzlich das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG), einen Fall an das Amtsgericht (AG) zurückzuverweisen, dessen Urteil die erforderlichen Messdetails zu einer Geschwindigkeitsübertretung nicht zu entnehmen waren.

Messdaten sind nur dann objektiv, wenn ihnen exakt definierte Eckpunkte zugrunde liegen, anhand derer die Ergebnisse bewertet werden können. Dies veranlasste kürzlich das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG), einen Fall an das Amtsgericht (AG) zurückzuverweisen, dessen Urteil die erforderlichen Messdetails zu einer Geschwindigkeitsübertretung nicht zu entnehmen waren.

Das AG verurteilte einen Autofahrer wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 53 km/h sowie um 46 km/h zu einer Geldbuße von 640 EUR und einem einmonatigen Fahrverbot. Dagegen legte der Mann Rechtsbeschwerde ein und berief sich darauf, dass weder die nachgefahrene Strecke noch ein angemessener Toleranzabzug nachgewiesen seien.

Das OLG gab dem Mann recht. Zwar sei die Messung mit dem Messgerät (ProVida 2000/Vidista) ein standardisiertes Messverfahren. Aus dem amtsgerichtlichen Urteil müsse sich aber ergeben, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsmessung beruhe. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erfolgte, wie lang die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug des Betroffenen waren, und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden sei. Diesen Anforderungen genügte das angefochtene Urteil nicht. Es enthielt weder Feststellungen zum Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Auto des Betroffenen noch einen bei der Geschwindigkeitsmessung berücksichtigten Toleranzabzug. Die Sache wurde durch das OLG daher an das AG zurückverweisen.

Hinweis: Ein Geschwindigkeitsverstoß kann durch Nachfahren nur bewiesen werden, wenn die Messstrecke ausreichend lang ist, ein gleichbleibender nicht zu großer Abstand zwischen Messfahrzeug und gemessenem Fahrzeug besteht, der Tachometer möglichst justiert/geeicht ist und die abgelesene Geschwindigkeit auf dem Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs die zulässige Höchstgeschwindigkeit so erheblich übersteigt, dass trotz Fehlerquellen und Ungenauigkeiten des Messverfahrens der Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung mit Sicherheit gerechtfertigt ist.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 15.07.2024 - 1 ORbs 144/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Abstrakte Verwechslungsgefahr: Selbstgefertigte Tempo-30-Schilder im Eilverfahren für unzulässig erklärt

Auf Wut mit "Dann mal dir doch ein Schild!" zu reagieren, mag auf Kundgebungen helfen - im Alltag ist von dieser Problemlösung jedoch abzuraten. Denn dass für Beschilderungen im öffentlichen Raum Eigeninitiative weniger gefragt ist, sollte klar sein. Zu viel spricht dagegen - so auch das Verwaltungsgericht Freiburg (VG), das im Eilverfahren entscheiden musste.

Auf Wut mit "Dann mal dir doch ein Schild!" zu reagieren, mag auf Kundgebungen helfen - im Alltag ist von dieser Problemlösung jedoch abzuraten. Denn dass für Beschilderungen im öffentlichen Raum Eigeninitiative weniger gefragt ist, sollte klar sein. Zu viel spricht dagegen - so auch das Verwaltungsgericht Freiburg (VG), das im Eilverfahren entscheiden musste.

Anwohner einer innerörtlichen Straße mit der geltenden Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h hatten selbstgebastelte Tempo-30-Schilder aufgestellt. Die runden Schilder zeigten die 30 in rot-grüner Umrandung, fünf laufende Kinder als Schattenbilder und das Wort "freiwillig". Das Landratsamt forderte die Betroffenen auf, die Schilder wegen Verwechslungsgefahr zu entfernen. Gegen den Bescheid klagten die Betroffenen im Eilverfahren.

Erwartungsgemäß entschied das VG, dass die Schilder zu entfernen seien. Die Gestaltung ermögliche es nicht, auf den ersten Blick zu erkennen, dass es sich um private Schilder handele. Die runde Form, die Größe und die Verwendung der Farbe Rot legten eine Verwechslung nahe - insbesondere bei fremdsprachigen Fahrern, die das Wort freiwillig unter Umständen nicht kennen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die automatischen Fahrerassistenzsysteme von Fahrzeugen des Landratsamts nach Erfassung des Schilds durchaus Tempo 30 anzeigten, was wiederum die Gefahr berge, dass dadurch unterschiedliche Tempi gefahren werden würden. Und dies stelle eben ein Sicherheitsrisiko dar, das den Verkehrsfluss beeinträchtige.

Hinweis: Es handelt sich um eine Entscheidung im Eilverfahren, eine Hauptsacheentscheidung steht noch aus. Ob eine Verwechslungsgefahr vorliegt, beurteilt sich nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nach dem Gesamtbild des Schilds, wie es sich einem flüchtigen Betrachter darstellt. Für die Möglichkeit der Verwechslung besteht eine erforderliche, aber auch genügende abstrakte Gefahr, die hier angenommen wurde.


Quelle: VG Freiburg, Beschl. v. 08.08.2024 - 6 K 2026/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Erbschaftsbesitzer oder nicht? Keine automatischen Auskunftsansprüche gegenüber Hausgenossen eines Erblassers

Wer Gegenstände aus einer Erbschaft in Besitz nimmt, ohne selbst Erbe zu sein, wird als "Erbschaftsbesitzer" bezeichnet und ist Erben gegenüber grundsätzlich zur Herausgabe dieses Besitzes verpflichtet. Damit der Erbe feststellen kann, ob Gegenstände unberechtigterweise im Besitz eines solchen Erbschaftsbesitzers sind, steht ihm ein Auskunftsanspruch zu. Dieser war Kern eines Rechtsstreits vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG).

Wer Gegenstände aus einer Erbschaft in Besitz nimmt, ohne selbst Erbe zu sein, wird als "Erbschaftsbesitzer" bezeichnet und ist Erben gegenüber grundsätzlich zur Herausgabe dieses Besitzes verpflichtet. Damit der Erbe feststellen kann, ob Gegenstände unberechtigterweise im Besitz eines solchen Erbschaftsbesitzers sind, steht ihm ein Auskunftsanspruch zu. Dieser war Kern eines Rechtsstreits vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG).

Nach dem Tod des Erblassers forderte der Erbe von den Mitbewohnern des Erblassers Auskunft über den Nachlass. Diese Auskunft sollte Angaben zu den Kontobewegungen, Nachlassgegenständen und möglichen Schenkungen enthalten. Die beklagten Mitbewohner hatten bereits Jahre vor dem Erbfall ein Grundstück des Erblassers erworben und ihm in der Immobilie ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt. Zudem hatte der Erblasser einem der Mitbewohner eine Vorsorgevollmacht erteilt.

Nachdem das Landgericht zunächst noch teilweise einen Auskunftsanspruch anerkannt hatte, war das OLG der Ansicht, dass ein solcher Anspruch überhaupt nicht bestehe. Die Hausgenossen und Mitbewohner waren bereits vor dem Erbfall in die Nutzung und Verwaltung des Nachlasses eingebunden, was einen Auskunftsanspruch, wie er Erbschaftsbesitzern gegenüber bestünde, die den Besitz erst durch die Erbschaft erlangen, ausschließe. Zwar gebe es auch Verpflichtungen von Hausgenossen gegenüber den Erben zur Erteilung einer Auskunft. Diese beschränken sich aber nur darauf, welche erbrechtlichen Geschäfte geführt worden sind und was den Hausgenossen über den Verbleib von Erbschaftsgegenständen bekannt ist. Insbesondere sind Hausgenossen nicht dazu verpflichtet, ein vollständiges Nachlassverzeichnis zu erstellen. Soweit die Hausgenossen zu einer Auskunft verpflichtet sind, waren sie dieser bereits nachgekommen.

Hinweis: Ein Anspruch auf Rechnungslegung kann nach der Entscheidung des OLG gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, wenn ein solcher Anspruch jahrelang nicht geltend gemacht wurde. Maßgebend hierbei ist bereits die Nichtgeltendmachung durch den Erblasser.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Urt. v. 07.05.2024 - 3 U 90/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Richteramt missbraucht: BGH bestätigt Urteil gegen Thüringer Familienrichter wegen Rechtsbeugung

Auch wenn die Corona-Pandemie vorüber scheint - die Gerichte beschäftigt sie aber noch immer und womöglich noch länger. Lang erwartet wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu einem im August 2023 ergangenen Urteil über einen Familienrichter, der sein Amt dazu benutzt hatte, dass Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen nicht durchgesetzt werden können.

Auch wenn die Corona-Pandemie vorüber scheint - die Gerichte beschäftigt sie aber noch immer und womöglich noch länger. Lang erwartet wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu einem im August 2023 ergangenen Urteil über einen Familienrichter, der sein Amt dazu benutzt hatte, dass Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen nicht durchgesetzt werden können.

Der Familienrichter erließ im April 2021 eine einstweilige Anordnung, die es den Leitungen und Lehrkräften zweier Weimarer Schulen untersagte, einzelne der seinerzeit geltenden Maßnahmen des Infektionsschutzes zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV-2 gegenüber den dort unterrichteten Kindern durchzusetzen. Die Entscheidung des Richters war wohlvorbereitet. Schon Anfang 2021 hatte er die Absicht zu dieser Entscheidung gefasst und zielgerichtet dafür gesorgt, dass diese Verfahren in seinem Zuständigkeitsbereich landen. Sonst hätte die Gefahr bestanden, dass ein anderer Richter entscheidet, und das nicht in seinem Sinne. Der Familienrichter wollte "seine" Entscheidung auf Biegen und Brechen treffen.

Der BGH bestätigte das ergangene Urteil des Landgerichts Erfurt (LG), da der Richter sein Richteramt zielgerichtet benutzt und missbraucht hatte. Er hatte sogar über seine private E-Mail-Adresse Kontakt zu Gutachtern aufgenommen, die seine Meinung zur Pandemie stützten. Diese habe er dann im Verfahren eingesetzt, um seine Anordnung treffen zu können. Das ist Rechtsbeugung. Somit hat das Urteil des LG vor dem BGH Bestand, mit dem der Angeklagte wegen Rechtsbeugung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war.

