Vorbeugung von Missbrauch: Festivalbetreiber darf Rücktauschfrist und Betragsgrenze von Token festsetzen

Ein Token - einst der Begriff für einen frühgeschichtlichen Rechenstein - hat sich heute zwar ins Digitale verflüchtigt, dabei aber nicht an Wert verloren. So gelten Bitcoins als Token oder auch Wertmarken auf Festivals - eine praktische Sache für beide Seiten an den dortigen Verkaufstheken. Was aber damit passiert, wenn man zu viel davon gekauft hat und nach der Veranstaltung weder Lust noch Zeit für einen sofortigen Umtausch hat, musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) entscheiden.

Ein Token - einst der Begriff für einen frühgeschichtlichen Rechenstein - hat sich heute zwar ins Digitale verflüchtigt, dabei aber nicht an Wert verloren. So gelten Bitcoins als Token oder auch Wertmarken auf Festivals - eine praktische Sache für beide Seiten an den dortigen Verkaufstheken. Was aber damit passiert, wenn man zu viel davon gekauft hat und nach der Veranstaltung weder Lust noch Zeit für einen sofortigen Umtausch hat, musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) entscheiden.

Bei einem großen Musikfestival durften Besucher nur mit speziellen Token bezahlen, etwa für Essen und Getränke. Diese Token konnte man nur direkt auf dem Festivalgelände kaufen - und auch nur dort wieder zurücktauschen. Die Regeln des Veranstalters sahen vor: Der Rücktausch ist nur während der Öffnungszeiten an den Festivalkassen und nur bis zu einem Höchstwert von 50 EUR möglich. Nach dem Festival oder im nächsten Jahr ist eine Rückgabe nicht mehr erlaubt. Ein Verbraucherschutzverband klagte dagegen. Die Begründung: Gerade am Ende des Festivals sei der Andrang groß. Manche könnten ihre restlichen Token nicht mehr loswerden - zum Beispiel, weil sie schnell zum Zug müssten. Auch die Grenze von 50 EUR sei unfair, da die Besucher vorab nicht wissen könnten, wie viel sie auf dem Gelände brauchen.

Das OLG sah das anders. Es hielt die Regelungen durchaus für rechtens. Die Rücktauschfrist sei zugegeben zwar kurz, deshalb aber nicht automatisch unangemessen. Besucher wüssten schließlich vorher, dass die Token nur auf dem aktuellen Festival gelten. Außerdem sei ein späterer Rücktausch aufwendig - und zwar für beide Seiten. Eine Rückgabe nach dem Festival oder gar erst im nächsten Jahr würde zudem die Gefahr erhöhen, dass gefälschte Token auftauchen. Auch die Grenze von 50 EUR sei verständlich. Laut Veranstalter geben die meisten Besucher sowieso höchstens 35 EUR pro Tag aus. Wer deutlich mehr Token zurückgeben wolle, handle daher eher ungewöhnlich - was ein Hinweis auf Missbrauch sein könne.

Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht endgültig. Der Bundesgerichtshof soll in der nächsten Instanz klären, ob solche Fristen grundsätzlich erlaubt sind.


Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.04.2025 - I-20 UKl 9/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2025)

Bitte setzen! Hitzeschützende Fußmatten gehören nicht zur Verkehrssicherungspflicht von Dampfsaunabetreibern

Haben Sie schon längere Zeit in einer Sauna gestanden oder andere dort stehend verweilen sehen? Der folgende Fall des Landgerichts Coburg (LG) macht klar, warum das aller Wahrscheinlichkeit nicht so ist. Die folglich zu klärende Frage war, ob ein Saunabetreiber für Verbrennungen an den Füßen eines Gastes haften muss, der beim Verlassen einer Sauna länger stehenblieb und sich dabei verletzt hatte.

Haben Sie schon längere Zeit in einer Sauna gestanden oder andere dort stehend verweilen sehen? Der folgende Fall des Landgerichts Coburg (LG) macht klar, warum das aller Wahrscheinlichkeit nicht so ist. Die folglich zu klärende Frage war, ob ein Saunabetreiber für Verbrennungen an den Füßen eines Gastes haften muss, der beim Verlassen einer Sauna länger stehenblieb und sich dabei verletzt hatte.

Ein Mann wollte sich in einer Sauna entspannen, die etwa 90 °C Betriebstemperatur aufwies. Beim Hinausgehen blieb der Mann noch ein bis zwei Minuten auf den Kunststoffmatten in der Nähe des heißen Saunaofens stehen, um mit einem Bekannten zu plaudern. Kurz darauf schmerzten seine Füße, und es stellte sich heraus, dass er sich beim abschließenden Schwätzchen Verbrennungen zugezogen hatte, die ärztlich behandelt werden mussten. Der Mann verlangte daraufhin 5.000 EUR Schmerzensgeld vom Betreiber der Saunalandschaft, da er meinte, der Boden sei zu heiß gewesen und die Kunststoffmatten hätten ihn nicht vor der Hitze geschützt.

Das LG wies die Klage jedoch ab. Das Gericht war der Auffassung, dass der Betreiber keine Schuld trägt. Die Temperaturen am Boden seien mit 55 °C bis 60 °C für diese Art Sauna normal. Die Matten seien rutschfest und damit für ihren eigentlichen Zweck geeignet gewesen - Hitzeschutz gehörte nicht dazu. Außerdem sei es unüblich, lange an einer Stelle auf dem heißen Boden zu stehen. Die Sauna sei ein Ort der Ruhe - kein Platz für längere Gespräche. Dass es bei langem Stehen zu Verbrennungen kommen kann, sei jedem klar. Der Betreiber müsse daher auch keine besonderen Schutzmaßnahmen für solche Situationen treffen.

Hinweis: Die Sauna ist kein Treffpunkt für Smalltalk im Stehen, sondern dient der Entspannung. Wer zu lange steht, riskiert Verletzungen. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.


Quelle: LG Coburg, Urt. v. 18.11.2024 - 52 O 439/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2025)

Keine absolute Gewissheit: Bei Echtheitsprüfung von handschriftlichem Testament entscheidet brauchbarer Grad an Gewissheit

Ein handschriftliches Testament setzt zu seiner Formwirksamkeit voraus, dass dieses vollständig handschriftlich erstellt worden ist. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) stritten sich die Brüder des Erblassers mit der als Erben eingesetzten Lebensgefährtin um genau dieses Formerfordernis.

Ein handschriftliches Testament setzt zu seiner Formwirksamkeit voraus, dass dieses vollständig handschriftlich erstellt worden ist. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) stritten sich die Brüder des Erblassers mit der als Erben eingesetzten Lebensgefährtin um genau dieses Formerfordernis.

Der Erblasser errichtete im Jahr 2018 ein Schriftstück, das mit "Testament Mein letzter Wille" überschrieben, vollständig handschriftlich erstellt und mit Datum versehen war und den handschriftlichen Namenszug des Erblassers enthielt. In diesem Schriftstück setzte der Erblasser seine Lebensgefährtin sowie deren Sohn als Erben ein. Nach Einholung eines Schriftvergleichsgutachtens erteilte das Nachlassgericht den beantragten Erbschein zugunsten der Lebensgefährtin sowie von deren Sohn. Hiergegen richtete sich die Beschwerde der Brüder. Diese stellten nach wie vor die Echtheit des Testaments in Frage und unterstellten der Erbin, die in der Vergangenheit Schreibarbeiten für den Erblasser erledigt hatte, dass diese möglicherweise nicht nur das Testament, sondern auch die dem Gutachten zugrundeliegenden Vergleichstexte erstellt habe.

Das OLG wies die Beschwerde zurück. Maßgeblich für die Entscheidung sei es, dass das Gericht von der Echtheit und der Eigenhändigkeit der Erklärung überzeugt sei. Im Rahmen einer Echtheitsprüfung sei keine absolute Gewissheit im naturwissenschaftlichen Sinne erforderlich. Ausreichend sei vielmehr ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifel ausschließe. Hierfür erfülle das Sachverständigengutachten alle Anforderungen. Anhaltspunkte, die weitere Ermittlungen durch das Gericht hätten erforderlich machen können, lagen nicht vor. Insbesondere können die pauschalen Hinweise auf eine mögliche Fälschung Zweifel an der Echtheit des Testaments nicht begründen.

Hinweis: Im Erbscheinsverfahren wird die Gültigkeit eines Testaments von Amts wegen geprüft.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 05.05.2025 - 3 W 80/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Unentbehrlicher Hinweis: Gericht verletzt Hinweispflicht auf mögliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehung

Es macht einen großen Unterschied, wessen man beschuldigt wird - ob der Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes. Was einem im schlimmsten Fall blühen kann, muss man als Beschuldigter schließlich wissen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) war es dem Wiederholungstäter und seinem Anwalt erst gar nicht möglich gewesen, sich ordentlich vorzubereiten. Und zwar nicht, weil beide nicht erschienen waren, sondern wegen einer Nachlässigkeit des Amtsgerichts (AG).

Es macht einen großen Unterschied, wessen man beschuldigt wird - ob der Fahrlässigkeit oder des Vorsatzes. Was einem im schlimmsten Fall blühen kann, muss man als Beschuldigter schließlich wissen. Im Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) war es dem Wiederholungstäter und seinem Anwalt erst gar nicht möglich gewesen, sich ordentlich vorzubereiten. Und zwar nicht, weil beide nicht erschienen waren, sondern wegen einer Nachlässigkeit des Amtsgerichts (AG).

Ein Autofahrer wurde mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 42 km/h erwischt, so dass gegen ihn ein Bußgeldbescheid in Höhe von 385 EUR und einem Monat Fahrverbot erging. Das Bußgeld war aufgrund mehrerer Voreintragungen erhöht worden, weil eine fahrlässige Begehungsweise zugrunde gelegt wurde. Gegen diesen Bescheid legte der Betroffene Einspruch ein.

Vor dem Hauptverhandlungstermin wies das zunächst zuständige AG darauf hin, dass aufgrund der Beschilderung durch sogenannte Geschwindigkeitstrichter eine Erhöhung der Geldbuße wegen "grob fahrlässiger" Begehungsweise erfolgen könnte. Da weder der Betroffene noch der Verteidiger erschien, wurde in Abwesenheit verhandelt und im Protokoll darauf verwiesen, "dass die Problematik der vorsätzlichen Begehung" erörtert wurde. Daraufhin erfolgte eine Verurteilung zu einem Bußgeld in Höhe von 640 EUR wegen vorsätzlicher Begehung. Der Betroffene legte Rechtsbeschwerde ein, er sei zuvor nicht informiert worden, dass zudem ein Vorsatz im Raum stehe.

Das OLG gab dem Betroffenen Recht. Das AG war seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, auf die mögliche Verurteilung wegen Vorsatzes hinzuweisen. Der Hinweis sei nicht entbehrlich gewesen, da sich aus der Bußgeldhöhe ergeben habe, dass die Bußgeldstelle von einer fahrlässigen Begehung ausgegangen sei. Außerdem habe das Gericht in seiner Ladung auf die Möglichkeit der Verurteilung wegen "grober Fahrlässigkeit" hingewiesen, daher habe der Betroffene erst recht darauf vertrauen dürfen, nicht wegen Vorsatzes verurteilt zu werden. Die Erörterung in Abwesenheit genüge nicht. Das Urteil wurde durch das OLG daher aufgehoben und an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Hinweis: Hat das Gericht den Betroffenen und seinen Verteidiger in der Ladungsverfügung auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen grober Fahrlässigkeit hingewiesen, nicht aber auf eine solche wegen Vorsatzes, darf der Betroffene mit Blick auf diesen Hinweis darauf vertrauen, nicht wegen einer Vorsatztat verurteilt zu werden.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 10.02.2025 - 1 ORbs 4/25
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Wohnungseigentümerversammlung: Einladung durch falsche Person macht getroffene Beschlüsse nicht automatisch unwirksam

Was sich auf den ersten Blick liest wie ein Bruderzwist, ist für Eigentümer mit lediglich Miteigentumsanteilen nicht uninteressant. Aber auch alle anderen Eigentümer von Wohneigentum sollten sich das folgende Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (LG) gut merken. Denn es geht einmal mehr um Beschlüsse einer Wohnungseigentümerversammlung und deren Gültigkeit.

Was sich auf den ersten Blick liest wie ein Bruderzwist, ist für Eigentümer mit lediglich Miteigentumsanteilen nicht uninteressant. Aber auch alle anderen Eigentümer von Wohneigentum sollten sich das folgende Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main (LG) gut merken. Denn es geht einmal mehr um Beschlüsse einer Wohnungseigentümerversammlung und deren Gültigkeit.

Eine Wohnung gehörte gleich zwei Eigentümern, die miteinander verbrüdert waren. Einen Verwalter hatten beide für die gemeinsame Wohnung nicht. Schließlich lud einer der beiden zur Versammlung ein, obwohl er dazu eigentlich nicht berechtigt gewesen war. Der andere Eigentümer kam nicht, der Einladende hielt die Versammlung allein ab und traf dabei gleich mehrere Entscheidungen. Man ahnt es: Der andere Eigentümer wollte die Beschlüsse für nichtig erklären lassen.

Das LG lehnte das ab. Zwar hätte der einladende Eigentümer laut Gesetz nur dann zur Versammlung einladen dürfen, wenn er vorher durch Beschluss dazu ermächtigt worden wäre - was nicht der Fall war -, trotzdem bedeutet das nicht automatisch, dass die gefassten Beschlüsse ungültig sind. Eine Einladung durch einen unbefugten Eigentümer führe nämlich nur dann zur Nichtigkeit, wenn ein unbeteiligter Dritter eingeladen hätte oder die Regeln systematisch missachtet würden - etwa durch ständiges Einladen ohne Ermächtigung. Außerdem wurde die Klage zu spät und zunächst gegen die falsche Partei eingereicht. Auch das war ein Grund, warum sie keinen Erfolg hatte.

Hinweis: Nicht jede falsche Einladung macht die Eigentümerversammlung unwirksam. Nur wenn jemand völlig Außenstehendes einlädt, kann das zu einer Nichtigkeit führen. Wer Beschlüsse anfechten will, muss das rechtzeitig und gegen die richtige Partei tun.


Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 23.01.2025 - 2-13 S 71/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Schlappe für Vermieterin: Konsulatsvertrag von 1929 führt zur Unzuständigkeit des Nachlassgerichts

Eine Nachlasspflegschaft kann dann angeordnet werden, wenn der Nachlass in besonderen Situationen gesichert oder verwaltet werden muss - insbesondere, wenn unklar ist, wer Erbe geworden ist. Dass das Mittel der Nachlasspflegschaft jedoch nicht immer zum Ziel führt, musste die Vermieterin einer im Jahr 2023 verstorbenen Erblasserin vor dem Oberlandesgericht München (OLG) feststellen.

Eine Nachlasspflegschaft kann dann angeordnet werden, wenn der Nachlass in besonderen Situationen gesichert oder verwaltet werden muss - insbesondere, wenn unklar ist, wer Erbe geworden ist. Dass das Mittel der Nachlasspflegschaft jedoch nicht immer zum Ziel führt, musste die Vermieterin einer im Jahr 2023 verstorbenen Erblasserin vor dem Oberlandesgericht München (OLG) feststellen.

Die Erblasserin, eine türkische Staatsangehörige mit letztem Wohnsitz in München, verstarb im Jahr 2023. Sowohl die Kinder als auch der Enkel schlugen die Erbschaft aus. Die ehemalige Vermieterin der Erblasserin beantragte daher mehrfach die Anordnung einer Nachlasspflegschaft, da die Wohnung nach dem Tod der Erblasserin mehrere Monate leer stand und keine Räumung erfolgen konnte. Das türkische Generalkonsulat in München hatte dem Nachlassgericht mitgeteilt, dass es unter Bezugnahme auf einen Konsularvertrag zwischen der Türkischen Republik und dem Deutschen Reich aus dem Jahr 1929 die Regelung des beweglichen Nachlasses übernehme. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch das Nachlassgericht erklärte das Konsulat keine Freigabe des Nachlasses. Das Amtsgericht München wies daraufhin die Anträge der Vermieterin zurück und begründete dies mit einer Unzuständigkeit des Nachlassgerichts.

Die von der Vermieterin hiergegen eingelegte Beschwerde blieb vor dem OLG erfolglos. Denn laut Konsulatsvertrag von 1929 hat der türkische Konsul das Recht, die Regelung des beweglichen Nachlasses türkischer Staatsangehöriger zu übernehmen. Sobald das Konsulat dies erklärt hat, geht die Zuständigkeit für alle Maßnahmen auf eben dieses Konsulat über. Dies umfasst insbesondere die Ergreifung von Maßnahmen im Interesse der Erben sowie alle Maßnahmen zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Verpflichtungen. Der Vorrang des Konsulatsvertrags führt dann zur Unzuständigkeit des deutschen Nachlassgerichts.

