Aggressiv statt "dominant": Rückabwicklung eines Vertrags über den Kauf eines schwierigen Pferds

Was gesagt wurde und was gemeint ist, ist im zwischenmenschlichen Miteinander oft ein Buch mit sieben Siegeln. So ging es vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (OLG) auch um die Frage, wie weit sich die Bedeutung interpretieren lässt, ein angebotenes und schließlich verkauftes Pferd sei "etwas dominant", während ein ehemaliger Vorbesitzer "schwierig im Umgang" für die trefflichere Beschreibung hielt. Interpretationssache oder arglistige Täuschung?

Was gesagt wurde und was gemeint ist, ist im zwischenmenschlichen Miteinander oft ein Buch mit sieben Siegeln. So ging es vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (OLG) auch um die Frage, wie weit sich die Bedeutung interpretieren lässt, ein angebotenes und schließlich verkauftes Pferd sei "etwas dominant", während ein ehemaliger Vorbesitzer "schwierig im Umgang" für die trefflichere Beschreibung hielt. Interpretationssache oder arglistige Täuschung?

Eine Frau hatte für etwas über 5.000 EUR die betreffende Stute gekauft. In dem Vertrag stand, dass das Pferd "etwas dominant" sei. Die Verkäuferin selbst hatte das Pferd erst einen Monat zuvor von dem Voreigentümer zu einem deutlich geringeren Preis gekauft - mit dem Hinweis, es sei "schwierig im Umgang". Nun musste die neue Besitzerin leider feststellen, dass das vermeintlich "etwas dominante" Pferd recht aggressive Verhaltensweisen zeigte. Es ließ sich nicht reiten, legte die Ohren an, lief mit gesenktem Kopf auf die Mitarbeiter zu und keilte aus. Daraufhin wurde der Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Schließlich klagte die Käuferin die Rückabwicklung des Vertrags ein.

Das OLG entschied nach Durchführung einer Beweisaufnahme, dass der Käuferin ein Anfechtungsrecht zustand. Die Verkäuferin hat ihr daher den Kaufpreis Zug um Zug gegen die Herausgabe des Pferds zu ersetzen. Daneben kann die Käuferin auch teilweise die Zahlung der Kosten für Unterstellung, Fütterung und notwendige Tierarztkosten für das Pferd verlangen. Denn die Verkäuferin hat Kenntnis vom aggressiven Verhalten des Pferdes gehabt. Daher hatte sie eine Aufklärungspflicht gegenüber der unwissenden Käuferin. Das aggressive Gebaren des Pferds ging eindeutig über ein als "etwas dominant" beschriebenes Verhalten hinaus.

Hinweis: Wer etwas verkauft, sollte Mängel nicht verschweigen. Das ist nicht nur unfair, sondern kann auch harte rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.


Quelle: OLG Braunschweig, Urt. v. 30.01.2025 - 8 U 215/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 05/2025)

Mindestanforderungen verfehlt: Energieberatungsfirma haftet für Schäden fachlich nicht zutreffender Beratung

Man muss nicht alles können oder wissen, sondern nur die richtigen Fachleute kennen. Wenn eine hinzugezogene Beratungsfirma dann jedoch falsch berät, guckt so mancher zu Recht dumm aus der Wäsche. Im Folgenden ging es um das brandheiße Thema der energetischen Sanierung, das als Beratungsfehlleistung vor dem Landgericht Berlin II (LG) landete.

Man muss nicht alles können oder wissen, sondern nur die richtigen Fachleute kennen. Wenn eine hinzugezogene Beratungsfirma dann jedoch falsch berät, guckt so mancher zu Recht dumm aus der Wäsche. Im Folgenden ging es um das brandheiße Thema der energetischen Sanierung, das als Beratungsfehlleistung vor dem Landgericht Berlin II (LG) landete.

Ein Mann hatte eine Firma für Energieberatung mit der energetischen Sanierung seines Einfamilienhauses beauftragt. Nach der erfolgten Beratung beantragte er Förderleistungen und erhielt einen entsprechenden Zuwendungsbescheid. Daraufhin holte er Angebote für die Sanierungsmaßnahmen ein und schickte sie der Energieberatungsfirma. Nachdem diese die Angebote auch nicht beanstandete, gab der Eigentümer für den Verwendungsnachweis der Fördermittel in Absprache mit eben jener Beratungsfirma verschiedene Wärmedurchgangskoeffizienten an. Das Bundesamt teilte ihm daraufhin mit, dass die technischen Mindestanforderungen bei der Sanierung nicht erreicht seien - es hob den Förderbescheid teilweise auf. Daraufhin verlangte der Eigentümer Schadensersatz von der Energieberatungsfirma und klagte.

Das LG hat die Energieberatungsfirma zur Zahlung von Schadensersatz von über 6.000 EUR wegen einer Falschberatung verurteilt. Aufgrund der Falschberatung hatte der Eigentümer Fenster und Dachfenster mit zu hohen Wärmedurchgangskoeffizienten einbauen lassen, die nicht förderfähig waren. Dieser Schaden war ihm zu ersetzen, da die Firma ihre Pflicht zur fachlich zutreffenden Beratung verletzt hatte.

Hinweis: Ein folgerichtiges Urteil. Beratungsfirmen sind gerade dafür da, sachunkundige Menschen zu beraten. Für Falschinformationen und daraus entstehende Schäden haften sie.


Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 18.02.2025 - 30 O 197/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Vertragsmäßige Verfügung: Folgen der Erbeinsetzung der Stieftochter nach Scheidung der Ehe

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) hatte sich im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Erbeinsetzung, die im Vorfeld einer Eheschließung zugunsten der Stieftochter des Erblassers getroffen wurde, auch nach der Scheidung der Ehe noch Bestand hat.

Das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) hatte sich im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Erbeinsetzung, die im Vorfeld einer Eheschließung zugunsten der Stieftochter des Erblassers getroffen wurde, auch nach der Scheidung der Ehe noch Bestand hat.

Der im Jahr 2023 verstorbene Erblasser war geschieden und kinderlos. Im Jahr 1990 hatte er vor einer damals beabsichtigten Eheschließung mit seiner späteren Ehefrau einen notariellen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen und in diesem Vertrag die Tochter seiner zukünftigen Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt. Der Erblasser behielt sich in der Urkunde ein jederzeitiges Rücktrittsrecht vom Erbvertrag vor. Im Jahr 1995 wurde die Ehe geschieden - von seinem vertraglichen Rücktrittsrecht hat der Erblasser dennoch keinen Gebrauch gemacht. Die Stieftochter des Erblassers war nach dessen Tod daher auch der Ansicht, dass die Erbeinsetzung nach wie vor gültig sei, und trat einem Erbscheinsantrag einer gesetzlichen Erbin damit entgegen.

Nachdem das Nachlassgericht der Ansicht war, dass die Erbeinsetzung noch Gültigkeit habe, hob das OLG diese Entscheidung auf. Für das OLG war zunächst entscheidend, dass es sich bei der notariellen Vereinbarung um eine "vertragsmäßige Verfügung" gehandelt habe. Hieraus ergebe sich eine gegenseitige Bindung der Vertragsparteien. Für derartige vertragsgemäße Zuwendungen gelten dann in der Konsequenz aber auch die Vorschriften über die Unwirksamkeit von letztwilligen Verfügungen bei Auflösung der Ehe. Die Scheidung des Erblassers hatte daher zur Konsequenz, dass auch die Einsetzung der Stieftochter als Alleinerbin unwirksam geworden ist.

Hinweis: Eine Unwirksamkeit der Verfügung liegt nicht vor, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser sie auch im Fall der Unwirksamkeit getroffen hätte. Hierfür bedarf es aber konkreter Feststellungen zum Willen des Erblassers.
 
 


Quelle: Pfälzisches OLG Zweibrücken, Beschl. v. 10.03.2025 - 8 W 19/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Bank winkt ab: Kein Schadensersatz bei telefonischer Freigabe einer TAN

Onlinebanking gilt als sicher, solange sich die Kunden an die ordnungsgemäße Nutzung halten. Im Folgenden war eine eigentlich sichere Zwei-Faktor-Authentisierung, bei der ein online ausgelöster Auftrag auf einem anderen onlinefähigen Gerät bestätigt werden muss, durch einen dritten Faktor gestört: einen angeblichen Mitarbeiter am Telefon. Das Oberlandesgericht Braunschweig (OLG) musste entscheiden, ob der folglich entstandene Schaden erstattungsfähig war oder nicht.

Onlinebanking gilt als sicher, solange sich die Kunden an die ordnungsgemäße Nutzung halten. Im Folgenden war eine eigentlich sichere Zwei-Faktor-Authentisierung, bei der ein online ausgelöster Auftrag auf einem anderen onlinefähigen Gerät bestätigt werden muss, durch einen dritten Faktor gestört: einen angeblichen Mitarbeiter am Telefon. Das Oberlandesgericht Braunschweig (OLG) musste entscheiden, ob der folglich entstandene Schaden erstattungsfähig war oder nicht.

Eine Frau hatte bei ihrer Bank ein Girokontomodell mit Online-Banking und dem sogenannten push-TAN-Verfahren gewählt. Bei diesem Verfahren wird die jeweilige Freigabe eines an einem onlinefähigen Gerät ausgelösten Bankingauftrags auf einem weiteren Gerät - Smartphone oder Tablet - per spezieller App erteilt. Dann jedoch erhielt die Bankkundin einen Anruf eines angeblichen Bankmitarbeiters, der von einem Versuch einer unberechtigten Kreditkartenanmeldung berichtete. Er forderte die Frau auf, das push-TAN-Verfahren durchzuführen, um die Kreditkartenanmeldung zu ihrem Konto zu löschen. Auf seine Anweisung hin wiederholte sie diesen Vorgang viermal. Er gab ihr anschließend die Auskunft, dass ihr Konto zur Sicherheit gesperrt werde, sie aber mit der EC-Karte weiterhin zahlen könne. Von dem Konto der Frau wurden schließlich mittels einer neu registrierten Kreditkarte insgesamt knapp 8.000 EUR abgebucht. Als die Bank die Regulierung des Schadens ablehnte, klagte die Frau - allerdings vergeblich.

Die Frau hatte nach Auffassung des OLG pflichtwidrig einen durch Dritte veranlassten Buchungsvorgang im Wege des push-TAN-Verfahrens freigegeben. Aus den Sicherheitshinweisen der Bank ergab sich jedoch eindeutig, dass Bankmitarbeiter am Telefon niemals dazu auffordern, eine TAN zu nennen oder einen Auftrag mit der push-TAN-App freizugeben. Die Frau hätte durch den Telefonanruf misstrauisch werden müssen.

Hinweis: Wer telefonisch eine geheime Nummer freigibt, muss sich nicht wundern, dass die Bank keinen Schadensersatz leisten muss. Sparkassen, Banken, Versicherungen und alle anderen Unternehmen rufen niemals an und verlangen die Preisgabe oder Verwendung von geheimen Informationen.


Quelle: OLG Braunschweig, Urt. v. 06.01.2025 - 4 U 439/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 05/2025)

Falsche Kontoverbindung: Elektronischer Rechnungsverkehr ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist Risiko des Versenders

Unternehmen sollten sich in Sachen Eigensicherung den folgenden interessanten und äußerst praxisrelevanten Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) gut merken. Denn er betrifft den Rechnungsversand per E-Mail - also den Weg, den wohl die meisten Firmen in Deutschland mittlerweile wählen, um an ihr Geld zu kommen.

Unternehmen sollten sich in Sachen Eigensicherung den folgenden interessanten und äußerst praxisrelevanten Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) gut merken. Denn er betrifft den Rechnungsversand per E-Mail - also den Weg, den wohl die meisten Firmen in Deutschland mittlerweile wählen, um an ihr Geld zu kommen.

Ein Unternehmen führte Installationsarbeiten im Haus einer Kundin durch. Zwei der insgesamt drei Rechnungen wurden durch sie auch problemlos bezahlt. Dann folgte eine dritte Rechnung über 15.000 EUR, die genau wie die vorherigen Rechnungen per E-Mail im PDF-Format übermittelt wurde. Auch diesen Betrag beglich die Kundin zwar, doch kam das Geld beim Installationsunternehmen nie an. Denn die Rechnung war auf ungeklärte Weise durch einen Dritten manipuliert und damit der berechnete Betrag auf das Konto dieses unbekannten Dritten überwiesen worden. Nun wollte das Unternehmen seine Rechnung (trotzdem) bezahlt bekommen - irgendwie verständlich. Und die Kundin - ebenso verständlich - weigerte sich, so dass das Ganze vor dem OLG landete.

Wenn eine per E-Mail versandte Werklohnrechnung gehackt und unbefugt verändert wird und der Kunde deshalb an einen unbekannten Dritten zahlt, muss der Kunde laut Urteil des OLG nicht noch einmal an den Werkunternehmer zahlen. Das gilt jedenfalls dann, wenn dieser die Rechnung ohne sogenannte "Ende-zu-Ende-Verschlüsselung" versandt hat und deshalb gegen ihn ein Schadensersatzanspruch aus Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung besteht.

Hinweis: Das Urteil hat Sprengkraft, denn letztendlich wird nahezu jedes Unternehmen mit dem vorbezeichneten Risiko bedroht sein. Der Versand von Rechnungen per E-Mail ohne weitere Verschlüsselung birgt ab sofort enorme Risiken.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 18.12.2024 - 12 U 9/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 05/2025)

Auftraggeber zahlt: In solchen Fällen müssen keine Maklerkosten gezahlt werden

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste einen Fall entscheiden, in dem der geltende Grundsatz umgangen werden sollte, dass bei verkäuferseitiger Maklerbeauftragung dessen Provision zu gleichen Teilen von Käufer und Verkäufer getragen wird. Da spiele es auch keine Rolle, dass der Kaufpreis entsprechend reduziert wird.

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste einen Fall entscheiden, in dem der geltende Grundsatz umgangen werden sollte, dass bei verkäuferseitiger Maklerbeauftragung dessen Provision zu gleichen Teilen von Käufer und Verkäufer getragen wird. Da spiele es auch keine Rolle, dass der Kaufpreis entsprechend reduziert wird.

Ein Ehepaar kaufte eine Doppelhaushälfte. Mit der Vermittlung der Immobilie entstand der zuständigen Maklerin ein Anspruch von 25.000 EUR - und zwar der Verkäuferin gegenüber. Der im Expose vorgesehene Kaufpreis wurde dann um diese 25.000 EUR reduziert, zugleich verpflichteten sich die Käufer zur Zahlung eines Honorars in selbiger Höhe. Das Honorar zahlten sie also direkt an die Maklerin. Alle glücklich? Weit gefehlt. Die Käufer verlangten die von ihnen gezahlte Provision zurück, und dies zu Recht.

Der BGH erklärte die Vereinbarung über den Maklerlohn für komplett unwirksam. § 656d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist nicht nur auf Vereinbarungen der Parteien des Kaufvertrags untereinander anwendbar, hier also zwischen dem Ehepaar und der Verkäuferin. Vielmehr erfasst er auch vertragliche Vereinbarungen, durch die (unmittelbar oder mittelbar) ein Anspruch des Maklers auf Zahlung von Maklerlohn gegenüber der Partei des Kaufvertrags begründet wird, die selbst nicht Partei des Maklervertrags war. Da die Käufer im Innenverhältnis zur Verkäuferin verpflichtet waren, den Maklerlohn in voller Höhe zu bezahlen, blieb die Verkäuferin, die den Maklervertrag abgeschlossen hatte, nicht zur Zahlung des Maklerlohns mindestens in gleicher Höhe verpflichtet. Der Verstoß gegen § 656d BGB führt zur Gesamtnichtigkeit der Vereinbarung. Die Käufer konnten die Rückzahlung des Maklerlohns in voller Höhe verlangen.

Hinweis: Die Umgehung von zwingenden gesetzlichen Vorschriften ist nie eine gute Idee. In jedem Fall sollte vorher ein Rechtsanwalt um Rat gebeten werden.


Quelle: BGH, Urt. v. 06.03.2025 - I ZR 138/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Irrtum der Feuerwehr: Gemeinde haftet für Schäden an fälschlicherweise aufgebrochener Wohnung

Es hat zumeist sehr gute Gründe, wenn sich die Feuerwehr gezwungen sieht, gewaltsam in eine Wohnung einzudringen. Doch in den Rettern stecken eben auch "nur" Menschen, und diese neigen naturgemäß manchmal dazu, sich zu irren. Wer dafür haftet, wenn sich die Feuerwehr in der Tür irrt, musste das Landgericht Stralsund (LG) entscheiden.

Es hat zumeist sehr gute Gründe, wenn sich die Feuerwehr gezwungen sieht, gewaltsam in eine Wohnung einzudringen. Doch in den Rettern stecken eben auch "nur" Menschen, und diese neigen naturgemäß manchmal dazu, sich zu irren. Wer dafür haftet, wenn sich die Feuerwehr in der Tür irrt, musste das Landgericht Stralsund (LG) entscheiden.

In einer Wohnungseigentumsanlage ging der Rauchwarnmelder an. Die Feuerwehr brach daraufhin eine Wohnungstür auf - leider die falsche, nämlich die der Nachbarwohnung. Der Eigentümer dieser Wohnung verlangte nun, dass die Gemeinde, für die die Feuerwehr tätig war, den Schaden übernehmen müsse. Die Gemeinde verweigerte hingegen den Kostenersatz. Der Türaufbruch sei schließlich nach den Grundsätzen der Anscheinsgefahr rechtmäßig erfolgt. Zumindest aber treffe die Feuerwehreinsatzkräfte kein Verschulden. Aber auch für eine verschuldensunabhängige polizei- und ordnungsrechtliche Entschädigung sei kein Raum. Daraufhin klagte der Eigentümer der Wohnung.

In Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung hat das LG einen Hinweisbeschluss erlassen. Das Gericht meinte, auch wenn der Aufbruch der falschen Wohnungstür durch die Feuerwehr durchaus rechtmäßig gewesen sein könnte, ändere dies an der Zahlungspflicht trotzdem nichts. Denn der Mann, dessen Eingangstür versehentlich aufgebrochen worden war, ist nach den betreffenden Bestimmungen des Polizei- und Ordnungsrechts zu entschädigen (§ 72 Abs. 1 Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern). Ihn traf an der ganze Sache schließlich keinerlei Verschulden; er war ein sogenannter "Nichtstörer".