Hinweis: Das Handeln des Richters zeugt von einiger krimineller Energie. Sollte in Ihrem Verfahren ein Richter wesentliche Verfahrensgrundsätze außer Acht lassen, offensichtlich eigene Ziele verfolgen oder "blind" zu einer Seite tendieren, dann lehnen Sie ihn ab! Sie haben ein Recht auf eine neutrale Verfahrensleitung, dies muss eingefordert werden! Gerade, wenn es um Kinder geht, darf die Justiz nicht ihre eigenen Wege gehen!


Quelle: BGH, Urt. v. 20.11.2024 - 2 StR 54/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Verfahrensbeistand: Mehr als die Fallpauschale gibt es in Sachen Verfahrenskosten nicht

In familienrechtlichen Verfahren kann es angezeigt sein, einen Verfahrensbeistand zu bestellen. Dieser erhält als Vergütung eine gesetzlich vorgesehene Fallpauschale. Kann dieser, wenn er in seiner Funktion als Beistand selbst etwas verauslagt, das dann on top erhalten? Meistens nicht, wie der folgende Fall zeigt, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

In familienrechtlichen Verfahren kann es angezeigt sein, einen Verfahrensbeistand zu bestellen. Dieser erhält als Vergütung eine gesetzlich vorgesehene Fallpauschale. Kann dieser, wenn er in seiner Funktion als Beistand selbst etwas verauslagt, das dann on top erhalten? Meistens nicht, wie der folgende Fall zeigt, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

In einem familienrechtlichen Verfahren wurde ein Verfahrensbeistand für eine Frau bestellt. Diese war Araberin und sprach schlecht Deutsch, so dass der Beistand einen Dolmetscher engagierte. Das war aus richterlicher Sicht auch angezeigt. Der Dolmetscher stellte schließlich 207 EUR in Rechnung, die der Verfahrensbeistand auch beglich. Natürlich machte er die 207 EUR neben seiner gesetzlichen Vergütung dann auch geltend und beantragte die Festsetzung seiner Beistandskosten und der Auslage als zusätzliche Kosten. Damit scheiterte er jedoch vor dem BGH.

Der Vergütungsanspruch des berufsmäßigen Verfahrensbeistands ist laut § 158c Abs. 1 Satz 1 und 2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheitend der freiwilligen Gerichtsbarkeit geregelt. Der Verfahrensbeistand erhält demnach eine Pauschale, die auch die Aufwendungen des Verfahrensbeistands umfasst - seine Fahrtkosten, aber auch etwaige Dolmetscherkosten für Gespräche mit dem Kind und/oder seinen Eltern. Ein Verfahrensbeistand muss mit seinen "Schützlingen" schließlich sprechen können. Daher ist es grundsätzlich bei Sprachbarrieren geboten, einen Dolmetscher zu engagieren. Da die Kommunikation aber Hauptaufgabe des Beistands ist, ist es auch gerechtfertigt, die Kommunikationskosten über die Pauschale abzugelten. Sonst würde man die Kosten "durch die Hintertür" zu Gerichtskosten machen können.

Hinweis: Prüfen Sie immer genau, was Ihr Beistand abrechnet. Nur so vermeiden Sie es, dass die Kostenlast versteckt über vermeintliche Hinzuziehung eines Dolmetschers oder eines anderen Sachverständigen in die Höhe getrieben wird.


Quelle: BGH, Beschl. v. 25.09.2024 - XII ZB 110/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Eheschließungserklärung: Onlineform der Eheschließung in Deutschland nicht wirksam

Eheschließungserklärungen sind auch in Deutschland möglich. Sie müssen aber von den Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Eine von Deutschland aus per Videotelefonie vor einem Standesbeamten in den USA geschlossene Ehe ist in Deutschland hingegen unwirksam, wie diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt.

Eheschließungserklärungen sind auch in Deutschland möglich. Sie müssen aber von den Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Eine von Deutschland aus per Videotelefonie vor einem Standesbeamten in den USA geschlossene Ehe ist in Deutschland hingegen unwirksam, wie diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt.

Zwei nigerianische Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland schlossen im Mai 2021 per Videotelefonie die Ehe vor einer US-amerikanischen Behörde im Bundesstaat Utah. Die Eheleute befanden sich während der Eheschließung in Deutschland. Ihre Erklärungen gaben sie über eine zeitgleiche Übertragung in Bild und Ton gegenüber der Behörde in Utah ab und erhielten anschließend eine amerikanische Eheurkunde mit Apostille (eine Beglaubigungsform im internationalen Urkundenverkehr). Als die beiden nun auch in Deutschland heiraten wollten, wurde die amerikanische Eheschließung durch das Amtsgericht als unwirksam bezeichnet. Dagegen legten die Männer Beschwerde ein.

Sie unterlagen vor dem BGH, denn Art. 13 Abs. 4 Satz 1 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch besagt, dass eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden könne. Demnach müssen die Erklärungen der Eheschließenden vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abgegeben werden. Bei einer Eheschließung im Ausland könne auch das gegebenenfalls weniger strenge Recht des Eheschließungsorts angewendet werden. Da im vorliegenden Fall die Eheschließungserklärungen jedoch in Deutschland abgegeben wurden, kann nur deutsches Recht zur Anwendung kommen und damit auch die in Deutschland vorgeschriebene Form. Da sich die Eheleute nicht daran gehalten hatten, ist die Ehe nun unwirksam.

Hinweis: Will man heiraten oder andere Rechtsgeschäfte tätigen, sollte man sich immer nach den Formvorschriften des Orts des gewöhnlichen Aufenthalts richten. So geht man bei der Anerkennung des Rechtsgeschäfts auf Nummer sicher!
 
 
 


Quelle: BGH, Beschl. v. 25.09.2024 - XII ZB 244/22
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Zur Wahrheitsfindung: Ergänzungspflegschaft ist auch bei möglicher Interessenkollision geboten

Besteht zwischen Vormund und Mündel ein Interessengegensatz, kann dem Vormund die Vormundschaft entzogen werden (§ 1789 Abs. 2 Satz 4 Bürgerliches Gesetzbuch) - und zwar ganz oder teilweise. Dieses Urteil, in dem das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) die diesbezügliche Entscheidung der Vorinstanz bestätigte, zeigt deutlich, wann und warum dies angebracht sein kann.

Besteht zwischen Vormund und Mündel ein Interessengegensatz, kann dem Vormund die Vormundschaft entzogen werden (§ 1789 Abs. 2 Satz 4 Bürgerliches Gesetzbuch) - und zwar ganz oder teilweise. Dieses Urteil, in dem das Oberlandesgericht Bamberg (OLG) die diesbezügliche Entscheidung der Vorinstanz bestätigte, zeigt deutlich, wann und warum dies angebracht sein kann.

Strittig war hier die Vertretungsbefugnis einer Kindsmutter. Sie wollte die Entscheidung für ihr 14-jähriges Kind treffen, ob sich dieses in einem Verfahren gegen seinen Vater als Nebenkläger anschließt. Dem Kindsvater wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes gemacht. Das Amtsgericht (AG) setzte daher eine Ergänzungspflegschaft für die Frage des Anschlusses als Nebenklägerin im Strafverfahren gegen den Vater und gegebenenfalls zur Vertretung der Nebenklage im Strafverfahren ein. Das AG begründete dies damit, dass auch zwischen Mutter und Kind ein Interessengegensatz in dieser Frage nicht ausgeschlossen werden könne.

Die Entscheidung des AG wurde vor dem OLG bestätigt. Entscheidend für die Frage der Ergänzungspflegschaft ist es, ob ein erheblicher Interessengegensatz tatsächlich bestehe oder zumindest ernsthaft drohe. Hier kann eine Interessenkollision zum Beispiel deswegen bestehen, weil der Vater erstinstanzlich freigesprochen wurde, die Mutter den Vater dabei schwer belastet hatte und in der ersten Instanz Verfahrensfehler angemahnt wurden. Dennoch könne sich das Kind aber Umgang mit seinem Vater wünschen und eigene Angaben zum Tatvorwurf machen wollen. Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Loyalitätskonflikt des Kindes in Bezug auf die Erwartungen der Mutter bestehe. Diese Möglichkeiten bergen die Gefahr, dass das Kind unter dem Druck der Mutter im Verfahren eben das sagt, was die Mutter hören wolle. Diesem Konflikt wollte das AG entgegenwirken, und das OLG gab diesen Bedenken recht.

Hinweis: Es kommt immer auf die Sicht des Mündels an. Können hier Konflikte entstehen, Drucksituationen oder gar Ängste geschürt werden, ist eine Pflegschaft anzudenken. So kann jeder neutral und unbefangen agieren. Dies wiederum dient in gerichtlichen Verfahren der Wahrheitsfindung. Nur so können gerechte Urteile und Beschlüsse gefällt werden.


Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 20.11.2024 - 2 WF 121/24 e
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Orientierung am Kindeswohl: Familiengericht muss ermitteln, bis es fundiert entscheiden kann

Für ein Familiengericht muss das Kindeswohl an oberster Stelle stehen. Unterlässt es ein Gericht, Ergebnisse aus seiner Amtsermittlungspflicht heraus als Basis für eine fundierte Entscheidung vorzulegen, muss es nochmals ran - so wie das Landgericht (LG) nach einer entsprechenden Entscheidung des nachfolgenden Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG).

Für ein Familiengericht muss das Kindeswohl an oberster Stelle stehen. Unterlässt es ein Gericht, Ergebnisse aus seiner Amtsermittlungspflicht heraus als Basis für eine fundierte Entscheidung vorzulegen, muss es nochmals ran - so wie das Landgericht (LG) nach einer entsprechenden Entscheidung des nachfolgenden Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG).

Eine Serbin und ein Deutscher haben drei gemeinsame Kinder. Als die Eltern sich trennten, blieben die Kinder zunächst beim Vater. Dann wollte die Mutter die Kinder wieder bei sich haben und klagte dies auch ein. Sie beschuldigte den Vater der generellen Gewalttätigkeit, des Drogenkonsums sowie der Vergewaltigung. Er habe bereits 1.000 EUR Strafen zahlen müssen und auch seinen Führerschein verloren. Der Vater wiederum beschuldigte die Mutter, dass diese keinen Tagesablauf regeln könne, toxisch sei und sie die Kinder nicht in den Kindergarten bringe. Das Ganze mündete in einer Scheidung und einem streitigen Verfahren um das Sorge- und Umgangsrecht.