Hinweis: Eine Zuständigkeit des Nachlassgerichts kann erst dann wieder entstehen, wenn das Konsulat die Nachlasssache freigibt. Mietrechtliche Ansprüche der Vermieterin müssen auf dem Zivilrechtsweg geltend gemacht werden.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 07.05.2025 - 33 Wx 337/24 e
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Trotz Schließfachverwahrung: Testament ist durch mittiges Durchreißen wirksam widerrufen worden

Ein Testament kann dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet. Ob sich hieran etwas ändert, wenn der Erblasser ein Testament zwar zerreißt, dieses zerrissene Testament jedoch weiterhin in seinem Schließfach verwahrt, beschäftigte im Folgenden sowohl die (möglichen) Erben als auch schließlich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).

Ein Testament kann dadurch widerrufen werden, dass der Erblasser die Testamentsurkunde vernichtet. Ob sich hieran etwas ändert, wenn der Erblasser ein Testament zwar zerreißt, dieses zerrissene Testament jedoch weiterhin in seinem Schließfach verwahrt, beschäftigte im Folgenden sowohl die (möglichen) Erben als auch schließlich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).

Der Erblasser war zweimal verheiratet und kinderlos geblieben. Nach seinem Tod beantragte dessen Ehefrau unter Berufung auf die gesetzliche Erbfolge einen gemeinschaftlichen Erbschein. Später wurde im Bankschließfach des Erblassers ein handschriftliches Testament aus dem Jahr 2011 gefunden, laut dem ein langjähriger Freund des Erblassers Alleinerbe werden solle. Obwohl dieses Testament in zwei Hälften zerrissen worden war, beantragte der Freund des Erblassers die Einziehung des ausgestellten Erbscheins.

Sowohl das Nachlassgericht als auch das OLG wiesen diesen Antrag jedoch zurück. Das mittige Zerreißen des Testaments sei eindeutig eine Vernichtung des Dokuments. Die unregelmäßigen Trennränder waren ein deutliches Anzeichen für ein manuelles Zerreißen und nicht für eine versehentliche Beschädigung. Hierdurch werde gesetzlich vermutet, dass der Erblasser beim Zerreißen die Absicht hatte, das Testament zu widerrufen. Diese gesetzliche Vermutung konnte in diesem Fall auch nicht widerlegt werden. Allein aus der Aufbewahrung des Dokuments in dem Bankschließfach könne nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, der Erblasser habe das Testament nicht vernichten wollen.

Hinweis: Die physische Zerstörung eines Testaments ist der offensichtliche Weg, ein Testament zu widerrufen. Daneben besteht auch die Möglichkeit, das Testament dadurch zu widerrufen, dass an der Testamentsurkunde Veränderungen vorgenommen werden, aus denen sich ergibt, dass das Testament aufgehoben werden soll.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.04.2025 - 21 W 26/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Bei Datenschutzverstößen: BGH urteilt über Klagebefugnis von Verbraucherschutzverbänden

Im folgenden Fall ging es um einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Informationspflichten der wohl immer noch bekanntesten Social-Media-Plattform. Dagegen geklagt hatte ein Verbraucherschutzverein - und zwar ohne expliziten Auftrag eines von diesem Datenschutzverstoß Betroffenen. Bevor er die Klage inhaltlich und rechtlich bewerten konnte, musste der Bundesgerichtshof (BGH) zuerst einmal klären: Darf der Verbraucherschutzverein das überhaupt?

Im folgenden Fall ging es um einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Informationspflichten der wohl immer noch bekanntesten Social-Media-Plattform. Dagegen geklagt hatte ein Verbraucherschutzverein - und zwar ohne expliziten Auftrag eines von diesem Datenschutzverstoß Betroffenen. Bevor er die Klage inhaltlich und rechtlich bewerten konnte, musste der Bundesgerichtshof (BGH) zuerst einmal klären: Darf der Verbraucherschutzverein das überhaupt?

In dem Fall ging es um das soziale Netzwerk Facebook. Nutzer konnten dort über ein "App-Zentrum" Spiele starten. Vor dem Start erschien ein Hinweis, dass die Spieleanbieter auf viele persönliche Daten zugreifen dürfen - etwa E-Mail-Adresse, Statusmeldungen oder Fotos. Außerdem hieß es, dass die Anwendung in ihrem Namen posten dürfe. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fand das nicht in Ordnung und meinte, die Nutzer würden nicht klar genug über die Datenverwendung informiert. Das sei nicht nur ein Verstoß gegen Datenschutzregeln, sondern auch wettbewerbswidrig. Deshalb wollte er Facebook per Klage verbieten lassen, solche Hinweise zu verwenden. Facebook sah das anders und wehrte sich bis vor den BGH.

Der BGH aber gab den Verbraucherschützern Recht: Verbände dürfen klagen, wenn Datenschutzvorgaben verletzt werden - und zwar auch, ohne dass ein Betroffener mitmacht. Es reiche völlig aus, wenn viele Menschen potentiell betroffen sind. Die Richter stimmten zudem der Annahme zu, dass die Hinweise im App-Zentrum unklar und unvollständig waren. Die Nutzer würden nicht verständlich darüber informiert werden, welche Daten wie und warum verarbeitet werden. Genau solche Informationen seien aber wichtig, damit Menschen bewusst entscheiden können, ob sie zustimmen wollen oder nicht. Deshalb dürfen Verbraucherschutzverbände hier einschreiten.

Hinweis: Verbraucherschutzverbände können gegen Datenschutzverstöße auch vorgehen, wenn keine einzelne betroffene Person klagt. Unternehmen müssen Nutzer klar und verständlich über die Datenverarbeitung informieren. Unklare Hinweise verstoßen häufig gegen Datenschutz- und Wettbewerbsrecht.


Quelle: BGH, Urt. v. 27.03.2025 - I ZR 186/17
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2025)

Zeichnung statt Unterschrift: Fehlt die Dokumentation des letzten ernstlichen Willens, ist privatschriftliches Testament unwirksam

Privatschriftliche Testamente sind eigenhändig zu unterschreiben. Dass diese Unterschrift unter Umständen nicht lesbar ist, spielt zwar keine wesentliche Rolle. Dass man es dabei mit der künstlerischen Freiheit jedoch besser nicht übertreiben sollte, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts München (OLG). Denn dieses besteht zu Recht darauf, dass es sich auf die Ernsthaftigkeit des letzten Willens verlassen können muss.

Privatschriftliche Testamente sind eigenhändig zu unterschreiben. Dass diese Unterschrift unter Umständen nicht lesbar ist, spielt zwar keine wesentliche Rolle. Dass man es dabei mit der künstlerischen Freiheit jedoch besser nicht übertreiben sollte, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts München (OLG). Denn dieses besteht zu Recht darauf, dass es sich auf die Ernsthaftigkeit des letzten Willens verlassen können muss.

Der Erblasser war in zweiter Ehe verheiratet und erstellte mit eben jener zweiten Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament, das von der Ehefrau eigenhändig geschrieben und unterschrieben wurde. Der Erblasser selbst brachte am Ende des Textes lediglich eine Zeichnung an, die aus wolkenähnlichen Linien bestand, ohne angedeutete Buchstaben oder einen erkennbaren Schriftzug. Als die Witwe auf Grundlage dieses Dokuments die Erteilung eines Erbscheins beantragte, wies das Nachlassgericht diesen Antrag zurück.

Das OLG stimmte dieser Entscheidung zu und stellte dabei klar, dass eine Unterschrift der Identifikation des Erblassers und auch der Bekräftigung seines letzten Willens diene. Eine Unterschrift erfordert einen Schriftzug, der Buchstaben einer üblichen Schrift enthält, der individuelle Merkmale des Verfassers aufweist und aus denen sich insgesamt Rückschlüsse auf die Identität des Unterzeichners ergeben. Nicht erforderlich sei es hingegen, dass die Unterschrift lesbar ist. Hier kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die vom Erblasser angebrachten wolkenähnlichen Linien keine Andeutungen von Buchstaben aufwiesen und damit keinen Schriftzug darstellen. Selbst der Umstand, dass keine Zweifel an der Urheberschaft des Erblassers bestehen, änderten an der Auffassung des Gerichts nichts. Da die Unterschrift nicht nur die Urheberschaft bestätigen, sondern auch den ernstlichen Willen des Erblassers dokumentieren soll, fehle es in einem solchen Fall an der ausreichenden Dokumentation des letzten ernstlichen Willens.

Hinweis: Die fehlende Unterschrift führt zur Nichtigkeit des gesamten privatschriftlichen Testaments. Eine nachträgliche Heilung dieses Formmangels ist nicht möglich.


Quelle: OLG München, Beschl. v. 06.05.2025 - 33 Wx 289/24 e
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Datenverarbeitung ohne Rechtsgrundlage: Meta muss Persönlichkeitsprofile löschen und Schadensersatz zahlen

Der Meta-Konzern und der Datenschutz - eine Kombination, die offensichtlich nie zueinander passen wird. Denn wie heißt es so schön: Wenn du für ein Produkt nichts zahlst, bist womöglich du das Produkt. Das Landgericht Berlin II (LG) hat diesem Denken und vor allem Handeln jedoch einen Riegel vorgeschoben, was personenbezogene Daten angeht, die über sogenannte Meta-Business-Tools gesammelt wurden.

Der Meta-Konzern und der Datenschutz - eine Kombination, die offensichtlich nie zueinander passen wird. Denn wie heißt es so schön: Wenn du für ein Produkt nichts zahlst, bist womöglich du das Produkt. Das Landgericht Berlin II (LG) hat diesem Denken und vor allem Handeln jedoch einen Riegel vorgeschoben, was personenbezogene Daten angeht, die über sogenannte Meta-Business-Tools gesammelt wurden.

Die Betroffenen hatten geklagt, weil Meta ihre Aktivitäten auf vielen Websites und in Apps mitverfolgt und ausgewertet haben soll. Diese Websites nutzten die sogenannten Meta-Business-Tools, die Daten automatisch an Meta weiterleiten - oft, ohne dass Nutzer davon etwas mitbekommen. So konnte Meta zum Beispiel erfahren, ob jemand eine Apotheke besucht, eine politische Meinung äußert oder ob ein Suchtrisiko bestehe. Die gesammelten Infos wurden laut Gericht genutzt, um Persönlichkeitsprofile zu erstellen, ohne dass die Nutzer das erlaubt hatten. Meta meinte, nicht selbst verantwortlich zu sein, da es die jeweiligen Websitebetreiber seien, die die Tools einsetzen. Außerdem würden persönliche Daten nur genutzt, wenn jemand eingewilligt habe - sonst nur zu Zwecken wie Sicherheit oder Systemschutz.

Das sah das LG jedoch anders und entschied, dass Meta die Daten ohne gültige Einwilligung verarbeitet und damit gegen die Datenschutz-Grundverordnung verstoßen habe. Deshalb müssen die Daten gelöscht oder anonymisiert werden. Und weil dabei Persönlichkeitsrechte verletzt wurden, bekommt jeder Betroffene 2.000 EUR Schadensersatz.

Hinweis: Noch sind die Urteile nicht rechtskräftig - Meta kann dagegen Berufung einlegen. Wer Onlinedienste nutzt, muss sich jedoch auf den Schutz der eigenen Daten verlassen können. Persönlichkeitsprofile ohne Zustimmung zu erstellen, ist nicht erlaubt. Gerichte schützen hier die Rechte der Nutzer.


Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 04.04.2025 - 39 O 56/24
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2025)

Vermietung von Einzelzimmern: Bei nur einem Stromzähler gilt Vermieter als Vertragspartner des Energieversorgers

Wer schon einmal ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft bewohnt hat, kennt sicherlich die Diskussion, wer wie viel Energie verbraucht und dafür zahlen sollte. Im folgenden Fall, bei dem eine Vermieterin direkt alle Zimmer einer Wohnung separat vermietet hatte, war es nun am Bundesgerichtshof (BGH) zu entschieden, wer wie viel zahlen muss. Die Wohnung hatte nämlich nur einen Stromzähler, für diesen aber keinen Vertrag mit dem Energieversorger.

Wer schon einmal ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft bewohnt hat, kennt sicherlich die Diskussion, wer wie viel Energie verbraucht und dafür zahlen sollte. Im folgenden Fall, bei dem eine Vermieterin direkt alle Zimmer einer Wohnung separat vermietet hatte, war es nun am Bundesgerichtshof (BGH) zu entschieden, wer wie viel zahlen muss. Die Wohnung hatte nämlich nur einen Stromzähler, für diesen aber keinen Vertrag mit dem Energieversorger.

In dem Fall hatte eine Vermieterin alle Zimmer einer Wohnung einzeln vermietet. Küche und Bad durften von allen Mietern gemeinsam genutzt werden. Es gab aber nur je einen Strom- und Gaszähler für die gesamte Wohnung. Einen schriftlichen Vertrag mit dem Energieversorger gab es nicht. Trotzdem lieferte dieser Strom und Gas. Nun wollte er Geld, aber von wem nun genau - von den Mietern oder der Vermieterin?

Der BGH entschied: Der Vertrag kommt mit der Vermieterin zustande, nicht mit den einzelnen Mietern. Das liegt daran, dass nur ein gemeinsamer Zähler vorhanden ist und der Energieverbrauch der einzelnen Mieter nicht genau gemessen werden kann. Außerdem sei es untypisch, dass ein Mieter für den Verbrauch anderer mitzahlen will. Dass die Mieter allein den Strom und das Gas verbrauchen, ändert daran nichts. Entscheidend ist, dass sich das Angebot des Versorgers an die Eigentümerin richtet - weil sie das Mietmodell mit Einzelzimmern ohne eigene Zähler gewählt hat.

Hinweis: Wer Zimmer einzeln vermietet, aber nur einen Zähler für Strom und Gas hat, bleibt in der Regel selbst Vertragspartner des Energieversorgers. Die Mieter müssen dann nicht direkt zahlen. Vermieter sollten sich überlegen, ob separate Zähler sinnvoll sind.


Quelle: BGH, Urt. v. 15.04.2025 - VIII ZR 300/23
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Umfassende Vertretungsmacht: WEG-Verwalter darf Hausmeister kündigen, selbst wenn dieser zu den Eigentümern gehört

Nachdem sich die beiden Vorinstanzen nicht ganz einig waren, ob und wie ein Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) einem angestellten Hausmeister kündigen darf, musste das Bundesarbeitsgericht (BAG) an den folgenden Fall. Dessen zentrale Frage war, ob vorher ein Beschluss der Eigentümer hätte gefasst werden müssen oder der Verwalter hier eigenmächtig habe handeln dürfen.

Nachdem sich die beiden Vorinstanzen nicht ganz einig waren, ob und wie ein Verwalter einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) einem angestellten Hausmeister kündigen darf, musste das Bundesarbeitsgericht (BAG) an den folgenden Fall. Dessen zentrale Frage war, ob vorher ein Beschluss der Eigentümer hätte gefasst werden müssen oder der Verwalter hier eigenmächtig habe handeln dürfen.

Ein Wohnungseigentümer war gleichzeitig Hausmeister bei seiner eigenen WEG. Die Verwalterin kündigte ihm erst einmal Ende 2022, einigte sich mit ihm aber auf einen Vergleich. Einige Monate später kündigte sie ihm jedoch erneut - diesmal zum 28.05.2023. Der Hausmeister wehrte sich und meinte, die Kündigung sei unwirksam, weil die Verwalterin keine schriftliche Vollmacht vorgelegt und es keinen Beschluss der Eigentümer gegeben habe. Außerdem sei die Kündigung unfair und verstoße gegen seine Rechte. Zunächst gab das Arbeitsgericht der Verwalterin Recht, das Landesarbeitsgericht meinte hingegen, die Kündigung sei zwar wirksam, gelte aber erst drei Tage später - also zum 31.05.

Der Hausmeister legte Revision ein, doch auch das BAG hielt die Kündigung für rechtmäßig. Die Verwalterin durfte den Arbeitsvertrag ohne vorherigen Beschluss kündigen. Denn laut Gesetz hat ein Verwalter eine umfassende Vertretungsmacht für die WEG - und diese gilt auch für Kündigungen. Diese Vertretungsmacht kann man zwar gegenüber den Eigentümern selbst beschränken, nicht aber gegenüber jemandem, der von außen kommt - auch, wenn es sich (wie hier) beim angestellten und nun gekündigten Hausmeister selbst um einen Eigentümer handelt. Solange keine besondere Regelung getroffen wurde, darf der Verwalter also kündigen, ohne vorher alle Eigentümer zu fragen.

Hinweis: Verwalter dürfen Hausmeistern auch ohne extra Beschluss der Eigentümer kündigen. Eine Einschränkung der Vertretungsmacht gilt nicht gegenüber Beschäftigten. Wer zugleich Eigentümer und Angestellter ist, wird in solchen Fällen wie ein Außenstehender behandelt.