Hinweis: Solche Hinweisbeschlüsse werden durch Gerichte gerade in der Berufungsinstanz häufig erlassen. In diesem Fall weiß die Gemeinde, dass sie zahlen muss, wenn ein Urteil gefällt wird. Das gibt ihr die Möglichkeit, den Anspruch vorher anzuerkennen und damit Kosten zu sparen.


Quelle: LG Stralsund, Beschl. v. 24.02.2025 - 2 O 154/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Gewerbemietrecht: BGH erklärt Übernahme der Umsatzsteuer auf Miete und Nebenkosten durch Mieter für rechtens

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit einem steuerlichen Problem auseinandersetzen, das eine Mieterin aufwarf, als diese der Meinung war, dass sie doppelte Umsatzsteuer für einzelne Betriebskosten zahle. Ob und unter welchen Umständen dies gerechtfertigt ist, war gar nicht so einfach darzulegen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit einem steuerlichen Problem auseinandersetzen, das eine Mieterin aufwarf, als diese der Meinung war, dass sie doppelte Umsatzsteuer für einzelne Betriebskosten zahle. Ob und unter welchen Umständen dies gerechtfertigt ist, war gar nicht so einfach darzulegen.

In einem Vertrag zur Anmietung von Gewerberäumen war geregelt, dass die Mieterin die monatliche Grundmiete, Vorauszahlungen auf die Nebenkosten und die "jeweils gültige Mehrwertsteuer von derzeit 19 %" zu entrichten habe. Die Mieterin zahlte dann die Nebenkostenabrechnung zuzüglich der Umsatzsteuer. Dann fiel ihr auf, dass in einzelnen Betriebskosten bereits die Umsatzsteuer enthalten war, zum Beispiel bei Beträgen eines Hausmeisterdienstes. Deshalb meinte sie nun, doppelte Umsatzsteuer gezahlt zu haben. Denn die Vermieterin hatte die Kosten, in denen bereits die Umsatzsteuer enthalten war, umgelegt und dann noch einmal Umsatzsteuer darauf berechnet. Das hatte sie aber deshalb gemacht, da es sich um eine Wohnungseigentumsanlage/Teileigentumsanlage gehandelt hat und ein Herausrechnen der Umsatzsteuer aus den einzelnen Positionen gar nicht möglich war. Schließlich klagte die Mieterin die Rückzahlung der angeblich zu viel gezahlten Umsatzsteuer ein. Geld hat sie allerdings keins bekommen.

Die Vermieterin hatte die ihr von der Wohnungseigentümergemeinschaft in der Jahresabrechnung für umlagefähige Kostenpositionen in Rechnung gestellten Beträge einschließlich der darin enthaltenen Umsatzsteuer als Betriebskosten auf die Klägerin umgelegt - und durfte dies in Augen des BGH auch. Haben die Parteien eines gewerblichen Mietverhältnisses vereinbart, dass der Mieter die Umsatzsteuer auf Miete und Nebenkosten übernimmt, kann der Vermieter die zusätzliche Zahlung des Umsatzsteuerbetrags vom Mieter verlangen, wenn er selbst tatsächlich umsatzsteuerpflichtig ist. Der Vermieter kann auf die Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht nur dann verzichten, wenn der Mieter Unternehmer ist und die Mieträume für unternehmerische Zwecke nutzt.

Hinweis: Der Vermieter kann die Umsatzsteuer also nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen auf den Mieter abwälzen. Solche Fallgestaltungen bedürfen einer intensiven rechtlichen Begleitung.


Quelle: BGH, Urt. v. 15.01.2025 - XII ZR 29/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Verspäteter Koffer kaputt: Frist für verdeckte Schäden nicht bei deutlich beschädigtem Kofferschloss ausschöpfbar

Mit dem Personal, das für das Gepäck an den Flughäfen verantwortlich zeichnet, möchte man sicher nicht tauschen. Doch alles Verständnis für die körperlich schwere Arbeit ist meist verflogen, wenn der eigene Koffer verschwunden bleibt. Wer Glück hat, bekommt sein Gepäck zwar verspätet, aber dennoch wohlbehalten zurück. Im Fall des Landgerichts Saarbrücken (LG) ging die Sache mit dem Koffer jedoch anders aus.

Mit dem Personal, das für das Gepäck an den Flughäfen verantwortlich zeichnet, möchte man sicher nicht tauschen. Doch alles Verständnis für die körperlich schwere Arbeit ist meist verflogen, wenn der eigene Koffer verschwunden bleibt. Wer Glück hat, bekommt sein Gepäck zwar verspätet, aber dennoch wohlbehalten zurück. Im Fall des Landgerichts Saarbrücken (LG) ging die Sache mit dem Koffer jedoch anders aus.

Ein Mann war mit seiner Familie in den Sommerurlaub geflogen. Bei der Rückkehr in Deutschland meldete er das Fehlen seines Koffers am Schalter der Fluggesellschaft. Am 31. August wurde der Koffer dem Mann nach Hause gebracht. Am 7. September reklamierte die Ehefrau des Manns auf der Internetseite der Fluggesellschaft die Schäden an dem Koffer sowie fehlenden Inhalt. Das Schloss sei abgebrochen gewesen, und es würden unter anderem ein Föhn im Wert von knapp 500 EUR sowie zwei Ringe im Wert von 119 EUR und 129 EUR fehlen. Insgesamt wären Gegenstände im Wert von knapp 1.400 EUR verschwunden. Als die Fluggesellschaft sich weigerte, zu zahlen, klagte der Mann sein Geld ein.

Die Klage wurde vom LG jedoch abgewiesen. Zwar hatte der Mann grundsätzlich einen Anspruch aus Art. 17 Abs. 2 des Montrealer Übereinkommens (MÜ). Allerdings war der Anspruch nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 MÜ befristet. Im Fall einer Beschädigung muss der Empfänger unverzüglich nach Entdeckung des Schadens eine Anzeige erstatten, bei aufgegebenem Reisegepäck jedenfalls binnen sieben Tagen nach der Annahme. Bei dieser Frist handelt es sich jedoch um eine Höchstfrist, die auch - zunächst - verdeckte Schäden erfasst. Diese Frist kann dabei nicht immer voll ausgeschöpft werden. Bei einem erkennbar äußerlich beschädigten Koffer muss der Inhalt grundsätzlich direkt kontrolliert werden. Und das war hier nicht passiert.

Hinweis: Die Schadensfeststellung muss innerhalb der Mindestfrist erfolgen, die notwendig ist, um den Schadensfall zu prüfen und eine inhaltlich und formell ausreichende Schadensanzeige zu übermitteln. So wird auch in diesem Fall deutlich, dass eine ordnungsgemäße Anzeige des Mangels im Reiserecht zur Durchsetzung von Ansprüchen enorm wichtig ist.


Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 12.12.2024 - 13 S 70/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 05/2025)

Nachtaktive Nachbarn: Wer regelmäßige Lärmbelastung ordentlich protokolliert, kommt endlich zur Ruhe

Nicht immer müssen es ungewöhnliche Lärmereien wie der heftige Bass zur Tanzmusik oder begleitender Partylärm sein, die zur Kündigung des Mietverhältnisses führen können. Dass durchaus auch wohnübliche Aktivitäten stets eine Frage des richtigen Timings sind, beweist der Fall, den das Amtsgericht Hamburg (AG) in Sachen Lärmbelästigung im Mietshaus zu lösen hatte.

Nicht immer müssen es ungewöhnliche Lärmereien wie der heftige Bass zur Tanzmusik oder begleitender Partylärm sein, die zur Kündigung des Mietverhältnisses führen können. Dass durchaus auch wohnübliche Aktivitäten stets eine Frage des richtigen Timings sind, beweist der Fall, den das Amtsgericht Hamburg (AG) in Sachen Lärmbelästigung im Mietshaus zu lösen hatte.

In der 116 m² großen Hamburger Altbauwohnung einer Wohnungsbaugenossenschaft wohnten eine 79-jährige betreute Bewohnerin und ihr Sohn. Über die beiden häuften sich die Beschwerden der Nachbarschaft: Immer wieder kam es während der Abend- und Nachtzeiten durch Baden, Duschen, Staubsaugen, Waschmaschinenwäsche, lautes Streiten, Möbelrücken, Türen- und Fensterschlagen zu Lärmbelästigungen der anderen Mieter. Nachdem diese Lärmprotokolle eingereicht hatten, reagierte die Wohnungsbaugenossenschaft mit Abmahnschreiben. Termine für klärende persönliche Gespräche wurden durch die alte Dame und ihren Sohn abgesagt. Schließlich sprach die Wohnungsgenossenschaft eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus.

Und zwar zu Recht. Das AG bestätigte, dass auch typisches Wohnverhalten - wie Duschen, Baden, Staubsaugen, Möbelrücken und eine Unterhaltung - zu einer außerordentlichen Kündigung des Wohnraummietvertrags wegen Störung des Hausfriedens führen kann. Anhand der Lärmprotokolle ergab sich, dass diese Störungen nicht vereinzelt, sondern regelmäßig feststellbar waren und in den Nachtstunden von 22 Uhr bis 6 Uhr auftraten. Deshalb wurde der Räumungsklage stattgegeben.

Hinweis: Dieser Fall zeigt, dass im Fall von Lärmstörungen die Anfertigung von Protokollen unerlässlich ist. Es ist zwingend erforderlich, dass nachgewiesen werden kann, wann genau welche Störungen wie oft in der Vergangenheit aufgetreten sind. Nur so ist eine effektive Rechtsverfolgung möglich.
 
 


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 11.02.2025 - 21 C 344/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Gepäck weg: Welche Anschaffungen auf einer Kreuzfahrt in den Polarkreis ersatzfähig sind

Einen interessanten Fall des Reiserechts musste das Landgericht München II (LG) entschieden. Hierbei ging es um auf dem Hinflug verirrtes Reisegepäck, das nicht etwa nachreisen konnte, sondern durch seine Verspätung von der Reise ausgeschlossen wurde. Und weil es hier nicht nur auf hohe See, sondern in die Polarregion ging, war klar, dass es sich beim Streit nicht um den Ersatz von leichter Strandkleidung handeln dürfte.

Einen interessanten Fall des Reiserechts musste das Landgericht München II (LG) entschieden. Hierbei ging es um auf dem Hinflug verirrtes Reisegepäck, das nicht etwa nachreisen konnte, sondern durch seine Verspätung von der Reise ausgeschlossen wurde. Und weil es hier nicht nur auf hohe See, sondern in die Polarregion ging, war klar, dass es sich beim Streit nicht um den Ersatz von leichter Strandkleidung handeln dürfte.

Auf dem Hinflug zu einer elftägigen Pauschalreise nach Longyearbyen in Norwegen mit anschließender Kreuzfahrt "Auf den Spuren der Eisbären" für zwei Personen ging das Gepäck verloren. Deshalb kauften die beiden vor der Abfahrt des Schiffs in Outdoorläden in Longyearbyen das Notwendigste nach. An Bord des Schiffs gab es zudem eine Boutique und einen Wäscheservice, Schuhe und Parka für die Expeditionen an Land wurden wiederum gestellt. Insgesamt zahlten die beiden Reisenden ca. 2.300 EUR. Die Reiseveranstalterin erstattete außergerichtlich 25 % vom gezahlten Reisepreis und 1.500 EUR für die Ersatzbeschaffungen. Das reichte den Reisenden nicht und sie klagten den Restbetrag für die Ersatzbeschaffungen, weitere 15 % vom gezahlten Pauschalreisepreis und einen "Schadensersatzanspruch für entgangene Urlaubsfreuden" ein.

Das LG entschied, dass der gezahlte Reisepreis um 30 % gemindert werden kann, wenn das Gepäck des Pauschalreisenden bei dem Hinflug zu spät ausgeliefert wird und deshalb während einer Kreuzfahrt in die Arktis nicht zur Verfügung steht. Bei den Ersatzbeschaffungen der Bekleidung dürfte kein Abschlag für Vermögensvorteile vorgenommen werden. Zwar können die Sachen nach der Rückkehr noch benutzt werden, die Reisenden hatten jedoch überzeugend dargelegt, dass sie die eigens für eine Expedition in die Arktis gekaufte Funktionsbekleidung nicht mehr benötigen. Anders verhielt sich dies bei den Verbrauchsartikeln wie Waschmittel oder Zahnpasta, denn die Reisenden erhielten ihre Koffer bei der Rückkehr von der Reise zurück und konnten die darin enthaltenen Verbrauchsartikel weiter nutzen. Ein Schadensersatzanspruch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit bestand ebenfalls nicht. Bei einer Expeditionsreise kommt es im Wesentlichen auf die landschaftlichen Aspekte der Polarregion sowie der Tierwelt an. Die Annehmlichkeiten an Bord eines Expeditionsschiffs bilden nicht den Kernbereich einer Expeditionsreise.

Hinweis: Wie bei jedem Mangel im Reiserecht ist es wichtig, dass Betroffene den Mangel rechtssicher feststellen lassen und auch sofort bei der Reiseleitung rügen.


Quelle: LG München II, Urt. v. 10.01.2025 - 14 O 2061/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 05/2025)

Widerrufsbelehrung ohne Telefonnummer: BGH nimmt Verbraucher bei Onlineverträgen stärker in die Eigenverantwortung

Der folgende Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) erklärt die Zeiten, in denen das Internet als Neuland galt, für vergangen. Denn was er aktuell für Anforderungen an Widerrufsbelehrungen in Neuwagenkaufverträgen bei Fernabsatzgeschäften stellt - zu denen eben auch das Internet zählt -, nimmt Verbraucher schlichtweg mehr in die Eigenverantwortung.

Der folgende Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) erklärt die Zeiten, in denen das Internet als Neuland galt, für vergangen. Denn was er aktuell für Anforderungen an Widerrufsbelehrungen in Neuwagenkaufverträgen bei Fernabsatzgeschäften stellt - zu denen eben auch das Internet zählt -, nimmt Verbraucher schlichtweg mehr in die Eigenverantwortung.

Der Mann erwarb im Februar 2022 von der Beklagten, die mit Kraftfahrzeugen handelt, ein Neufahrzeug im Wege des Fernabsatzes. Die Beklagte, die auf ihrer Website unter Kontakt und im Impressum ihre Telefonnummer angegeben hatte, verwendete nicht die Musterwiderrufsbelehrung, sondern eine in Teilen davon abweichende Version. Darin wurden die Postanschrift und die E-Mail-Adresse der Beklagten mitgeteilt - deren Telefonnummer hingegen nicht. Ein Widerruf solle laut Hinweis mittels einer eindeutigen Erklärung durch einen per Post versandten Brief oder eine E-Mail erklärt werden. Am 23.08.2022 wurde dem Käufer das Fahrzeug übergeben. Am 20.06.2023 erklärte er per E-Mail jedoch den Widerruf seiner auf Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Erklärung und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Dabei ging er davon aus, dass sein Widerruf des Vertrags noch rechtzeitig sei - der Grund hierfür sei die fehlerhafte Information zum Widerruf.

Der BGH hielt die Klage - wie die Vorinstanzen im Übrigen auch - für unbegründet. Teilt ein Unternehmer in der Widerrufsbelehrung (als beispielhafte Kommunikationsmittel für den Widerruf) seine Postanschrift sowie seine E-Mail-Adresse mit, ist die zusätzliche Angabe der Telefonnummer des Unternehmers nicht erforderlich. Zudem sei diese hier ohne weiteres auf der Internetseite zugänglich gewesen. Bereits durch die Angabe ihrer E-Mail-Adresse, ergänzt durch die Mitteilung ihrer Postanschrift, habe die Beklagte den Verbrauchern Möglichkeiten eröffnet, schnell mit ihr in Kontakt zu treten und effizient mit ihr zu kommunizieren. Dabei waren den Verbrauchern andere Kommunikationswege auch nicht verstellt, da die vom Kläger in der Widerrufsbelehrung vermisste Telefonnummer sowohl im Impressum als auch unter der Kontaktoption problemlos zu finden war.

Hinweis: Der BGH hatte zu entscheiden, ob eine Widerrufsfrist von 14 Tagen ab Erhalt der Ware gilt (§ 355 Abs. 2, § 356 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) oder ob das Widerrufsrecht erst mit zwölf Monaten und 14 Tagen nach dem Beginn der gesetzlichen Widerrufsfrist erloschen ist (§ 356 Abs. 3 Satz 2 BGB). Der BGH hat die Anforderungen an Widerrufsbelehrungen in Neuwagenkaufverträgen mit Verbrauchern bei Fernabsatzgeschäften nunmehr näher bestimmt. Demnach ist es für eine schnelle und effiziente Kontaktaufnahme mit dem Verkäufer nicht erforderlich, dass auf der Internetseite in der Widerrufsbelehrung - über die Post- und E-Mail-Adresse hinaus - auch eine Telefonnummer des Unternehmers angegeben wird.


Quelle: BGH, Beschl. v. 25.02.2025 - VIII ZR 143/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Fristversäumnis oder nicht? Wann die Verjährung von Pflichtteilsansprüchen bei ungeklärter Vaterschaft beginnt

Pflichtteilsansprüche verjähren grundsätzlich in drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von dem Anspruch erlangt hat. Auf welchen Zeitpunkt für eine Verjährung in den Fällen abzustellen ist, in denen ein Abkömmling erst nach dem Tod des Erblassers Kenntnis von der Abstammung erhält, beschäftigte vor kurzem den Bundesgerichtshof (BGH).

Pflichtteilsansprüche verjähren grundsätzlich in drei Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von dem Anspruch erlangt hat. Auf welchen Zeitpunkt für eine Verjährung in den Fällen abzustellen ist, in denen ein Abkömmling erst nach dem Tod des Erblassers Kenntnis von der Abstammung erhält, beschäftigte vor kurzem den Bundesgerichtshof (BGH).