Hier wurden die Kinder zunächst der Mutter zugesprochen, doch der Vater wollte das nicht auf sich sitzen lassen, so dass der Fall schließlich beim OLG landete. Dieses entschied aber nicht, sondern verwies den Rechtsstreit wieder zurück an das LG, das seiner Amtsermittlungspflicht nicht nachgekommen sei. Familiengerichte müssen den Sachverhalt nämlich so weit aufklären, dass er eine möglichst zuverlässige Tatsachengrundlage bildet. Erst aufgrund derer könne dann eine am Wohl des Kindes orientierte Entscheidung getroffen werden. Bei Entscheidungen von großer Tragweite - wie der zum Aufenthalt des Kindes - kann auch die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens erforderlich sein. Wurde dieses nicht eingeholt, kann die Sache zurückverwiesen werden.

Hinweis: Geht es bei Ihnen auch um derart existentielle Entscheidungen, dann achten Sie darauf, dass das Gericht alle möglichen Aufklärungsmaßnahmen ausschöpft, bevor es entscheidet. Tut es das nicht, dann regen Sie die weitere Aufklärung an.


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.10.2024 - 20 UF 63/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Außertarifliches Gehalt: Selbst ein geringer Abstand zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe genügt den Anforderungen

Die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens nehmen Arbeitnehmer aus, deren "geldwerte materielle Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden in einer Gesamtschau diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten". Im Folgenden beanstandete ein außertariflich Beschäftigter, dass dieses "Überschreiten" nicht hoch genug ausfiele, und verlangte mehr Geld. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war final gefragt.

Die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens nehmen Arbeitnehmer aus, deren "geldwerte materielle Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden in einer Gesamtschau diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten". Im Folgenden beanstandete ein außertariflich Beschäftigter, dass dieses "Überschreiten" nicht hoch genug ausfiele, und verlangte mehr Geld. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war final gefragt.

Der Arbeitnehmer war Mitglied der IG Metall und als Entwicklungsingenieur auf Grundlage eines als außertariflich bezeichneten Arbeitsvertrags beschäftigt. Er erhielt eine monatliche Bruttovergütung von 8.212 EUR. Das Entgelt in der höchsten tariflichen Entgeltgruppe betrug - hochgerechnet auf 40 Wochenstunden - 8.210,64 EUR brutto. Der Abstand zwischen dem höchsten Tarifgehalt und dem für den Arbeitnehmer geltenden außertariflichen Gehalt betrug also 1,36 EUR. Den hielt der Entwicklungsingenieur angesichts der geltenden Regeln für zu gering und forderte eine höhere Vergütung - mit der Begründung, dass sein Gehalt einen gewissen Mindestabstand zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe aufweisen müsse.

Das BAG sah das allerdings anders. Seine Entscheidung begründete das Gericht damit, dass die im Streitfall einschlägigen tariflichen Bestimmungen verlangten, dass die geldwerten materiellen Arbeitsbedingungen diejenigen der höchsten tariflichen Entgeltgruppe regelmäßig überschreiten. Die Voraussetzungen seien erfüllt. Denn aufgrund der Tatsache, dass die Tarifvertragsparteien die Höhe der Überschreitung nicht festgelegt haben, genüge nach dem Wortlaut auch ein nur geringfügiges Überschreiten des höchsten tariflichen Entgelts. Das lag hier vor.

Hinweis: Außertarifliche Arbeitnehmer haben also grundsätzlich keinen Anspruch auf einen bestimmten Mindestabstand zum höchsten Tarifgehalt. Deshalb sollten sie jährliche Gehaltsverhandlungen führen.


Quelle: BAG, Urt. v. 23.10.2024 - 5 AZR 82/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Betriebliche Arbeitspausen: Flexible Festlegung der Pausen bei entsprechend betrieblichen Erfordernissen möglich

Pausenzeiten müssen nicht immer bereits zu Beginn des Arbeitstags feststehen - lediglich bei Pausenbeginn muss ein Arbeitnehmer wissen, wie lange er Erholungspause hat und somit frei über diesen Zeitraum verfügen kann. Dieser Auffassung ist jedenfalls das Bundesarbeitsgericht (BAG). Anlass für diese Konkretisierung war die Klage eines Mannes, der sich durch die Umstände seiner Pause offenbar gegängelt fühlte.

Pausenzeiten müssen nicht immer bereits zu Beginn des Arbeitstags feststehen - lediglich bei Pausenbeginn muss ein Arbeitnehmer wissen, wie lange er Erholungspause hat und somit frei über diesen Zeitraum verfügen kann. Dieser Auffassung ist jedenfalls das Bundesarbeitsgericht (BAG). Anlass für diese Konkretisierung war die Klage eines Mannes, der sich durch die Umstände seiner Pause offenbar gegängelt fühlte.

Der Arbeitnehmer war von 1988 bis Ende Mai 2022 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Er fühlte sich in seiner Pausengestaltung in der Kantine gestört und wollte diese Zeit daher vergütet bekommen - schließlich habe er sich dabei in ständiger Bereitschaft befunden. Allein die Möglichkeit, dass der dort angebrachte Monitor durch entsprechendes (stummes) Aufblinken auf eine Störung hinweisen und er von einem Vorgesetzten gebeten werden könne, die Arbeit aufzunehmen, um nach der Störung zu gucken, habe ihn in eine ständige Bereitschaft versetzt. Seine Pausen seien deshalb nur eingeschränkt erholsam.

Das BAG lehnte den Anspruch auf Vergütung eines Bereitschaftsdienstes ab. Es stellte klar, dass die Festlegung der Pausen rechtmäßig war. Denn § 4 Satz 1 Arbeitszeitgesetz verlange zwar, dass die Pausen grundsätzlich im Voraus feststehen. Verlangen die betrieblichen Erfordernisse allerdings im Einzelfall mehr Flexibilität, reiche es, wenn die Arbeitnehmer im Zweifel vor Beginn ihrer Pause wissen, dass und wie lange ihnen nun eine Ruhezeit zusteht. Auch die Behauptung des Arbeitnehmers, er habe sich in einer ständigen "Hab-Acht-Stellung" befunden, wies das BAG zurück. Es argumentierte, dass der Arbeitnehmer in keiner Weise gezwungen gewesen sei, seine Mittagspause in der Kantine zu verbringen. Es sei vielmehr offensichtlich seine freie Entscheidung gewesen, denn er habe nichts Gegenteiliges dazu vorgetragen. Vielmehr habe sein Arbeitgeber klargestellt, dass der Arbeitnehmer völlig frei in seiner Entscheidung sei, wo er seine Pause verbringe. Und das muss eben nicht die betriebseigene Kantine mit den Störungsmeldermonitoren sein, wo der Arbeitgeber auch Zugriff auf die Arbeitskapazitäten habe.

Hinweis: Die Pause während der Arbeitszeit dient der Erholung. Arbeitnehmer können über ihre Pausenzeiten frei verfügen und dürfen die Zeiten frei gestalten.


Quelle: BAG, Urt. v. 21.08.2024 - 5 AZR 266/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2025)

Betriebspflicht in Einkaufszentren: Fehlender Konkurrenzausschluss spricht nicht gegen Offenhaltungspflicht

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Ein Mieter hatte ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum zum Betrieb "eines hochwertigen "Fan World‘-Einzelhandelsgeschäfts für den Verkauf von Fan-, Lizenz- und Geschenkartikeln und Assessoires" gemietet. Dabei wurden vertraglich eine entsprechende Sortimentsbindung, ein Ausschluss von Konkurrenzprodukten sowie die Betriebspflicht vereinbart, das Ladengeschäft zu den Kernöffnungszeiten Montag bis Samstag von 9 Uhr bis 22 Uhr geöffnet zu halten. Der Mieter hielt sich jedoch nicht an diese Öffnungszeiten. Schließlich klagte die Vermieterin auf Einhaltung der Öffnungszeiten.

Der BGH stellte klar, dass die formularvertraglich vereinbarte Betriebs- und Offenhaltungspflicht des Mieters eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum auch im Zusammenspiel mit fehlendem Konkurrenzschutz keine unangemessene Benachteiligung darstellt, wenn sie mit keiner hinreichend konkreten Sortimentsbindung verbunden ist. Im Ergebnis war deshalb für den vorliegenden Fall die Kombination der Betriebspflicht mit der nur vage abgrenzbaren Sortimentsbindung und dem Ausschluss jedes Sortiments- und Konkurrenzschutzes unter dem Aspekt des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu beanstanden. Damit hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache an eben jene zurück, um erneut darüber zu entscheiden.

Hinweis: Wer langfristige Mietverträge im Gewerbebereich abschließt, sollte auf der Hut sein. Fehler beim Abschluss des Vertrags können weitreichende finanzielle Konsequenzen haben. Die Prüfung durch einen Rechtsanwalt ist mehr als sinnvoll.


Quelle: BGH, Urt. v. 06.10.2021 - XII ZR 11/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Entlassung des Testamentsvollstreckers: Pflichtverletzungen müssen schuldhaft begangen und von erheblichem Gewicht sein

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Der Erblasser hinterließ mehrere Erben in einer ungeteilten Erbengemeinschaft und ordnete zudem eine Testamentsvollstreckung an. Eine Miterbin, die dem Testamentsvollstrecker pflichtwidriges Verhalten wegen angeblich rechtswidriger Zahlungen an andere Miterben vorwarf, beantragte die Entlassung aus dem Amt. Nachdem das Nachlassgericht diesem Antrag zunächst stattgegeben hatte, hob das OLG die Entscheidung auf.

Eine Entlassung aus dem Amt des Testamentsvollstreckers käme nur dann in Betracht, wenn die zur Last gelegte Pflichtverletzung dazu geeignet sei, die berechtigten Belange des antragstellenden Miterben - insbesondere seine Vermögensinteressen - zu beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung muss darüber hinaus schuldhaft begangen worden und von erheblichem Gewicht sein. Dies kann nur angenommen werden, wenn es sich um eine grobe Verfehlung des Testamentsvollstreckers handelt, die vergleichbar ist mit einer Untätigkeit. Schließlich muss eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Erblassers an der Fortführung der Testamentsvollstreckung und dem Interesse der Erben vorgenommen werden. Nur wenn dem Antragsteller eine Fortsetzung im Amt des Testamentsvollstreckers nicht mehr zugemutet werden kann, kommt eine Entlassung durch das Nachlassgericht in Betracht. Nach Ansicht des OLG lagen bereits im Tatsächlichen keine der genannten Voraussetzungen im konkreten Fall vor.