Quelle: BAG, Urt. v. 06.03.2025 - 2 AZR 115/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Zulässige Gebrauchsüberlassung: Hotelzimmervermietung an Kommune für in Obhut stehende Jugendliche rechtens

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) musste überprüfen, ob die Vermietung von Hotelzimmern an eine Stadt zur vorübergehenden Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter den Zweck eines Hotels überschreitet. Die Kollegen des vorinstanzlichen Landgerichts (LG) teilten dahingehend noch die Ansicht der Klägerin, der verpachtenden Partei.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) musste überprüfen, ob die Vermietung von Hotelzimmern an eine Stadt zur vorübergehenden Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter den Zweck eines Hotels überschreitet. Die Kollegen des vorinstanzlichen Landgerichts (LG) teilten dahingehend noch die Ansicht der Klägerin, der verpachtenden Partei.

In dem Fall hatte die Verpächterin ihrer Hotelpächterin den Pachtvertrag gekündigt, weil diese Zimmerkontingente an das Jugendamt einer Stadt vermietet hatte, das dort Jugendliche unterbrachte. Die Verpächterin meinte, das sei nicht erlaubt und widerspreche dem vereinbarten Nutzungszweck des Gebäudes. Das LG gab der Verpächterin zunächst Recht und verurteilte die Pächterin zur Räumung.

Das OLG sah das anders und wies die Klage zurück. Es stellte klar, dass im Hotelbetrieb immer Zimmer an verschiedene Gäste vermietet werden. Auch wenn eine Firma - oder wie hier eine Kommune - viele Zimmer gleichzeitig anmietet, sei das grundsätzlich erlaubt. Es ist noch kein Verstoß gegen den Vertrag, wenn die Kommune einzelne Zimmer für eine bestimmte Zeit bucht, um unbegleitete minderjährige Geflüchtete unterzubringen. Erst wenn die Kommune das ganze Gebäude übernehmen und dauerhaft zu einer anderen Nutzung umbauen würde, könnte das anders bewertet werden. Auch eine besondere Abnutzung oder Vernachlässigung der Räume durch die Gäste wurde nicht festgestellt. Die vereinbarte Nutzung als Hotel bleibt gewahrt, denn es käme nicht darauf an, wer die Gäste seien oder wie lange sie blieben. Entscheidend sei, dass die Unterkunft und die typischen Hotelservices angeboten werden. Eine Einschränkung dahingehend, an wen die Zimmer vermietet werden dürfen, bestehe nicht, solange die Räume nicht beschädigt oder übermäßig beansprucht werden. Die Grenze zur unzulässigen Gebrauchsüberlassung wäre allenfalls dann überschritten, wenn die Stadt das gesamte Gebäude übernommen und zu einem Flüchtlingsheim umgebaut hätte. Dies war hier jedoch nicht der Fall.

Hinweis: Hotels dürfen Zimmer auch in größeren Kontingenten an Firmen oder Behörden vermieten. Die Art der Gäste oder deren Aufenthaltsdauer bestimmt den Hotelbetrieb nicht allein. Eine fristlose Kündigung wegen solcher Vermietungen ist nur bei erheblicher Vertragsverletzung möglich.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 21.02.2025 - 2 U 63/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Rechtmäßige Kfz-Sicherstellung: Keine Herausgabe des Schmugglerfahrzeugs bei begründetem Verdacht auf Drogengeschäfte

Der Kampf gegen illegale Drogen erinnert oft an das Rennen zwischen Hase und Igel. Im Folgenden war endlich mal wieder der "Hase" erfolgreich, und zwar in Einheit von Zollfahndung und Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG). Der Zoll entdeckte das eindeutig als Schmugglerfahrzeug erkennbare Auto und stellte es sicher. Und das Gericht musste nun entscheiden, ob die Klage auf Herausgabe des Fahrzeugs berechtigt ist.

Der Kampf gegen illegale Drogen erinnert oft an das Rennen zwischen Hase und Igel. Im Folgenden war endlich mal wieder der "Hase" erfolgreich, und zwar in Einheit von Zollfahndung und Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG). Der Zoll entdeckte das eindeutig als Schmugglerfahrzeug erkennbare Auto und stellte es sicher. Und das Gericht musste nun entscheiden, ob die Klage auf Herausgabe des Fahrzeugs berechtigt ist.

Zollbeamte hatten den Kläger auf einer Bundesautobahn kontrolliert. Der Mann gab dabei an, nicht mehr als 10.000 EUR Bargeld mit sich zu führen und auf dem Rückweg nach Zürich zu sein. Dennoch entdeckte die Zollfahndung in einem professionellen Versteck der Rücksitzbank mehr als 1 Mio. EUR, überwiegend in 20-EUR- und 50-EUR-Banknoten. Das Versteck war mit einer Fernbedienung zu öffnen, die der Kläger an seinem Schlüsselbund trug. Mittels sogenannter Drugwipetests stellten die Zollbeamten zudem Kokainanhaftungen an dem Bargeld sowie an Lenkrad und Schaltung des Fahrzeugs fest. Im Navigationsgerät des Autos war die Route Zürich-Arnheim-Dongen-Amersfort-Mailand aktiv. In den Vordersitzen waren weitere Verstecke aufwendig verbaut.

Die auf Aufhebung der Sicherstellung und Herausgabe des Fahrzeugs gerichtete Klage hat das VG nun abgewiesen. Das Gericht ist überzeugt, dass das Bargeld aus Drogengeschäften stammt und das Fahrzeug für dessen Transport genutzt wurde. Dies dränge sich bei derartigen Verstecken auf. Der Kläger konnte die Herkunft des Bargelds nicht plausibel erklären. Die aktive Route im Navigationssystem des Fahrzeugs mit Ziel in Mailand widerlegte zudem seine Angabe, er fahre von den Niederlanden nach Zürich zurück. Bei Rückgabe des Fahrzeugs würde der Kläger es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut für Kurierfahrten von Drogengeld oder Drogen benutzen. Die von ihm hilfsweise verlangte Herausgabe nach Ausbau der Sitze komme nicht in Betracht. Denn dem Zoll obliege nicht der aufwendige Umbau des Autos, damit der Kläger dies nicht mehr (zeitnah) zum Drogengeldtransport einsetzen könne. Eine Herausgabe mit der Pflicht zum Umbau durch den Kläger komme aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr ebenso wenig in Betracht. Die Rechtsordnung müsse nicht die Unsicherheit hinnehmen, ob der in der Schweiz wohnhafte Kläger der Pflicht nachkäme.

Hinweis: Die Sicherstellung des Fahrzeugs war rechtmäßig. Die Zollbehörden haben zu Recht eine von dem Fahrzeug ausgehende gegenwärtige Gefahr für die Rechtsordnung angenommen. Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Vorliegend durfte die Behörde annehmen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass das Fahrzeug des Klägers in allernächster Zeit (erneut) für den illegalen Transport von Drogen bzw. Drogengeldern verwendet wird.


Quelle: VG Gelsenkirchen, Urt. v. 28.04.2025 - 17 K 2963/20
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Urkunde ohne Unterschrift: Notarielle Unterschrift auf Urkundenumschlag heilt Mangel und macht Erbvertrag dennoch wirksam

Wird eine notarielle Urkunde nicht vom Notar unterschrieben, führt dies grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Beurkundung. Ob sie dennoch wirksam sein kann, wenn sich die Urkunde in einem Umschlag befindet, auf dessen Verschluss der Notar eben jene notwendige Unterschrift geleistet hat, konnte kürzlich vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen (OLG) beantwortet werden.

Wird eine notarielle Urkunde nicht vom Notar unterschrieben, führt dies grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Beurkundung. Ob sie dennoch wirksam sein kann, wenn sich die Urkunde in einem Umschlag befindet, auf dessen Verschluss der Notar eben jene notwendige Unterschrift geleistet hat, konnte kürzlich vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen (OLG) beantwortet werden.

Die Eheleute hatten gemeinsam mit ihren beiden Töchtern im Jahr 2012 eine notarielle Vereinbarung getroffen, in der sich die Eheleute gegenseitig zu Vorerben einsetzten, während die beiden Töchter zu gleichen Teilen als Nacherben vorgesehen waren. In der Urkunde wurde explizit festgehalten, dass diese Verfügungen als sogenannte vertragsmäßige Verfügungen gelten sollten. Darüber hinaus erklärten beide Töchter den Verzicht auf ihre Pflichtteilsansprüche. Diese Urkunde wurde von dem beurkundenden Notar selbst nicht unterzeichnet. Allerdings befand sich seine Unterschrift auf dem Umschlag, mit dem die Urkunde verschlossen wurde. Im Jahr 2021 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches notarielles Testament und setzten sich - ohne Beteiligung der Töchter - wechselseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Tod der Ehefrau im Jahr 2023 beantragte der Ehemann die Erteilung eines Alleinerbscheins. Diesen Antrag wies das Nachlassgericht aber mit der Begründung zurück, dass der Erbvertrag aus dem Jahr 2012 wirksam sei und aufgrund der Bindungswirkung nicht aufgehoben werden konnte.

Dieser Ansicht schloss sich auch das OLG an. Es stellte zunächst klar, dass die in dem Erbvertrag getroffenen Verfügungen mit erbvertraglicher Wirkung erfolgt seien. Aufgrund der ausdrücklichen Formulierung in dem Vertrag bliebe kein Raum für eine anderweitige Auslegung. Aus diesem Grund konnte aufgrund der Bindungswirkung der Erbvertrag auch nicht durch die spätere testamentarische Verfügung geändert werden. Der Mangel bei der Erstellung der Urkunde durch die fehlende Unterschrift des Notars sei dadurch geheilt worden, dass der Notar den Umschlag der Urkunde unterschrieben habe. Hierzu sei es im Übrigen nicht erforderlich, dass die Unterschrift zeitlich nach dem Verschließen des Umschlags erfolgen muss. Eine derartige Reihenfolge, die in der Praxis kaum festgestellt werden könne, lässt sich aus der Gesetzesbegründung nicht herleiten.

Hinweis: Zur Vermeidung von schwerwiegenden Konsequenzen aus formalen Fehlern kennt das Gesetz Heilungsmöglichkeiten, wie etwa die Unterschrift auf dem Umschlag oder die qualifizierte elektronische Signatur.


Quelle: Hanseatisches OLG in Bremen, Beschl. v. 09.05.2025 - 1 W 4/25
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Hecken sind Ländersache: In Hessen zählt statt Höhenbegrenzung nur Mindestabstand zum Nachbarn

Wie hoch eine Hecke sein darf, entscheidet das jeweilige Landesrecht. Um einem Zwist mit Grundstücksnachbarn vorzubeugen, sollte der Zollstock dabei jedoch nicht nur in die Höhe gereckt werden. Denn der Abstand zum jeweiligen Nachbarn ist für eine Hecke, die hoch hinaus will, fast noch wichtiger. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich nun mit einem hessischen Bambusgewächs und den diesbezüglichen Urteilen der Vorinstanzen beschäftigen.

Wie hoch eine Hecke sein darf, entscheidet das jeweilige Landesrecht. Um einem Zwist mit Grundstücksnachbarn vorzubeugen, sollte der Zollstock dabei jedoch nicht nur in die Höhe gereckt werden. Denn der Abstand zum jeweiligen Nachbarn ist für eine Hecke, die hoch hinaus will, fast noch wichtiger. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich nun mit einem hessischen Bambusgewächs und den diesbezüglichen Urteilen der Vorinstanzen beschäftigen.

In dem Fall ging es um zwei Grundstücke in Hessen. Die Beklagte hatte auf einer alten Aufschüttung an der Grenze zu ihrem Nachbarn Bambus gepflanzt. Und dieser tat, was von einem gesund gedeihenden Bambus erwartet wird: Er wuchs tüchtig, so dass bei sechs bis sieben Metern Schluss war mit der Geduld des Grundstücksnachbarn. Dieser verlangte, dass die Pflanzen auf drei Meter zurückgeschnitten werden. Das Landgericht gab ihm noch recht, das Oberlandesgericht (OLG) wies die Klage dann jedoch ab - nun war der BGH gefragt.

Der BGH hob das Urteil auf - aber nicht, weil der Bambus zu hoch war, sondern wegen eines Verfahrensfehlers des OLG. Das war zwar davon ausgegangen, dass der Nachbar den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstand von 75 cm zur Grenze eingehalten habe, woran der BGH jedoch so seine Zweifel hegte. Daher muss das OLG nun prüfen, ob der Abstand auch wirklich eingehalten wurde. Denn grundsätzlich gilt: Nur wenn eine Hecke zu nah an der Grenze steht, kann ein Rückschnitt verlangt werden. Eine Maximalhöhe für Hecken gibt es in Hessen dabei nicht, nur eben die Vorschrift, dass Hecken von zwei Metern Höhe den erwähnten Mindestabstand zum Nachbargrundstück einhalten müssen. Wichtig war in diesem Fall, auch zu betonen, dass die zulässige Höhe dabei vom Boden des Grundstücks gemessen wird, auf dem die Hecke steht - auch wenn dieses höher liegt als das Nachbargrundstück, so wie hier durch eine Aufschüttung. Nur wenn das Gelände künstlich aufgeschüttet wurde, um die Pflanzen höher wirken zu lassen, zähle das ursprüngliche Bodenniveau. Im vorliegenden Fall war die Aufschüttung aber schon Jahrzehnte alt. Deshalb ist der Bambus trotz seiner Höhe möglicherweise erlaubt.

Hinweis: Hecken dürfen grundsätzlich so hoch wachsen, wie es das jeweilige Landesrecht erlaubt. Eine feste Höhengrenze - zum Beispiel drei Meter - gibt es nicht automatisch. Wichtig ist vor allem der Abstand zur Grundstücksgrenze.


Quelle: BGH, Urt. v. 28.03.2025 - V ZR 185/23
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 07/2025)

Geplante Windkraftanlage: Schwebender Mietzustand kann gekündigt werden, solange der Mietvertrag nichts anderes vorsieht

Manche Mietverträge sind ein Wagnis, weil man gar nicht weiß, ob und wann genau der Zweck der Anmietung erfüllt sein wird. Man mietet quasi auf Verdacht. Dabei beginnt die Vertragsbindung mit Vertragsschluss, die vereinbarte Mietzeit erst mit dem Eintritt der sogenannten aufschiebenden Bedingung. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste im Fall einer geplanten Windkraftanlage entscheiden, ob ein solcher Mietvertrag gekündigt werden kann oder eben nicht.

Manche Mietverträge sind ein Wagnis, weil man gar nicht weiß, ob und wann genau der Zweck der Anmietung erfüllt sein wird. Man mietet quasi auf Verdacht. Dabei beginnt die Vertragsbindung mit Vertragsschluss, die vereinbarte Mietzeit erst mit dem Eintritt der sogenannten aufschiebenden Bedingung. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste im Fall einer geplanten Windkraftanlage entscheiden, ob ein solcher Mietvertrag gekündigt werden kann oder eben nicht.

Sollte die Theorie zu trocken sein - hier kommt die Praxis: Die Klägerin wollte auf einem Feld Windräder errichten und hatte zu diesem Zweck mit der Eigentümerin des Grundstücks einen Vertrag geschlossen. Der Vertrag sollte 20 Jahre laufen - aber erst ab Ende jenes Jahres, in dem die letzte Windkraftanlage in Betrieb genommen werde. Und nun kommt es: Wann genau das sein würde, war bei Vertragsabschluss ebenso wenig klar wie die Antwort auf die Frage, ob es überhaupt dazu käme. Die Klägerin wollte sich Rechte am Grundstück vertraglich sichern, unter anderem für Kabel und Wege. Dann aber kündigte ein neuer Eigentümer des Felds Jahre später den Vertrag, wogegen die Klägerin anging.

Der BGH stellte nun klar: Wenn der Start einer Mietdauer an ein Ereignis geknüpft ist - hier an den Bau und die Inbetriebnahme der Windräder - und dieses Ereignis womöglich gar nicht eintritt, beginne die Mietzeit erst, wenn das Ereignis wirklich eintritt (hier: mit Inbetriebnahme der letzten Windkraftanlage). Solange das noch offen sei, liefe der Vertrag zwar schon, aber eben noch nicht mit fester Mietdauer. In diesem Fall dürfe theoretisch gekündigt werden - außer der abgeschlossene Vertrag regelt es anders. In diesem Fall schloss der Vertrag eine Kündigung vor Beginn der 20 Jahre durch seine Regelungen aus, so dass die Kündigung des Beklagten unwirksam war.

Hinweis: Auch, wenn eine feste Mietzeit vereinbart ist, kann vor deren Beginn unter Umständen gekündigt werden - je nach Vertragsinhalt. Es kommt darauf an, ob das Ereignis, an das der Beginn geknüpft ist, sicher oder ungewiss ist. Im Zweifel hilft ein genauer Blick in die Klauseln.