Die Klägerin in dem Verfahren war die nichteheliche Tochter des im Jahr 2017 verstorbenen Erblassers. Dieser hatte in einem notariellen Testament seinen eingetragenen Lebenspartner zum Alleinerben bestimmt. Die Klägerin, die im Jahr 2017 vom Tod des Erblassers erfahren hatte, leitete im Mai 2022 ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren ein, das noch im selbenJahr mit der Feststellung endete, dass sie die leibliche Tochter des Erblassers war. Im Anschluss verlangte sie von dem Erben Auskunft über den Nachlass zur Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen. Der Erbe war jedoch der Ansicht, dass die Ansprüche zwischenzeitlich verjährt seien. Nachdem das Landgericht die Klage noch wegen Verjährung abgelehnt hatte, war das Oberlandesgericht (OLG) der Ansicht, dass dem nicht so sei. Die zentrale Frage, die der BGH nun zu klären hatte, war die, wann der Pflichtteilsanspruch eines nichtehelichen Kindes entsteht, dessen Vaterschaft erst nach dem Tod gerichtlich festgestellt wird. Kraft Gesetzes verhält es sich so, dass die Rechtswirkungen einer Vaterschaft erst bestehen, wenn diese gerichtlich festgestellt worden ist. Die Tochter war daher der Ansicht, dass sie einen Pflichtteil erst verlangen konnte, nachdem gerichtlich feststand, dass sie die leibliche Tochter des Erblassers war. Daher könne auch eine Verjährung vor diesem Zeitpunkt nicht eintreten.

Dieser Ansicht schloss sich der BGH hingegen nicht an. Die gesetzliche Rechtsausübungssperre hindert nur die erfolgreiche Durchsetzung eines Anspruchs - nicht aber das rechtliche Entstehen. Für die Verjährung von Ansprüchen kommt es aber gerade auf deren Entstehen an und nicht auf die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft. Ferner erfordert der Eintritt der Verjährung auch Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den Tatsachen, die einen Anspruch begründen können. Diese Kenntnis hatte die Tochter erst mit Abschluss des Vaterschaftsfeststellungsverfahrens. Ob sie eventuell schon zu einem vorherigen Zeitpunkt hätte Kenntnis erlangen können, konnte der BGH nicht entscheiden, weshalb er das Verfahren an das OLG zurückverwiesen hat.

Hinweis: Die Rechtsausübungssperre bis zum Abschluss der Vaterschaftsfeststellung führt nicht zu einer Hemmung der Verjährung.


Quelle: BGH, Urt. v. 12.03.2025 - IV ZR 88/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Hinterbliebenengeld: Stark alkoholisierter Fußgänger trägt Hauptverantwortung beim Überqueren der Fahrbahn

Verliert eine Mutter ein Kind, ist das an Tragik oft nicht zu überbieten. Dennoch müssen Gerichte wie im Folgenden das Oberlandesgericht Celle (OLG) auch bei Todesfällen Sachlichkeit wahren und den Anspruch an Hinterbliebenengeld und Bestattungskostenübernahme an den gegebenen Fakten messen.

Verliert eine Mutter ein Kind, ist das an Tragik oft nicht zu überbieten. Dennoch müssen Gerichte wie im Folgenden das Oberlandesgericht Celle (OLG) auch bei Todesfällen Sachlichkeit wahren und den Anspruch an Hinterbliebenengeld und Bestattungskostenübernahme an den gegebenen Fakten messen.

Ein Mann wurde von einem Fahrzeug erfasst, als er im stark alkoholisierten Zustand mit 2 ‰ eine Landstraße überquerte. Dabei kollidierte er mit dem vom Beklagten geführten Fahrzeug und verstarb noch am Unfallort. Die Mutter des Verstorbenen verlangte als Klägerin nun unter anderem ein Hinterbliebenengeld von 12.000 EUR. Das zunächst mit der Sache befasste Landgericht (LG) sprach der Klägerin von ihren geltend gemachten Ansprüchen 3.333 EUR aufgrund des der Klägerin zuzurechnenden Mitverschuldens des Geschädigten zu, wobei es dabei ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 10.000 EUR angesetzt und der Klägerin somit 1/3 zugesprochen hatte. Dem Beklagten war dabei der Verschuldensvorwurf zu machen, dass er in Kenntnis eines am Fahrbahnrand befindlichen Fußwegs seine Geschwindigkeit nicht reduziert hatte. Der Bremsvorgang bei Fußgängern, die unvorhergesehen die Straße überqueren, sei daher zu lang gewesen. Dennoch habe der Geschädigte den Unfall größtenteils selbst verschuldet, weil er die Straße überquert hatte, ohne auf das bevorrechtigte Fahrzeug zu achten.

Das OLG hat die Entscheidung des LG bestätigt. Der Unfall war überwiegend durch den stark alkoholisierten Fußgänger verschuldet worden. Dieser hatte gegen die ihn treffenden Sorgfaltsanforderungen verstoßen, indem er sich nicht hinreichend davon überzeugt hatte, dass der Beklagte ihn trotz seines Vorrangs auf der Fahrbahn sicher passieren lassen wollte. Nach den Feststellungen des vom Gericht beauftragten Sachverständigen hätte der Fußgänger den Unfall durch einen Verzicht oder Abbruch seiner Fahrbahnüberquerung verhindern können. Für ihn war das sich nähernde Beklagtenfahrzeug sichtbar. Der Geschädigte hätte auf seiner Fahrbahnseite stehen bleiben und den Beklagten vorbeifahren lassen können - und müssen. Der Geschädigte hatte damit die entscheidende Ursache für das Unfallgeschehen gesetzt. Dennoch trifft auch den Beklagten ein Mitverschulden, weil er seine Geschwindigkeit nicht reduzierte, obwohl er von dem Fußweg wusste.

Hinweis: Grundsätzlich gilt, dass das Überschreiten einer Fahrbahn von einem Fußgänger erhöhte Sorgfalt erfordert. Da eine Fahrbahn in erster Linie dem Fahrzeugverkehr dient, hat der Fahrzeugführer grundsätzlich Vorrang. Auf den bevorrechtigten Fahrzeugverkehr hat der Fußgänger Rücksicht zu nehmen, also bei Annäherung eines Fahrzeugs zu warten; der Kraftfahrer darf darauf vertrauen, dass ein Fußgänger die Fahrbahn nicht kurz vor seinem Fahrzeug zu überqueren versucht. Das Betreten der Fahrbahn ohne Beachtung des Fahrzeugverkehrs ist in der Regel grob fahrlässig.


Quelle: OLG Celle, Urt. v. 18.12.2024 - 14 U 119/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Mithaftung trotz Vollkasko: Wer im Mietfahrzeug die Durchfahrtshöhe ignoriert, handelt grob sorgfaltswidrig

Wer ein Auto anmietet, tut gut daran, einen Vollkaskoschutz abzuschließen. Doch wer meint, damit sei jeder Schadensersatz abgewendet, der aus eigener Tasche zu begleichen sei, der irrt. So musste sich ein Beklagter vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG) der Prüfung unterziehen, wie hoch das Eigenverschulden daran war, dass das angemietete Fahrzeug beschädigt wurde.

Wer ein Auto anmietet, tut gut daran, einen Vollkaskoschutz abzuschließen. Doch wer meint, damit sei jeder Schadensersatz abgewendet, der aus eigener Tasche zu begleichen sei, der irrt. So musste sich ein Beklagter vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG) der Prüfung unterziehen, wie hoch das Eigenverschulden daran war, dass das angemietete Fahrzeug beschädigt wurde.

Der Fall ist schnell erklärt: Der Beklagte fuhr in eine Tiefgarage ein, deren Durchfahrtshöhe für Fahrzeuge auf 2,10 m begrenzt war. Das entsprechend über der Einfahrt angebrachte Zeichen 265 zeigte diese Begrenzung deutlich auf. Doch es kam, wie es kommen musste: Der Mann ignorierte das Zeichen und beschädigte das Mietfahrzeug.

Nach Auffassung des OLG steht der Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen der Beschädigung des angemieteten Fahrzeugs zu. Der Beklagte hat zumindest fahrlässig die Beschädigung des Mietfahrzeugs verursacht, indem er mit dem von ihm angemieteten Fahrzeug in die Tiefgarage einfuhr. Weil diese für Fahrzeuge mit einer Fahrzeughöhe über 2,10 m nicht zugelassen war, habe er seine Pflicht verletzt, aus dem zugrundeliegenden Mietvertrag alles zu unterlassen, was zu Schäden an dem gemieteten Fahrzeug führen kann. Damit habe er sich schadensersatzpflichtig gemacht. Zwar haben die Parteien im Mietvertrag eine Haftungsbefreiung nach den Grundsätzen einer Vollkaskoversicherung vereinbart. Laut dieser hafte der Beklagte über den vertraglich vereinbarten Selbstbehalt von 150 EUR hinaus lediglich dann, wenn er den Schadensfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Hier ging der Senat in der Tat davon aus, dass dies der Fall war. Der Beklagte handelte grob sorgfaltswidrig, weil er in die Tiefgarage einfuhr und dabei - wie er selbst im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt hat - das über der Einfahrt angebrachte Zeichen 265 übersah, das auf eine maximale Durchfahrtshöhe von 2,10 m hinwies.

Hinweis: Das Vorliegen grober Fahrlässigkeit ist eine Frage des Einzelfalls. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv und subjektiv schweren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein. Zudem muss dabei unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ein objektiv grober Pflichtenverstoß rechtfertigt hierbei für sich allein noch nicht den Schluss auf ein entsprechend gesteigertes persönliches Verschulden, nur weil ein solches häufig damit einhergeht. Vielmehr erscheint ein solcher Vorwurf nur dann als gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv "schlechthin unentschuldbare" Pflichtverletzung vorliegt.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Urt. v. 12.12.2024 - 12 U 42/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Keine weitere Möglichkeit: Verlust eines Großauftrags kann wirksame betriebsbedingte Kündigung nach sich ziehen

Fälle wie dieser werden angesichts eines unsicheren Geschäftsklimas künftig häufiger vorkommen. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) musste über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung entscheiden.

Fälle wie dieser werden angesichts eines unsicheren Geschäftsklimas künftig häufiger vorkommen. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG) musste über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung entscheiden.

Eine Arbeitnehmerin war bei einem Taxi- und Mietwagenunternehmen als Disponentin beschäftigt. Bis Ende Oktober 2023 führte der Arbeitgeber für eine Verkehrsgesellschaft nahezu den gesamten Rufbusverkehr im Landkreis als Exklusivleistung durch. Als dieser Auftrag endete, führte dieser Umstand zu einem erheblichen Einbruch der Umsätze und der zu disponierenden Fahrten: Statt 6.000 Rufbusfahrten und 750 Taxi- sowie Krankenfahrten mussten ab dem 01.11.2023 nur noch 20 bis 30 Fahrten disponiert werden. Der Arbeitgeber bot daher Disponenten Tätigkeiten als Fahrer an - nur die Disponentin fiel durchs Raster, da sie keinen Führerschein besaß. Gegen die daraufhin erfolgte Kündigung klagte sie.

Dennoch musste das LAG diese Kündigung abnicken, da sie nach Auffassung des Gerichts durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb rechtmäßig war. Es war nachvollziehbar, dass der Arbeitgeber nach Ablauf der Kündigungsfrist keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit für die Arbeitnehmerin anbieten konnte. Eine Disponententätigkeit war nicht mehr erforderlich und als Fahrerin konnte er die Arbeitnehmerin mangels Fahrerlaubnis nicht einsetzen.

Hinweis: Fällt also tatsächlich ein Großauftrag weg, kann eine betriebsbedingte Kündigung wirksam sein. Aber auch hierbei kommt es auf den Einzelfall an. Stets hat der Arbeitgeber darzulegen, welche Arbeitsplätze genau betroffen sind. Ferner ist im Regelfall auch eine Sozialauswahl durchzuführen.


Quelle: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 15.01.2025 - 3 SLa 156/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

EU-Erbrechtsverordnung: Ohne Anerkennungsverfahren keine Bescheinigung

Die zunehmende Mobilität der Menschen innerhalb der Europäischen Union (EU) bringt auch im Erbrecht komplexe grenzüberschreitende Sachverhalte mit sich. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO), die das internationale Erbrecht innerhalb der EU vereinheitlichen und erleichtern soll. Dass damit nicht alle formalen Verfahrensweisen obsolet werden, musste der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich bestätigen.

Die zunehmende Mobilität der Menschen innerhalb der Europäischen Union (EU) bringt auch im Erbrecht komplexe grenzüberschreitende Sachverhalte mit sich. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO), die das internationale Erbrecht innerhalb der EU vereinheitlichen und erleichtern soll. Dass damit nicht alle formalen Verfahrensweisen obsolet werden, musste der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich bestätigen.

Die Erblasserin war sowohl polnische als auch deutsche Staatsangehörige mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und hinterließ zwei Söhne als gesetzliche Erben. Das Nachlassgericht stellte auf Antrag die erbrechtlichen Voraussetzungen fest und erteilte im März 2022 einen gemeinschaftlichen Erbschein, wonach beide Söhne jeweils zur Hälfte Erben wurden. Zum Nachlass gehörte auch ein Grundstück in Polen, das zwischenzeitlich verkauft wurde. Um diesen Verkauf im polnischen Grundbuch wirksam zu dokumentieren, beantragte ein Erbe beim Nachlassgericht die Erteilung einer Bescheinigung nach der EuErbVO, um die Wirkungen und die Bestandskraft des deutschen Erbscheins im polnischen Recht zu belegen. Dabei war zu klären, ob ein deutscher Erbschein durch eine solche Bescheinigung für Zwecke des polnischen Grundbuchverfahrens erteilt werden kann - und zwar, ohne dass ein förmliches Anerkennungsverfahren nach der EuErbVO geführt werden muss.

Die EuErbVO regelt auch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Erbsachen sowie die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses. Einer Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und in einem anderen anerkannt oder vollstreckt werden soll, ist eine bestimmte Bescheinigung beizufügen. Diese soll unter anderem die Voraussetzungen und die Art der Entscheidung bestätigen und damit das Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat erleichtern. Strittig war allerdings, ob und wann diese Bescheinigung auch für deutsche Erbscheine ausgestellt werden kann, insbesondere wenn - wie hier - keine formelle Anerkennung, sondern lediglich ein praktischer Nachweis gegenüber einem ausländischen Grundbuchgericht beabsichtigt ist.

Der BGH bestätigte die ablehnenden Entscheidungen der Vorinstanzen und stellte fest, dass ohne ein Anerkennungsverfahren keine Verpflichtung besteht, eine Bescheinigung zu erteilen. Der Antragsteller beabsichtige lediglich, mit der Bescheinigung die Wirkungen eines deutschen Erbscheins im polnischen Grundbuch zu dokumentieren. Die Ausstellung einer solchen Bescheinigung setzt aber ein konkretes gerichtliches Verfahren voraus, in dem die Entscheidung nach den Bestimmungen der EuErbVO anerkannt oder für vollstreckbar erklärt werden soll.

Hinweis: Mit seiner Entscheidung bestätigt der BGH die enge Zweckbindung der Bescheinigung (Art. 46 Abs. 3 Buchst. b EuErbVO). Diese dient ausschließlich der rechtlichen Anerkennung oder Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in grenzüberschreitenden Fällen.


Quelle: BGH, Beschl. v. 19.03.2025 - IV ZB 19/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Selbständig oder angestellt? Arbeitnehmereigenschaften müssen nachweisbar sein, um vor Arbeitsgerichten verhandelt zu werden

Wenn ein Handelsvertreter nach jahrelanger Tätigkeit behauptet, eigentlich Arbeitnehmer gewesen zu sein, wird es schwer für ihn, die hierfür notwendigen Beweise zu erbringen. Wer sich erst nach jahrelanger Tätigkeit darüber Gedanken macht, ob er womöglich doch nicht selbständig tätig war, kann vom folglich (nicht) zuständigen Arbeitsgericht schnell die kalte Schulter gezeigt bekommen - wie im Fall vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht (LAG).

Wenn ein Handelsvertreter nach jahrelanger Tätigkeit behauptet, eigentlich Arbeitnehmer gewesen zu sein, wird es schwer für ihn, die hierfür notwendigen Beweise zu erbringen. Wer sich erst nach jahrelanger Tätigkeit darüber Gedanken macht, ob er womöglich doch nicht selbständig tätig war, kann vom folglich (nicht) zuständigen Arbeitsgericht schnell die kalte Schulter gezeigt bekommen - wie im Fall vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht (LAG).

Mit einem im Jahr 2010 abgeschlossenen Handelsvertretervertrag für die Vermittlung von Bauverträgen für Fertighäuser sollte ein Handelsvertreter nach § 84 Abs. 1 Handelsgesetzbuch innerhalb von Deutschland selbständig tätig werden. Dabei sollte er in der Gestaltung seiner Tätigkeit und der Einteilung seiner Arbeitszeit frei sein. Zudem verpflichtete er sich, für die Dauer des Vertragsverhältnisses keinerlei Interessen für konkurrierende Unternehmen wahrzunehmen. Im Gegenzug dafür erhielt er Provisionen. Schließlich wurde das Vertragsverhältnis 2024 von dem Unternehmen gekündigt. Daraufhin machte der Handelsvertreter unter anderem Vergütungsansprüche geltend. Er zog vor die Arbeitsgerichte und schließlich auch vor das LAG, weil er meinte, er sei als Arbeitnehmer tätig gewesen.

Die Arbeitsgerichte waren aber für dieses Ansinnen gar nicht zuständig, da der Handelsvertreter tatsächlich kein Arbeitnehmer war. Zum einen gab es einen gültigen Handelsvertretervertrag, zum anderen war der Mann auch nicht weisungsgebunden tätig. Auch die Frage, ob die Handelsvertretertätigkeit im Neben- oder Hauptberuf ausgeübt worden ist, spielte für das LAG keine Rolle.

Hinweis: Wenn ein Handelsvertreter meint, tatsächlich als Arbeitnehmer tätig geworden zu sein, muss ein solches Verfahren gut überlegt werden. Selbst wenn eine Arbeitnehmereigenschaft festgestellt wird, droht die Rückzahlung von Provisionen an den Arbeitgeber. Denn dieser hätte ja, wenn er gewusst hätte, dass eine Arbeitnehmereigenschaft vorliegt, auch keine hohen Handelsvertreterprovisionen gezahlt, sondern nur ein übliches Arbeitsentgelt.