Hinweis: Das Recht der Erben, einen Testamentsvollstrecker zu entlassen, kann durch den Erblasser im Rahmen seiner Verfügung von Todes wegen nicht wirksam eingeschränkt werden.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.10.2021 - 3 Wx 59/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Rotlichtverstoß: Absehen vom Fahrverbot als unzumutbare Härte bei Dreifachmutter in Ausbildung

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Eine Autofahrerin überfuhr eine rote Ampel. Da das Rotlicht bereits länger als eine Sekunde aufleuchtete, wurde neben einem Bußgeld und zwei Punkten auch ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Die Betroffene legte Einspruch ein: Als Mutter von drei Kindern träfe sie das Fahrverbot besonders hart. Das sah sogar das AG nicht anders.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Verhängung eines Fahrverbots in diesem Fall eine unzumutbare Härte darstellt. Die Betroffene ist Mutter von drei Kindern im Alter von zwölf, neun und zweieinhalb Jahren. Sie selbst befindet sich in der Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Die jüngeren Kinder besuchten die Grundschule bzw. Kita, zu welchen die Betroffene die Kinder jeden Morgen fahre. Die Einrichtungen liegen nebeneinander, so dass sie anschließend ihre Ausbildungsstätte anfahren könne. Zweimal in der Woche müsse sie in die Berufsschule. Abends hole sie die Kinder auf dem Rückweg ab. Ihr Mann sei Landschaftsgärtner, er arbeite oft außerhalb und könne die Fahrten nicht übernehmen.

Hinweis: Das AG hat in seiner Entscheidung zudem berücksichtigt, dass eine anzuordnende Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG durchaus die Situation im Rahmen der Vollstreckung entspannen und zudem auch Urlaub genommen werden könne. Die Betroffene erklärte hier jedoch nachvollziehbar, dass sie im laufenden Jahr nicht ausreichend Urlaubsansprüche habe, um das Fahrverbot entsprechend abzubüßen.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 05.08.2021 - 729 OWi-253 Js 1054/21-83/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Trotz Gehbehinderung: Beklagter muss Abschleppkosten nach (mehrmaligem) Falschparken in der Tiefgarage zahlen

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Der Sohn des 87-jährigen Beklagten hatte dessen Fahrzeug in der Tiefgarage einer Wohnanlage in einem Bereich abgestellt, der mit eingeschränktem Halteverbot beschildert war. Der Hausmeister der Anlage beauftragte daraufhin das klagende Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs, wofür das Unternehmen einen Tiefgaragenberger und einen Kranplateauschlepper schickte. Bei deren Eintreffen befand sich das Fahrzeug jedoch nicht mehr in der Tiefgarage. Der Beklagte trug vor, sein Sohn hätte das Fahrzeug maximal für 15 Minuten dort abgestellt, um ihn abzuholen. Der Hausmeister wiederum wisse, dass er nur kurze Strecken zu Fuß zurücklegen könne und wegen seiner Behinderung eine Begleitung benötige. Mit Anruf oder Klingeln hätte man die Störung schnell beseitigen können. Der Hausmeister gab als Zeuge jedoch an, dass das Fahrzeug an selbiger Stelle den Zugang zu anderen Garagenboxen oft für Stunden in (geschätzt) 50 Fällen blockiert habe. Er habe den Halter fast jedes Mal darauf angesprochen. Mit der Hausverwaltung sei daher abgestimmt worden, dass man den Wagen beim nächsten Mal abschleppen lasse. Natürlich sei das Parken dort praktisch, da diese Stelle unmittelbar neben dem Zugang zum Aufzug liege - seine genau dort befindliche Garagenbox habe der Beklagte allerdings anderweitig vermietet. Zudem gebe es einen für längeres Halten vorgesehenen Platz in nur 15 Metern Entfernung. Der Sohn erklärte in seiner Zeugenaussage, maximal fünfmal angesprochen worden zu sein. Andere Hausbewohner dürften dort unbeanstandet be- und entladen. Der Hausmeister hege wohl einen Grundhass gegen ihn.

Das AG gab nach Anhörung aller Argumente schließlich der Klägerin Recht und verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Abschleppkosten. Das Gericht war davon überzeugt, dass das Fahrzeug dort über einen längeren Zeitraum geparkt habe, ohne dass ein konkretes Ein- oder Aussteigen oder ein Be- bzw. Entladevorgang vorlag. Auch habe der Sohn des Beklagten zugegeben, dass er das Parkverbotsschild kannte und bereits in früherer Zeit mehrfach seitens des Hausmeisters der Anlage darauf hingewiesen worden war, dass an dieser Stelle ein Parkverbot bestehe und bei Zuwiderhandlung ein Abschleppen drohe.

Hinweis: Zutreffend weist das AG darauf hin, dass vor Beauftragung des Abschleppunternehmens eine Recherche dahingehend nicht erforderlich sei, welches Abschleppunternehmen das Abschleppen am kostengünstigsten durchführt. Etwas anderes gilt in Fällen von vorhandenen Rahmenverträgen zwischen Grundstücksbesitzern und Abschleppunternehmen.


Quelle: AG München, Urt. v. 31.08.2021 - 473 C 2216/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Neues zu Flugverspätungen: Ist der Verspätungszeitraum strittig, ist die Beweisführung für Passagiere schwierig

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Es ging um einen Flug von Bremen nach Teneriffa, wo das Flugzeug planmäßig um 15:25 Uhr landen sollte. Wegen eines technischen Defekts verzögerte sich der Abflug um circa drei Stunden, die genaue Ankunftszeit war zwischen den Parteien streitig. Der Fluggast behauptete, die Ankunft wäre erst um 18:35 Uhr gewesen, die Fluggesellschaft meinte, die Landung wäre eher erfolgt - also unterhalb der Dreistundengrenze. Nun klagte der Fluggast eine Entschädigungszahlung ein.

Die Beweislast für das Vorliegen einer großen Ankunftsverspätung trifft nun einmal den Fluggast. Ist unsicher, ob die Ankunftsverspätung mindestens drei Stunden betragen hat, ist das Luftfahrtunternehmen zwar verpflichtet, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen mitzuteilen, die Rückschlüsse auf den maßgeblichen Zeitpunkt ermöglichen. Es ist aber laut BGH nicht dazu verpflichtet, im Bordbuch oder an anderer Stelle den Zeitpunkt zu dokumentieren, zu dem beispielsweise die erste Tür geöffnet und den Fluggästen der Ausstieg ermöglicht worden ist. Da der Fluggast hier also nicht beweisen konnte, dass sich der Flug um mehr als drei Stunden verspätet hatte, bekam er auch keine Entschädigungszahlung.

Hinweis: Hat ein Flug einmal eine Verspätung gehabt, kommt es darauf an, wie lang die Verspätung war. Am besten beauftragen Sie den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens mit einer Prüfung der Angelegenheit.


Quelle: BGH, Urt. v. 09.09.2021 - X ZR 94/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Elternzeit endet automatisch: Besonderer Kündigungsschutz endet nach Trennung und Verbleib der Kinder beim Partner

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Eine Arbeitnehmerin war für drei Jahre in Elternzeit. Währenddessen trennte sie sich jedoch von ihrem Ehemann, der die Kinder behielt. Ein Jahr nach Beginn der Elternzeit beleidigte und verleumdete die Frau einige ihrer Kollegen und Vorgesetzten mit öffentlich zugänglichen Posts auf ihrem privaten Facebook-Account. Der Arbeitgeber kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis fristlos. Dagegen klagte die Arbeitnehmerin. Sie meinte, die Kündigung sei allein deshalb schon unwirksam, weil der Arbeitgeber vorher nicht die Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingeholt habe. Denn sie stehe schließlich nach § 18 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz unter besonderem Kündigungsschutz.

Das sah das LAG jedoch anders. Denn der Anspruch auf Elternzeit setzt voraus, dass Arbeitnehmer mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und es selbst betreuen. Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Arbeitgeber unverzüglich zu informieren, wenn diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist. Die Elternzeit endete nach Auffassung der Richter automatisch. Hier hatte die Mitarbeiterin nach der Trennung von ihrem Mann und den Kindern deshalb keinen besonderen Kündigungsschutz mehr - und es lag zudem ein wichtiger Kündigungsgrund vor. Die Kündigung hatte das Arbeitsverhältnis also gültig beendet.

Hinweis: In dieser Sache ist unter Umständen noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn das BAG hat zu dieser Frage noch nichts entschieden. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.09.2021 - 12 Sa 23/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Landes- oder Bundesgesetz? BGH trifft Entscheidung zur (landes-)gesetzlichen Regelung von grenzüberschreitender Wärmedämmung

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Es ging um einen Nachbarschaftsstreit in Nordrhein-Westfalen. Die beiden betreffenden Grundstücke waren mit Mehrfamilienhäusern bebaut. Die Giebelwand des vor mehreren Jahrzehnten errichteten Gebäudes des einen Nachbarn stand direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, während das Gebäude des anderen Nachbarn etwa fünf Meter von der Grenze entfernt war. Eine Innendämmung des auf der Grundstücksgrenze stehenden Gebäudes konnte nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden. Deshalb verlangte nun der eine Nachbar von dem anderen, dass die grenzüberschreitende Außendämmung der Giebelwand zu dulden ist, und klagte sein Recht ein. Nun kam es darauf an, ob die nordrhein-westfälische Regelung rechtmäßig war oder die Regelungen, die der Bund für solche Fälle vorsieht.

Der BGH hat die nordrhein-westfälische Regelung für rechtmäßig angesehen und den Überbau erlaubt. Das Nachbarrecht des Bundes regelt in § 912 BGB, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger Überbau auf das Nachbargrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes geduldet werden muss. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ein vorsätzlicher Überbau im Grundsatz nicht hingenommen werden muss. Erlaubt ist hingegen der Erlass neuer landesgesetzlicher Vorschriften, die das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn anderen als den im BGB bestimmten Beschränkungen unterwerfen.

Das Landesrecht darf Beschränkungen vorsehen, die dieselbe Rechtsfolge wie eine vergleichbare nachbarrechtliche Regelung des Bundes anordnen, aber an einen anderen Tatbestand anknüpfen und einem anderen Regelungszweck dienen. Allerdings muss dabei die Grundkonzeption des Bundesgesetzes gewahrt bleiben - und das war hier der Fall.

Hinweis: Wer eine Wärmedämmung anbringen möchte und dabei nicht nur das Grundstück des Nachbarn betreten, sondern es sogar überbauen will, sollte auf der rechtlich sicheren Seite sein. Dabei hilft ein Rechtsanwalt.