Quelle: BGH, Urt. v. 12.03.2025 - XII ZR 76/24
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Lenkradgewichte am Tesla: Bußgeld nach Außerfunktionssetzung von Sicherungsmechanismen

Was nützt die beste Technik, wenn man sie nicht zu nutzen weiß? So könnte der folgende Autofahrer gedacht haben, dessen Tesla einige technische Details bietet, die Verbrennern eher fremd sind, zum Beispiel einen Autopiloten. So verführerisch es dabei auch sein mag, dessen Sicherheitsmechanismen auszutricksen: Finger weg, sonst landet man schnell vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG), wenn man sich gegen den Bußgeldbescheid zu wehren versucht.

Was nützt die beste Technik, wenn man sie nicht zu nutzen weiß? So könnte der folgende Autofahrer gedacht haben, dessen Tesla einige technische Details bietet, die Verbrennern eher fremd sind, zum Beispiel einen Autopiloten. So verführerisch es dabei auch sein mag, dessen Sicherheitsmechanismen auszutricksen: Finger weg, sonst landet man schnell vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG), wenn man sich gegen den Bußgeldbescheid zu wehren versucht.

Ein Autofahrer war mit seinem Auto auf der Autobahn unterwegs, einem Tesla, der mit der "Autopilot 3.0 Hardware", der "Standard Autopilot Firmware" und der Option "Autopilot" ausgestattet war. Letztere ermöglicht das selbständige Spurhalten, Lenken und Fahren mit Hinderniserkennung. Bei dieser Einstellung muss der Fahrer zur Überprüfung, dass er das Fahrgeschehen kontrolliert, in regelmäßigen Abständen an das Lenkrad fassen. Außerdem wird durch eine Innenraumkamera erfasst, ob die Augen geöffnet sind. Diese Mechanismen hatte der Fahrer jedoch ausgeschaltet, indem er die Kamera abgeklebt und Gewichte an dem Lenkrad angebracht hatte, die die Handbewegungen simulieren sollten. In einem Streckenabschnitt von ca. 8 km fuhr das Fahrzeug somit autonom, während der Fahrer schlief. Im Rahmen einer Polizeikontrolle fiel dieser Vorgang auf, der Betroffene bekam ein Bußgeld von 250 EUR. Dagegen legte er Rechtsmittel ein, da er der Ansicht war, sich nicht verkehrswidrig verhalten zu haben, da er die Automatisierungsfunktionen genutzt habe.

Das BayObLG entschied jedoch, dass der Fahrer durchaus ein Bußgeld zu zahlen hat - und zwar wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs nach Außerfunktionssetzung von Sicherungsmechanismen. Der zulässige Betrieb von vollautomatisierten Fahrfunktionen liege nur dann vor, wenn die entsprechende Klassifikation gegeben sei. Diese richte sich allein nach den vom Bundesministerium für Verkehr vorgenommenen Eingruppierungen. Dass das Fahrzeug durch nicht zulässige Manipulationen auf einen höheren als vom Hersteller vorgesehenen Automatisierungsgrad gehoben wird, spiele keine Rolle. Daher seien die besonderen Vorschriften für die Pflichten eines Fahrzeugführers bei einem hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeug nicht anwendbar. Es gelten somit die allgemeinen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften. Danach ist das Führen eines Kraftfahrzeugs nach Außerfunktionssetzung der Sicherungsmechanismen des Herstellers bußgeldbewehrt. Ein Bußgeld von 250 EUR erschien dem Gericht auch durchaus als angemessen.

Hinweis: § 23 Abs. 1 Satz 2 Straßenverkehrs-Ordnung verpflichtet den Führer eines Kraftfahrzeugs dazu, dafür Sorge zu tragen, dass sich das Fahrzeug in einem vorschriftsmäßigen und verkehrssicheren Zustand befindet. Grundsätzlich hat der Kraftfahrer alle an seinem Fahrzeug gegen eine mögliche Verkehrsgefahr vorgesehenen Sicherungseinrichtungen zu nutzen, auch wenn er deren Notwendigkeit nicht durchschaut.


Quelle: BayObLG, Beschl. v. 21.10.2024 - 202 ObOWi 644/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Aufsichtspflicht hat Grenzen: Keine Notwendigkeit der Begleitung eines "radfahrerfahrenen" Erstklässlers

Eltern haften für ihre Kinder - meistens. Denn dass diese Regel nicht in Stein gemeißelt ist, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Kempten (AG). Hier ging es um ein Schulkind, das trotz jungen Alters schon einige Erfahrungen als Radfahrer aufweisen konnte. Was in einem Fall eines solchen "alten Hasen" im Alter eines Erstklässlers im Ernstfall passiert, lesen Sie hier.

Eltern haften für ihre Kinder - meistens. Denn dass diese Regel nicht in Stein gemeißelt ist, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Kempten (AG). Hier ging es um ein Schulkind, das trotz jungen Alters schon einige Erfahrungen als Radfahrer aufweisen konnte. Was in einem Fall eines solchen "alten Hasen" im Alter eines Erstklässlers im Ernstfall passiert, lesen Sie hier.

Der 7,5 Jahre alte Junge befuhr auf seinem Schulweg unbeaufsichtigt eine Straße mit dem Fahrrad. Von einer Straße, die von links einmündete, kam eine Autofahrerin, um ihrerseits rechts abzubiegen. An der Einbiegung hielt sie ihr Fahrzeug an, doch der Junge fuhr vorne rechts in ihr Fahrzeug. Dabei entstand ein Schaden von 628 EUR, und diesen verlangte die Autofahrerin von den Eltern des Jungen bzw. der privaten Haftpflichtversicherung ersetzt. Die Eltern beriefen sich jedoch darauf, dass sie ihrer Aufsichtspflicht durchaus nachgekommen seien. Der Junge sei schließlich erfahren im Fahrradfahren, er fahre bereits seit geraumer Zeit alleine zur Schule und zu Freunden in der näheren Umgebung. In diesem ihm vertrauten Bereich sei es auch zur Kollision gekommen. Im Zusammenhang mit einer Schulweghelfertätigkeit habe die Mutter auch Gelegenheit gehabt, das Kind in seinem Verhalten im Straßenverkehr zu beobachten.

Das AG wies die Klage ab, da nach dessen Auffassung keine Aufsichtspflichtverletzung durch die Eltern vorlag. Es konnte dem Gericht glaubhaft gemacht werden, dass der Junge im Verkehr erfahren gewesen und von seinen Eltern schon beim Besuch des Kindergartens begleitet und angeleitet worden sei. Die Eltern hatten Gelegenheit, das Verhalten ihres Sohns auch im Rahmen der Schulweghelfertätigkeit zu beobachten. Die Strecke sei dem Jungen vertraut gewesen, es habe daher keine Notwendigkeit bestanden, den Jungen zu begleiten.

Hinweis: In welchem Umfang die elterliche Aufsichtspflicht über am Straßenverkehr teilnehmende Kinder ausgeübt werden muss, hängt von vielen Faktoren ab, wobei das Alter des Kinds eine maßgebliche Rolle spielt, ohne dass diesbezüglich jedoch eine rein schematische Betrachtung zulässig wäre. Ungeachtet dessen ist festzustellen, dass bei einem Schulkind einer unbeaufsichtigten Teilnahme am Straßenverkehr auf vertrauten Strecken in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Elternhaus - erst recht in einem Wohngebiet ohne Durchgangsverkehr - grundsätzlich keine Bedenken entgegenstehen.


Quelle: AG Kempten, Urt. v. 19.02.2025 - 7 C 735/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Krankgeschrieben beim Karneval: Wer Genesung verzögert oder Krankheit verschlimmert, muss mit Kündigung rechnen

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste entscheiden, ob eine Kündigung rechtens ist, weil ein krankgeschriebener Mitarbeiter während der Karnevalszeit an einer Veranstaltung teilgenommen hat. Dieser Fall zeichnet sich dadurch aus, dass er hervorragend aufzeigt, wie schwierig es sein kann, das richtige oder eben falsche Verhalten während einer Krankschreibung zu beurteilen.

Das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) musste entscheiden, ob eine Kündigung rechtens ist, weil ein krankgeschriebener Mitarbeiter während der Karnevalszeit an einer Veranstaltung teilgenommen hat. Dieser Fall zeichnet sich dadurch aus, dass er hervorragend aufzeigt, wie schwierig es sein kann, das richtige oder eben falsche Verhalten während einer Krankschreibung zu beurteilen.

Ein Logistikmitarbeiter war während der Karnevalszeit krankgeschrieben. Dann jedoch tauchte ein Video auf, das ihn bei einem sogenannten "Generalkorpsappell" in einem Hotel zeigte - in voller Karnevalsmontur. Der Arbeitgeber warf ihm daraufhin vor, gar nicht richtig krank gewesen zu sein, und kündigte ihm. Der Mitarbeiter wehrte sich gegen die Kündigung und erklärte, es habe sich nicht um eine klassische Karnevalsfeier gehandelt, sondern um eine Art Vereinsversammlung. Dort sei er nur kurz gewesen, um zu testen, wie belastbar er schon wieder sei. Zudem habe sein Arzt bestätigt, dass sein Atemwegsinfekt fast abgeklungen gewesen sei und die Teilnahme an der Veranstaltung seine Gesundheit nicht gefährdet habe. Der Arzt war von der Schweigepflicht entbunden und bestätigte das schriftlich.

Das reichte dem LAG. Das Gericht befand, dass der Mitarbeiter glaubhaft gemacht habe, wirklich krank gewesen zu sein. Damit wäre es nun am Arbeitgeber gewesen zu beweisen, dass die Krankheit nur vorgeschoben gewesen war. Eben dies konnte er aber nicht, und somit war die von ihm ausgesprochene Kündigung unwirksam.

Hinweis: Wer krankgeschrieben ist, darf nichts tun, was den Heilungsprozess gefährden könnte. Spaziergänge, Einkaufen oder Treffen mit Freunden sind aber oft erlaubt - je nachdem, woran man erkrankt ist. Entscheidend ist dabei immer, ob das entsprechende Verhalten die Genesung verzögert oder die Krankheit gar verschlimmern kann.


Quelle: LAG Köln, Urt. v. 21.01.2025 - 7 SLa 204/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

"Utah-Ehe" per Videotelefonie: Ehe muss in der in Deutschland vorgeschriebenen Form geschlossen werden

Die Digitalisierung hat die Welt näher zusammengebracht und vieles vereinfacht. Dass dies aber nicht dazu führen darf, dass bei Rechtsgeschäften geltende Formvorschriften unterlaufen werden, zeigt der folgende Fall, der vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (VG) landete. Dabei ging es um eine Hochzeit per Videotelefonie von Deutschland aus in den amerikanischen Rechtskreis hinein.

Die Digitalisierung hat die Welt näher zusammengebracht und vieles vereinfacht. Dass dies aber nicht dazu führen darf, dass bei Rechtsgeschäften geltende Formvorschriften unterlaufen werden, zeigt der folgende Fall, der vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (VG) landete. Dabei ging es um eine Hochzeit per Videotelefonie von Deutschland aus in den amerikanischen Rechtskreis hinein.

Ein Türke und eine Bulgarin hatten nach dem Recht des US-Bundesstaats Utah von Deutschland aus eine Ehe geschlossen, und zwar per Videotelefonie. In Bulgarien wurde diese Ehe dann auch anerkannt - jedoch nicht in Deutschland. Dem Ehemann wurde daraufhin die Abschiebung angedroht und der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte als Ehegatte einer EU-Bürgerin abgewiesen. Der Ehemann zog gegen diese Entscheidung und die Androhung vor Gericht.

Er scheiterte vor dem VG. Die Ehe kann nur in der in Deutschland vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Videotelefonie ist hier zwar möglich, die Eheschließungserklärungen selbst müssen aber in Deutschland abgegeben werden. Hier schloss man die Ehe ja in Utah. Die Anerkennung in Bulgarien spielt für Deutschland keine Rolle, insbesondere ergibt sich hieraus keine Verpflichtung zur Anerkennung. Eine Pflicht zur Anerkennung kann sich ergeben, wenn ein EU-Bürger sein Familienleben anderenfalls innerhalb der EU nicht weiter fortsetzen kann. Das war hier aber nicht der Fall, da die beiden in Deutschland jederzeit nach den deutschen Vorschriften nochmals heiraten können. Darfür bestünden keine Hinderungsgründe.

Hinweis: Die technischen Möglichkeiten können auch Eheschließungen erleichtern. Allerdings sollte immer geprüft werden, ob die gewählte Form der Eheschließung auch im Wohnsitzland anerkannt wird. Denn sonst muss man sich die Mühe der Eheschließung unter Umständen doppelt machen.


Quelle: VG Düsseldorf, Beschl. v. 03.06.2025 - 27 K 5400/23
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Fristen bei Betriebsratswahl: Bundesarbeitsgericht sieht in frühzeitiger Bekanntgabe von Vorschlagsliste kein Problem

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste entscheiden, ob eine vorzeitig veröffentlichte Liste mit Wahlvorschlägen bei einer Betriebsratswahl im vereinfachten Verfahren automatisch zur Ungültigkeit der Wahl führt. Dabei war es anderer Meinung als die Kollegen der Vorinstanzen - weil es die entscheidende Frage beantworten konnte, ob es überhaupt eine klare gesetzliche Regel gibt, die ein vorzeitiges Aushängen verbietet.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste entscheiden, ob eine vorzeitig veröffentlichte Liste mit Wahlvorschlägen bei einer Betriebsratswahl im vereinfachten Verfahren automatisch zur Ungültigkeit der Wahl führt. Dabei war es anderer Meinung als die Kollegen der Vorinstanzen - weil es die entscheidende Frage beantworten konnte, ob es überhaupt eine klare gesetzliche Regel gibt, die ein vorzeitiges Aushängen verbietet.

In einem Betrieb mit rund 77 Beschäftigten fand im Mai 2022 eine Betriebsratswahl statt. Der Wahlvorstand hatte das Wahlausschreiben Ende März veröffentlicht und dabei alle Fristen und Hinweise bekanntgegeben. Am 06.05.2022 - dem letzten Tag für die Abgabe von Wahlvorschlägen - reichte der Wahlvorstand selbst eine Liste mit acht Kandidaten ein. Noch am selben Nachmittag erklärte er die Liste für gültig und hing sie aus. Zehn Tage später wurde gewählt. Die Arbeitgeberinnen des Gemeinschaftsbetriebs waren damit nicht einverstanden. Sie meinten, die Wahl sei ungültig, weil der Wahlvorstand seine Vorschlagsliste zu früh veröffentlicht habe - also vor Ablauf der gesetzlichen Frist für weitere Vorschläge. Das könne andere Bewerber abgeschreckt haben. Außerdem habe der frühere Betriebsratsvorsitzende, der auch im Wahlvorstand saß, seine Rolle nicht neutral ausgeübt.

Die Arbeitgeberinnen klagten und bekamen zunächst Recht - das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht (LAG) erklärten die Wahl für ungültig. Doch das BAG entschied anders. Zwar könne eine Wahl angefochten werden, wenn gegen wichtige Vorschriften verstoßen werde. Das gelte aber nur, wenn der Fehler das Wahlergebnis beeinflusst habe. Dass der Wahlvorstand die Liste am selben Tag der Abgabe schon nachmittags ausgehängt hatte, war nach Ansicht der Richter kein so schwerer Verstoß. Es gibt keine klare gesetzliche Regel, die ein vorzeitiges Aushängen verbietet. Wichtig ist nur, dass alle Fristen zur Abgabe von Vorschlägen eingehalten wurden. Und das war hier der Fall. Das BAG schickte den Fall zurück an das LAG - dort muss jetzt weiter geprüft werden, ob andere Gründe für eine gültige Anfechtung vorliegen.

Hinweis: Eine frühzeitige Veröffentlichung von Wahlvorschlägen ist nicht automatisch ein Fehler. Entscheidend ist, ob das Wahlergebnis durch den Vorgang beeinflusst wurde. Der Wahlvorstand darf nur neutral handeln, und Verstöße dagegen müssen bewiesen werden.


Quelle: BAG, Urt. v. 27.11.2024 - 7 ABR 32/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Versorgungsträger berücksichtigen: Ausgleich von geringfügigen Anrechten liegt im familiengerichtlichen Ermessen

Erklären Eheleute im Zuge ihrer Scheidung beim Versorgungsausgleich einvernehmlich, vom Ausgleich zweier geringfügiger Versorgungsanrechte abzusehen, dann ist es nur recht und billig, wenn das Familiengericht dem im Endeffekt folgt. Allerdings darf man dabei Versorgungsträger wie die Rentenversicherung nicht vergessen, wie der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) zeigt.

Erklären Eheleute im Zuge ihrer Scheidung beim Versorgungsausgleich einvernehmlich, vom Ausgleich zweier geringfügiger Versorgungsanrechte abzusehen, dann ist es nur recht und billig, wenn das Familiengericht dem im Endeffekt folgt. Allerdings darf man dabei Versorgungsträger wie die Rentenversicherung nicht vergessen, wie der folgende Fall des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG) zeigt.