Quelle: Hessisches LAG, Beschl. v. 24.02.2025 - 10 Ta 299/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Kindeswohl: Mutter darf nicht beim Ex-Partner die Wohnung inspizieren

Wird gegen eine getroffene Umgangsvereinbarung verstoßen, drohen Ordnungsgelder. Ein freizügiges Sexualleben Erwachsener gehört jedoch nicht per se zu den vollstreckbaren Risiken, die eine Erziehung und Betreuung von Kindern zwingend erschweren. Im Folgenden befürchtete eine Mutter, dass eben genau dies geschehen könnte, und nahm sich Freiheiten gegenüber dem Kindesvater heraus, gegen die das Amtsgericht Sonneberg einschreiten musste.

Wird gegen eine getroffene Umgangsvereinbarung verstoßen, drohen Ordnungsgelder. Ein freizügiges Sexualleben Erwachsener gehört jedoch nicht per se zu den vollstreckbaren Risiken, die eine Erziehung und Betreuung von Kindern zwingend erschweren. Im Folgenden befürchtete eine Mutter, dass eben genau dies geschehen könnte, und nahm sich Freiheiten gegenüber dem Kindesvater heraus, gegen die das Amtsgericht Sonneberg einschreiten musste.

Die Eltern hatten bei Trennung eine gerichtlich gebilligte Umgangsvereinbarung abgeschlossen. Darin hatte sich der Vater verpflichtet, die Mutter jeweils montags vor Beginn seiner Umgangswoche in die Wohnung zur Nachschau zu lassen. Sie wollte sicherstellen, dass keine Sexspielzeuge herumliegen. Schließlich habe man während der intakten ehelichen Lebensgemeinschaft einvernehmlich ein Sexualleben geführt, das von der Dominanz der Frau und der Unterwerfung des Mannes geprägt war. Seit Dezember 2024 verweigerte der Mann dann jedoch diese Nachschau, woraufhin die Frau ein Ordnungsgeld gegen ihn erwirken wollte.

Damit scheiterte sie aber. Zwar sei es laut § 89 Abs. 1 Satz 1 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit möglich, bei der Zuwiderhandlung gegen einen Vollstreckungstitel zur Regelung des Umgangs ein Ordnungsgeld festzusetzen. Dies ginge aber nur, wenn die Pflicht, gegen die verstoßen wurde, an sich selbst vollstreckbar wäre - also das Gericht feststellen könnte, dass durch die Zuwiderhandlung des Elternteils Erziehung und Betreuung der Kinder durch den anderen Elternteil erschwert wären. Dann erst könne das Gericht deswegen die Auflage erteilen, diese Zuwiderhandlung zu unterlassen (§ 1684 Abs. 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Hier aber gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass durch die Verweigerung der Nachschau die Erziehung oder Betreuung der Kinder erschwert werde. Zudem hatte der Vater von Anfang an versichert, dass er seine Utensilien vor den Kindern sicher verwahre.

Hinweis: Umgangsregelungen sollten immer mit vollstreckungsfähigem Inhalt getroffen werden. Dann kann bei Zuwiderhandlung auch ein Ordnungsgeld erlassen werden.


Quelle: AG Sonneberg, Beschl. v. 10.03.2025 - 1 F 56/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Fehlerhafte Vergütungseinstufung: BAG stärkt Arbeitnehmerrechte und weist Arbeitgebern Darlegungs- und Beweislast zu

Kläger im folgenden Fall, den das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden hatte, war ein freigestelltes Betriebsratsmitglied. Die Frage, die dabei im Raum stand: Wer muss bei einer fehlerhaften Vergütung eines Arbeitnehmers eben dafür auch die Beweise liefern - Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

Kläger im folgenden Fall, den das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden hatte, war ein freigestelltes Betriebsratsmitglied. Die Frage, die dabei im Raum stand: Wer muss bei einer fehlerhaften Vergütung eines Arbeitnehmers eben dafür auch die Beweise liefern - Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

Ein Arbeitnehmer war bei einem großen deutschen Automobilhersteller beschäftigt und seit 2002 ein von der Arbeitsleistung freigestelltes Betriebsratsmitglied. Seit 2003 teilte ihm sein Arbeitgeber stets zu Jahresbeginn mit, dass sein Gehalt entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung angehoben werde, zuletzt in die tarifliche Entgeltstufe (ES) 20. Schließlich überprüfte der Arbeitgeber die Eingruppierung und damit die Höhe der Vergütung des freigestellten Betriebsratsmitglieds. Er kam zu der Auffassung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich zwei Vergütungsstufen niedriger einzustufen sei, nämlich in die tarifliche Vergütungsstufe ES 18. Deshalb forderte er auch für die Zeit von Oktober 2022 bis Januar 2023 die über diese Stufe hinaus gezahlte Vergütung zurück. Im Februar 2023 erhielt der Arbeitnehmer schließlich sein Entgelt entsprechend der Vergütungsstufe ES 17, also noch einmal niedriger. Der Arbeitnehmer forderte daraufhin ein Gehalt entsprechend der Vergütungsstufe ES 20 und klagte.

Ob die Zahlungsansprüche des freigestellten Betriebsrats begründet sind, konnte das BAG zwar nicht abschließend beurteilen - das ist jetzt Aufgabe des Landesarbeitsgerichts (LAG), an das die Entscheidung wieder verwiesen wurde. Eben dieses vorinstanzliche LAG hatte bei dem Anpassungsanspruch der Vergütung die Darlegungs- und Beweislast nämlich beim Arbeitnehmer gesehen. Und hierbei war das BAG diesem gegenüber durchaus hilfreich, denn es ordnet die Darlegungs- und Beweislast vielmehr dem Arbeitgeber zu.

Hinweis: Korrigiert der Arbeitgeber also eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, hat er auch zu beweisen, dass diese Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war.


Quelle: BAG, Urt. v. 20.03.2025 - 7 AZR 46/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Anfechtung erfolglos: Erbschaftsausschlagung hat bei unbeachtlichem Motivirrtum Bestand

Die Erbschaft geht auf den Erben kraft Gesetzes über. Will ein Erbe dies verhindern, besteht die Möglichkeit, sie auszuschlagen. Ist die Ausschlagung erfolgt, kann sie nur in sehr engen Grenzen angefochten werden, beispielsweise wenn der Ausschlagende sich bezüglich einer Überschuldung geirrt hat. Eine solche Konstellation war auch Gegenstand einer Entscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG).

Die Erbschaft geht auf den Erben kraft Gesetzes über. Will ein Erbe dies verhindern, besteht die Möglichkeit, sie auszuschlagen. Ist die Ausschlagung erfolgt, kann sie nur in sehr engen Grenzen angefochten werden, beispielsweise wenn der Ausschlagende sich bezüglich einer Überschuldung geirrt hat. Eine solche Konstellation war auch Gegenstand einer Entscheidung des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG).

Der Erblasser war im August 2021 verstorben. Unmittelbar nach dem Tod schlugen mehrere Kinder sowie weitere Abkömmlinge des Erblassers die Erbschaft aus. Die Tochter des Erblassers begründete dies unter Berufung auf "Schulden/private Gründe". Einen Monat nach der Ausschlagungserklärung erklärte sie jedoch die Anfechtung der Ausschlagung und begründete diese damit, dass sie irrtümlich von einer Überschuldung des Nachlasses ausgegangen sei. Diese Annahme habe sie aufgrund einer Äußerung ihres Bruders getroffen, wonach der Erblasser kein Vermögen hinterlassen habe. Erst später habe sie durch eigene Recherchen festgestellt, dass der Erblasser bis zu seinem Tod in einem eigenen Haus gelebt habe.

In dem folgenden Erbscheinsverfahren stellte das OLG fest, dass die Tochter keine wirksame Anfechtung ihrer Ausschlagungserklärung abgegeben hatte. Voraussetzung für eine solche Anfechtungserklärung ist ein beachtlicher Irrtum - beispielsweise aufgrund einer unrichtigen Vorstellung über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses. Diese Fehlvorstellung muss aber auf für den Erklärenden zugänglichen Informationen beruhen. Eine bloße spekulative Einschätzung oder eine pauschale Befürchtung, der Nachlass könne überschuldet sein, reiche hierfür nicht aus. Die Tochter habe nicht aufgrund von konkreten Aussagen oder überprüfbaren Tatsachen die Ausschlagung der Erbschaft erklärt, sondern vielmehr aufgrund von vagen Annahmen bzw. pauschalen Vermutungen die Erklärung abgegeben. Dies sei als Grundannahme für einen Irrtum im rechtlichen Sinn nicht ausreichend.

Hinweis: Sowohl vor Erklärung einer Ausschlagung als auch vor der Erklärung einer Anfechtung dieser Ausschlagung müssen ernsthafte Bemühungen unternommen werden, den tatsächlichen Bestand des Nachlasses zu ermitteln.


Quelle: Pfälzisches OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.03.2025 - 8 W 20/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Künstliche Befruchtung: Klinik muss kryokonservierte Spermien des verstorbenen Ehepartners herausgeben

Das Leben schreibt die schönsten, aber auch die tragischsten Geschichten. Wie im Fall des Landgerichts Frankfurt am Main (LG), in dem ein Ehepaar durch Kryokonservierung der männlichen Spermien Vorsorge für die Familienplanung treffen wollte und dann der Mann plötzlich verstarb. Wie war seitens der Klinik nun mit den Spermien zu verfahren?

Das Leben schreibt die schönsten, aber auch die tragischsten Geschichten. Wie im Fall des Landgerichts Frankfurt am Main (LG), in dem ein Ehepaar durch Kryokonservierung der männlichen Spermien Vorsorge für die Familienplanung treffen wollte und dann der Mann plötzlich verstarb. Wie war seitens der Klinik nun mit den Spermien zu verfahren?

Zu Lebzeiten hatte der Ehemann mit der Klinik einen Vertrag geschlossen, der vorsah, dass das konservierte Spermamaterial nach seinem Tod zu vernichten sei. Die Ehefrau verlangte nun aber die Herausgabe der Spermien. Die Klinik verweigerte die Herausgabe. Dies widerspräche dem Vertrag, aber auch dem Embryonenschutzgesetz (ESchG). Dieses verbiete die künstliche Befruchtung mit dem Samen eines Verstorbenen. Durch die Herausgabe könnten sich Mitarbeiter der Klinik strafbar machen.

Die Witwe zog daraufhin vor Gericht und bekam im Rahmen eines Eilverfahrens auch Recht. § 4 ESchG verbiete zwar, nach dem Tod eines Mannes eine Eizelle mit dessen Samen zu befruchten. Hier verlangte die Witwe aber gar keine Befruchtung, sondern lediglich die Herausgabe. Auch die vertraglich mit dem verstorbenen Ehemann vereinbarte Klausel zur Vernichtung des Keimmaterials nach seinem Tod greife hier nicht. Denn die hinterbliebene Ehefrau habe schlüssig und glaubhaft dargelegt, dass sich der Kinderwunsch der Eheleute individuell und losgelöst vom Vertrag weiterentwickelt habe. Bis zu seinem Tod hatte der Mann einen eindeutigen Kinderwunsch. Die Witwe konnte zur Überzeugung des LG darlegen, dass ihr Ehemann vor seinem Tod in die postmortale Verwendung seines Spermas wirksam eingewilligt habe.

Hinweis: Im Prinzip hat das LG dem Grundrecht des Mannes auf reproduktive Autonomie entsprochen. Die Entscheidung bedeutet aber nicht, dass eine Klinik in ähnlichen Fällen die konservierten Spermien immer herausgeben muss. Hier konnte sich die Ehefrau nur durchsetzen, weil sie eindeutig belegen konnte, dass sie ausdrücklich im Willen des Verstorbenen gehandelt hat.


Quelle: LG Frankfurt am Main, Beschl. v. 04.02.2025 - 2-04 O 29/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Neues zu Nachtzuschlägen: BVerfG stärkt Rechtssicherheit für tarifgebundene Arbeitgeber

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit einem Urteil die Tarifautonomie gestärkt. Denn dem, was die Kollegen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) noch als rechtens ansahen - und zwar eine rückwirkende Anpassung zugunsten von Arbeitnehmern -, konnte der Senat aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zustimmen. Was Arbeitgeber und Gewerkschaft vereinbaren, kann ein Gericht nicht ohne weiteres ändern.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit einem Urteil die Tarifautonomie gestärkt. Denn dem, was die Kollegen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) noch als rechtens ansahen - und zwar eine rückwirkende Anpassung zugunsten von Arbeitnehmern -, konnte der Senat aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zustimmen. Was Arbeitgeber und Gewerkschaft vereinbaren, kann ein Gericht nicht ohne weiteres ändern.

Ein Arbeitnehmer, der regelmäßig in Nachtschicht arbeitete, hatte geklagt. Denn nach den auf sein Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifverträgen gab es einen Zuschlag von "nur" 25 % bei regelmäßiger Nachtarbeit und 50 %, wenn außerhalb von Schichtdiensten nur gelegentlich nachts gearbeitet werde. Der Arbeitnehmer zog bis vor das BAG und bekam dort sogar Recht; die Tarifverträge wurden für unwirksam erklärt. Die Folge war, dass die Arbeitgeber höhere Zuschläge zahlen mussten. Eben dies wollten sich die Arbeitgeber nicht gefallen lassen und zogen vor das BVerfG.

Das BVerfG meinte, dass das BAG die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie nicht ausreichend beachtet habe. Dies bedeutet, dass Tarifverträge zwar den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten müssen, Gerichte aber nur willkürliche Ungleichbehandlungen in Tarifverträgen beanstanden dürfen. Daher sind solche Ungleichbehandlungen zu akzeptieren, für die sachliche Gründe objektiv erkennbar seien. Das gilt auch, wenn der Tarifvertrag diese Gründe nicht ausdrücklich nennt. Aber selbst, wenn die unterschiedlichen Nachtzuschläge sachlich nicht gerechtfertigt gewesen wären, hätte das BAG nicht einfach eine Anpassung nach oben anordnen dürfen. Es hätte den Tarifvertragsparteien vielmehr Gelegenheit geben müssen, den Tarifvertrag zu korrigieren.

Hinweis: Das Urteil bedeutet mehr Rechtssicherheit für tarifgebundene Arbeitgeber. Eine rückwirkende Anpassung nach oben zugunsten der Arbeitnehmer ist ausgeschlossen, weil ein Tarifvertrag nicht nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer Vertrauensschutz bietet, sondern auch für die tarifgebundenen Arbeitgeber.


Quelle: BVerfG, Urt. v. 11.12.2024 - 1 BvR 1422/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Belegloses Einschreiben: Zugang einer Kündigung muss eindeutig nachweisbar sein

Dass das große Ganze wesentlich ist, stimmt nicht so ganz. Denn oft entscheiden Details über den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten. Auch im folgenden Fall, bei dem eine Kündigung am finalen Schritt gescheitert ist - nämlich ihrer Zustellung. Was in Sachen ordnungsgemäßer Kündigung bei Einschreiben zu beachten ist, hat hier das Bundesarbeitsgericht (BAG) gründlich dargelegt.

Dass das große Ganze wesentlich ist, stimmt nicht so ganz. Denn oft entscheiden Details über den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten. Auch im folgenden Fall, bei dem eine Kündigung am finalen Schritt gescheitert ist - nämlich ihrer Zustellung. Was in Sachen ordnungsgemäßer Kündigung bei Einschreiben zu beachten ist, hat hier das Bundesarbeitsgericht (BAG) gründlich dargelegt.

Ein Arbeitgeber wollte eine fristlose Kündigung aussprechen und behauptete, dass zwei seiner Mitarbeiterinnen das Kündigungsschreiben gemeinsam in einen Briefumschlag gesteckt hätten. Danach hätten sie es zur Post gebracht und dort am 26.07.2022 um 15.35 Uhr als Einwurfeinschreiben mit Sendungsnummer persönlich aufgegeben. Nach dem Sendungsstatus sei das Schreiben mit der entsprechenden Sendungsnummer der Arbeitnehmerin am 28.07.2022 auch zugestellt worden. Die Arbeitnehmerin behauptet jedoch, das Schreiben nicht erhalten zu haben, und klagte auf Weiterbeschäftigung.

Und siehe da: Das BAG entschied, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung beendet worden war. Denn der Arbeitgeber konnte den Zugang der Kündigung nicht beweisen. Er hatte hier für den von ihm behaupteten Einwurf des Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten am 28.07.2022 keinen Beweis angeboten. Vor allem fehlte es an einem Zeugenbeweis der Person, die den Einwurf vorgenommen haben soll. Das BAG stellte auch klar, dass die Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurfeinschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs ohne Vorlage einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs keinen Beweis für den Zugang beim Empfänger begründet. Schließlich fehlten dabei Angaben zum Überbringer der Kündigung sowie über weitere Einzelheiten der Zustellung.

Hinweis: Die persönliche Übergabe des Kündigungsschreibens gegen eine Empfangsbestätigung ist immer noch die sicherste Möglichkeit.


Quelle: BAG, Urt. v. 30.01.2025 - 2 AZR 68/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Betrachtung des Schadensgeschehens: Anscheinsbeweis entscheidet nach berührungslosem Unfall

Im Straßenverkehr entscheiden Sekunden, wie glimpflich eine unerwartete Begegnung ausgeht. Deshalb haben Gerichte über Kausalitäten und Verantwortlichkeiten auch bei jenen Unfällen zu entscheiden, bei denen es gar nicht zu Berührungen der Unfallgegner bzw. von deren Fahrzeugen gekommen ist. Im Folgenden hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das letzte Wort.

Im Straßenverkehr entscheiden Sekunden, wie glimpflich eine unerwartete Begegnung ausgeht. Deshalb haben Gerichte über Kausalitäten und Verantwortlichkeiten auch bei jenen Unfällen zu entscheiden, bei denen es gar nicht zu Berührungen der Unfallgegner bzw. von deren Fahrzeugen gekommen ist. Im Folgenden hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das letzte Wort.