Quelle: BGH, Urt. v. 12.11.2021 - V ZR 115/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Bummel-Azubi: Berufsausbildungsbeihilfe bei objektiv ausgeschlossenem Unterhaltsanspruch gegen die Eltern

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Im Zeitraum von acht Jahren hatte ein Mann ingesamt fünf Ausbildungen bzw. Studiengänge begonnen und wieder abgebrochen. Dessen Eltern hatten ihm bis zum 25. Geburtstag noch das Kindergeld weitergeleitet und danach nichts mehr an ihn gezahlt. Für die 2012 begonnene sechste Ausbildung beantragte der Sohn, der inzwischen verheiratet war, nun elternunabhängige Berufsausbildungshilfe (BAB), ein mit BAföG vergleichbares System. Er begründete den Antrag damit, dass seine Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig seien, da er die jeweiligen Ausbildungen übermäßig verzögert und damit die Verpflichtung zu Zielstrebigkeit, Fleiß und Sparsamkeit verletzt habe. Demnach habe er seine Eltern auch nicht verklagen müssen, um die fehlende Unterhaltspflicht nachzuweisen.

Das LSG sah es wie der Sohn: Bei einer solchen Sachlage sind Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig. Und wenn der Unterhaltsanspruch des Auszubildenden nach objektivem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist, muss er auch kein Gerichtsverfahren gegen seine Eltern führen.

Hinweis: Verzögerungen der Ausbildungszeit, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind, müssen Eltern hinnehmen. Verletzt das Kind aber nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Eine Unterhaltspflicht kommt umso weniger in Betracht, je älter der Auszubildende ist, je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet und je weniger eine Kommunikation über seine Ausbildungspläne erfolgt.


Quelle: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 08.10.2021 - L 2 AL 49/14
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Betriebsratswahl: Nur schwerwiegende Fehler führen zum Wahlabbruch im Eilverfahren

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

In einem Betrieb sollte der Betriebsrat neu gewählt werden. Der eingesetzte Wahlvorstand wurde dann jedoch vom Arbeitgeber aufgefordert, das eingeleitete Verfahren zur Wahl eines Betriebsrats abzubrechen. Denn er meinte, dass das Verfahren zur Bestellung des Wahlvorstands nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei - weder sei die Wahlausschreibung ordnungsgemäß ausgefüllt noch an allen erforderlichen Orten ausgehängt worden. Die zur Wahl Aufgerufenen würden teilweise nicht in den Zuständigkeitsbereich des Wahlvorstands fallen und dürften nicht wählen, weil sie nicht Beschäftigte im Betrieb seien. Der Arbeitgeber leitet ein arbeitsgerichtliches Eilverfahren ein.

Doch die Richter des ArbG entschieden, dass die Betriebsratswahl zumindest nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren abzubrechen war. Sie stellten klar, dass dies nur ausnahmsweise möglich sei - und zwar dann, wenn ganz erhebliche Fehler festgestellt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die entsprechenden Fehler zur Nichtigkeit der Wahl führen könnten. Das war hier nicht gegeben.

Hinweis: In der Regel kann der Arbeitgeber erst nach Abschluss der Wahl prüfen, ob diese korrekt abgelaufen ist. Gegebenenfalls kann er dann die Wahl anfechten und durch das ArbG für unwirksam erklären lassen. Ein Eilverfahren ist dagegen nur dann möglich, wenn es sich um wirklich schwerwiegende und offensichtliche Fehler handelt.


Quelle: ArbG Berlin, Beschl. v. 17.11.2021 - 3 BVGa 10332/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Nur bei tatsächlicher Mehrarbeit: Keine grundsätzliche Verweigerung von Rufbereitschaft durch schwerbehinderte Arbeitnehmer

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Ein als Wassermeister beschäftigter Arbeitnehmer sollte in jeder vierten Woche nach dem Ende der täglichen Arbeitszeit sowie am Wochenende Rufbereitschaft absolvieren, um damit die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Er konnte sich währenddessen aufhalten, wo er wollte, musste aber bei Bedarf zur Arbeit kommen. Für diese tatsächlichen Einsatzzeiten erhielt er einen Freizeitausgleich. Da der Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten gleichgestellt war, meinte er nun, keine Rufbereitschaft mehr leisten zu müssen. Die Bereitschaftszeit sei stets als Mehrarbeit einzuordnen und für ihn somit unzumutbar und unzulässig.

Das BAG sah jedoch keinen Anspruch auf eine vollständige Befreiung von der Rufbereitschaft. Allerdings verwiesen die Richter die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht als Vorinstanz zurück. Das muss jetzt noch prüfen, ob die Rufbereitschaft hier tatsächlich als Arbeitszeit gilt. Denn da es sich bei einer Rufbereitschaft nicht immer um Mehrarbeit handelt, können schwerbehinderte Arbeitnehmer diese auch nicht grundsätzlich ablehnen.

Hinweis: Es kommt also darauf an, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Mehrarbeit handelt oder nicht. Liegt keine Mehrarbeit vor, können schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer die Rufbereitschaft natürlich  nicht grundsätzlich ablehnen.


Quelle: BAG, Urt. v. 27.07.2021 - 9 AZR 448/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schutzbehauptung entlarvt: Angestrengte Körperhaltung auf dem Messfoto kann für vorsätzliche Begehung sprechen

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein Autofahrer befuhr innerorts eine Straße und wurde hierbei aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 60 % geblitzt. Daraufhin erging ein Bußgeldbescheid, in dem ihm eine vorsätzliche Geschwindigkeitsübertretung vorgeworfen wurde, was zur Verdoppelung des Bußgelds führte. Zudem wurde ein Fahrverbot verhängt. Dagegen legte der Mann Einspruch ein. Er berief sich darauf, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Es sei einige Jahre zuvor noch eine Limitierung auf 70 Stundenkilometer vorhanden gewesen, was er genau so wohl noch in Erinnerung gehabt habe.

Dennoch ging das AG aus unterschiedlichen Gründen davon aus, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung vorsätzlich begangen wurde. Zum einen sei der Mann innerorts losgefahren und habe kein Ortsschild passiert, das das Ende der Ortschaft anzeigen würde. Die Behauptung, früher seien dort 70 Stundenkilometer erlaubt gewesen, sah das AG als eine Schutzbehauptung an. Nachforschungen hatten ergeben, dass an der betreffenden Stelle seit mindestens fünf Jahren Tempo 50 gilt. Die Straße führe an der Messstelle sogar bergauf, so dass die bewusste Betätigung des Gaspedals notwendig sei, um das gefahrene Tempo zu halten oder gar zu steigern. Außerdem hatte der Betroffene selbst ein Motiv eingeräumt - er hatte es eilig, weil er noch Unterlagen von zu Hause abholen musste. Dies sei auch am Messfoto zu erkennen. Der Fahrer wirke darauf sehr konzentriert, schaue mit weit geöffneten Augen nach vorne, was in Augen des AG Anspannung und Konzentration widerspiegele. Die sichtbare Hand umklammere das Lenkrad mit fester Faust, auch das weise auf Anspannung und somit Vorsatz hin. Zudem musste der Mann anhand der Umgebung erkennen, dass er sich innerhalb eines Orts befand.

Hinweis: Die Bußgeldkatalogverordnung geht beim Regelsatz von fahrlässiger Begehungsweise aus. Vorsatz bedeutet, dass die Ordnungswidrigkeit mit Absicht und in vollem Bewusstsein begangen wurde. Ein direkter Vorsatz liegt vor, wenn der Fahrer sicher ist, dass die Tat, die er ausüben möchte, gesetzlich nicht erlaubt ist. Mit bedingtem Vorsatz handelt ein Fahrer, wenn er ernsthaft die Möglichkeit sieht, dass sein Handeln eine Missachtung des Gesetzes ist und er das Ergebnis seiner Tat billigend in Kauf nimmt.


Quelle: AG Straubing, Urt. v. 16.08.2021 - 9 OWi 705 Js 16602/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Abgasskandal: Voraussetzungen für den Rücktritt vom Kaufvertrag

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von VW hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug der Marke Škoda. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren dieses Typs im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von VW entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update. Der Kläger ließ das Software-Update jedoch nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

Der BGH entschied, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich - also verzichtbar - ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht worden ist. Auch der (bloße) Verdacht, dass ein zur Mängelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könne, zähle nicht. Hier bedarf es zunächst einer weitergehenden Prüfung und einer (sachverständigen) Feststellung. Ein Rücktritt setze grundsätzlich einen Sachmangel voraus. Ebenso müsse dazu eine erfolglose (angemessene) Fristsetzung zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) vorausgehen. Der Senat hat den Rechtsstreit daher zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Hinweis: Eine Fristsetzung ist nur entbehrlich, wenn dem Käufer eine Nacherfüllung unzumutbar ist oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Dies bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt. Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht ohne weiteres auf Fälle wie diesen übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalteinrichtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war.


Quelle: BGH, Urt. v. 29.09.2021 - VIII ZR 111/20
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Laden im Lockdown: Coronapandemie ist allein kein Grund für Zahlungseinstellung von Gewerberaummiete

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es ging um ein Geschäft, das während der COVID-19-Pandemie geschlossen werden musste. Das Unternehmen betrieb viele Warenhäuser, zahlte aber für eine Geschäftsfläche keine Miete mehr. Die Vermieterin klagte die Miete ein und war der Ansicht, dass ein Sachmangel an der Mietsache nicht bestehen würde - schließlich könnten die Räume frei genutzt werden.

Das LG gab der Vermieterin in der Tat Recht und urteilte, dass ein Anspruch auf Einstellung der Gewerberaummiete nach einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung nicht grundsätzlich besteht. Es kann wegen der Unwägbarkeiten in Erwägung gezogen werden, dass die Nachteile solidarisch von beiden Parteien getragen werden. Eine solche Anpassung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn das Festhalten am Vertrag für den Mieter unzumutbar sei. Hier hatte die Mieterin nicht genügend dazu vorgetragen. Zum einen waren nicht sämtliche Mitarbeiter in Kurzarbeit, zum anderen bestand die Möglichkeit des Online-Handels. Letztendlich widersprach das Verhalten der Mieterin den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns.

Hinweis: Der Bundesgerichtshof wird Mitte Januar zu dieser Problematik entscheiden. Es dürfte dabei stets auf den Einzelfall ankommen, ob Mieten während der Geschäftsschließungen in der Pandemie gezahlt werden müssen oder nicht.


Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 27.10.2021 - 18 O 184/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schwellenwert unterschritten: Automatische Auflösung der Schwerbehindertenvertretung

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

In einem Betrieb waren fünf schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Mitarbeiter beschäftigt. Deshalb wurde eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Sieben Monate später waren jedoch nur noch vier schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber war nun der Meinung, die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung sei durch das Unterschreiten des Schwellenwerts von fünf Arbeitnehmern beendet. Die Schwerbehindertenvertretung vertrat hingegen die Ansicht, dass sie ihre Amtszeit von vier Jahren voll ausschöpfen dürfe, und zog vor das Gericht.

Doch hier konnte das LAG der Schwerbehindertenvertretung leider nicht weiterhelfen. Denn das entsprechende Gesetz kenne hier schlicht und ergreifend keinen Übergangszeitraum. Mit Unterschreitung des Schwellenwerts nach § 177 Abs. 1 SGB IX endete daher die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung. Das Gesetz regelt nicht, dass es bei der Feststellung der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten ausschließlich auf den Zeitpunkt der Wahl ankommt.

Hinweis: Die Schwerbehindertenvertretungen sollten also aufpassen, dass ihre Amtszeit nicht durch ein Absinken der entsprechend Beschäftigten unterhalb des Schwellenwerts plötzlich endet. Helfen kann dabei, dass sämtliche schwerbehinderte Mitarbeiter ihre Schwerbehinderung auch tatsächlich gegenüber dem Arbeitgeber offenbaren.


Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 31.08.2021 - 4 TaBV 19/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Verkauf unrenovierter Wohnung: Ohne nachgewiesenen Mindererlös gibt es keinen Schadensersatz vom ehemaligen Mieter

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

In diesem Fall klagte ein Vermieter gegen seine ehemaligen Mieter. Er wollte Schadensersatz in Höhe von knapp 15.000 EUR für an der Wohnung entstandene Schäden, die die Mieter verursacht haben sollen. Die Mietwohnung hat der Vermieter zwischenzeitlich verkauft. Und das war ein Fehler.

Die vorhandenen Beschädigungen an der Mietwohnung hatte der ehemalige Vermieter nämlich gar nicht beseitigt, sondern die Wohnung mit den bestehenden Mängeln veräußert. Somit hat er auch keinen Vermögensverlust erlitten. Ob der Vermieter wegen der unterstellten Mängel einen Mindererlös erlitten hat, war für das AG unerheblich, weil er das nicht geltend gemacht hatte. Zudem war es durchaus möglich, dass ein solcher Mindererlös überhaupt nicht eingetreten ist.

Hinweis: Bei unterlassenen Schönheitsreparaturen geht es häufig um viel Geld. Da sollte der Rechtsanwalt des Vertrauens zuvor eingeschaltet werden. Das gilt für beide Seiten: sowohl für den Vermieter als auch für den Mieter.


Quelle: AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 27.05.2021 - 96 C 1358/19
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unterhaltspflichtiger im Ausland: Unterschiedliche Kaufkraft beider Länder muss bei Unterhaltsberechnung berücksichtigt werden

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Der Ehemann hatte nach der Trennung Deutschland verlassen. Er lebt und arbeitet seitdem in Norwegen und macht deshalb erheblich höhere Lebenshaltungs-, insbesondere Wohnkosten geltend. Die Kaufkraft sei schließlich in Norwegen nachweislich kleiner. Mit der in den Unterhaltsleitlinien vorgesehenen Warmmiete von 480 EUR könne er dort keine Wohnung bezahlen, so dass sein Selbstbehalt entsprechend zu erhöhen sei.

Das OLG hat daraufhin aus der Eurostat-Statistik die Lebenshaltungskosten ermittelt, danach das Einkommen beider Gatten ins Verhältnis gesetzt und dann hälftig verteilt. Der Wohnkostenanteil im Selbstbehalt musste damit nicht noch zusätzlich berücksichtigt werden.

Hinweis: Spielt der grenzüberschreitende Fall in Europa - aber nicht in Norwegen, Island oder der Schweiz -, ist die Zuständigkeit nach der Europäischen Unterhaltsverordnung zu beurteilen.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.09.2021 - 13 UF 89/18
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kosten eines Erbscheins: Nachlassgerichte dürfen grundsätzlich auf Grundbucheintragungen abstellen

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Besonderheit des Falls lag darin, dass sich der erfolglose Antragsteller im Erbscheinsverfahren darauf berief, dass die im Grundbuch eingetragenen Miteigentumsanteile an der Immobilie falsch waren, weshalb von einem geringeren Geschäftswert ausgegangen werden müsse.

Das OLG hat klargestellt, dass das Nachlassgericht im Grundsatz immer auf die Eintragungen im Grundbuch abstellen dürfe. Abweichungen hiervon seien aber dann zulässig, wenn die abweichenden Eigentumsverhältnisse zwischen allen Beteiligten unstreitig sind oder sich zweifelsfrei aus öffentlichen Urkunden ergeben. In allen anderen Fällen sei es nicht Aufgabe des Nachlassgerichts, eine streitige materielle Eigentumslage im Wertfestsetzungsverfahren selbst zu klären. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn das Grundbuchamt von Amts wegen einen Widerspruch im Grundbuch eingetragen hat. Das Nachlassgericht darf einen solchen Amtswiderspruch nicht einfach übergehen, es kann in einem solchen Fall die Wertfestsetzung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit des Widerspruchs aufschieben. Unbenommen bleibt dem Nachlassgericht, die Eigentumslage anhand einer summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu prüfen.

Hinweis: Ist die abweichende Eigentumslage bereits Gegenstand eines anderen gerichtlichen Verfahrens, wird das Verfahren zur Festsetzung des Verfahrenswerts im Allgemeinen ausgesetzt.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2021 - 3 Wx 173/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Keine Bindung an Beweisvorschrift: Grundbuchamt entscheidet frei, ob einem Verkauf eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Der vorverstorbene Vater hatte seine beiden Kinder zu Nacherben und dessen (mittlerweile ebenfalls verstorbene) Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt. Die Eheleute waren hälftig Miteigentümer einer neu errichteten Eigentumswohnung, die im Jahr 2004 für circa 210.000 EUR erworben wurde. Nachdem der Mann verstorben war, hatte die Frau mit notariellem Kaufvertrag aus dem Jahr 2015 die Eigentumswohnung veräußert. Dabei übertrug sie ihren eigenen Anteil schenkungsweise und den unter befreiter Vorerbschaft stehenden Miteigentumsanteil ihres Ehemanns gegen Zahlung eines Kaufpreises von 100.000 EUR. Ihr selbst wurde ein lebenslanges Wohnrecht in der Immobilie durch den Erwerber eingeräumt. Der Eigentümer sowie die Nacherben stritten sich in der Folge darüber, ob der Nacherbenvermerk im Grundbuch gelöscht werden müsse. Die Nacherben vertraten die Ansicht, dass das Wohnungseigentum unter Wert veräußert wurde, weshalb es aus der Nacherbschaft nicht frei geworden sei.

Das OLG führte zunächst aus, dass der befreite Vorerbe befugt sei, entgeltlich über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen. Eine solche Verfügung sei auch dann wirksam, wenn der Nacherbe ihr nicht zugestimmt hatte. Entsprechend scheidet die Immobilie mit dem Vollzug der von dem Vorerben erklärten Auflassung wirksam und endgültig aus dem Nachlass aus - der Nacherbenvermerk im Grundbuch ist zu löschen. Anstelle des veräußerten Grundstücks fällt die im Kaufvertrag vereinbarte Gegenleistung des Käufers in den Nachlass und steht nach Tod des Vorerben gemäß dessen Vermögenslage zu dem Zeitpunkt den Nacherben zu.

Ob eine Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Immobilie entgeltlich war - ihr also eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand - , kann das Grundbuchamt laut OLG anhand aller Umstände frei würdigen. Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn der Vorerbe einen Kaufpreis vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode maximal vertreten lässt. Zweifel ergeben sich nicht allein aus dem Umstand, dass verschiedene Wertgutachten zu unterschiedlichen Schätzpreisen gelangen.

Hinweis: Tritt der Nacherbfall ein, ist der für den Vorerben erteilte Erbschein unrichtig geworden. Dieser ist von Amts wegen bei Bekanntwerden der Umstände einzuziehen.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.09.2021 - 3 Wx 125/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Dreimonatszeitraum: Ablehnung von Brückenteilzeit bei Nichteinhaltung der Ankündigungsfrist

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Eine Mitarbeiterin beantragte am 22.01. eine Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 33 Stunden für ein Jahr ab dem 01.04. Doch ihr Arbeitgeber meinte, dass der Antrag unwirksam sei, da die Mitarbeiterin die dreimonatige Ankündigungsfrist nicht eingehalten habe. Außerdem lehnte er den Antrag wegen entgegenstehender dringender Betriebsgründe ab. Die Arbeitnehmerin meinte dagegen, ihr Antrag sei so auszulegen, als sei er zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt - nämlich drei Monate nach der Antragstellung. Schließlich klagte sie, doch das vergeblich.

Der Antrag auf Brückenteilzeit musste in Augen des BAG nicht auf einen späteren Beginn umgedeutet werden. Denn ein Arbeitgeber kann bei einem Antrag auf Brückenteilzeit nicht wissen, ob ein Arbeitnehmer die Brückenteilzeit insgesamt nach hinten verschieben will oder ob diese zum ursprünglich beantragten Termin enden soll.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten also genau darauf achten, den Dreimonatszeitraum bei einer Brückenteilzeit einzuhalten. Der Antrag auf Gewährung einer Brückenteilzeit ist mindestens drei Monate vor dem Beginn zu stellen.


Quelle: BAG, Urt. v. 07.09.2021 - 9 AZR 595/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Voneinander unabhängig: Unterschiedliche Verjährung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Die im Jahr 2014 verstorbene Erblasserin hinterließ mehrere Töchter sowie ein Testament, in dem sie eine Tochter sowie eine Enkelin zu Alleinerben eingesetzt hatte. Die nicht bedachten Töchter führten zunächst über mehrere Jahre einen Rechtsstreit vor dem Nachlassgericht im Rahmen der Erteilung eines Erbscheins. Im November 2016 entschied das Nachlassgericht, dass die testamentarische Verfügung der Erblasserin wirksam war, und erteilte einen entsprechenden Erbschein. Letztlich rechtskräftig wurde diese Entscheidung im Jahr 2019.