Die Eheleute hatten im Rahmen ihrer Scheidung auch den Versorgungsausgleich geregelt. Auf den Ausgleich zweier geringfügiger Anrechte verzichteten sie einvernehmlich. Sie ließen dies durch ihre Anwälte entsprechend erklären. Dem folgte das Familiengericht. Die Versorgungsträger richteten dagegen aber eine Rechtsbeschwerde.

Die Beschwerde war zwar auch nach Ansicht des OLG begründet, aber im Endeffekt gewannen die Versorgungsträger dadurch nichts. Denn das Gericht änderte den Beschluss dahingehend ab, dass die Anrechte zwar an sich auszugleichen wären, vom Ausgleich aber abgesehen wird. Das Familiengericht durfte dahingehend wegen der Geringfügigkeit der Ausgleichswerte eine Ermessensentscheidung ausüben. Bei der Ermessensentscheidung war auch die Entscheidung der Eheleute ausschlaggebend. Beide waren mit dem Absehen vom  Ausgleich einverstanden. Im Endeffekt entspricht dies auch dem Interesse des Versorgungsträgers.

Hinweis: Verzichte sollten im Rahmen des Versorgungsausgleichs immer auch mit den Versorgungsträgern abgestimmt sein. Geht es um einen Ausgleich von höheren Werten, wird ein Verzicht nicht ohne die Zustimmung der Versorgungsträger möglich sein, da der Verzicht sonst zu deren Lasten gehen würde. Bei geringfügigen Werten ist die Sachlage anders, der Verzicht kommt günstiger als der Verwaltungsaufwand des Ausgleichs.


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.03.2025 - 20 UF 6/25
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Patientenverfügung vernachlässigt: Der BGH urteilt zu zwangsweiser Heilbehandlung und Dauer der Unterbringung

Die richtigen Entscheidungen für psychisch Erkrankte zu treffen, ist oft schwer. Man weiß nicht, ob man ihnen wirklich etwas Gutes tut oder in ihre Rechte eingreift, ohne eine ausreichende Grundlage dafür vorweisen zu können. Selbst Gerichte können bei dieser schwierigen Abwägung irren. Gut, dass es bei derlei Irrtümern den Bundesgerichtshof (BGH) gibt. Dieser urteilte im Folgenden für die Betroffene und gegen die Kollegen der Vorinstanz.

Die richtigen Entscheidungen für psychisch Erkrankte zu treffen, ist oft schwer. Man weiß nicht, ob man ihnen wirklich etwas Gutes tut oder in ihre Rechte eingreift, ohne eine ausreichende Grundlage dafür vorweisen zu können. Selbst Gerichte können bei dieser schwierigen Abwägung irren. Gut, dass es bei derlei Irrtümern den Bundesgerichtshof (BGH) gibt. Dieser urteilte im Folgenden für die Betroffene und gegen die Kollegen der Vorinstanz.

Eine an paranoider Schizophrenie leidende Frau war bereits mehrfach untergebracht worden. In der von ihr verfassten Patientenverfügung lehnte sie die Einnahme von Neuroleptika und Antidepressiva grundsätzlich ab. Ihre Betreuerin beantragte im September 2024 die Unterbringung, die Betroffene kam in eine geschützte Einrichtung. Die Betreuerin willigte zudem in eine ärztliche Zwangsmedikation ein - befristet bis zum 07.11.2024. Das Landgericht Dresden (LG) bestätigte die Unterbringung. Den Antrag der Betroffenen auf Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Wohnstätte lehnte es jedoch ab. Die Betroffene legte Beschwerde beim BGH ein.

Der BGH hob die Entscheidung des LG bezüglich der Unterbringung auf und stellte fest, dass die bereits abgelaufenen Zwangsbehandlungsmaßnahmen rechtswidrig gewesen seien. Nach Ansicht des BGH liegen die Voraussetzungen für eine Unterbringung zur Heilbehandlung nicht vor. Denn diese setze voraus, dass die Behandlung auch durchgeführt werden könne. Dies gehe nur über den natürlichen Willen des Betreuten zur Behandlung. Liegt dieser Wille nicht vor, müssen die Zwangsbehandlungen wirksam genehmigt werden. Das LG hatte diese nur bis zum 07.11.2024 genehmigt, dabei aber nicht ausreichend begründet, warum darüber hinaus noch Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden können. Auch wurde die Patientenverfügung der Betroffenen nicht ausreichend beachtet. Man hatte sie wegen der Erkrankung der Betroffenen schlichtweg als unwirksam erachtet, ohne in eine genaue Prüfung zu gehen.

Hinweis: Auch bei psychisch erkrankten Menschen ist der in einer Patientenverfügung festgehaltene Wille zu beachten bzw. zu prüfen, ob die Betroffenen einsichtsfähig genug sind, in diesem Bereich wirksam für sich selbst zu entscheiden.


Quelle: BGH, Beschl. v. 05.02.2025 - XII ZB 547/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Abhängig beschäftigt: Wann Rallyefahrer als Arbeitnehmer gelten und nicht als Selbständige

Das Landessozialgericht Hessen (LSG) musste das Ergebnis des Rentenversicherers prüfen, der seinerseits nach einer beantragten Prüfung festgestellt hatte: Dieser Rallyefahrer und sein Beifahrer sind keine Selbständigen, sondern abhängig Beschäftigte. Die Zeichen dafür, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) richtig lag, waren deutlich.

Das Landessozialgericht Hessen (LSG) musste das Ergebnis des Rentenversicherers prüfen, der seinerseits nach einer beantragten Prüfung festgestellt hatte: Dieser Rallyefahrer und sein Beifahrer sind keine Selbständigen, sondern abhängig Beschäftigte. Die Zeichen dafür, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) richtig lag, waren deutlich.

Eine Autofirma stellte infrage, dass ihre Rallyefahrer selbständig waren, und stellte deshalb einen Antrag bei der Deutschen Rentenversicherung. Die Firma hatte ja schließlich mit Fahrer und Beifahrer Verträge geschlossen, dass beide nur für dieses Team fahren durften, mussten ärztliche Untersuchungen durchlaufen und an Fitnessprogrammen teilnehmen. Die Firma durfte ihre Gesundheit regelmäßig kontrollieren. Zuerst bekam der Fahrer statt Geld ein Auto zur privaten Nutzung. Später gab es eine feste Jahresvergütung und Prämien. Die Pokale und Preise, die das Team gewann, blieben im Besitz der Autofirma. Auch das Aussehen der Rennausrüstung und der Fahrzeuge legte die Firma fest. Die Rentenversicherung stellte anhand dieser Prämissen fest, dass es sich um ein abhängiges Arbeitsverhältnis handelte.

Das LSG bestätigte diese Einschätzung. Die Firma bestimmte nicht nur die Arbeit selbst, sondern auch das komplette Umfeld. Fahrer und Beifahrer durften nicht für andere Teams fahren oder zusätzliches Geld durch Sponsoren verdienen. Der Beifahrer gab genaue Anweisungen, der Fahrer setzte sie direkt um - wie bei einem klassischen Team aus Chef und Ausführer. Außerdem lief alles rund um die Rennen - von der Anreise bis zur Abreise - nach den Plänen der Firma. Sie bestimmte den Ablauf, stellte alle nötigen Mittel wie Autos und Werkzeug zur Verfügung, und das Team trug kein unternehmerisches Risiko.

Hinweis: Wer eng in die Abläufe eines Unternehmens eingebunden ist, kein eigenes Risiko trägt und Vorgaben befolgen muss, arbeitet meist nicht selbständig. Auch der Wunsch, im Motorsport Karriere zu machen, macht daraus noch keinen freien Beruf.


Quelle: LSG Hessen, Urt. v. 16.05.2025 - L 1 BA 34/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Konkreter Unterstützungsbedarf: Betreuerbestellung ohne Kenntnis über Aufenthalt des Betroffenen möglich

Eine Betreuung ohne Kenntnis des aktuellen Aufenthaltsorts eines Betreuten klingt zunächst absurd, da sie unmöglich erscheint. Und dennoch: Auch in Abwesenheit können für den Betreuten richtungsweisende positive Entscheidungen getroffen werden. In diesem Fall musste der Bundesgerichtshof (BGH) über die Bestellung eines Berufsbetreuers und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge entscheiden.

Eine Betreuung ohne Kenntnis des aktuellen Aufenthaltsorts eines Betreuten klingt zunächst absurd, da sie unmöglich erscheint. Und dennoch: Auch in Abwesenheit können für den Betreuten richtungsweisende positive Entscheidungen getroffen werden. In diesem Fall musste der Bundesgerichtshof (BGH) über die Bestellung eines Berufsbetreuers und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge entscheiden.

Der Betroffene leidet an einer kognitiven Störung, die wahrscheinlich auf die beginnende Demenz zurückzuführen ist. Eine leichte Intelligenzminderung liegt ebenso vor. Der Mann drohte zu verwahrlosen. Im Jahr 2018 hatte der Mann einer nahestehenden Person eine umfassende notariell beurkundete Generalvollmacht erteilt. Trotzdem bestellte das zuständige Amtsgericht einen beruflichen Betreuer, unter anderem für Vermögenssachen. Ein Sachverständiger hatte dies nahegelegt. Ende 2023 widerrief der Betreuer die dem Vertrauten erteilte Vollmacht, so dass ein Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge angeordnet wurde. Bevollmächtigter und Betroffener legten Beschwerde ein und scheiterten. Der Rechtsbehelf wurde zurückgewiesen, ohne den Mann nochmal anzuhören. Denn dieser war am Heiligabend 2023 unter ungeklärten Umständen aus seiner Wohneinrichtung verschwunden und wird seitdem vermisst.

Der BGH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und betonte: Eine Betreuung ist nicht nur bei subjektiver Unfähigkeit des Betroffenen, seine Angelegenheiten selbst zu regeln, anzuordnen, sondern auch dann, wenn ein konkreter Unterstützungsbedarf besteht. Deshalb kann eine Betreuung auch angeordnet werden, wenn der Aufenthaltsort des zu Betreuenden derzeit unbekannt sei. Die Post, Behördengänge und weitere Tagesgeschäfte müssten schließlich trotzdem erledigt werden. Der angeordnete Einwilligungsvorbehalt sei schon deshalb notwendig, da dem Mann wegen seiner Krankheit und Persönlichkeitsstruktur eine konkrete massive Fremdbeeinflussung drohe. Dies könne sein Vermögen gefährden.

Hinweis: Bei der Betreuung geht es immer um das Wohl des Betroffenen. Insbesondere dessen Vermögen kann und muss auch in Abwesenheit geschützt werden. Deswegen kann auch eine Betreuung in Abwesenheit angeordnet werden.


Quelle: BGH, Beschl. v. 09.04.2025 - XII ZB 235/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Keine anwaltsspezifische Tätigkeit: Zur Vergütung einer während der Corona-Pandemie telefonisch bestellten Ergänzungspflegerin

Die Corona-Pandemie ist überwunden, deren Rechtsfolgen noch nicht. Welche Vergütung steht zum Beispiel einem während der Pandemie telefonisch bestellten Ergänzungspfleger zu? Die Abrechnungsmodalitäten eines solchen Ausnahmefalls gingen im folgenden Fall bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), der klären musste, wie eine Berufsbetreuerin zu vergüten sei.

Die Corona-Pandemie ist überwunden, deren Rechtsfolgen noch nicht. Welche Vergütung steht zum Beispiel einem während der Pandemie telefonisch bestellten Ergänzungspfleger zu? Die Abrechnungsmodalitäten eines solchen Ausnahmefalls gingen im folgenden Fall bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), der klären musste, wie eine Berufsbetreuerin zu vergüten sei.

Am 14.05.2019 ließen die Großeltern einen Schenkungs- und Übergabevertrag zur Übertragung von Grundeigentum auf die Enkelkinder beurkunden. Auf Seiten der Enkelkinder traten dabei deren Eltern auf. Für die ausstehende Genehmigung des Vertragsschlusses bestellte das zuständige Amtsgericht schließlich eine Ergänzungspflegerin für die Enkelkinder, bei der es sich um eine Berufsbetreuerin handelte. Die Verpflichtung erfolgte fernmündlich. Nachdem die Ergänzungspflegerin einige Punkte im Vertrag mit dem Notar erörtert hatte, genehmigte sie schließlich den Vertrag. Es bestünden keine Bedenken. Insbesondere ergab sich für die Enkelkinder keine Kostenlast, da der Vater die Übernahme etwaiger Kosten erklärt hatte. Später beantragte die Ergänzungspflegerin, ihre Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) festzusetzen, und errechnete rund 3.500 EUR bei einem Gegenstandswert von 260.000 EUR. Gegen diese Festsetzung richtete sich der Vater der Kinder.

Die Ergänzungspflegerin wurde nach Ansicht des BGH wirksam nach den damals geltenden Ausnahmeregelungen bestellt. Auch die Kosten wurden grundsätzlich wirksam festgesetzt. Die Vergütung des Ergänzungspflegers kann in Fällen wie dem vorliegenden auch gegen denjenigen festgesetzt werden, der sich zur Übernahme dieser Kosten vertraglich verpflichtet hat - in diesem Fall gegen den Vater. Allerdings konnte die Ergänzungspflegerin keine Kosten nach dem RVG geltend machen, denn dazu muss das Gericht bereits im Zusammenhang mit der Bestellung des Ergänzungspflegers aussprechen, dass dieser eine anwaltsspezifische Tätigkeit ausübt. Dies war hier nicht erfolgt.

Hinweis: Anwaltsgebühren nach dem RVG gibt es also nur für anwaltsspezifische Tätigkeiten. Werden diese bei der Bestellung der Ergänzungspfleger nicht festgestellt, sind nur Gebühren nach dem Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Betreuern möglich. Achten Sie hierauf, bevor Sie vorschnell eine Rechnung begleichen.


Quelle: BGH, Urt. v. 16.04.2025 - XII ZB 227/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Bitcoin statt Euro? Bundesarbeitsgericht bewertet Lohnzahlungen in Kryptowährung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich kürzlich mit der Frage befasst, ob Lohn auch in Bitcoin oder Ethereum ausgezahlt werden darf. In dem Fall aus der Kryptobranche traf das Gericht eine klare Entscheidung. Allerdings gibt es auch hierbei Einschränkungen - selbst, wenn beide Vertragsseiten anderes vereinbart haben. Lesen Sie hier, warum.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich kürzlich mit der Frage befasst, ob Lohn auch in Bitcoin oder Ethereum ausgezahlt werden darf. In dem Fall aus der Kryptobranche traf das Gericht eine klare Entscheidung. Allerdings gibt es auch hierbei Einschränkungen - selbst, wenn beide Vertragsseiten anderes vereinbart haben. Lesen Sie hier, warum.

Eine Mitarbeiterin war bei einem Unternehmen beschäftigt, das mit Kryptowährungen handelt. Neben ihrem Gehalt hatte sie Anspruch auf Provisionen. Diese sollten in Ethereum (ETH) ausgezahlt werden - basierend auf dem Wechselkurs am Auszahlungstag. Doch die Firma zahlte lange Zeit nichts aus. Erst Ende 2021 überwies sie einen größeren Betrag in Euro. Die Mitarbeiterin war damit nicht zufrieden und forderte weitere 19,194 ETH - umgerechnet rund 43.000 EUR. Die Firma meinte jedoch, Löhne dürften nur in Euro gezahlt werden.

Das sah das BAG anders. Es erklärte: Zwar sei Ethereum kein offizielles Zahlungsmittel. Aber sogenannte "Sachbezüge" - also nicht in Geld ausgezahlte Teile des Gehalts - sind erlaubt, wenn sie im Interesse der Beschäftigten liegen. Genau das war hier der Fall. Beide Seiten hatten die Auszahlung in Ethereum vereinbart. Allerdings schränkte das Gericht ein: Ein Teil des Lohns muss immer in Euro gezahlt werden - und zwar so viel, dass dieser Teil nicht gepfändet werden kann. Damit soll verhindert werden, dass Beschäftigte plötzlich ohne Geld dastehen, wenn der Kryptokurs einbricht oder sie schnell Bargeld benötigen.

Hinweis: Solche Sonderregelungen sind nur möglich, wenn beide Seiten das ausdrücklich vereinbaren. Kryptowährungen können Teil des Gehalts sein - aber nur unter bestimmten Bedingungen. Ein pfändungssicherer Grundbetrag muss immer in Euro gezahlt werden.


Quelle: BAG, Urt. v. 16.04.2025 - 10 AZR 80/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Teurer Softwaretest: Arbeitgeber gibt zu viele Daten preis und muss zahlen

Welche Daten seiner Mitarbeiter ein Arbeitgeber weitergeben darf, ist auch nach neun Jahren Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vielen unklar. Daher musste das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun auch über die Frage entscheiden, ob ein Arbeitgeber zu Testzwecken zu viele Mitarbeiterdaten an eine neue Personalsoftware  weitergegeben hatte, und - wenn ja - welche Schadensersatzforderung hierbei anzusetzen sei.