Der Kläger fuhr mit seinem Motorrad hinter einem Pkw. Die Beklagte fuhr ihrerseits mit ihrem Pkw die Gegenrichtung entlang, als ihre Fahrbahn in einer leichten Rechtskurve durch ein Müllabfuhrfahrzeug blockiert wurde. Um an diesem Fahrzeug vorbeizufahren, wechselte die Beklagte auf die Gegenfahrbahn. Der ihr dort entgegenkommende Pkw bremste stark ab, um eine Kollision mit der Beklagten zu vermeiden. Auch der hinter diesem Pkw fahrende Biker machte eine Vollbremsung, wobei sein Motorrad ins Rutschen geriet, stürzte und sich der Mann dabei erhebliche Verletzungen zuzog. Zu einer Kollision des Motorrads mit dem vorausfahrenden Pkw kam es glücklicherweise nicht auch noch. Dennoch begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Beklagten zum Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens nach einem Verkehrsunfall verpflichtet seien.

Der BGH hat entschieden, dass die Beklagte dem Kläger gegenüber zu 40 % haftet, obwohl keine Kollision stattgefunden habe. Das Fahrverhalten der Beklagten hatte den Sturz des Klägers verursacht. Sie hatte ein Müllabfuhrfahrzeug umfahren, was eine Vollbremsung des Gegenverkehrs und den Sturz des Klägers zur Folge hatte. Der Wechsel auf die Gegenfahrbahn, um an dem haltenden Müllabfuhrfahrzeug vorbeizufahren, beeinflusste das Fahrmanöver des Klägers - zumindest mittelbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist ein Schaden nämlich bereits dann bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben. Das sei dann gegeben, sobald bei der gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-)geprägt worden ist. Dem Kläger war dennoch eine Mithaftung anzurechnen, weil er die Vorder- und Hinterradbremse derart betätigt hatte, dass beide Bremsen am Motorrad blockierten. Der Sturz wäre bei dem Motorrad des Klägers, das nicht über ein ABS verfüge, durch eine kontrollierte Betätigung der Vorderradbremse demnach vermeidbar gewesen.

Hinweis: Ein sogenannter berührungsloser Unfall ist dann bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, wenn also bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit-)geprägt worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht.


Quelle: BGH, Urt. v. 03.12.2024 - VI ZR 18/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Ersatz unfallbedingter Kosten: Mietwagen auch nach Unfall mit Fahrzeug ohne HU-Plakette

In der Regel müssen sich privat gefahrene Pkws und Motorräder alle 24 Monate einer Hauptuntersuchung (HU) unterziehen. Wer eine solche schwänzt und dann einen Unfall verursacht, der auf einen Mangel zurückzuführen ist, der bei der HU beanstandet worden wäre, kann in Regress genommen werden. Ob aber auch ein unverschuldeter Unfall einen Fahrzeughalter teuer zu stehen kommt, der seiner Pflicht zur HU nicht nachgekommen war, musste der Bundesgerichtshof (BGH) klären.

In der Regel müssen sich privat gefahrene Pkws und Motorräder alle 24 Monate einer Hauptuntersuchung (HU) unterziehen. Wer eine solche schwänzt und dann einen Unfall verursacht, der auf einen Mangel zurückzuführen ist, der bei der HU beanstandet worden wäre, kann in Regress genommen werden. Ob aber auch ein unverschuldeter Unfall einen Fahrzeughalter teuer zu stehen kommt, der seiner Pflicht zur HU nicht nachgekommen war, musste der Bundesgerichtshof (BGH) klären.

Ein Autofahrer erlitt einen unverschuldeten Unfall und machte daraufhin seine Ansprüche der gegnerischen Versicherung gegenüber geltend. Diese zahlte auch fast alles, verweigerte aber die Erstattung der Mietwagenkosten für die Dauer der Reparatur. Sie argumentierte, dass der verunfallte Wagen keine gültige HU-Plakette aufgewiesen habe. Daher habe der Fahrzeugführer das Fahrzeug nicht mehr fahren dürfen. Er hätte den Wagen sowieso in die Werkstatt geben müssen, um die HU durchführen zu lassen, so dass die Mietwagenkosten nicht wegen des Unfalls angefallen wären, sondern nur "bei Gelegenheit" des Unfalls. Das wollte der Geschädigte nicht hinnehmen und klagte.

Der BGH entschied, dass allein das Überschreiten des HU-Termins nicht dazu führt, dass das Fahrzeug nicht mehr gefahren werden darf - selbst bei einer erheblichen Überschreitung von mehr als einem halben Jahr. Denn: Solange keine behördliche Untersagung vorliegt, darf so ein Fahrzeug gefahren werden, wenn das Fahrzeug verkehrssicher und mängelfrei ist. Hier ist daher der Werkstattaufenthalt allein durch den Unfall motiviert gewesen. Die Vorinstanz hatte keine Feststellungen dazu getroffen, ob das Fahrzeug verkehrssicher war, daher wurde der Fall für eben jene Feststellungen dorthin zurückverwiesen.

Hinweis: Richtig ist zwar, dass mit der HU dafür gesorgt werden soll, dass Fahrzeuge während ihres Betriebs in einem sicheren und umweltfreundlichen Zustand gehalten werden. Doch auch wenn die zuständige Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung ein Nutzungsverbot nicht bereits beim Überschreiten des Vorführtermins eines Pkw zur HU vorsieht: Gehen Sie auf Nummer sicher und mit Ihrem Fahrzeug fristgerecht zum TÜV oder zur Dekra.


Quelle: BGH, Urt. v. 03.12.2024 - VI ZR 117/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Gesamtwürdigung aller Umstände: Zuständigkeit des Nachlassgerichts bei Aufenthalt des Erblassers im Hospiz

Die Zuständigkeit des Nachlassgerichts orientiert sich am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zum Todeszeitpunkt. Im Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) ging es um die konkrete Frage, ob der Aufenthalt eines Erblassers in einem Hospiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen könne, obwohl seine nach wie vor vorhandene Wohnung erst nach seinem Tod aufgelöst wurde.

Die Zuständigkeit des Nachlassgerichts orientiert sich am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers zum Todeszeitpunkt. Im Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) ging es um die konkrete Frage, ob der Aufenthalt eines Erblassers in einem Hospiz seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen könne, obwohl seine nach wie vor vorhandene Wohnung erst nach seinem Tod aufgelöst wurde.

Der im Jahr 2022 verstorbene ledige und kinderlose Erblasser lebte seit zehn Jahren in einer eigenen Wohnung, die auch erst nach seinem Tod aufgelöst wurde. Etwa drei Monate vor seinem Tod wurde der Erblasser auf eigenen Wunsch hin von einem Krankenhaus in ein Hospiz verlegt. Aus seinem Antrag auf stationäre Hospizpflege ging hervor, dass sowohl seine Eltern als auch seine Lebensgefährtin in dem Ort lebten, in dem sich auch das Hospiz befand. Die Verlegung erfolgte mit ausdrücklicher Begründung einer psychosozialen Begleitung durch die Angehörigen. Nach dem Tod des Mannes leitete das zunächst angerufene Nachlassgericht des ursprünglichen Wohnorts des Erblassers das Verfahren zuständigkeitshalber an das zuständige Nachlassgericht weiter, das in dem Gebiet des Hospizes lag. Von dort aus wurde schließlich auch ein gemeinschaftlicher Erbschein erteilt. In der Folge entstand jedoch ein Streit über die Frage, ob der Erbschein vom zuständigen Gericht erteilt wurde, und falls nicht, ob er wegen Unrichtigkeit einzuziehen sei.

Das OLG stellte bei seiner Entscheidung über den gewöhnlichen Aufenthalt die Lebensumstände des Erblassers in den letzten Jahren sowie im Zeitpunkt seines Todes in den Fokus. Für die Bewertung eines gewöhnlichen Aufenthalts spielen unter anderem die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts, die persönliche Bindung, Gründe für den Aufenthalt, ein subjektiver Aufenthaltswille und das soziale und kulturelle Umfeld eine entscheidende Rolle. Das Gericht stellte klar, dass es für die Beantwortung der Frage nach einem gewöhnlichen Aufenthalt keine bestimmte Mindestdauer gebe. Bedeutsamer sei die Intensität der sozialen Einbindung in das Umfeld. Bei einer Unterbringung in einem Hospiz sei es so, dass der bloße Wechsel nicht automatisch einen gewöhnlichen Aufenthalt begründe. Entscheidend sei vielmehr die Gesamtwürdigung aller Umstände, wobei hier insbesondere eine Rolle spielte, dass der Erblasser sich bewusst für ein Hospiz in der Nähe seiner Eltern entschieden habe und sein Wunsch durch die Begleitung durch Angehörige dokumentiert sei. Das Hospiz lag zudem im Herkunftsort des Erblassers, was für eine Rückkehr zu einem vertrauten sozialen Umfeld sprach. Der Umstand, dass die eigene Wohnung nicht aufgelöst worden sei, ist daher nicht entscheidend, da es keinen Hinweis gegeben habe, dass der Erblasser eine Rückkehr nach dorthin in Erwägung gezogen habe.

Hinweis: Eine nur vorübergehende Unterbringung in einem Krankenhaus führt in der Regel nicht zu einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 17.03.2025 - 3 Wx 65/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

EuGH: Unionsrecht schreibt Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehe, nicht deren Eintragung vor

Das sogenannte Unionsrecht verpflichtet einen EU-Mitgliedstaat zur Anerkennung der Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Personen. Dass daraus aber nicht unbedingt der Anspruch auf Eintragung der Heiratsurkunde in ein Personenstandsregister folgt, war dem Schlussantrag des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu entnehmen.

Das sogenannte Unionsrecht verpflichtet einen EU-Mitgliedstaat zur Anerkennung der Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Personen. Dass daraus aber nicht unbedingt der Anspruch auf Eintragung der Heiratsurkunde in ein Personenstandsregister folgt, war dem Schlussantrag des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu entnehmen.

Zwei polnische Staatsbürger (einer zudem Deutscher) gingen in Berlin die Ehe ein. Das Paar beantragte die Umschreibung ihrer deutschen Heiratsurkunde in das polnische Personenstandsregister. Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt, da das polnische Recht die Eheschließung zwischen Personen gleichen Geschlechts nicht vorsieht. Die Eheleute klagten gegen diese Ablehnung. Das mit der Sache befasste polnische Gericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH seine Fragen zur Vorabentscheidung vor: Es wollte wissen, ob die Regelung oder die Praxis eines Mitgliedstaats mit dem Unionsrecht überhaupt vereinbar sei, wenn dadurch weder ermöglicht wird, die Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Personen anzuerkennen noch die entsprechende Heiratsurkunde in das Personenstandsregister einzutragen.

Der Generalanwalt stellte in seinem Schlussantrag fest, dass das Personenstandsrecht zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, bei der Ausübung dieser Zuständigkeit aber Unionsrecht beachtet werden müsse. Werde die in einem anderen Mitgliedstaat geschlossene Ehe nicht anerkannt, könne dies das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens beeinträchtigen. Sehe ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht die Ehe zwischen Personen gleichen Geschlechts nicht vor, muss er dennoch geeignete Verfahren einführen, die in einem anderen Mitgliedstaat geschlossene Ehen nach außen dokumentieren. Jeder Mitgliedstaat muss also die Modalitäten der Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren festlegen. Dies muss nicht durch Eintragung der Heiratsurkunde in ein Personenstandsregister geschehen, aber sicherstellen, dass die Ehe auch ohne diese Formalität ihre Wirkungen entfaltet.

Hinweis: Ist die Eintragung das einzige Mittel, die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Personen in einem Mitgliedstaat anzuerkennen, dann muss diese auch möglich sein. Gibt es alternative Anerkennungswege, bestehe kein Anspruch auf Eintragung.


Quelle: EuGH, Schlussantrag des Generalanwalts v. 03.04.2025 - C-713/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Unzulässige Teilentscheidung: Familienrichter dürfen Umgangsregelung nicht einfach ablehnen

Schon das Wort "Umgangsregelung" impliziert, dass eine Regelung irgendeiner Art getroffen wird. Ob es für eine solche rechtsgültige Umgangsregelung schon ausreicht, dass das Gericht bei einer Umgangsregelung ein einfaches "Nein, das machen wir so nicht!" ausspricht, musste in diesem Familienrechtsfall das Thüringer Oberlandesgericht (OLG) in Jena entscheiden.

Schon das Wort "Umgangsregelung" impliziert, dass eine Regelung irgendeiner Art getroffen wird. Ob es für eine solche rechtsgültige Umgangsregelung schon ausreicht, dass das Gericht bei einer Umgangsregelung ein einfaches "Nein, das machen wir so nicht!" ausspricht, musste in diesem Familienrechtsfall das Thüringer Oberlandesgericht (OLG) in Jena entscheiden.

Seit der Scheidung im Juni 2018 leben die Kinder bei ihrer Mutter. Alle 14 Tage holt der Vater sie am Wochenende zum Umgang ab. Er hat wieder geheiratet und zwei weitere minderjährige Kinder. Im August 2024 wollte der Mann den Umgang gerichtlich regeln lassen, da die Mutter mit den Kindern weggezogen war und damit gegen eine gemeinsame Absprache verstoßen habe. Seit dem Wegzug könne ein Umgang nur stattfinden, wenn der Vater eine Fahrstrecke von 560 km hin und zurück bewältige. Da er eine neue Familie habe und Vollzeit arbeite, zudem physisch und psychisch angegriffen sei, könne er die Umgangsfahrten nicht allein übernehmen. Die Mutter weigerte sich hingegen, sich an den Umgangsfahrten zu beteiligen und die Kinder zum Vater zu bringen und wieder abzuholen. So einen Anspruch gäbe es ihrer Ansicht nicht. Das Familiengericht hörte dann auch die beiden Kinder an, die ihrerseits meinten, die Fahrten nicht allein zurücklegen zu können. Also wies das Gericht den Vater zurück, wogegen er Beschwerde einlegte - und Recht bekam.

Die bloße Ablehnung einer gerichtlichen Umgangsregelung war in den Augen des OLG grundsätzlich unzulässig. Das Familiengericht muss entweder Umfang und Ausübung der Umgangsbefugnis konkret regeln oder - sofern dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist - die Umgangsbefugnis ebenso konkret einschränken oder ausschließen. Einfach ablehnen darf es eine gerichtliche Regelung hingegen nicht. Das OLG hat den Fall also an das Landgericht zurückverwiesen, das nun nochmal entscheiden muss. Wird eine gerichtliche Umgangsregelung verlangt, muss ein Gericht diese auch treffen. Dies gilt nur dann nicht, wenn ein Regelungsbedürfnis entfallen ist (etwa durch außergerichtliche Einigung). Dies war hier aber nicht der Fall.

Hinweis: Begehren auch Sie eine Umgangsregelung, dann bestehen Sie immer auf einer gut begründeten Entscheidung. Dies ist schließlich Kernaufgabe des Gerichts. Kommt es dieser nicht nach, ist die gerichtliche Entscheidung angreifbar.


Quelle: Thüringer OLG, Beschl. v. 02.04.2025 - 1 UF 16/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Ausgleich der Unterhaltsspitze: Eltern können bei Unterhalt im paritätischen Wechselmodell in eigenem Namen klagen

Eltern sind ihren Kindern zu Unterhalt verpflichtet. Leben die Eltern getrennt, stellt sich im Streitfall immer die Frage, ob die Eltern den Unterhaltsanspruch des Kindes im eigenen Namen oder als gesetzlicher Vertreter einklagen müssen. Und da es so oft heißt, es käme immer auf den Fall an, musste das Amtsgericht Gemünden (AG) darauf eine Antwort finden.

Eltern sind ihren Kindern zu Unterhalt verpflichtet. Leben die Eltern getrennt, stellt sich im Streitfall immer die Frage, ob die Eltern den Unterhaltsanspruch des Kindes im eigenen Namen oder als gesetzlicher Vertreter einklagen müssen. Und da es so oft heißt, es käme immer auf den Fall an, musste das Amtsgericht Gemünden (AG) darauf eine Antwort finden.

Die miteinander verheirateten Eltern leben dauerhaft getrennt und betreuen die Kinder im paritätischen Wechselmodell. Nun wollte die Mutter den Ausgleich der Unterhaltsspitze hinsichtlich des Kindesunterhalts gerichtlich klären lassen und im Wege der einstweiligen Anordnung erreichen, dass ihr das Alleinvertretungsrecht für die Geltendmachung von Kindesunterhalt (im Wechselmodell) für die gemeinsamen Kinder zugewiesen wird. Hilfsweise solle ein Ergänzungspfleger zur Geltendmachung des Kindesunterhalts bestellt werden. Der Vater sah jedoch keinerlei Regelungsbedürfnis.

Das AG hat die Anträge der Mutter abgewiesen. Der Mutter musste nämlich gar keine Entscheidungsbefugnis übertragen werden, da sie die Unterhaltsansprüche der Kinder im eigenen Namen geltend machen kann. § 1629 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch regelt ausdrücklich, dass ein Elternteil die Kinder allein und in eigenem Namen vertreten kann, wenn die Eltern zwar verheiratet sind, aber getrennt leben. Weitere Voraussetzungen - wie ein überwiegender Aufenthalt oder die Obhut bei einem Elternteil - verlangt die Norm nicht. Und da die Mutter bereits alleinvertretungsbefugt war, musste auch kein Ergänzungspfleger bestellt werden.

Hinweis: Das hätte die Mutter wirklich leichter haben können. Gerade im Familienrecht gilt es, genau zu lesen, wo eine Obhut gefordert ist und wo ein überwiegender Aufenthalt - denn gerade daran kann sich entscheiden, ob man im eigenen Namen klagebefugt ist oder eben nicht.


Quelle: AG Gemünden, Beschl. v. 17.03.2025 - 002 F 72/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 05/2025)

Betriebspflicht in Einkaufszentren: Fehlender Konkurrenzausschluss spricht nicht gegen Offenhaltungspflicht

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Ein Mieter hatte ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum zum Betrieb "eines hochwertigen "Fan World‘-Einzelhandelsgeschäfts für den Verkauf von Fan-, Lizenz- und Geschenkartikeln und Assessoires" gemietet. Dabei wurden vertraglich eine entsprechende Sortimentsbindung, ein Ausschluss von Konkurrenzprodukten sowie die Betriebspflicht vereinbart, das Ladengeschäft zu den Kernöffnungszeiten Montag bis Samstag von 9 Uhr bis 22 Uhr geöffnet zu halten. Der Mieter hielt sich jedoch nicht an diese Öffnungszeiten. Schließlich klagte die Vermieterin auf Einhaltung der Öffnungszeiten.