In einem Folgeprozess im September 2020 machten die nicht bedachten Töchter Auskunftsansprüche gegenüber den Erben zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen geltend. Bei den Pflichtteilergänzungsansprüchen ging es insbesondere um mögliche ausgleichspflichtige Schenkungen zu Lebzeiten der Erblasserin. Die Erben beriefen sich darauf, dass entsprechende Auskunftsansprüche verjährt seien, was das OLG zumindest teilweise bestätigt hat. Zu unterscheiden war zwischen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Grundsätzlich gilt auch für Ansprüche aus der Erbschaft, dass diese nach drei Jahren verjähren. Die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall, von der ihn beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung und von der Person des Erben erlangt hat oder zumindest hätte erlangen können.

Bezüglich der Pflichtteilsansprüche stellt das OLG auf den Beschluss des Nachlassgerichts im November 2016 ab. Die drei Voraussetzungen - insbesondere die Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung - hatten die Töchter damit bereits im November 2016 mit der Entscheidung des Nachlassgerichts. Entsprechende Ansprüche verjährten damit mit Ablauf des 31.12.2019, also vor Klageerhebung. Nicht verjährt waren hingegen die Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die Parteien stritten um die Frage von ausgleichspflichtigen Schenkungen durch die Erblasserin, wobei zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Erben nicht eingewandt haben, dass die Töchter Kenntnis von den Schenkungen gehabt hätten. Insoweit bejahte das Gericht den Auskunftsanspruch der Pflichtteilsberechtigten.

Hinweis: Die Verjährung muss als sogenannte Einrede ausdrücklich geltend gemacht werden. Sie wird nicht zwangsläufig im Rahmen eines Rechtsstreits von einem Gericht berücksichtigt.


Quelle: OLG München, Urt. v. 22.11.2021 - 33 U 2768/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Ermittlung ortsüblicher Vergleichsmieten: Selbstfinanzierte Ausstattung der Mietsache muss dauerhaft unberücksichtigt bleiben

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Eine Vermieterin verlangte eine Mieterhöhung für eine im Jahr 1918 erbaute Wohnung. Bei der Berechnung des Erhöhungsbetrags ging sie davon aus, dass die Wohnung mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist. Die Mieterin entgegnete jedoch, dass sie selbst die Zentralheizung damals eingebaut habe. Das müsse bei der Berechnung der Vergleichsmiete als Grundlage der Erhöhung entsprechende Berücksichtigung finden.

Das sah das AG ebenfalls so. Eine vom Mieter auf eigene Kosten geschaffene Ausstattung der Mietsache - wie hier die Heizung - bleibt bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete grundsätzlich auf Dauer unberücksichtigt.

Hinweis: Eine Mieterhöhung ist kein Buch mit sieben Siegeln. Im Zweifel kann ein Rechtsanwalt helfen und ein rechtssicheres Mieterhöhungsschreiben verfassen.


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 29.10.2021 - 49 C 119/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unzulässiger Anlockeffekt: Kontaktaufnahme nach "Geschenk"-Werbung darf nicht zur Kündigungsrücknahme missbraucht werden

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Ein Kunde hatte seinen Mobilfunkvertrag gekündigt. Daraufhin erhielt er eine E-Mail, in der ihm ein Geschenk in Form eines Datenvolumens von 1 GB unter der Bedingung versprochen wurde, dass er bei der Hotline anrufe. Nach Anruf bei eben jener Hotline stellte sich dann jedoch heraus, dass eine Freischaltung dieses Datenvolumens nur dann in Betracht käme, wenn der Mann seine Kündigung zurückziehe. Dagegen klagte der Dachverband der Verbraucherzentralen. Er hielt das Verhalten des Mobilfunkanbieters für unlauter - und das zu Recht.

Es ist laut OLG durchaus irreführend, wenn dem Kunden bei der ihm gegenüber beworbenen Kontaktaufnahme mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt werde, wenn er seine Kündigung zurücknähme. Ebenso sah das Gericht im Gegensatz zu der Argumentation des Mobilfunkunternehmens hier durchaus eine Wiederholungsgefahr. Zwar hatte der Mobilfunkanbieter geltend gemacht, es habe sich um einen "Ausreißer" gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe - das ließ das Gericht jedoch nicht gelten.

Hinweis: Kunden sollten sich bei Abschluss längerfristiger Verträge stets die genaue Kündigungsfrist notieren. So können die Verträge rechtzeitig gekündigt werden, ohne dass Termine und Fristen verpasst werden.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.09.2021 - 6 U 133/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angelegenheit der elterlichen Sorge: Behörde muss die Impfpflicht gegenüber beiden Sorgeberechtigten durchsetzen

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Die Eltern eines achtjährigen Kindes waren offensichtlich Impfgegner und bestritten die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Regelungen des Infektionsschutgesetzes (IfSG). Sie waren der Behörde schon mit einer unrichtigen Impfbescheinigung und einer nicht akzeptierten Impfunfähigkeitsbescheinigung aufgefallen. Dann hatten sie eine Blutprobe eingereicht, die die Immunität des Kindes nachweisen sollte, wobei Zweifel bestanden, dass es sich um das Blut des Kindes handelte.

Vor dem OVG ging es um etliche rechtliche Aspekte, aber auch um einen familienrechtlichen: Die Behörde hatte ihre Bescheide nämlich nur an den Vater adressiert, nicht aber auch an die Mutter. Die Eltern lebten mit dem Kind zusammen und waren beide sorgeberechtigt. Da Impfentscheidungen aber eine Angelegenheit der elterlichen Sorge sind, über die nur beide gemeinsam entscheiden können, bedarf es einer behördlichen Anordnung gegenüber beiden gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen.

Hinweis: Die ergangene Rechtsprechung zur Impfpflicht gegen Masern wird sich auf die eventuelle Impfpflicht gegen COVID-19 übertragen lassen.


Quelle: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.10.2021 - 3 M 134/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angeblicher EC-Kartendiebstahl: Anscheinsbeweis zu nicht ausreichend geschützter PIN ist schwer zu entkräften

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Eine Bank hatte einer Kundin eine EC-Karte zur Verfügung gestellt. Damit konnte die Frau unter Einsatz der ihr mitgeteilten PIN Bargeldabhebungen an Geldautomaten vornehmen. Eines Tages wurden innerhalb einer Stunde an einem Geldautomaten drei Bargeldauszahlungen in Höhe von insgesamt 990 EUR vorgenommen. Das Geld wurde vom Konto der Kundin abgebucht, die erst rund fünf Stunden nach der Abbuchung die Karte sperren ließ. Dabei gab sie an, dass ihr die Karte gestohlen worden sei, und forderte ihre Bank auf, die ihr die abgebuchten Beträge zu erstatten. Die Bank lehnte das ab. Die Bargeldabhebung sei schließlich nur mit der Original-EC-Karte durch Eingabe der PIN möglich. Deshalb gebe es für die Bank einen Anscheinsbeweis dafür, dass derjenige, der das Geld abgehoben habe, Kenntnis von der PIN gehabt haben muss, weil diese nicht ausreichend geheim gehalten worden sei. Das wollte die Bankkundin nicht auf sich sitzen lassen, da sie in dem Umstand, dass sich die Bank auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft, eine wissentliche unlautere Irreführung sah. Jedenfalls wurde die Bank verklagt, es zu unterlassen, das Geld nicht zu erstatten und sich auf den Anscheinsbeweis zu berufen, dass sie als Karteninhaberin die PIN nicht ausreichend geheim gehalten habe.

Das OLG sah sei jedoch keine Irreführung durch das Berufen auf Anscheinsbeweis bei angeblich entwendeten EC-Karten. Eine irreführende geschäftliche Handlung liege nicht vor, wenn sich eine Bank zur Abwehr von Ansprüchen eines Kunden auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft.

Hinweis: Haben Sie eigentlich die Telefonnummer zum Sperren ihrer Kontokarten immer parat? Denn nach Diebstahl oder anderweitigem Verlust der Bankkarten gilt es stets, die Karte schnellstmöglich sperren zu lassen. Notieren Sie sich deshalb die Rufnummer zur Sperrung Ihrer Karte.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.09.2021 - 6 U 68/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutter dankt mit Grundstück: Wer seine Eltern pflegt, darf Schenkung erhalten

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

In dem zum entschiedenen Fall hatte ein Ehepaar im Jahr 1996 ein Testament errichtet, in dem es sich zunächst wechselseitig zu Alleinerben und die drei gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt hat. Darüber hinaus war verfügt, dass ein Sohn ein Grundstück als Erbe erhalten sollte. Nach dem Tode des Ehemanns schenkte die überlebende Erblasserin ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück, das eigentlich testamentarisch für den Sohn vorgesehen war, ihrer Tochter. Darüber hinaus wurde ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für das Grundstück im Grundbuch eingetragen. Nach dem Tod der Mutter stritten die Geschwister folglich über die Rechtmäßigkeit dieser Schenkung. Der Bruder forderte von seiner Schwester die Übertragung des Grundstücks an ihn sowie die Bewilligung der Löschung des Wohnrechts.

Das LG hat die Klage des Bruders allerdings abgewiesen. Denn ein Anspruch bestehe laut Gericht nur dann, wenn die Mutter als Erblasserin die Schenkung ausschließlich zur Beeinträchtigung des Erbes des Sohns vorgenommen hätte, es sich somit um eine missbräuchliche Verfügung gehandelt hätte. Hiervon könne nicht ausgegangen werden, da die Erblasserin im Eigeninteresse gehandelt hatte. Nach erfolgter Beweisaufnahme ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tochter sowohl vor der Übertragung als auch im Gegenzug für die Schenkung Pflegeleistungen in erheblichem Umfang erbracht habe.

Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.


Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 18.11.2021 - 1 O 222/18
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mülltonnen auf Radweg: Rechtzeitig erkennbare Gefahren stellen keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Ein Mann war auf seinem Rad auf einem Radweg unterwegs, als er eben dort zwei Mülltonnen erblickte. Sein Versuch, diesen mit knappem Abstand auszuweichen, misslang - er fuhr gegen eine der Mülltonnen, stürzte und verletzte sich daraufhin schwer. Von dem zuständigen Abfallentsorgungsunternehmen verlangte er daraufhin Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Die Antwort auf die Frage, wie es zu dem Unfall habe kommen können, lag für das LG nahe: Die Klage hatte wegen ganz überwiegenden Mitverschuldens des Radfahrers keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts kann das Abstellen von Mülltonnen auf einem Radweg selbstverständlich durchaus eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellen. Denn die Tonnen seien ein "ruhendes Hindernis", durch das der Verkehrsfluss erheblich beeinträchtigt werde. Wenn aber das ruhende Hindernis schon von Weitem erkennbar ist, muss der Radfahrer diesem mit einem ausreichenden Seitenabstand ausweichen. Hält er diesen Abstand nicht ein und stürzt, ist der Sturz nicht auf die in dem Hindernis liegende Gefahr, sondern ganz überwiegend auf seine eigene grob fahrlässige Fahrweise zurückzuführen. Auch hier habe der Radfahrer den Mülltonnen weiträumig ausweichen können, sich jedoch bewusst dazu entschieden, an diesen so knapp vorbeizufahren, dass es erst zu dem Sturz habe kommen können.

Hinweis: Verkehrssicherungspflichten dienen nur der Beseitigung von Gefahren, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht rechtzeitig erkennbar sind. Erkennbare Gefahren, vor denen man sich ohne weiteres selbst schützen kann, lösen keine Verkehrssicherungspflicht aus. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen kann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn das Handeln des Geschädigten von ganz besonderer, schlechthin unverständlicher Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.


Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.09.2021 - 4 O 25/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutwillige Klage: Vor dem Gang vors Familiengericht sollte ein Einigungsversuch durch andere Stellen stehen

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Eine Kinderärztin hatte die Frühförderung eines Kindes empfohlen, aber der Vater hatte nicht zugestimmt. Darauf beantragte die Mutter beim Familiengericht, dies allein entscheiden zu dürfen. Weil sie sich keinen Anwalt leisten konnte, beantragte sie dafür VKH. Das in der Sache zuständige Amtsgericht (AG) wollte zunächst wissen, ob es eine gemeinsame Beratung der Eltern beim Jugendamt gegeben habe, was verneint wurde. Im weiteren Verlauf stimmte der Vater außergerichtlich der Frühförderung zu und erklärte, er sei nie dagegen gewesen, sondern habe sich nicht gut informiert gefühlt. Das Verfahren war somit zwar erledigt, aber die Kosten des Anwalts der Mutter waren jedoch noch offen. Diese Kosten bekam die Mutter auch nicht von der Staatskasse - nicht nach dem AG und nicht nach dem OLG.

Es ist letztendlich auch laut OLG mutwillig gewesen, sofort zu klagen, statt zuerst kostenfreie Angebote - beispielsweise durch das Jugendamt - zu nutzen, wie es auch Selbstzahler getan hätten. Erst wenn außergerichtliche Bemühungen fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos sind oder gar eine besondere Dringlichkeit besteht, ist die VKH grundsätzlich zu gewähren.

Hinweis: In vielen Städten hat das Jugendamt die Elternberatung an freie Träger delegiert. Sie müssen regional klären, welche Voraussetzungen an den vergeblichen Einigungsversuch geknüpft werden, und dazu auch dem Gericht etwas vortragen. Das betrifft alle Kindschaftssachen wie das Sorge- und Umgangsrecht.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.11.2021 - 13 WF 189/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unerfahrene Reiterin: Auf eigenes Fehlverhalten zurückzuführender Schaden schließt Schmerzensgeldanspruch aus

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Eine nicht sonderlich reiterfahrene Frau stieg auf den Rücken eines Pferds, das sichtlich nervös war. Die Reiterin rutschte schließlich mit dem Fuß aus dem Steigbügel und hatte deshalb absteigen müssen. Nach dem Wiederaufstieg aufs Pferd wechselte dieses vom Trab in den Galopp. Dabei fiel die Frau vom Pferd und prallte mit dem Kopf gegen einen Holzpfosten. Sie litt nach der Bewusstlosigkeit an einem Schädel-Hirn-Trauma und verlangte Schmerzensgeld von der Halterin des Pferds. Diese jedoch meinte, die Reiterin habe dem Tier durch ein Anpressen der Beine den Befehl zum Galopp gegeben. Insoweit habe das Tier lediglich gehorcht. Der Unfall beruhe daher nicht auf einer Tiergefahr, sondern auf einem Reitfehler. Eine Zeugin hatte ausgesagt, das Tier sei ganz normal und sanft in den Galopp übergegangen. Die gegnerische Tierhalterhaftpflichtversicherung hatte der Reiterin bereits freiwillig 2.000 EUR Schmerzensgeld gezahlt. Die Frau wollte jedoch mehr Geld - vergeblich.

Denn laut Beweisaufnahme durch das OLG war es auch möglich, dass die Reiterin tatsächlich aus Unsicherheit die Beine angepresst und damit dem Pferd den Befehl zum Galopp gegeben habe, ohne dies eigentlich zu wollen. Damit konnte nicht festgestellt werden, dass sich eine Tiergefahr verwirklicht hat. Das wäre jedoch für eine Zahlung von Schmerzensgeld erforderlich gewesen.

Hinweis: Es ist stets sinnvoll, die Gefahren, die von einem Tier ausgehen, zu versichern. Das gilt insbesondere bei Pferden und Hunden. Wenn es dann einmal zu einem Schaden kommt, steht eine Versicherung hinter dem Halter.


Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 19.10.2021 - 2 U 106/21
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kindeswohl im Mittelpunkt: Eine Steigerung des Umgangs auf hälftiges Wechselmodell trotz elterlicher Uneinigkeit möglich

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Es ging um ein siebenjähriges Mädchen, das als Zweijährige nach der Trennung der Eltern beim Vater auf dessen Bauernhof wohnen blieb, während die Mutter weiter weg zog. Anfangs hatte die Mutter alle 14 Tage Umgang an einem kurzen Wochenende. Schließlich zog die die Mutter wieder in die Nähe des Vaters und wünschte sich ein paritätisches Wechselmodell. Zunächst bekam sie einen erweiterten Umgang; 14-tägig freitags bis dienstags, schließlich bis mittwochs. Der Vater meinte, dies würde ausreichen, und betonte, dass es für das Kind wichtig sei, einen Lebensmittelpunkt zu haben.

Das mit der Sache zuerst befasste Amtsgericht stellte jedoch fest, dass der im Laufe des Verfahrens ausgedehnte Umgang nicht zu einer Überforderung des Kindes geführt habe. Es sei mit beiden Familiensystemen (Stiefeltern, Stiefgeschwister, Großeltern) vertraut und komme damit zurecht. Die abstrakte Forderung des Kindesvaters nach einem Lebensmittelpunkt reiche nicht aus, um ein Wechselmodell in Frage zu stellen. Der Verfahrensbeistand unterstützte die Mutter: Das Wechselmodell erhöhe die Erziehungskontinuität zu beiden Eltern. Es führe bei dem Kind zu mehr emotionaler Stabilität und Sicherheit, bei beiden Eltern leben zu dürfen, und gewährleiste eine gedeihliche Identitätsentwicklung. Auch das Jugendamt hatte sich für ein Wechselmodell ausgesprochen, weil die gute Bindung zu beiden Elternteilen hierdurch gleichermaßen gepflegt und gefördert werden könne.

Auch für das OLG war das Wechselmodell die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Umgangsregelung. Keine Voraussetzung für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist nämlich, dass sich die Kindeseltern über die Wahl dieses Betreuungsmodells einig sind.

Hier gab es zu beiden Eltern eine sichere Bindung und bei der Mutter auch schon erlebten Alltag. Das Mädchen habe begeistert von ihrem Leben in beiden Haushalten und den jeweiligen Urlauben mit beiden Elternfamilien berichtet. Hierbei kamen keinerlei Präferenzen für das Leben in dem einen oder dem anderen Haushalt zum Ausdruck. Sie vermisse jeweils den Elternteil, bei dem sie sich gerade nicht aufhalte. Wenn für das Kind nach seinen Bekundungen beide Elternteile gleichermaßen von Bedeutung sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn diese Bindung an beide Elternteile mit einer paritätischen Betreuung gestärkt und aufrechterhalten wird. Die organisatorischen Schwierigkeiten seien überschaubar und nicht viel höher als beim jetzigen Modell. Nach Ansicht des OLG überwiegen die Vorteile des Wechselmodells. Die Auffassung des Kindesvaters, das Kind benötige einen Lebensmittelpunkt, werde nicht durch human- oder sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse abstrakt gestützt. Positiv war die Feststellung, dass beim Kind kein Loyalitätskonflikt erkannt werden konnte. Die erforderliche grundlegende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern war vorhanden.

Hinweis: In der Praxis sind es zumeist die Väter, die statt eines Wochenend- oder erweiterten Umgangs ein Wechselmodell einklagen. Dabei scheitert das Wechselmodell in der Regel an der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern und dem darauf beruhenden Loyalitätskonflikt der Kinder, ohne dass es darauf ankommt, wer den Konflikt verursacht.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.10.2021 - 6 UF 14/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mängelgewährleistungsrecht beim Pferdekauf: Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen nicht automatisch für eine chronische Erkrankung

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Es ging um den Kauf eines Hengstes für 65.000 EUR von einem Zucht- und Ausbildungsstall. Das Tier wurde ärztlich untersucht, besichtigt und reiterlich erprobt. Drei Monate nach dem Kauf kam es plötzlich zu Problemen: Eine Tierärztin diagnostiziert dabei unter anderem einen offenen rechten Maulwinkel. Zweieinhalb Jahre später trat die Käuferin vom Kaufvertrag zurück und behauptete, dass das Pferd bereits bei Übergabe diese Probleme gehabt habe. Es würde schließlich eine Vernarbung in der Mundhöhle vorliegen. Daher klagte sie die Rückabwicklung des Kaufvertrags ein. Recht erhielt sie jedoch nicht.

Das OLG meinte, Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen für sich genommen nicht für eine chronische Erkrankung. Es handelt sich vielmehr um einen Befund, der aufgrund reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Damit lag für die Richter der Mangel bei der Übergabe des Pferds noch nicht vor - und eine Rückabwicklung kam nicht in Betracht. Die Käuferin musste das Pferd behalten und hatte auch keine weiteren Ansprüche auf Schadensersatz, Aufwendungen für Unterhalt, Tierarztkosten und Transport.

Hinweis: Tiere sind im deutschen Recht zwar keine Sachen, sie werden aber als solche behandelt. Deshalb kommt das Mängelgewährleistungsrecht auch bei Tieren zur Anwendung.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 14.09.2021 - 6 U 127/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)