Welche Daten seiner Mitarbeiter ein Arbeitgeber weitergeben darf, ist auch nach neun Jahren Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vielen unklar. Daher musste das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun auch über die Frage entscheiden, ob ein Arbeitgeber zu Testzwecken zu viele Mitarbeiterdaten an eine neue Personalsoftware  weitergegeben hatte, und - wenn ja - welche Schadensersatzforderung hierbei anzusetzen sei.

Ein Unternehmen wollte eine neue Software zur Personalverwaltung testen und übermittelte dafür echte Mitarbeiterdaten an die Konzernmutter. Laut einer Betriebsvereinbarung durfte der Arbeitgeber auch bestimmte Daten weitergeben - wie Name, Eintrittsdatum und Arbeitsort. Tatsächlich aber schickte er zudem noch sensible Informationen wie Gehalt, Privatadresse, Geburtsdatum und Steuer-ID. Ein Mitarbeiter war damit nicht einverstanden. Er meinte, diese Daten seien für den Test nicht nötig gewesen, und verlangte 3.000 EUR Schadensersatz, weil er die Kontrolle über seine Daten verloren hatte.

Der Fall ging durch alle Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof und endete schließlich beim BAG. Eben dieses Gericht gab dem Mitarbeiter nun Recht - zumindest teilweise. Das BAG sah durchaus einen Verstoß gegen die DSGVO, weil der Arbeitgeber mehr Daten als erlaubt weitergegeben hatte. Doch in der Konsequenz zeigte sich das Gericht weniger großzügig als vom Mitarbeiter erwartet; es sprach dem Mann 200 EUR Schadensersatz zu.

Hinweis: Auch wenn der Schadensersatz gering war, kann ein Verstoß gegen den Datenschutz teuer werden - vor allem wegen des hohen Aufwands bei solchen Verfahren. Arbeitgeber sollten stets nur die Daten weitergeben, die wirklich notwendig sind - eine Betriebsvereinbarung ersetzt die datenschutzrechtlichen Grenzen nämlich nicht.


Quelle: BAG, Urt. v. 08.05.2025 - 8 AZR 209/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Verhüllungsverbot schlägt Religionsfreiheit: Gesichtsschleier Nikab bleibt strenggläubiger Muslima hinterm Steuer verboten

Oft wird vermutet, dass Grundrechte immer und überall andere rechtliche Bedenken schlagen. Klingt logisch - ist es aber nicht. Das zeigt besonders dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (VG): Hier war die Religionsfreiheit mit der Sicherheit im Straßenverkehr abzuwägen - und es war nicht unerheblich, dass es hierbei auch um die Sicherheit anderer ging.

Oft wird vermutet, dass Grundrechte immer und überall andere rechtliche Bedenken schlagen. Klingt logisch - ist es aber nicht. Das zeigt besonders dieses Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin (VG): Hier war die Religionsfreiheit mit der Sicherheit im Straßenverkehr abzuwägen - und es war nicht unerheblich, dass es hierbei auch um die Sicherheit anderer ging.

Die Klägerin beantragte die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs mit einer das Gesicht verhüllenden, lediglich die Augen freilassenden Verschleierung, einer sogenannten Nikab. Die 33-jährige Deutsche berief sich dabei auf ihren muslimischen Glauben. Sie wolle "zu den besten Frauen des Propheten gehören" und selbst darüber entscheiden, wer wie viel von ihrem Körper bzw. ihrem Gesicht sehen dürfe. Mit Bescheid vom 22.01.2024 lehnte die Berliner Senatsverwaltung die begehrte Ausnahmegenehmigung ab. Von dem gesetzlichen Verbot, das Gesicht beim Führen eines Kraftfahrzeugs so zu verhüllen oder zu verdecken, dass der Fahrzeugführer nicht mehr erkennbar ist, sei im Fall der Klägerin keine Ausnahme zu machen. Genau dagegen klagte die Frau.

Das VG hat die Klage jedoch abgewiesen. Eine Ausnahmegenehmigung könne die Klägerin auch mit Blick auf ihre grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit nicht beanspruchen. Diese müsse nach Abwägung aller widerstreitenden Interessen hinter anderen Verfassungsgütern zurücktreten. Das Verhüllungsverbot gewährleiste eine effektive Verfolgung von Rechtsverstößen im Straßenverkehr, indem es die Identifikation der Verkehrsteilnehmer ermögliche, etwa im Rahmen von automatisierten Verkehrskontrollen. Es diene zudem dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums Dritter, weil sich Kraftfahrzeugführer, die damit rechnen müssten, bei Regelverstößen herangezogen zu werden, eher verkehrsgerecht verhalten würden als nicht ermittelbare Autofahrer. Diesen Gesichtspunkten gegenüber wiegt der Eingriff in die Religionsfreiheit der Klägerin weniger schwer. Ein gleich wirksames, aber mit geringeren Grundrechtseinschränkungen verbundenes Mittel zur Erreichung der mit dem Verhüllungsverbot verfolgten Zwecke stehe nicht zur Verfügung. So könne etwa eine Fahrtenbuchauflage nur dem Halter eines Fahrzeugs auferlegt werden; die Klägerin begehre jedoch eine Ausnahme in ihrer Eigenschaft als Führerin eines Fahrzeugs. Gleichermaßen ungeeignet erscheint der Vorschlag der Klägerin, eine Nikab mit einem "einzigartigen, fälschungssicheren QR-Code" zu versehen und die Ausnahme vom Verhüllungsverbot mit einer solchen Auflage zu verbinden. Denn dadurch sei nicht sichergestellt, dass die Person, die den Nikab trage, auch tatsächlich die Person sei, für die der QR-Code erstellt wurde.

Hinweis: Die Entscheidung entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung. So hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in einem Beschluss vom 13.08.2024 (7 A 10660/23.OVG) argumentiert, dass die Straßenverkehrs-Ordnung einem Autofahrer in § 23 Abs. 4 verbietet, das Gesicht "so zu verhüllen oder zu verdecken, dass er nicht mehr erkennbar ist".


Quelle: VG Berlin, Urt. v. 27.01.2025 - 11 K 61/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 07/2025)

Betriebspflicht in Einkaufszentren: Fehlender Konkurrenzausschluss spricht nicht gegen Offenhaltungspflicht

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Als Mieter eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum muss man einige seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheiten abgeben - so zum Beispiel jene, die Öffnungszeiten des eigenen Betriebs unabhängig zu bestimmen. Wie weit eine solche Betriebs- und Offenhaltungspflicht von Einkaufszentren aber gehen darf, musste im folgenden Fall der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.

Ein Mieter hatte ein Ladenlokal in einem Einkaufszentrum zum Betrieb "eines hochwertigen "Fan World‘-Einzelhandelsgeschäfts für den Verkauf von Fan-, Lizenz- und Geschenkartikeln und Assessoires" gemietet. Dabei wurden vertraglich eine entsprechende Sortimentsbindung, ein Ausschluss von Konkurrenzprodukten sowie die Betriebspflicht vereinbart, das Ladengeschäft zu den Kernöffnungszeiten Montag bis Samstag von 9 Uhr bis 22 Uhr geöffnet zu halten. Der Mieter hielt sich jedoch nicht an diese Öffnungszeiten. Schließlich klagte die Vermieterin auf Einhaltung der Öffnungszeiten.

Der BGH stellte klar, dass die formularvertraglich vereinbarte Betriebs- und Offenhaltungspflicht des Mieters eines Ladengeschäfts in einem Einkaufszentrum auch im Zusammenspiel mit fehlendem Konkurrenzschutz keine unangemessene Benachteiligung darstellt, wenn sie mit keiner hinreichend konkreten Sortimentsbindung verbunden ist. Im Ergebnis war deshalb für den vorliegenden Fall die Kombination der Betriebspflicht mit der nur vage abgrenzbaren Sortimentsbindung und dem Ausschluss jedes Sortiments- und Konkurrenzschutzes unter dem Aspekt des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu beanstanden. Damit hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Sache an eben jene zurück, um erneut darüber zu entscheiden.

Hinweis: Wer langfristige Mietverträge im Gewerbebereich abschließt, sollte auf der Hut sein. Fehler beim Abschluss des Vertrags können weitreichende finanzielle Konsequenzen haben. Die Prüfung durch einen Rechtsanwalt ist mehr als sinnvoll.


Quelle: BGH, Urt. v. 06.10.2021 - XII ZR 11/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Entlassung des Testamentsvollstreckers: Pflichtverletzungen müssen schuldhaft begangen und von erheblichem Gewicht sein

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Ein Testamentsvollstrecker kann aus seinem Amt nur entlassen werden, wenn ein wichtiger Grund hierfür vorliegt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hat sich in einer Entscheidung aus Oktober 2021 nochmals mit den Voraussetzungen auseinandergesetzt, unter denen ein Testamentsvollstrecker wegen Pflichtverletzung aus seinem Amt entlassen werden kann.

Der Erblasser hinterließ mehrere Erben in einer ungeteilten Erbengemeinschaft und ordnete zudem eine Testamentsvollstreckung an. Eine Miterbin, die dem Testamentsvollstrecker pflichtwidriges Verhalten wegen angeblich rechtswidriger Zahlungen an andere Miterben vorwarf, beantragte die Entlassung aus dem Amt. Nachdem das Nachlassgericht diesem Antrag zunächst stattgegeben hatte, hob das OLG die Entscheidung auf.

Eine Entlassung aus dem Amt des Testamentsvollstreckers käme nur dann in Betracht, wenn die zur Last gelegte Pflichtverletzung dazu geeignet sei, die berechtigten Belange des antragstellenden Miterben - insbesondere seine Vermögensinteressen - zu beeinträchtigen. Die Pflichtverletzung muss darüber hinaus schuldhaft begangen worden und von erheblichem Gewicht sein. Dies kann nur angenommen werden, wenn es sich um eine grobe Verfehlung des Testamentsvollstreckers handelt, die vergleichbar ist mit einer Untätigkeit. Schließlich muss eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Erblassers an der Fortführung der Testamentsvollstreckung und dem Interesse der Erben vorgenommen werden. Nur wenn dem Antragsteller eine Fortsetzung im Amt des Testamentsvollstreckers nicht mehr zugemutet werden kann, kommt eine Entlassung durch das Nachlassgericht in Betracht. Nach Ansicht des OLG lagen bereits im Tatsächlichen keine der genannten Voraussetzungen im konkreten Fall vor.

Hinweis: Das Recht der Erben, einen Testamentsvollstrecker zu entlassen, kann durch den Erblasser im Rahmen seiner Verfügung von Todes wegen nicht wirksam eingeschränkt werden.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.10.2021 - 3 Wx 59/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Rotlichtverstoß: Absehen vom Fahrverbot als unzumutbare Härte bei Dreifachmutter in Ausbildung

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Der folgende Fall des Amtsgerichts Dortmund (AG) zeigt, dass Gerichte durchaus fähig sind, Strafen an die individuelle Lebenssituation anzupassen. Doch Vorsicht: Das ist kein Freibrief, das Gaspedal des fahrbaren Untersatzes durchzudrücken. Denn auf die Tränendrüse zu drücken, ist vor Gericht kein Garant für Milde.

Eine Autofahrerin überfuhr eine rote Ampel. Da das Rotlicht bereits länger als eine Sekunde aufleuchtete, wurde neben einem Bußgeld und zwei Punkten auch ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Die Betroffene legte Einspruch ein: Als Mutter von drei Kindern träfe sie das Fahrverbot besonders hart. Das sah sogar das AG nicht anders.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Verhängung eines Fahrverbots in diesem Fall eine unzumutbare Härte darstellt. Die Betroffene ist Mutter von drei Kindern im Alter von zwölf, neun und zweieinhalb Jahren. Sie selbst befindet sich in der Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen. Die jüngeren Kinder besuchten die Grundschule bzw. Kita, zu welchen die Betroffene die Kinder jeden Morgen fahre. Die Einrichtungen liegen nebeneinander, so dass sie anschließend ihre Ausbildungsstätte anfahren könne. Zweimal in der Woche müsse sie in die Berufsschule. Abends hole sie die Kinder auf dem Rückweg ab. Ihr Mann sei Landschaftsgärtner, er arbeite oft außerhalb und könne die Fahrten nicht übernehmen.

Hinweis: Das AG hat in seiner Entscheidung zudem berücksichtigt, dass eine anzuordnende Schonfrist nach § 25 Abs. 2a StVG durchaus die Situation im Rahmen der Vollstreckung entspannen und zudem auch Urlaub genommen werden könne. Die Betroffene erklärte hier jedoch nachvollziehbar, dass sie im laufenden Jahr nicht ausreichend Urlaubsansprüche habe, um das Fahrverbot entsprechend abzubüßen.


Quelle: AG Dortmund, Urt. v. 05.08.2021 - 729 OWi-253 Js 1054/21-83/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Trotz Gehbehinderung: Beklagter muss Abschleppkosten nach (mehrmaligem) Falschparken in der Tiefgarage zahlen

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Sicherlich gibt es Fälle, in denen es geboten ist, als Gericht gegebene Lebensumstände näher zu betrachten, wenn körperliche Beeinträchtigungen eines Beklagten dafür sprechen, Milde walten zu lassen. Eine Behinderung jedoch als Freibrief zu nutzen, sein Fahrzeug trotz mehrmaligen Hinweises im Halteverbot abzustellen, lässt das Amtsgericht München (AG) nicht durchgehen.

Der Sohn des 87-jährigen Beklagten hatte dessen Fahrzeug in der Tiefgarage einer Wohnanlage in einem Bereich abgestellt, der mit eingeschränktem Halteverbot beschildert war. Der Hausmeister der Anlage beauftragte daraufhin das klagende Abschleppunternehmen mit der Entfernung des Fahrzeugs, wofür das Unternehmen einen Tiefgaragenberger und einen Kranplateauschlepper schickte. Bei deren Eintreffen befand sich das Fahrzeug jedoch nicht mehr in der Tiefgarage. Der Beklagte trug vor, sein Sohn hätte das Fahrzeug maximal für 15 Minuten dort abgestellt, um ihn abzuholen. Der Hausmeister wiederum wisse, dass er nur kurze Strecken zu Fuß zurücklegen könne und wegen seiner Behinderung eine Begleitung benötige. Mit Anruf oder Klingeln hätte man die Störung schnell beseitigen können. Der Hausmeister gab als Zeuge jedoch an, dass das Fahrzeug an selbiger Stelle den Zugang zu anderen Garagenboxen oft für Stunden in (geschätzt) 50 Fällen blockiert habe. Er habe den Halter fast jedes Mal darauf angesprochen. Mit der Hausverwaltung sei daher abgestimmt worden, dass man den Wagen beim nächsten Mal abschleppen lasse. Natürlich sei das Parken dort praktisch, da diese Stelle unmittelbar neben dem Zugang zum Aufzug liege - seine genau dort befindliche Garagenbox habe der Beklagte allerdings anderweitig vermietet. Zudem gebe es einen für längeres Halten vorgesehenen Platz in nur 15 Metern Entfernung. Der Sohn erklärte in seiner Zeugenaussage, maximal fünfmal angesprochen worden zu sein. Andere Hausbewohner dürften dort unbeanstandet be- und entladen. Der Hausmeister hege wohl einen Grundhass gegen ihn.

Das AG gab nach Anhörung aller Argumente schließlich der Klägerin Recht und verurteilte den Beklagten zur Zahlung der Abschleppkosten. Das Gericht war davon überzeugt, dass das Fahrzeug dort über einen längeren Zeitraum geparkt habe, ohne dass ein konkretes Ein- oder Aussteigen oder ein Be- bzw. Entladevorgang vorlag. Auch habe der Sohn des Beklagten zugegeben, dass er das Parkverbotsschild kannte und bereits in früherer Zeit mehrfach seitens des Hausmeisters der Anlage darauf hingewiesen worden war, dass an dieser Stelle ein Parkverbot bestehe und bei Zuwiderhandlung ein Abschleppen drohe.

Hinweis: Zutreffend weist das AG darauf hin, dass vor Beauftragung des Abschleppunternehmens eine Recherche dahingehend nicht erforderlich sei, welches Abschleppunternehmen das Abschleppen am kostengünstigsten durchführt. Etwas anderes gilt in Fällen von vorhandenen Rahmenverträgen zwischen Grundstücksbesitzern und Abschleppunternehmen.


Quelle: AG München, Urt. v. 31.08.2021 - 473 C 2216/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Neues zu Flugverspätungen: Ist der Verspätungszeitraum strittig, ist die Beweisführung für Passagiere schwierig

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Wenn ein Flug Verspätung hat, muss der Reiseveranstalter häufig Zahlungen leisten. Doch an der Frage, wer die Verspätung eigentlich beweisen muss, scheiden sich die Geister. Denn rein faktisch - und allein daran hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) gehalten - muss das der Passagier. Rein praktisch ist dies schwierig, doch lesen Sie selbst.