Der BGH stellte klar, dass die formularvertraglich vereinbarte Betriebs- und Offenhaltungspflicht des Mieters eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum auch im Zusammenspiel mit fehlendem Konkurrenzschutz keine unangemessene Benachteiligung darstellt, wenn sie mit keiner hinreichend konkreten Sortimentsbindung verbunden ist. Im Ergebnis war deshalb für den vorliegenden Fall die Kombination der Betriebspflicht mit der nur vage abgrenzbaren Sortimentsbindung und dem Ausschluss jedes Sortiments- und Konkurrenzschutzes unter dem Aspekt des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu beanstanden. Damit hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache an eben jene zurück, um erneut darüber zu entscheiden.

Hinweis: Wer langfristige Mietverträge im Gewerbebereich abschließt, sollte auf der Hut sein. Fehler beim Abschluss des Vertrags können weitreichende finanzielle Konsequenzen haben. Die Prüfung durch einen Rechtsanwalt ist mehr als sinnvoll.


Quelle: BGH, Urt. v. 06.10.2021 - XII ZR 11/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Entlassung des Testamentsvollstreckers: Pflichtverletzungen müssen schuldhaft begangen und von erheblichem Gewicht sein

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Der Erblasser hinterließ mehrere Erben in einer ungeteilten Erbengemeinschaft und ordnete zudem eine Testamentsvollstreckung an. Eine Miterbin, die dem Testamentsvollstrecker pflichtwidriges Verhalten wegen angeblich rechtswidriger Zahlungen an andere Miterben vorwarf, beantragte die Entlassung aus dem Amt. Nachdem das Nachlassgericht diesem Antrag zunächst stattgegeben hatte, hob das OLG die Entscheidung auf.

Eine Entlassung aus dem Amt des Testamentsvollstreckers käme nur dann in Betracht, wenn die zur Last gelegte Pflichtverletzung dazu geeignet sei, die berechtigten Belange des antragstellenden Miterben - insbesondere seine Vermögensinteressen - zu beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung muss darüber hinaus schuldhaft begangen worden und von erheblichem Gewicht sein. Dies kann nur angenommen werden, wenn es sich um eine grobe Verfehlung des Testamentsvollstreckers handelt, die vergleichbar ist mit einer Untätigkeit. Schließlich muss eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Erblassers an der Fortführung der Testamentsvollstreckung und dem Interesse der Erben vorgenommen werden. Nur wenn dem Antragsteller eine Fortsetzung im Amt des Testamentsvollstreckers nicht mehr zugemutet werden kann, kommt eine Entlassung durch das Nachlassgericht in Betracht. Nach Ansicht des OLG lagen bereits im Tatsächlichen keine der genannten Voraussetzungen im konkreten Fall vor.

Hinweis: Das Recht der Erben, einen Testamentsvollstrecker zu entlassen, kann durch den Erblasser im Rahmen seiner Verfügung von Todes wegen nicht wirksam eingeschränkt werden.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.10.2021 - 3 Wx 59/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Rotlichtverstoß: Absehen vom Fahrverbot als unzumutbare Härte bei Dreifachmutter in Ausbildung

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Eine Autofahrerin überfuhr eine rote Ampel. Da das Rotlicht bereits länger als eine Sekunde aufleuchtete, wurde neben einem Bußgeld und zwei Punkten auch ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Die Betroffene legte Einspruch ein: Als Mutter von drei Kindern träfe sie das Fahrverbot besonders hart. Das sah sogar das AG nicht anders.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Verhängung eines Fahrverbots in diesem Fall eine unzumutbare Härte darstellt. Die Betroffene ist Mutter von drei Kindern im Alter von zwölf, neun und zweieinhalb Jahren. Sie selbst befindet sich in der Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Die jüngeren Kinder besuchten die Grundschule bzw. Kita, zu welchen die Betroffene die Kinder jeden Morgen fahre. Die Einrichtungen liegen nebeneinander, so dass sie anschließend ihre Ausbildungsstätte anfahren könne. Zweimal in der Woche müsse sie in die Berufsschule. Abends hole sie die Kinder auf dem Rückweg ab. Ihr Mann sei Landschaftsgärtner, er arbeite oft außerhalb und könne die Fahrten nicht übernehmen.

Hinweis: Das AG hat in seiner Entscheidung zudem berücksichtigt, dass eine anzuordnende Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG durchaus die Situation im Rahmen der Vollstreckung entspannen und zudem auch Urlaub genommen werden könne. Die Betroffene erklärte hier jedoch nachvollziehbar, dass sie im laufenden Jahr nicht ausreichend Urlaubsansprüche habe, um das Fahrverbot entsprechend abzubüßen.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 05.08.2021 - 729 OWi-253 Js 1054/21-83/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Trotz Gehbehinderung: Beklagter muss Abschleppkosten nach (mehrmaligem) Falschparken in der Tiefgarage zahlen

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Der Sohn des 87-jährigen Beklagten hatte dessen Fahrzeug in der Tiefgarage einer Wohnanlage in einem Bereich abgestellt, der mit eingeschränktem Halteverbot beschildert war. Der Hausmeister der Anlage beauftragte daraufhin das klagende Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs, wofür das Unternehmen einen Tiefgaragenberger und einen Kranplateauschlepper schickte. Bei deren Eintreffen befand sich das Fahrzeug jedoch nicht mehr in der Tiefgarage. Der Beklagte trug vor, sein Sohn hätte das Fahrzeug maximal für 15 Minuten dort abgestellt, um ihn abzuholen. Der Hausmeister wiederum wisse, dass er nur kurze Strecken zu Fuß zurücklegen könne und wegen seiner Behinderung eine Begleitung benötige. Mit Anruf oder Klingeln hätte man die Störung schnell beseitigen können. Der Hausmeister gab als Zeuge jedoch an, dass das Fahrzeug an selbiger Stelle den Zugang zu anderen Garagenboxen oft für Stunden in (geschätzt) 50 Fällen blockiert habe. Er habe den Halter fast jedes Mal darauf angesprochen. Mit der Hausverwaltung sei daher abgestimmt worden, dass man den Wagen beim nächsten Mal abschleppen lasse. Natürlich sei das Parken dort praktisch, da diese Stelle unmittelbar neben dem Zugang zum Aufzug liege - seine genau dort befindliche Garagenbox habe der Beklagte allerdings anderweitig vermietet. Zudem gebe es einen für längeres Halten vorgesehenen Platz in nur 15 Metern Entfernung. Der Sohn erklärte in seiner Zeugenaussage, maximal fünfmal angesprochen worden zu sein. Andere Hausbewohner dürften dort unbeanstandet be- und entladen. Der Hausmeister hege wohl einen Grundhass gegen ihn.

Das AG gab nach Anhörung aller Argumente schließlich der Klägerin Recht und verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Abschleppkosten. Das Gericht war davon überzeugt, dass das Fahrzeug dort über einen längeren Zeitraum geparkt habe, ohne dass ein konkretes Ein- oder Aussteigen oder ein Be- bzw. Entladevorgang vorlag. Auch habe der Sohn des Beklagten zugegeben, dass er das Parkverbotsschild kannte und bereits in früherer Zeit mehrfach seitens des Hausmeisters der Anlage darauf hingewiesen worden war, dass an dieser Stelle ein Parkverbot bestehe und bei Zuwiderhandlung ein Abschleppen drohe.

Hinweis: Zutreffend weist das AG darauf hin, dass vor Beauftragung des Abschleppunternehmens eine Recherche dahingehend nicht erforderlich sei, welches Abschleppunternehmen das Abschleppen am kostengünstigsten durchführt. Etwas anderes gilt in Fällen von vorhandenen Rahmenverträgen zwischen Grundstücksbesitzern und Abschleppunternehmen.


Quelle: AG München, Urt. v. 31.08.2021 - 473 C 2216/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Neues zu Flugverspätungen: Ist der Verspätungszeitraum strittig, ist die Beweisführung für Passagiere schwierig

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Es ging um einen Flug von Bremen nach Teneriffa, wo das Flugzeug planmäßig um 15:25 Uhr landen sollte. Wegen eines technischen Defekts verzögerte sich der Abflug um circa drei Stunden, die genaue Ankunftszeit war zwischen den Parteien streitig. Der Fluggast behauptete, die Ankunft wäre erst um 18:35 Uhr gewesen, die Fluggesellschaft meinte, die Landung wäre eher erfolgt - also unterhalb der Dreistundengrenze. Nun klagte der Fluggast eine Entschädigungszahlung ein.

Die Beweislast für das Vorliegen einer großen Ankunftsverspätung trifft nun einmal den Fluggast. Ist unsicher, ob die Ankunftsverspätung mindestens drei Stunden betragen hat, ist das Luftfahrtunternehmen zwar verpflichtet, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen mitzuteilen, die Rückschlüsse auf den maßgeblichen Zeitpunkt ermöglichen. Es ist aber laut BGH nicht dazu verpflichtet, im Bordbuch oder an anderer Stelle den Zeitpunkt zu dokumentieren, zu dem beispielsweise die erste Tür geöffnet und den Fluggästen der Ausstieg ermöglicht worden ist. Da der Fluggast hier also nicht beweisen konnte, dass sich der Flug um mehr als drei Stunden verspätet hatte, bekam er auch keine Entschädigungszahlung.

Hinweis: Hat ein Flug einmal eine Verspätung gehabt, kommt es darauf an, wie lang die Verspätung war. Am besten beauftragen Sie den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens mit einer Prüfung der Angelegenheit.


Quelle: BGH, Urt. v. 09.09.2021 - X ZR 94/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Elternzeit endet automatisch: Besonderer Kündigungsschutz endet nach Trennung und Verbleib der Kinder beim Partner

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Eine Arbeitnehmerin war für drei Jahre in Elternzeit. Währenddessen trennte sie sich jedoch von ihrem Ehemann, der die Kinder behielt. Ein Jahr nach Beginn der Elternzeit beleidigte und verleumdete die Frau einige ihrer Kollegen und Vorgesetzten mit öffentlich zugänglichen Posts auf ihrem privaten Facebook-Account. Der Arbeitgeber kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis fristlos. Dagegen klagte die Arbeitnehmerin. Sie meinte, die Kündigung sei allein deshalb schon unwirksam, weil der Arbeitgeber vorher nicht die Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingeholt habe. Denn sie stehe schließlich nach § 18 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz unter besonderem Kündigungsschutz.

Das sah das LAG jedoch anders. Denn der Anspruch auf Elternzeit setzt voraus, dass Arbeitnehmer mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und es selbst betreuen. Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Arbeitgeber unverzüglich zu informieren, wenn diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist. Die Elternzeit endete nach Auffassung der Richter automatisch. Hier hatte die Mitarbeiterin nach der Trennung von ihrem Mann und den Kindern deshalb keinen besonderen Kündigungsschutz mehr - und es lag zudem ein wichtiger Kündigungsgrund vor. Die Kündigung hatte das Arbeitsverhältnis also gültig beendet.

Hinweis: In dieser Sache ist unter Umständen noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn das BAG hat zu dieser Frage noch nichts entschieden. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.09.2021 - 12 Sa 23/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Landes- oder Bundesgesetz? BGH trifft Entscheidung zur (landes-)gesetzlichen Regelung von grenzüberschreitender Wärmedämmung

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Es ging um einen Nachbarschaftsstreit in Nordrhein-Westfalen. Die beiden betreffenden Grundstücke waren mit Mehrfamilienhäusern bebaut. Die Giebelwand des vor mehreren Jahrzehnten errichteten Gebäudes des einen Nachbarn stand direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, während das Gebäude des anderen Nachbarn etwa fünf Meter von der Grenze entfernt war. Eine Innendämmung des auf der Grundstücksgrenze stehenden Gebäudes konnte nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden. Deshalb verlangte nun der eine Nachbar von dem anderen, dass die grenzüberschreitende Außendämmung der Giebelwand zu dulden ist, und klagte sein Recht ein. Nun kam es darauf an, ob die nordrhein-westfälische Regelung rechtmäßig war oder die Regelungen, die der Bund für solche Fälle vorsieht.

Der BGH hat die nordrhein-westfälische Regelung für rechtmäßig angesehen und den Überbau erlaubt. Das Nachbarrecht des Bundes regelt in § 912 BGB, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger Überbau auf das Nachbargrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes geduldet werden muss. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ein vorsätzlicher Überbau im Grundsatz nicht hingenommen werden muss. Erlaubt ist hingegen der Erlass neuer landesgesetzlicher Vorschriften, die das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn anderen als den im BGB bestimmten Beschränkungen unterwerfen.

Das Landesrecht darf Beschränkungen vorsehen, die dieselbe Rechtsfolge wie eine vergleichbare nachbarrechtliche Regelung des Bundes anordnen, aber an einen anderen Tatbestand anknüpfen und einem anderen Regelungszweck dienen. Allerdings muss dabei die Grundkonzeption des Bundesgesetzes gewahrt bleiben - und das war hier der Fall.

Hinweis: Wer eine Wärmedämmung anbringen möchte und dabei nicht nur das Grundstück des Nachbarn betreten, sondern es sogar überbauen will, sollte auf der rechtlich sicheren Seite sein. Dabei hilft ein Rechtsanwalt.


Quelle: BGH, Urt. v. 12.11.2021 - V ZR 115/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Bummel-Azubi: Berufsausbildungsbeihilfe bei objektiv ausgeschlossenem Unterhaltsanspruch gegen die Eltern

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Im Zeitraum von acht Jahren hatte ein Mann ingesamt fünf Ausbildungen bzw. Studiengänge begonnen und wieder abgebrochen. Dessen Eltern hatten ihm bis zum 25. Geburtstag noch das Kindergeld weitergeleitet und danach nichts mehr an ihn gezahlt. Für die 2012 begonnene sechste Ausbildung beantragte der Sohn, der inzwischen verheiratet war, nun elternunabhängige Berufsausbildungshilfe (BAB), ein mit BAföG vergleichbares System. Er begründete den Antrag damit, dass seine Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig seien, da er die jeweiligen Ausbildungen übermäßig verzögert und damit die Verpflichtung zu Zielstrebigkeit, Fleiß und Sparsamkeit verletzt habe. Demnach habe er seine Eltern auch nicht verklagen müssen, um die fehlende Unterhaltspflicht nachzuweisen.

Das LSG sah es wie der Sohn: Bei einer solchen Sachlage sind Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig. Und wenn der Unterhaltsanspruch des Auszubildenden nach objektivem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist, muss er auch kein Gerichtsverfahren gegen seine Eltern führen.

Hinweis: Verzögerungen der Ausbildungszeit, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind, müssen Eltern hinnehmen. Verletzt das Kind aber nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Eine Unterhaltspflicht kommt umso weniger in Betracht, je älter der Auszubildende ist, je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet und je weniger eine Kommunikation über seine Ausbildungspläne erfolgt.


Quelle: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 08.10.2021 - L 2 AL 49/14
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Betriebsratswahl: Nur schwerwiegende Fehler führen zum Wahlabbruch im Eilverfahren

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

In einem Betrieb sollte der Betriebsrat neu gewählt werden. Der eingesetzte Wahlvorstand wurde dann jedoch vom Arbeitgeber aufgefordert, das eingeleitete Verfahren zur Wahl eines Betriebsrats abzubrechen. Denn er meinte, dass das Verfahren zur Bestellung des Wahlvorstands nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei - weder sei die Wahlausschreibung ordnungsgemäß ausgefüllt noch an allen erforderlichen Orten ausgehängt worden. Die zur Wahl Aufgerufenen würden teilweise nicht in den Zuständigkeitsbereich des Wahlvorstands fallen und dürften nicht wählen, weil sie nicht Beschäftigte im Betrieb seien. Der Arbeitgeber leitet ein arbeitsgerichtliches Eilverfahren ein.

Doch die Richter des ArbG entschieden, dass die Betriebsratswahl zumindest nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren abzubrechen war. Sie stellten klar, dass dies nur ausnahmsweise möglich sei - und zwar dann, wenn ganz erhebliche Fehler festgestellt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die entsprechenden Fehler zur Nichtigkeit der Wahl führen könnten. Das war hier nicht gegeben.

Hinweis: In der Regel kann der Arbeitgeber erst nach Abschluss der Wahl prüfen, ob diese korrekt abgelaufen ist. Gegebenenfalls kann er dann die Wahl anfechten und durch das ArbG für unwirksam erklären lassen. Ein Eilverfahren ist dagegen nur dann möglich, wenn es sich um wirklich schwerwiegende und offensichtliche Fehler handelt.


Quelle: ArbG Berlin, Beschl. v. 17.11.2021 - 3 BVGa 10332/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Nur bei tatsächlicher Mehrarbeit: Keine grundsätzliche Verweigerung von Rufbereitschaft durch schwerbehinderte Arbeitnehmer

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Ein als Wassermeister beschäftigter Arbeitnehmer sollte in jeder vierten Woche nach dem Ende der täglichen Arbeitszeit sowie am Wochenende Rufbereitschaft absolvieren, um damit die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Er konnte sich währenddessen aufhalten, wo er wollte, musste aber bei Bedarf zur Arbeit kommen. Für diese tatsächlichen Einsatzzeiten erhielt er einen Freizeitausgleich. Da der Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten gleichgestellt war, meinte er nun, keine Rufbereitschaft mehr leisten zu müssen. Die Bereitschaftszeit sei stets als Mehrarbeit einzuordnen und für ihn somit unzumutbar und unzulässig.

Das BAG sah jedoch keinen Anspruch auf eine vollständige Befreiung von der Rufbereitschaft. Allerdings verwiesen die Richter die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht als Vorinstanz zurück. Das muss jetzt noch prüfen, ob die Rufbereitschaft hier tatsächlich als Arbeitszeit gilt. Denn da es sich bei einer Rufbereitschaft nicht immer um Mehrarbeit handelt, können schwerbehinderte Arbeitnehmer diese auch nicht grundsätzlich ablehnen.

Hinweis: Es kommt also darauf an, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Mehrarbeit handelt oder nicht. Liegt keine Mehrarbeit vor, können schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer die Rufbereitschaft natürlich  nicht grundsätzlich ablehnen.


Quelle: BAG, Urt. v. 27.07.2021 - 9 AZR 448/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schutzbehauptung entlarvt: Angestrengte Körperhaltung auf dem Messfoto kann für vorsätzliche Begehung sprechen

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein Autofahrer befuhr innerorts eine Straße und wurde hierbei aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 60 % geblitzt. Daraufhin erging ein Bußgeldbescheid, in dem ihm eine vorsätzliche Geschwindigkeitsübertretung vorgeworfen wurde, was zur Verdoppelung des Bußgelds führte. Zudem wurde ein Fahrverbot verhängt. Dagegen legte der Mann Einspruch ein. Er berief sich darauf, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Es sei einige Jahre zuvor noch eine Limitierung auf 70 Stundenkilometer vorhanden gewesen, was er genau so wohl noch in Erinnerung gehabt habe.

Dennoch ging das AG aus unterschiedlichen Gründen davon aus, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung vorsätzlich begangen wurde. Zum einen sei der Mann innerorts losgefahren und habe kein Ortsschild passiert, das das Ende der Ortschaft anzeigen würde. Die Behauptung, früher seien dort 70 Stundenkilometer erlaubt gewesen, sah das AG als eine Schutzbehauptung an. Nachforschungen hatten ergeben, dass an der betreffenden Stelle seit mindestens fünf Jahren Tempo 50 gilt. Die Straße führe an der Messstelle sogar bergauf, so dass die bewusste Betätigung des Gaspedals notwendig sei, um das gefahrene Tempo zu halten oder gar zu steigern. Außerdem hatte der Betroffene selbst ein Motiv eingeräumt - er hatte es eilig, weil er noch Unterlagen von zu Hause abholen musste. Dies sei auch am Messfoto zu erkennen. Der Fahrer wirke darauf sehr konzentriert, schaue mit weit geöffneten Augen nach vorne, was in Augen des AG Anspannung und Konzentration widerspiegele. Die sichtbare Hand umklammere das Lenkrad mit fester Faust, auch das weise auf Anspannung und somit Vorsatz hin. Zudem musste der Mann anhand der Umgebung erkennen, dass er sich innerhalb eines Orts befand.

Hinweis: Die Bußgeldkatalogverordnung geht beim Regelsatz von fahrlässiger Begehungsweise aus. Vorsatz bedeutet, dass die Ordnungswidrigkeit mit Absicht und in vollem Bewusstsein begangen wurde. Ein direkter Vorsatz liegt vor, wenn der Fahrer sicher ist, dass die Tat, die er ausüben möchte, gesetzlich nicht erlaubt ist. Mit bedingtem Vorsatz handelt ein Fahrer, wenn er ernsthaft die Möglichkeit sieht, dass sein Handeln eine Missachtung des Gesetzes ist und er das Ergebnis seiner Tat billigend in Kauf nimmt.


Quelle: AG Straubing, Urt. v. 16.08.2021 - 9 OWi 705 Js 16602/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Abgasskandal: Voraussetzungen für den Rücktritt vom Kaufvertrag

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von VW hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug der Marke Škoda. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren dieses Typs im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von VW entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update. Der Kläger ließ das Software-Update jedoch nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

Der BGH entschied, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich - also verzichtbar - ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht worden ist. Auch der (bloße) Verdacht, dass ein zur Mängelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könne, zähle nicht. Hier bedarf es zunächst einer weitergehenden Prüfung und einer (sachverständigen) Feststellung. Ein Rücktritt setze grundsätzlich einen Sachmangel voraus. Ebenso müsse dazu eine erfolglose (angemessene) Fristsetzung zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) vorausgehen. Der Senat hat den Rechtsstreit daher zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Hinweis: Eine Fristsetzung ist nur entbehrlich, wenn dem Käufer eine Nacherfüllung unzumutbar ist oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Dies bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt. Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht ohne weiteres auf Fälle wie diesen übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalteinrichtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war.


Quelle: BGH, Urt. v. 29.09.2021 - VIII ZR 111/20
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Laden im Lockdown: Coronapandemie ist allein kein Grund für Zahlungseinstellung von Gewerberaummiete

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es ging um ein Geschäft, das während der COVID-19-Pandemie geschlossen werden musste. Das Unternehmen betrieb viele Warenhäuser, zahlte aber für eine Geschäftsfläche keine Miete mehr. Die Vermieterin klagte die Miete ein und war der Ansicht, dass ein Sachmangel an der Mietsache nicht bestehen würde - schließlich könnten die Räume frei genutzt werden.

Das LG gab der Vermieterin in der Tat Recht und urteilte, dass ein Anspruch auf Einstellung der Gewerberaummiete nach einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung nicht grundsätzlich besteht. Es kann wegen der Unwägbarkeiten in Erwägung gezogen werden, dass die Nachteile solidarisch von beiden Parteien getragen werden. Eine solche Anpassung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn das Festhalten am Vertrag für den Mieter unzumutbar sei. Hier hatte die Mieterin nicht genügend dazu vorgetragen. Zum einen waren nicht sämtliche Mitarbeiter in Kurzarbeit, zum anderen bestand die Möglichkeit des Online-Handels. Letztendlich widersprach das Verhalten der Mieterin den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns.

Hinweis: Der Bundesgerichtshof wird Mitte Januar zu dieser Problematik entscheiden. Es dürfte dabei stets auf den Einzelfall ankommen, ob Mieten während der Geschäftsschließungen in der Pandemie gezahlt werden müssen oder nicht.


Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 27.10.2021 - 18 O 184/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schwellenwert unterschritten: Automatische Auflösung der Schwerbehindertenvertretung

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

In einem Betrieb waren fünf schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Mitarbeiter beschäftigt. Deshalb wurde eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Sieben Monate später waren jedoch nur noch vier schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber war nun der Meinung, die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung sei durch das Unterschreiten des Schwellenwerts von fünf Arbeitnehmern beendet. Die Schwerbehindertenvertretung vertrat hingegen die Ansicht, dass sie ihre Amtszeit von vier Jahren voll ausschöpfen dürfe, und zog vor das Gericht.

Doch hier konnte das LAG der Schwerbehindertenvertretung leider nicht weiterhelfen. Denn das entsprechende Gesetz kenne hier schlicht und ergreifend keinen Übergangszeitraum. Mit Unterschreitung des Schwellenwerts nach § 177 Abs. 1 SGB IX endete daher die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung. Das Gesetz regelt nicht, dass es bei der Feststellung der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten ausschließlich auf den Zeitpunkt der Wahl ankommt.

Hinweis: Die Schwerbehindertenvertretungen sollten also aufpassen, dass ihre Amtszeit nicht durch ein Absinken der entsprechend Beschäftigten unterhalb des Schwellenwerts plötzlich endet. Helfen kann dabei, dass sämtliche schwerbehinderte Mitarbeiter ihre Schwerbehinderung auch tatsächlich gegenüber dem Arbeitgeber offenbaren.


Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 31.08.2021 - 4 TaBV 19/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Verkauf unrenovierter Wohnung: Ohne nachgewiesenen Mindererlös gibt es keinen Schadensersatz vom ehemaligen Mieter

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

In diesem Fall klagte ein Vermieter gegen seine ehemaligen Mieter. Er wollte Schadensersatz in Höhe von knapp 15.000 EUR für an der Wohnung entstandene Schäden, die die Mieter verursacht haben sollen. Die Mietwohnung hat der Vermieter zwischenzeitlich verkauft. Und das war ein Fehler.

Die vorhandenen Beschädigungen an der Mietwohnung hatte der ehemalige Vermieter nämlich gar nicht beseitigt, sondern die Wohnung mit den bestehenden Mängeln veräußert. Somit hat er auch keinen Vermögensverlust erlitten. Ob der Vermieter wegen der unterstellten Mängel einen Mindererlös erlitten hat, war für das AG unerheblich, weil er das nicht geltend gemacht hatte. Zudem war es durchaus möglich, dass ein solcher Mindererlös überhaupt nicht eingetreten ist.

Hinweis: Bei unterlassenen Schönheitsreparaturen geht es häufig um viel Geld. Da sollte der Rechtsanwalt des Vertrauens zuvor eingeschaltet werden. Das gilt für beide Seiten: sowohl für den Vermieter als auch für den Mieter.


Quelle: AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 27.05.2021 - 96 C 1358/19
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unterhaltspflichtiger im Ausland: Unterschiedliche Kaufkraft beider Länder muss bei Unterhaltsberechnung berücksichtigt werden

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Der Ehemann hatte nach der Trennung Deutschland verlassen. Er lebt und arbeitet seitdem in Norwegen und macht deshalb erheblich höhere Lebenshaltungs-, insbesondere Wohnkosten geltend. Die Kaufkraft sei schließlich in Norwegen nachweislich kleiner. Mit der in den Unterhaltsleitlinien vorgesehenen Warmmiete von 480 EUR könne er dort keine Wohnung bezahlen, so dass sein Selbstbehalt entsprechend zu erhöhen sei.

Das OLG hat daraufhin aus der Eurostat-Statistik die Lebenshaltungskosten ermittelt, danach das Einkommen beider Gatten ins Verhältnis gesetzt und dann hälftig verteilt. Der Wohnkostenanteil im Selbstbehalt musste damit nicht noch zusätzlich berücksichtigt werden.

Hinweis: Spielt der grenzüberschreitende Fall in Europa - aber nicht in Norwegen, Island oder der Schweiz -, ist die Zuständigkeit nach der Europäischen Unterhaltsverordnung zu beurteilen.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.09.2021 - 13 UF 89/18
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kosten eines Erbscheins: Nachlassgerichte dürfen grundsätzlich auf Grundbucheintragungen abstellen

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Besonderheit des Falls lag darin, dass sich der erfolglose Antragsteller im Erbscheinsverfahren darauf berief, dass die im Grundbuch eingetragenen Miteigentumsanteile an der Immobilie falsch waren, weshalb von einem geringeren Geschäftswert ausgegangen werden müsse.

Das OLG hat klargestellt, dass das Nachlassgericht im Grundsatz immer auf die Eintragungen im Grundbuch abstellen dürfe. Abweichungen hiervon seien aber dann zulässig, wenn die abweichenden Eigentumsverhältnisse zwischen allen Beteiligten unstreitig sind oder sich zweifelsfrei aus öffentlichen Urkunden ergeben. In allen anderen Fällen sei es nicht Aufgabe des Nachlassgerichts, eine streitige materielle Eigentumslage im Wertfestsetzungsverfahren selbst zu klären. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn das Grundbuchamt von Amts wegen einen Widerspruch im Grundbuch eingetragen hat. Das Nachlassgericht darf einen solchen Amtswiderspruch nicht einfach übergehen, es kann in einem solchen Fall die Wertfestsetzung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit des Widerspruchs aufschieben. Unbenommen bleibt dem Nachlassgericht, die Eigentumslage anhand einer summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu prüfen.

Hinweis: Ist die abweichende Eigentumslage bereits Gegenstand eines anderen gerichtlichen Verfahrens, wird das Verfahren zur Festsetzung des Verfahrenswerts im Allgemeinen ausgesetzt.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2021 - 3 Wx 173/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Keine Bindung an Beweisvorschrift: Grundbuchamt entscheidet frei, ob einem Verkauf eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Der vorverstorbene Vater hatte seine beiden Kinder zu Nacherben und dessen (mittlerweile ebenfalls verstorbene) Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt. Die Eheleute waren hälftig Miteigentümer einer neu errichteten Eigentumswohnung, die im Jahr 2004 für circa 210.000 EUR erworben wurde. Nachdem der Mann verstorben war, hatte die Frau mit notariellem Kaufvertrag aus dem Jahr 2015 die Eigentumswohnung veräußert. Dabei übertrug sie ihren eigenen Anteil schenkungsweise und den unter befreiter Vorerbschaft stehenden Miteigentumsanteil ihres Ehemanns gegen Zahlung eines Kaufpreises von 100.000 EUR. Ihr selbst wurde ein lebenslanges Wohnrecht in der Immobilie durch den Erwerber eingeräumt. Der Eigentümer sowie die Nacherben stritten sich in der Folge darüber, ob der Nacherbenvermerk im Grundbuch gelöscht werden müsse. Die Nacherben vertraten die Ansicht, dass das Wohnungseigentum unter Wert veräußert wurde, weshalb es aus der Nacherbschaft nicht frei geworden sei.

Das OLG führte zunächst aus, dass der befreite Vorerbe befugt sei, entgeltlich über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen. Eine solche Verfügung sei auch dann wirksam, wenn der Nacherbe ihr nicht zugestimmt hatte. Entsprechend scheidet die Immobilie mit dem Vollzug der von dem Vorerben erklärten Auflassung wirksam und endgültig aus dem Nachlass aus - der Nacherbenvermerk im Grundbuch ist zu löschen. Anstelle des veräußerten Grundstücks fällt die im Kaufvertrag vereinbarte Gegenleistung des Käufers in den Nachlass und steht nach Tod des Vorerben gemäß dessen Vermögenslage zu dem Zeitpunkt den Nacherben zu.

Ob eine Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Immobilie entgeltlich war - ihr also eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand - , kann das Grundbuchamt laut OLG anhand aller Umstände frei würdigen. Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn der Vorerbe einen Kaufpreis vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode maximal vertreten lässt. Zweifel ergeben sich nicht allein aus dem Umstand, dass verschiedene Wertgutachten zu unterschiedlichen Schätzpreisen gelangen.

Hinweis: Tritt der Nacherbfall ein, ist der für den Vorerben erteilte Erbschein unrichtig geworden. Dieser ist von Amts wegen bei Bekanntwerden der Umstände einzuziehen.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.09.2021 - 3 Wx 125/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Dreimonatszeitraum: Ablehnung von Brückenteilzeit bei Nichteinhaltung der Ankündigungsfrist

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Eine Mitarbeiterin beantragte am 22.01. eine Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 33 Stunden für ein Jahr ab dem 01.04. Doch ihr Arbeitgeber meinte, dass der Antrag unwirksam sei, da die Mitarbeiterin die dreimonatige Ankündigungsfrist nicht eingehalten habe. Außerdem lehnte er den Antrag wegen entgegenstehender dringender Betriebsgründe ab. Die Arbeitnehmerin meinte dagegen, ihr Antrag sei so auszulegen, als sei er zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt - nämlich drei Monate nach der Antragstellung. Schließlich klagte sie, doch das vergeblich.

Der Antrag auf Brückenteilzeit musste in Augen des BAG nicht auf einen späteren Beginn umgedeutet werden. Denn ein Arbeitgeber kann bei einem Antrag auf Brückenteilzeit nicht wissen, ob ein Arbeitnehmer die Brückenteilzeit insgesamt nach hinten verschieben will oder ob diese zum ursprünglich beantragten Termin enden soll.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten also genau darauf achten, den Dreimonatszeitraum bei einer Brückenteilzeit einzuhalten. Der Antrag auf Gewährung einer Brückenteilzeit ist mindestens drei Monate vor dem Beginn zu stellen.


Quelle: BAG, Urt. v. 07.09.2021 - 9 AZR 595/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Voneinander unabhängig: Unterschiedliche Verjährung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Die im Jahr 2014 verstorbene Erblasserin hinterließ mehrere Töchter sowie ein Testament, in dem sie eine Tochter sowie eine Enkelin zu Alleinerben eingesetzt hatte. Die nicht bedachten Töchter führten zunächst über mehrere Jahre einen Rechtsstreit vor dem Nachlassgericht im Rahmen der Erteilung eines Erbscheins. Im November 2016 entschied das Nachlassgericht, dass die testamentarische Verfügung der Erblasserin wirksam war, und erteilte einen entsprechenden Erbschein. Letztlich rechtskräftig wurde diese Entscheidung im Jahr 2019.

In einem Folgeprozess im September 2020 machten die nicht bedachten Töchter Auskunftsansprüche gegenüber den Erben zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen geltend. Bei den Pflichtteilergänzungsansprüchen ging es insbesondere um mögliche ausgleichspflichtige Schenkungen zu Lebzeiten der Erblasserin. Die Erben beriefen sich darauf, dass entsprechende Auskunftsansprüche verjährt seien, was das OLG zumindest teilweise bestätigt hat. Zu unterscheiden war zwischen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Grundsätzlich gilt auch für Ansprüche aus der Erbschaft, dass diese nach drei Jahren verjähren. Die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall, von der ihn beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung und von der Person des Erben erlangt hat oder zumindest hätte erlangen können.

Bezüglich der Pflichtteilsansprüche stellt das OLG auf den Beschluss des Nachlassgerichts im November 2016 ab. Die drei Voraussetzungen - insbesondere die Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung - hatten die Töchter damit bereits im November 2016 mit der Entscheidung des Nachlassgerichts. Entsprechende Ansprüche verjährten damit mit Ablauf des 31.12.2019, also vor Klageerhebung. Nicht verjährt waren hingegen die Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die Parteien stritten um die Frage von ausgleichspflichtigen Schenkungen durch die Erblasserin, wobei zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Erben nicht eingewandt haben, dass die Töchter Kenntnis von den Schenkungen gehabt hätten. Insoweit bejahte das Gericht den Auskunftsanspruch der Pflichtteilsberechtigten.

Hinweis: Die Verjährung muss als sogenannte Einrede ausdrücklich geltend gemacht werden. Sie wird nicht zwangsläufig im Rahmen eines Rechtsstreits von einem Gericht berücksichtigt.


Quelle: OLG München, Urt. v. 22.11.2021 - 33 U 2768/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Ermittlung ortsüblicher Vergleichsmieten: Selbstfinanzierte Ausstattung der Mietsache muss dauerhaft unberücksichtigt bleiben

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Eine Vermieterin verlangte eine Mieterhöhung für eine im Jahr 1918 erbaute Wohnung. Bei der Berechnung des Erhöhungsbetrags ging sie davon aus, dass die Wohnung mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist. Die Mieterin entgegnete jedoch, dass sie selbst die Zentralheizung damals eingebaut habe. Das müsse bei der Berechnung der Vergleichsmiete als Grundlage der Erhöhung entsprechende Berücksichtigung finden.