Es ging um einen Flug von Bremen nach Teneriffa, wo das Flugzeug planmäßig um 15:25 Uhr landen sollte. Wegen eines technischen Defekts verzögerte sich der Abflug um circa drei Stunden, die genaue Ankunftszeit war zwischen den Parteien streitig. Der Fluggast behauptete, die Ankunft wäre erst um 18:35 Uhr gewesen, die Fluggesellschaft meinte, die Landung wäre eher erfolgt - also unterhalb der Dreistundengrenze. Nun klagte der Fluggast eine Entschädigungszahlung ein.

Die Beweislast für das Vorliegen einer großen Ankunftsverspätung trifft nun einmal den Fluggast. Ist unsicher, ob die Ankunftsverspätung mindestens drei Stunden betragen hat, ist das Luftfahrtunternehmen zwar verpflichtet, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen mitzuteilen, die Rückschlüsse auf den maßgeblichen Zeitpunkt ermöglichen. Es ist aber laut BGH nicht dazu verpflichtet, im Bordbuch oder an anderer Stelle den Zeitpunkt zu dokumentieren, zu dem beispielsweise die erste Tür geöffnet und den Fluggästen der Ausstieg ermöglicht worden ist. Da der Fluggast hier also nicht beweisen konnte, dass sich der Flug um mehr als drei Stunden verspätet hatte, bekam er auch keine Entschädigungszahlung.

Hinweis: Hat ein Flug einmal eine Verspätung gehabt, kommt es darauf an, wie lang die Verspätung war. Am besten beauftragen Sie den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens mit einer Prüfung der Angelegenheit.


Quelle: BGH, Urt. v. 09.09.2021 - X ZR 94/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Elternzeit endet automatisch: Besonderer Kündigungsschutz endet nach Trennung und Verbleib der Kinder beim Partner

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Wenn man sich den Fall in Ruhe zu Gemüte führt, scheint der Ausgang logisch. Dennoch überraschte das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) gegen eine Arbeitgeberin in Elternzeit so einige. Vorweggenommen sei daher auch, dass das Bundesarbeitsgericht (BAG) hierzu noch das letzte Wort zu sprechen hat.

Eine Arbeitnehmerin war für drei Jahre in Elternzeit. Währenddessen trennte sie sich jedoch von ihrem Ehemann, der die Kinder behielt. Ein Jahr nach Beginn der Elternzeit beleidigte und verleumdete die Frau einige ihrer Kollegen und Vorgesetzten mit öffentlich zugänglichen Posts auf ihrem privaten Facebook-Account. Der Arbeitgeber kündigte deshalb das Arbeitsverhältnis fristlos. Dagegen klagte die Arbeitnehmerin. Sie meinte, die Kündigung sei allein deshalb schon unwirksam, weil der Arbeitgeber vorher nicht die Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingeholt habe. Denn sie stehe schließlich nach § 18 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz unter besonderem Kündigungsschutz.

Das sah das LAG jedoch anders. Denn der Anspruch auf Elternzeit setzt voraus, dass Arbeitnehmer mit ihrem Kind in einem Haushalt leben und es selbst betreuen. Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, seinen Arbeitgeber unverzüglich zu informieren, wenn diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist. Die Elternzeit endete nach Auffassung der Richter automatisch. Hier hatte die Mitarbeiterin nach der Trennung von ihrem Mann und den Kindern deshalb keinen besonderen Kündigungsschutz mehr - und es lag zudem ein wichtiger Kündigungsgrund vor. Die Kündigung hatte das Arbeitsverhältnis also gültig beendet.

Hinweis: In dieser Sache ist unter Umständen noch nicht das letzte Wort gesprochen. Denn das BAG hat zu dieser Frage noch nichts entschieden. Vieles spricht jedoch dafür, dass das Urteil richtig ist.


Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.09.2021 - 12 Sa 23/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Landes- oder Bundesgesetz? BGH trifft Entscheidung zur (landes-)gesetzlichen Regelung von grenzüberschreitender Wärmedämmung

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Grundsätzlich dürfen nur Arbeiten am Gebäude vorgenommen werden, die den Nachbarn nicht beeinträchtigen. Doch das ist bei der Wärmedämmung bei dicht aneinander stehenden Häusern - insbesondere im Innenstadtbereich - nicht ganz einfach. Deshalb gibt es nicht nur landesrechtliche Regelungen, sondern zudem ein Bundesgesetz. Was im Streitfall gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun entschieden.

Es ging um einen Nachbarschaftsstreit in Nordrhein-Westfalen. Die beiden betreffenden Grundstücke waren mit Mehrfamilienhäusern bebaut. Die Giebelwand des vor mehreren Jahrzehnten errichteten Gebäudes des einen Nachbarn stand direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, während das Gebäude des anderen Nachbarn etwa fünf Meter von der Grenze entfernt war. Eine Innendämmung des auf der Grundstücksgrenze stehenden Gebäudes konnte nicht mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden. Deshalb verlangte nun der eine Nachbar von dem anderen, dass die grenzüberschreitende Außendämmung der Giebelwand zu dulden ist, und klagte sein Recht ein. Nun kam es darauf an, ob die nordrhein-westfälische Regelung rechtmäßig war oder die Regelungen, die der Bund für solche Fälle vorsieht.

Der BGH hat die nordrhein-westfälische Regelung für rechtmäßig angesehen und den Überbau erlaubt. Das Nachbarrecht des Bundes regelt in § 912 BGB, unter welchen Voraussetzungen ein rechtswidriger Überbau auf das Nachbargrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes geduldet werden muss. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass ein vorsätzlicher Überbau im Grundsatz nicht hingenommen werden muss. Erlaubt ist hingegen der Erlass neuer landesgesetzlicher Vorschriften, die das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn anderen als den im BGB bestimmten Beschränkungen unterwerfen.

Das Landesrecht darf Beschränkungen vorsehen, die dieselbe Rechtsfolge wie eine vergleichbare nachbarrechtliche Regelung des Bundes anordnen, aber an einen anderen Tatbestand anknüpfen und einem anderen Regelungszweck dienen. Allerdings muss dabei die Grundkonzeption des Bundesgesetzes gewahrt bleiben - und das war hier der Fall.

Hinweis: Wer eine Wärmedämmung anbringen möchte und dabei nicht nur das Grundstück des Nachbarn betreten, sondern es sogar überbauen will, sollte auf der rechtlich sicheren Seite sein. Dabei hilft ein Rechtsanwalt.


Quelle: BGH, Urt. v. 12.11.2021 - V ZR 115/20
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Bummel-Azubi: Berufsausbildungsbeihilfe bei objektiv ausgeschlossenem Unterhaltsanspruch gegen die Eltern

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Eltern müssen ihrem Kind Unterhalt zahlen, bis es seine erste berufliche Ausbildung abgeschlossen hat. Doch dieses Recht der Kinder geht gleichsam mit deren Pflicht einher, den Bogen bei ihren Bemühungen und dem zeitlichen Rahmen nicht zu überspannen. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (LSG) musste im Folgenden darüber bestimmen, ob ein Kind seine Eltern auf Unterstützung verklagen muss, wenn es seinerseits einsichtig ist, dass Vater und Mutter ihm in dieser Angelegenheit nichts mehr schulden.

Im Zeitraum von acht Jahren hatte ein Mann ingesamt fünf Ausbildungen bzw. Studiengänge begonnen und wieder abgebrochen. Dessen Eltern hatten ihm bis zum 25. Geburtstag noch das Kindergeld weitergeleitet und danach nichts mehr an ihn gezahlt. Für die 2012 begonnene sechste Ausbildung beantragte der Sohn, der inzwischen verheiratet war, nun elternunabhängige Berufsausbildungshilfe (BAB), ein mit BAföG vergleichbares System. Er begründete den Antrag damit, dass seine Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig seien, da er die jeweiligen Ausbildungen übermäßig verzögert und damit die Verpflichtung zu Zielstrebigkeit, Fleiß und Sparsamkeit verletzt habe. Demnach habe er seine Eltern auch nicht verklagen müssen, um die fehlende Unterhaltspflicht nachzuweisen.

Das LSG sah es wie der Sohn: Bei einer solchen Sachlage sind Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig. Und wenn der Unterhaltsanspruch des Auszubildenden nach objektivem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist, muss er auch kein Gerichtsverfahren gegen seine Eltern führen.

Hinweis: Verzögerungen der Ausbildungszeit, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind, müssen Eltern hinnehmen. Verletzt das Kind aber nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen. Eine Unterhaltspflicht kommt umso weniger in Betracht, je älter der Auszubildende ist, je eigenständiger er seine Lebensverhältnisse gestaltet und je weniger eine Kommunikation über seine Ausbildungspläne erfolgt.


Quelle: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 08.10.2021 - L 2 AL 49/14
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Betriebsratswahl: Nur schwerwiegende Fehler führen zum Wahlabbruch im Eilverfahren

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

Möchte ein Arbeitgeber eine Betriebsratswahl stoppen, kann er das im Eilverfahren vor dem Gericht versuchen. Die Erfolgsaussichten sind allerdings nicht sonderlich groß, wie das folgende Urteil des Arbeitsgerichts Berlin (ArbG) einmal mehr beweist.

In einem Betrieb sollte der Betriebsrat neu gewählt werden. Der eingesetzte Wahlvorstand wurde dann jedoch vom Arbeitgeber aufgefordert, das eingeleitete Verfahren zur Wahl eines Betriebsrats abzubrechen. Denn er meinte, dass das Verfahren zur Bestellung des Wahlvorstands nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei - weder sei die Wahlausschreibung ordnungsgemäß ausgefüllt noch an allen erforderlichen Orten ausgehängt worden. Die zur Wahl Aufgerufenen würden teilweise nicht in den Zuständigkeitsbereich des Wahlvorstands fallen und dürften nicht wählen, weil sie nicht Beschäftigte im Betrieb seien. Der Arbeitgeber leitet ein arbeitsgerichtliches Eilverfahren ein.

Doch die Richter des ArbG entschieden, dass die Betriebsratswahl zumindest nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren abzubrechen war. Sie stellten klar, dass dies nur ausnahmsweise möglich sei - und zwar dann, wenn ganz erhebliche Fehler festgestellt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass die entsprechenden Fehler zur Nichtigkeit der Wahl führen könnten. Das war hier nicht gegeben.

Hinweis: In der Regel kann der Arbeitgeber erst nach Abschluss der Wahl prüfen, ob diese korrekt abgelaufen ist. Gegebenenfalls kann er dann die Wahl anfechten und durch das ArbG für unwirksam erklären lassen. Ein Eilverfahren ist dagegen nur dann möglich, wenn es sich um wirklich schwerwiegende und offensichtliche Fehler handelt.


Quelle: ArbG Berlin, Beschl. v. 17.11.2021 - 3 BVGa 10332/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Nur bei tatsächlicher Mehrarbeit: Keine grundsätzliche Verweigerung von Rufbereitschaft durch schwerbehinderte Arbeitnehmer

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Mitarbeiter mit schweren Behnderungen müssen keine Mehrarbeit leisten. Wie sich dieser gesetzlich verankerte Umstand auf die Rufbereitschaft auswirkt, war Dreh- und Angelpunkt im folgenden Arbeitsrechtsfall, der schließlich  vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgefochten wurde.

Ein als Wassermeister beschäftigter Arbeitnehmer sollte in jeder vierten Woche nach dem Ende der täglichen Arbeitszeit sowie am Wochenende Rufbereitschaft absolvieren, um damit die Trinkwasserversorgung zu gewährleisten. Er konnte sich währenddessen aufhalten, wo er wollte, musste aber bei Bedarf zur Arbeit kommen. Für diese tatsächlichen Einsatzzeiten erhielt er einen Freizeitausgleich. Da der Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten gleichgestellt war, meinte er nun, keine Rufbereitschaft mehr leisten zu müssen. Die Bereitschaftszeit sei stets als Mehrarbeit einzuordnen und für ihn somit unzumutbar und unzulässig.

Das BAG sah jedoch keinen Anspruch auf eine vollständige Befreiung von der Rufbereitschaft. Allerdings verwiesen die Richter die Angelegenheit an das Landesarbeitsgericht als Vorinstanz zurück. Das muss jetzt noch prüfen, ob die Rufbereitschaft hier tatsächlich als Arbeitszeit gilt. Denn da es sich bei einer Rufbereitschaft nicht immer um Mehrarbeit handelt, können schwerbehinderte Arbeitnehmer diese auch nicht grundsätzlich ablehnen.

Hinweis: Es kommt also darauf an, ob es sich bei der Rufbereitschaft um Mehrarbeit handelt oder nicht. Liegt keine Mehrarbeit vor, können schwerbehinderte und gleichgestellte Arbeitnehmer die Rufbereitschaft natürlich  nicht grundsätzlich ablehnen.


Quelle: BAG, Urt. v. 27.07.2021 - 9 AZR 448/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schutzbehauptung entlarvt: Angestrengte Körperhaltung auf dem Messfoto kann für vorsätzliche Begehung sprechen

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein sogenanntes Blitzerfoto ist ärgerlich, denn es führt meist zu unerfreulichen Konsequenzen. Dass es nicht nur Kenntnis darüber geben kann, wer zum fraglichen Zeitraum am Steuer saß, zeigt der folgende Fall des Amtsgerichts Straubing (AG). Denn hier diente der Fotobeweis dem Senat auch dazu, die entsprechende Gemütsverfassung des Fahrers beim Begehen des Verkehrsdelikts zu interpretieren - und dessen Veto als Schutzbehauptung zu entlarven.

Ein Autofahrer befuhr innerorts eine Straße und wurde hierbei aufgrund einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 60 % geblitzt. Daraufhin erging ein Bußgeldbescheid, in dem ihm eine vorsätzliche Geschwindigkeitsübertretung vorgeworfen wurde, was zur Verdoppelung des Bußgelds führte. Zudem wurde ein Fahrverbot verhängt. Dagegen legte der Mann Einspruch ein. Er berief sich darauf, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Es sei einige Jahre zuvor noch eine Limitierung auf 70 Stundenkilometer vorhanden gewesen, was er genau so wohl noch in Erinnerung gehabt habe.

Dennoch ging das AG aus unterschiedlichen Gründen davon aus, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung vorsätzlich begangen wurde. Zum einen sei der Mann innerorts losgefahren und habe kein Ortsschild passiert, das das Ende der Ortschaft anzeigen würde. Die Behauptung, früher seien dort 70 Stundenkilometer erlaubt gewesen, sah das AG als eine Schutzbehauptung an. Nachforschungen hatten ergeben, dass an der betreffenden Stelle seit mindestens fünf Jahren Tempo 50 gilt. Die Straße führe an der Messstelle sogar bergauf, so dass die bewusste Betätigung des Gaspedals notwendig sei, um das gefahrene Tempo zu halten oder gar zu steigern. Außerdem hatte der Betroffene selbst ein Motiv eingeräumt - er hatte es eilig, weil er noch Unterlagen von zu Hause abholen musste. Dies sei auch am Messfoto zu erkennen. Der Fahrer wirke darauf sehr konzentriert, schaue mit weit geöffneten Augen nach vorne, was in Augen des AG Anspannung und Konzentration widerspiegele. Die sichtbare Hand umklammere das Lenkrad mit fester Faust, auch das weise auf Anspannung und somit Vorsatz hin. Zudem musste der Mann anhand der Umgebung erkennen, dass er sich innerhalb eines Orts befand.

Hinweis: Die Bußgeldkatalogverordnung geht beim Regelsatz von fahrlässiger Begehungsweise aus. Vorsatz bedeutet, dass die Ordnungswidrigkeit mit Absicht und in vollem Bewusstsein begangen wurde. Ein direkter Vorsatz liegt vor, wenn der Fahrer sicher ist, dass die Tat, die er ausüben möchte, gesetzlich nicht erlaubt ist. Mit bedingtem Vorsatz handelt ein Fahrer, wenn er ernsthaft die Möglichkeit sieht, dass sein Handeln eine Missachtung des Gesetzes ist und er das Ergebnis seiner Tat billigend in Kauf nimmt.


Quelle: AG Straubing, Urt. v. 16.08.2021 - 9 OWi 705 Js 16602/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Abgasskandal: Voraussetzungen für den Rücktritt vom Kaufvertrag

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Die Klagen rund um den Diesel- oder auch Abgasskandal nehmen sicherlich noch eine Weile die Gerichte in Anspruch. Im Folgenden hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage zu befassen, ob Käufer von Neufahrzeugen, die vom Abgasskandal betroffen sind, vom Kaufvertrag ohne Fristsetzung zurücktreten können oder dem Verkäufer zuvor Gelegenheit zur Mangelbeseitigung - beispielsweise durch ein Software-Update - gegeben werden muss.