Das sah das AG ebenfalls so. Eine vom Mieter auf eigene Kosten geschaffene Ausstattung der Mietsache - wie hier die Heizung - bleibt bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete grundsätzlich auf Dauer unberücksichtigt.

Hinweis: Eine Mieterhöhung ist kein Buch mit sieben Siegeln. Im Zweifel kann ein Rechtsanwalt helfen und ein rechtssicheres Mieterhöhungsschreiben verfassen.


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 29.10.2021 - 49 C 119/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unzulässiger Anlockeffekt: Kontaktaufnahme nach "Geschenk"-Werbung darf nicht zur Kündigungsrücknahme missbraucht werden

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Ein Kunde hatte seinen Mobilfunkvertrag gekündigt. Daraufhin erhielt er eine E-Mail, in der ihm ein Geschenk in Form eines Datenvolumens von 1 GB unter der Bedingung versprochen wurde, dass er bei der Hotline anrufe. Nach Anruf bei eben jener Hotline stellte sich dann jedoch heraus, dass eine Freischaltung dieses Datenvolumens nur dann in Betracht käme, wenn der Mann seine Kündigung zurückziehe. Dagegen klagte der Dachverband der Verbraucherzentralen. Er hielt das Verhalten des Mobilfunkanbieters für unlauter - und das zu Recht.

Es ist laut OLG durchaus irreführend, wenn dem Kunden bei der ihm gegenüber beworbenen Kontaktaufnahme mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt werde, wenn er seine Kündigung zurücknähme. Ebenso sah das Gericht im Gegensatz zu der Argumentation des Mobilfunkunternehmens hier durchaus eine Wiederholungsgefahr. Zwar hatte der Mobilfunkanbieter geltend gemacht, es habe sich um einen "Ausreißer" gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe - das ließ das Gericht jedoch nicht gelten.

Hinweis: Kunden sollten sich bei Abschluss längerfristiger Verträge stets die genaue Kündigungsfrist notieren. So können die Verträge rechtzeitig gekündigt werden, ohne dass Termine und Fristen verpasst werden.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.09.2021 - 6 U 133/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angelegenheit der elterlichen Sorge: Behörde muss die Impfpflicht gegenüber beiden Sorgeberechtigten durchsetzen

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Die Eltern eines achtjährigen Kindes waren offensichtlich Impfgegner und bestritten die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Regelungen des Infektionsschutgesetzes (IfSG). Sie waren der Behörde schon mit einer unrichtigen Impfbescheinigung und einer nicht akzeptierten Impfunfähigkeitsbescheinigung aufgefallen. Dann hatten sie eine Blutprobe eingereicht, die die Immunität des Kindes nachweisen sollte, wobei Zweifel bestanden, dass es sich um das Blut des Kindes handelte.

Vor dem OVG ging es um etliche rechtliche Aspekte, aber auch um einen familienrechtlichen: Die Behörde hatte ihre Bescheide nämlich nur an den Vater adressiert, nicht aber auch an die Mutter. Die Eltern lebten mit dem Kind zusammen und waren beide sorgeberechtigt. Da Impfentscheidungen aber eine Angelegenheit der elterlichen Sorge sind, über die nur beide gemeinsam entscheiden können, bedarf es einer behördlichen Anordnung gegenüber beiden gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen.

Hinweis: Die ergangene Rechtsprechung zur Impfpflicht gegen Masern wird sich auf die eventuelle Impfpflicht gegen COVID-19 übertragen lassen.


Quelle: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.10.2021 - 3 M 134/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angeblicher EC-Kartendiebstahl: Anscheinsbeweis zu nicht ausreichend geschützter PIN ist schwer zu entkräften

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Eine Bank hatte einer Kundin eine EC-Karte zur Verfügung gestellt. Damit konnte die Frau unter Einsatz der ihr mitgeteilten PIN Bargeldabhebungen an Geldautomaten vornehmen. Eines Tages wurden innerhalb einer Stunde an einem Geldautomaten drei Bargeldauszahlungen in Höhe von insgesamt 990 EUR vorgenommen. Das Geld wurde vom Konto der Kundin abgebucht, die erst rund fünf Stunden nach der Abbuchung die Karte sperren ließ. Dabei gab sie an, dass ihr die Karte gestohlen worden sei, und forderte ihre Bank auf, die ihr die abgebuchten Beträge zu erstatten. Die Bank lehnte das ab. Die Bargeldabhebung sei schließlich nur mit der Original-EC-Karte durch Eingabe der PIN möglich. Deshalb gebe es für die Bank einen Anscheinsbeweis dafür, dass derjenige, der das Geld abgehoben habe, Kenntnis von der PIN gehabt haben muss, weil diese nicht ausreichend geheim gehalten worden sei. Das wollte die Bankkundin nicht auf sich sitzen lassen, da sie in dem Umstand, dass sich die Bank auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft, eine wissentliche unlautere Irreführung sah. Jedenfalls wurde die Bank verklagt, es zu unterlassen, das Geld nicht zu erstatten und sich auf den Anscheinsbeweis zu berufen, dass sie als Karteninhaberin die PIN nicht ausreichend geheim gehalten habe.

Das OLG sah sei jedoch keine Irreführung durch das Berufen auf Anscheinsbeweis bei angeblich entwendeten EC-Karten. Eine irreführende geschäftliche Handlung liege nicht vor, wenn sich eine Bank zur Abwehr von Ansprüchen eines Kunden auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft.

Hinweis: Haben Sie eigentlich die Telefonnummer zum Sperren ihrer Kontokarten immer parat? Denn nach Diebstahl oder anderweitigem Verlust der Bankkarten gilt es stets, die Karte schnellstmöglich sperren zu lassen. Notieren Sie sich deshalb die Rufnummer zur Sperrung Ihrer Karte.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.09.2021 - 6 U 68/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutter dankt mit Grundstück: Wer seine Eltern pflegt, darf Schenkung erhalten

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

In dem zum entschiedenen Fall hatte ein Ehepaar im Jahr 1996 ein Testament errichtet, in dem es sich zunächst wechselseitig zu Alleinerben und die drei gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt hat. Darüber hinaus war verfügt, dass ein Sohn ein Grundstück als Erbe erhalten sollte. Nach dem Tode des Ehemanns schenkte die überlebende Erblasserin ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück, das eigentlich testamentarisch für den Sohn vorgesehen war, ihrer Tochter. Darüber hinaus wurde ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für das Grundstück im Grundbuch eingetragen. Nach dem Tod der Mutter stritten die Geschwister folglich über die Rechtmäßigkeit dieser Schenkung. Der Bruder forderte von seiner Schwester die Übertragung des Grundstücks an ihn sowie die Bewilligung der Löschung des Wohnrechts.

Das LG hat die Klage des Bruders allerdings abgewiesen. Denn ein Anspruch bestehe laut Gericht nur dann, wenn die Mutter als Erblasserin die Schenkung ausschließlich zur Beeinträchtigung des Erbes des Sohns vorgenommen hätte, es sich somit um eine missbräuchliche Verfügung gehandelt hätte. Hiervon könne nicht ausgegangen werden, da die Erblasserin im Eigeninteresse gehandelt hatte. Nach erfolgter Beweisaufnahme ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tochter sowohl vor der Übertragung als auch im Gegenzug für die Schenkung Pflegeleistungen in erheblichem Umfang erbracht habe.

Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.


Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 18.11.2021 - 1 O 222/18
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mülltonnen auf Radweg: Rechtzeitig erkennbare Gefahren stellen keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Ein Mann war auf seinem Rad auf einem Radweg unterwegs, als er eben dort zwei Mülltonnen erblickte. Sein Versuch, diesen mit knappem Abstand auszuweichen, misslang - er fuhr gegen eine der Mülltonnen, stürzte und verletzte sich daraufhin schwer. Von dem zuständigen Abfallentsorgungsunternehmen verlangte er daraufhin Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Die Antwort auf die Frage, wie es zu dem Unfall habe kommen können, lag für das LG nahe: Die Klage hatte wegen ganz überwiegenden Mitverschuldens des Radfahrers keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts kann das Abstellen von Mülltonnen auf einem Radweg selbstverständlich durchaus eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellen. Denn die Tonnen seien ein "ruhendes Hindernis", durch das der Verkehrsfluss erheblich beeinträchtigt werde. Wenn aber das ruhende Hindernis schon von Weitem erkennbar ist, muss der Radfahrer diesem mit einem ausreichenden Seitenabstand ausweichen. Hält er diesen Abstand nicht ein und stürzt, ist der Sturz nicht auf die in dem Hindernis liegende Gefahr, sondern ganz überwiegend auf seine eigene grob fahrlässige Fahrweise zurückzuführen. Auch hier habe der Radfahrer den Mülltonnen weiträumig ausweichen können, sich jedoch bewusst dazu entschieden, an diesen so knapp vorbeizufahren, dass es erst zu dem Sturz habe kommen können.

Hinweis: Verkehrssicherungspflichten dienen nur der Beseitigung von Gefahren, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht rechtzeitig erkennbar sind. Erkennbare Gefahren, vor denen man sich ohne weiteres selbst schützen kann, lösen keine Verkehrssicherungspflicht aus. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen kann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn das Handeln des Geschädigten von ganz besonderer, schlechthin unverständlicher Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.


Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.09.2021 - 4 O 25/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutwillige Klage: Vor dem Gang vors Familiengericht sollte ein Einigungsversuch durch andere Stellen stehen

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Eine Kinderärztin hatte die Frühförderung eines Kindes empfohlen, aber der Vater hatte nicht zugestimmt. Darauf beantragte die Mutter beim Familiengericht, dies allein entscheiden zu dürfen. Weil sie sich keinen Anwalt leisten konnte, beantragte sie dafür VKH. Das in der Sache zuständige Amtsgericht (AG) wollte zunächst wissen, ob es eine gemeinsame Beratung der Eltern beim Jugendamt gegeben habe, was verneint wurde. Im weiteren Verlauf stimmte der Vater außergerichtlich der Frühförderung zu und erklärte, er sei nie dagegen gewesen, sondern habe sich nicht gut informiert gefühlt. Das Verfahren war somit zwar erledigt, aber die Kosten des Anwalts der Mutter waren jedoch noch offen. Diese Kosten bekam die Mutter auch nicht von der Staatskasse - nicht nach dem AG und nicht nach dem OLG.

Es ist letztendlich auch laut OLG mutwillig gewesen, sofort zu klagen, statt zuerst kostenfreie Angebote - beispielsweise durch das Jugendamt - zu nutzen, wie es auch Selbstzahler getan hätten. Erst wenn außergerichtliche Bemühungen fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos sind oder gar eine besondere Dringlichkeit besteht, ist die VKH grundsätzlich zu gewähren.

Hinweis: In vielen Städten hat das Jugendamt die Elternberatung an freie Träger delegiert. Sie müssen regional klären, welche Voraussetzungen an den vergeblichen Einigungsversuch geknüpft werden, und dazu auch dem Gericht etwas vortragen. Das betrifft alle Kindschaftssachen wie das Sorge- und Umgangsrecht.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.11.2021 - 13 WF 189/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unerfahrene Reiterin: Auf eigenes Fehlverhalten zurückzuführender Schaden schließt Schmerzensgeldanspruch aus

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Eine nicht sonderlich reiterfahrene Frau stieg auf den Rücken eines Pferds, das sichtlich nervös war. Die Reiterin rutschte schließlich mit dem Fuß aus dem Steigbügel und hatte deshalb absteigen müssen. Nach dem Wiederaufstieg aufs Pferd wechselte dieses vom Trab in den Galopp. Dabei fiel die Frau vom Pferd und prallte mit dem Kopf gegen einen Holzpfosten. Sie litt nach der Bewusstlosigkeit an einem Schädel-Hirn-Trauma und verlangte Schmerzensgeld von der Halterin des Pferds. Diese jedoch meinte, die Reiterin habe dem Tier durch ein Anpressen der Beine den Befehl zum Galopp gegeben. Insoweit habe das Tier lediglich gehorcht. Der Unfall beruhe daher nicht auf einer Tiergefahr, sondern auf einem Reitfehler. Eine Zeugin hatte ausgesagt, das Tier sei ganz normal und sanft in den Galopp übergegangen. Die gegnerische Tierhalterhaftpflichtversicherung hatte der Reiterin bereits freiwillig 2.000 EUR Schmerzensgeld gezahlt. Die Frau wollte jedoch mehr Geld - vergeblich.

Denn laut Beweisaufnahme durch das OLG war es auch möglich, dass die Reiterin tatsächlich aus Unsicherheit die Beine angepresst und damit dem Pferd den Befehl zum Galopp gegeben habe, ohne dies eigentlich zu wollen. Damit konnte nicht festgestellt werden, dass sich eine Tiergefahr verwirklicht hat. Das wäre jedoch für eine Zahlung von Schmerzensgeld erforderlich gewesen.

Hinweis: Es ist stets sinnvoll, die Gefahren, die von einem Tier ausgehen, zu versichern. Das gilt insbesondere bei Pferden und Hunden. Wenn es dann einmal zu einem Schaden kommt, steht eine Versicherung hinter dem Halter.


Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 19.10.2021 - 2 U 106/21
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kindeswohl im Mittelpunkt: Eine Steigerung des Umgangs auf hälftiges Wechselmodell trotz elterlicher Uneinigkeit möglich

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Es ging um ein siebenjähriges Mädchen, das als Zweijährige nach der Trennung der Eltern beim Vater auf dessen Bauernhof wohnen blieb, während die Mutter weiter weg zog. Anfangs hatte die Mutter alle 14 Tage Umgang an einem kurzen Wochenende. Schließlich zog die die Mutter wieder in die Nähe des Vaters und wünschte sich ein paritätisches Wechselmodell. Zunächst bekam sie einen erweiterten Umgang; 14-tägig freitags bis dienstags, schließlich bis mittwochs. Der Vater meinte, dies würde ausreichen, und betonte, dass es für das Kind wichtig sei, einen Lebensmittelpunkt zu haben.

Das mit der Sache zuerst befasste Amtsgericht stellte jedoch fest, dass der im Laufe des Verfahrens ausgedehnte Umgang nicht zu einer Überforderung des Kindes geführt habe. Es sei mit beiden Familiensystemen (Stiefeltern, Stiefgeschwister, Großeltern) vertraut und komme damit zurecht. Die abstrakte Forderung des Kindesvaters nach einem Lebensmittelpunkt reiche nicht aus, um ein Wechselmodell in Frage zu stellen. Der Verfahrensbeistand unterstützte die Mutter: Das Wechselmodell erhöhe die Erziehungskontinuität zu beiden Eltern. Es führe bei dem Kind zu mehr emotionaler Stabilität und Sicherheit, bei beiden Eltern leben zu dürfen, und gewährleiste eine gedeihliche Identitätsentwicklung. Auch das Jugendamt hatte sich für ein Wechselmodell ausgesprochen, weil die gute Bindung zu beiden Elternteilen hierdurch gleichermaßen gepflegt und gefördert werden könne.

Auch für das OLG war das Wechselmodell die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Umgangsregelung. Keine Voraussetzung für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist nämlich, dass sich die Kindeseltern über die Wahl dieses Betreuungsmodells einig sind.

Hier gab es zu beiden Eltern eine sichere Bindung und bei der Mutter auch schon erlebten Alltag. Das Mädchen habe begeistert von ihrem Leben in beiden Haushalten und den jeweiligen Urlauben mit beiden Elternfamilien berichtet. Hierbei kamen keinerlei Präferenzen für das Leben in dem einen oder dem anderen Haushalt zum Ausdruck. Sie vermisse jeweils den Elternteil, bei dem sie sich gerade nicht aufhalte. Wenn für das Kind nach seinen Bekundungen beide Elternteile gleichermaßen von Bedeutung sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn diese Bindung an beide Elternteile mit einer paritätischen Betreuung gestärkt und aufrechterhalten wird. Die organisatorischen Schwierigkeiten seien überschaubar und nicht viel höher als beim jetzigen Modell. Nach Ansicht des OLG überwiegen die Vorteile des Wechselmodells. Die Auffassung des Kindesvaters, das Kind benötige einen Lebensmittelpunkt, werde nicht durch human- oder sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse abstrakt gestützt. Positiv war die Feststellung, dass beim Kind kein Loyalitätskonflikt erkannt werden konnte. Die erforderliche grundlegende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern war vorhanden.

Hinweis: In der Praxis sind es zumeist die Väter, die statt eines Wochenend- oder erweiterten Umgangs ein Wechselmodell einklagen. Dabei scheitert das Wechselmodell in der Regel an der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern und dem darauf beruhenden Loyalitätskonflikt der Kinder, ohne dass es darauf ankommt, wer den Konflikt verursacht.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.10.2021 - 6 UF 14/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mängelgewährleistungsrecht beim Pferdekauf: Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen nicht automatisch für eine chronische Erkrankung

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Es ging um den Kauf eines Hengstes für 65.000 EUR von einem Zucht- und Ausbildungsstall. Das Tier wurde ärztlich untersucht, besichtigt und reiterlich erprobt. Drei Monate nach dem Kauf kam es plötzlich zu Problemen: Eine Tierärztin diagnostiziert dabei unter anderem einen offenen rechten Maulwinkel. Zweieinhalb Jahre später trat die Käuferin vom Kaufvertrag zurück und behauptete, dass das Pferd bereits bei Übergabe diese Probleme gehabt habe. Es würde schließlich eine Vernarbung in der Mundhöhle vorliegen. Daher klagte sie die Rückabwicklung des Kaufvertrags ein. Recht erhielt sie jedoch nicht.

Das OLG meinte, Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen für sich genommen nicht für eine chronische Erkrankung. Es handelt sich vielmehr um einen Befund, der aufgrund reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Damit lag für die Richter der Mangel bei der Übergabe des Pferds noch nicht vor - und eine Rückabwicklung kam nicht in Betracht. Die Käuferin musste das Pferd behalten und hatte auch keine weiteren Ansprüche auf Schadensersatz, Aufwendungen für Unterhalt, Tierarztkosten und Transport.

Hinweis: Tiere sind im deutschen Recht zwar keine Sachen, sie werden aber als solche behandelt. Deshalb kommt das Mängelgewährleistungsrecht auch bei Tieren zur Anwendung.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 14.09.2021 - 6 U 127/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)