Der Kläger erwarb im Jahr 2015 bei der beklagten Fahrzeughändlerin ein mit einem von VW hergestellten Dieselmotor EA 189 ausgestattetes Neufahrzeug der Marke Škoda. Nachdem die Verwendung entsprechender Vorrichtungen bei Dieselmotoren dieses Typs im Verlauf des sogenannten Dieselskandals öffentlich bekannt geworden war, erklärte der Kläger im Herbst 2017 den Rücktritt vom Vertrag. Die Beklagte verweigerte die Rücknahme des Fahrzeugs und verwies den Kläger auf das von VW entwickelte und von der zuständigen Behörde freigegebene Software-Update. Der Kläger ließ das Software-Update jedoch nicht aufspielen, weil er negative Folgen für das Fahrzeug befürchtete.

Der BGH entschied, dass eine dem Verkäufer vor Ausübung eines mangelbedingten Rücktrittsrechts vom Käufer einzuräumende Frist zur Nacherfüllung nicht allein deshalb entbehrlich - also verzichtbar - ist, weil das betreffende Fahrzeug vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht worden ist. Auch der (bloße) Verdacht, dass ein zur Mängelbeseitigung angebotenes Software-Update zu anderen Nachteilen am Fahrzeug führen könne, zähle nicht. Hier bedarf es zunächst einer weitergehenden Prüfung und einer (sachverständigen) Feststellung. Ein Rücktritt setze grundsätzlich einen Sachmangel voraus. Ebenso müsse dazu eine erfolglose (angemessene) Fristsetzung zur Nacherfüllung (Nachbesserung oder Nachlieferung) vorausgehen. Der Senat hat den Rechtsstreit daher zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.

Hinweis: Eine Fristsetzung ist nur entbehrlich, wenn dem Käufer eine Nacherfüllung unzumutbar ist oder besondere Umstände unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Dies bejaht die höchstrichterliche Rechtsprechung unter anderem dann, wenn der Verkäufer dem Käufer einen ihm bekannten Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat, weil hierdurch regelmäßig die auf Seiten des Käufers zur Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage entfällt. Diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht ohne weiteres auf Fälle wie diesen übertragen, in denen zwar der Hersteller das Fahrzeug mit einem ihm bekannten und verschwiegenen Mangel - der unzulässigen Abschalteinrichtung - in den Verkehr gebracht hat, dem Verkäufer selbst dieser Mangel bei Vertragsabschluss aber nicht bekannt war.


Quelle: BGH, Urt. v. 29.09.2021 - VIII ZR 111/20
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Laden im Lockdown: Coronapandemie ist allein kein Grund für Zahlungseinstellung von Gewerberaummiete

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es gibt ein neues Urteil zur Frage der Einstellung von Gewerberaummiete während der coronabedingten Geschäftsschließungen. Dieses Mal war es am Landgericht Osnabrück (LG), darüber zu befinden, ob die behördlich erzwungene Schließung einer Gewerbemietsache automatisch einen Sachmangel darstelle.

Es ging um ein Geschäft, das während der COVID-19-Pandemie geschlossen werden musste. Das Unternehmen betrieb viele Warenhäuser, zahlte aber für eine Geschäftsfläche keine Miete mehr. Die Vermieterin klagte die Miete ein und war der Ansicht, dass ein Sachmangel an der Mietsache nicht bestehen würde - schließlich könnten die Räume frei genutzt werden.

Das LG gab der Vermieterin in der Tat Recht und urteilte, dass ein Anspruch auf Einstellung der Gewerberaummiete nach einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung nicht grundsätzlich besteht. Es kann wegen der Unwägbarkeiten in Erwägung gezogen werden, dass die Nachteile solidarisch von beiden Parteien getragen werden. Eine solche Anpassung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn das Festhalten am Vertrag für den Mieter unzumutbar sei. Hier hatte die Mieterin nicht genügend dazu vorgetragen. Zum einen waren nicht sämtliche Mitarbeiter in Kurzarbeit, zum anderen bestand die Möglichkeit des Online-Handels. Letztendlich widersprach das Verhalten der Mieterin den Grundsätzen eines ehrbaren Kaufmanns.

Hinweis: Der Bundesgerichtshof wird Mitte Januar zu dieser Problematik entscheiden. Es dürfte dabei stets auf den Einzelfall ankommen, ob Mieten während der Geschäftsschließungen in der Pandemie gezahlt werden müssen oder nicht.


Quelle: LG Osnabrück, Urt. v. 27.10.2021 - 18 O 184/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Schwellenwert unterschritten: Automatische Auflösung der Schwerbehindertenvertretung

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

Sobald ein Betrieb fünf Mitarbeiter mit schweren Behinderungen beschäftigt, können diese eine Schwerbehindertenvertretung verlangen. Was jedoch mit eben jener Vertretung geschieht, sobald einer dieser Angestellten aus dem Unternehmen ausscheidet, musste im Folgenden das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) beantworten.

In einem Betrieb waren fünf schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Mitarbeiter beschäftigt. Deshalb wurde eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Sieben Monate später waren jedoch nur noch vier schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt. Der Arbeitgeber war nun der Meinung, die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung sei durch das Unterschreiten des Schwellenwerts von fünf Arbeitnehmern beendet. Die Schwerbehindertenvertretung vertrat hingegen die Ansicht, dass sie ihre Amtszeit von vier Jahren voll ausschöpfen dürfe, und zog vor das Gericht.

Doch hier konnte das LAG der Schwerbehindertenvertretung leider nicht weiterhelfen. Denn das entsprechende Gesetz kenne hier schlicht und ergreifend keinen Übergangszeitraum. Mit Unterschreitung des Schwellenwerts nach § 177 Abs. 1 SGB IX endete daher die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung. Das Gesetz regelt nicht, dass es bei der Feststellung der Anzahl der schwerbehinderten Beschäftigten ausschließlich auf den Zeitpunkt der Wahl ankommt.

Hinweis: Die Schwerbehindertenvertretungen sollten also aufpassen, dass ihre Amtszeit nicht durch ein Absinken der entsprechend Beschäftigten unterhalb des Schwellenwerts plötzlich endet. Helfen kann dabei, dass sämtliche schwerbehinderte Mitarbeiter ihre Schwerbehinderung auch tatsächlich gegenüber dem Arbeitgeber offenbaren.


Quelle: LAG Köln, Beschl. v. 31.08.2021 - 4 TaBV 19/21
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Verkauf unrenovierter Wohnung: Ohne nachgewiesenen Mindererlös gibt es keinen Schadensersatz vom ehemaligen Mieter

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

Unterlässt es ein Mieter, die Mietwohnung bei Auszug vertragsgemäß zu renovieren, kann das Schadensersatzansprüche des Vermieters nach sich ziehen. Was passiert aber, wenn der Vermieter inmitten der diesbezüglichen Auseinandersetzung die Wohnung verkauft? Das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) gibt eine klare Antwort auf diese Frage.

In diesem Fall klagte ein Vermieter gegen seine ehemaligen Mieter. Er wollte Schadensersatz in Höhe von knapp 15.000 EUR für an der Wohnung entstandene Schäden, die die Mieter verursacht haben sollen. Die Mietwohnung hat der Vermieter zwischenzeitlich verkauft. Und das war ein Fehler.

Die vorhandenen Beschädigungen an der Mietwohnung hatte der ehemalige Vermieter nämlich gar nicht beseitigt, sondern die Wohnung mit den bestehenden Mängeln veräußert. Somit hat er auch keinen Vermögensverlust erlitten. Ob der Vermieter wegen der unterstellten Mängel einen Mindererlös erlitten hat, war für das AG unerheblich, weil er das nicht geltend gemacht hatte. Zudem war es durchaus möglich, dass ein solcher Mindererlös überhaupt nicht eingetreten ist.

Hinweis: Bei unterlassenen Schönheitsreparaturen geht es häufig um viel Geld. Da sollte der Rechtsanwalt des Vertrauens zuvor eingeschaltet werden. Das gilt für beide Seiten: sowohl für den Vermieter als auch für den Mieter.


Quelle: AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 27.05.2021 - 96 C 1358/19
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unterhaltspflichtiger im Ausland: Unterschiedliche Kaufkraft beider Länder muss bei Unterhaltsberechnung berücksichtigt werden

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Grenzüberschreitende Sachverhalte werden immer häufiger. Der Unterhalt kann dann nicht einfach so berechnet werden, als würde der Fall komplett in Deutschland spielen. Beim Oberlandesgericht Brandenburg (OLG) ging es um Trennungsunterhalt für eine in Deutschland lebende Frau, die ihren mitterweile in Norwegen lebenden Ehemann nach dem Lugano-Abkommen vor einem deutschen Gericht und nach deutschem Recht verklagen konnte.

Der Ehemann hatte nach der Trennung Deutschland verlassen. Er lebt und arbeitet seitdem in Norwegen und macht deshalb erheblich höhere Lebenshaltungs-, insbesondere Wohnkosten geltend. Die Kaufkraft sei schließlich in Norwegen nachweislich kleiner. Mit der in den Unterhaltsleitlinien vorgesehenen Warmmiete von 480 EUR könne er dort keine Wohnung bezahlen, so dass sein Selbstbehalt entsprechend zu erhöhen sei.

Das OLG hat daraufhin aus der Eurostat-Statistik die Lebenshaltungskosten ermittelt, danach das Einkommen beider Gatten ins Verhältnis gesetzt und dann hälftig verteilt. Der Wohnkostenanteil im Selbstbehalt musste damit nicht noch zusätzlich berücksichtigt werden.

Hinweis: Spielt der grenzüberschreitende Fall in Europa - aber nicht in Norwegen, Island oder der Schweiz -, ist die Zuständigkeit nach der Europäischen Unterhaltsverordnung zu beurteilen.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 13.09.2021 - 13 UF 89/18
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kosten eines Erbscheins: Nachlassgerichte dürfen grundsätzlich auf Grundbucheintragungen abstellen

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Kosten für die Erteilung eines Erbscheins können insbesondere bei hohen Vermögenswerten sowohl für die Erben als auch für die erfolglosen Antragsteller eines Erbscheinsverfahrens von großer Bedeutung sein. Gehört wie im Fall des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) ein Grundstück zum Nachlass, ist dieses bei der Bemessung des Nachlasswerts grundsätzlich zu berücksichtigen.

Die Besonderheit des Falls lag darin, dass sich der erfolglose Antragsteller im Erbscheinsverfahren darauf berief, dass die im Grundbuch eingetragenen Miteigentumsanteile an der Immobilie falsch waren, weshalb von einem geringeren Geschäftswert ausgegangen werden müsse.

Das OLG hat klargestellt, dass das Nachlassgericht im Grundsatz immer auf die Eintragungen im Grundbuch abstellen dürfe. Abweichungen hiervon seien aber dann zulässig, wenn die abweichenden Eigentumsverhältnisse zwischen allen Beteiligten unstreitig sind oder sich zweifelsfrei aus öffentlichen Urkunden ergeben. In allen anderen Fällen sei es nicht Aufgabe des Nachlassgerichts, eine streitige materielle Eigentumslage im Wertfestsetzungsverfahren selbst zu klären. Etwas anderes kann sich ergeben, wenn das Grundbuchamt von Amts wegen einen Widerspruch im Grundbuch eingetragen hat. Das Nachlassgericht darf einen solchen Amtswiderspruch nicht einfach übergehen, es kann in einem solchen Fall die Wertfestsetzung bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit des Widerspruchs aufschieben. Unbenommen bleibt dem Nachlassgericht, die Eigentumslage anhand einer summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage zu prüfen.

Hinweis: Ist die abweichende Eigentumslage bereits Gegenstand eines anderen gerichtlichen Verfahrens, wird das Verfahren zur Festsetzung des Verfahrenswerts im Allgemeinen ausgesetzt.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2021 - 3 Wx 173/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Keine Bindung an Beweisvorschrift: Grundbuchamt entscheidet frei, ob einem Verkauf eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Ein Nacherbenvermerk kann im Grundbuch gelöscht werden, wenn entweder derjenige, zu dessen Gunsten der Vermerk eingetragen wurde, die Löschung bewilligt, oder wenn die Unrichtigkeit des Nacherbenvermerks nachgewiesen wird. Ob der nach Ansicht der Nacherben zu günstige Verkaufspreis einer zu Lebzeiten durch die Vorerbin veräußerten Immobilie etwas an diesen Umständen ändert, musste im Folgenden das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) klären.

Der vorverstorbene Vater hatte seine beiden Kinder zu Nacherben und dessen (mittlerweile ebenfalls verstorbene) Ehefrau zur befreiten Vorerbin eingesetzt. Die Eheleute waren hälftig Miteigentümer einer neu errichteten Eigentumswohnung, die im Jahr 2004 für circa 210.000 EUR erworben wurde. Nachdem der Mann verstorben war, hatte die Frau mit notariellem Kaufvertrag aus dem Jahr 2015 die Eigentumswohnung veräußert. Dabei übertrug sie ihren eigenen Anteil schenkungsweise und den unter befreiter Vorerbschaft stehenden Miteigentumsanteil ihres Ehemanns gegen Zahlung eines Kaufpreises von 100.000 EUR. Ihr selbst wurde ein lebenslanges Wohnrecht in der Immobilie durch den Erwerber eingeräumt. Der Eigentümer sowie die Nacherben stritten sich in der Folge darüber, ob der Nacherbenvermerk im Grundbuch gelöscht werden müsse. Die Nacherben vertraten die Ansicht, dass das Wohnungseigentum unter Wert veräußert wurde, weshalb es aus der Nacherbschaft nicht frei geworden sei.

Das OLG führte zunächst aus, dass der befreite Vorerbe befugt sei, entgeltlich über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück zu verfügen. Eine solche Verfügung sei auch dann wirksam, wenn der Nacherbe ihr nicht zugestimmt hatte. Entsprechend scheidet die Immobilie mit dem Vollzug der von dem Vorerben erklärten Auflassung wirksam und endgültig aus dem Nachlass aus - der Nacherbenvermerk im Grundbuch ist zu löschen. Anstelle des veräußerten Grundstücks fällt die im Kaufvertrag vereinbarte Gegenleistung des Käufers in den Nachlass und steht nach Tod des Vorerben gemäß dessen Vermögenslage zu dem Zeitpunkt den Nacherben zu.

Ob eine Veräußerung einer zum Nachlass gehörenden Immobilie entgeltlich war - ihr also eine gleichwertige Gegenleistung gegenüberstand - , kann das Grundbuchamt laut OLG anhand aller Umstände frei würdigen. Eine entgeltliche Veräußerung liegt nicht erst dann vor, wenn der Vorerbe einen Kaufpreis vereinbart hat, der sich unter Anwendung der im Einzelfall sachgerechten Wertermittlungsmethode maximal vertreten lässt. Zweifel ergeben sich nicht allein aus dem Umstand, dass verschiedene Wertgutachten zu unterschiedlichen Schätzpreisen gelangen.

Hinweis: Tritt der Nacherbfall ein, ist der für den Vorerben erteilte Erbschein unrichtig geworden. Dieser ist von Amts wegen bei Bekanntwerden der Umstände einzuziehen.


Quelle: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 06.09.2021 - 3 Wx 125/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Dreimonatszeitraum: Ablehnung von Brückenteilzeit bei Nichteinhaltung der Ankündigungsfrist

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Ab einer bestimmten Betriebsgröße können Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Verringerung ihrer Arbeitszeit haben. Dabei ist auch eine befristete Verringerung der Arbeitszeit ist möglich - Brückenteilzeit genannt. Dass dem Arbeitgeber aber hierzu auch genügend Zeit gegeben werden muss, um sich auf die Umstände einzustellen, beweist der folgende Fall des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Eine Mitarbeiterin beantragte am 22.01. eine Verringerung ihrer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 33 Stunden für ein Jahr ab dem 01.04. Doch ihr Arbeitgeber meinte, dass der Antrag unwirksam sei, da die Mitarbeiterin die dreimonatige Ankündigungsfrist nicht eingehalten habe. Außerdem lehnte er den Antrag wegen entgegenstehender dringender Betriebsgründe ab. Die Arbeitnehmerin meinte dagegen, ihr Antrag sei so auszulegen, als sei er zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt - nämlich drei Monate nach der Antragstellung. Schließlich klagte sie, doch das vergeblich.

Der Antrag auf Brückenteilzeit musste in Augen des BAG nicht auf einen späteren Beginn umgedeutet werden. Denn ein Arbeitgeber kann bei einem Antrag auf Brückenteilzeit nicht wissen, ob ein Arbeitnehmer die Brückenteilzeit insgesamt nach hinten verschieben will oder ob diese zum ursprünglich beantragten Termin enden soll.

Hinweis: Arbeitnehmer sollten also genau darauf achten, den Dreimonatszeitraum bei einer Brückenteilzeit einzuhalten. Der Antrag auf Gewährung einer Brückenteilzeit ist mindestens drei Monate vor dem Beginn zu stellen.


Quelle: BAG, Urt. v. 07.09.2021 - 9 AZR 595/20
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Voneinander unabhängig: Unterschiedliche Verjährung von Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Verjährte Ansprüche können in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Mit der Problematik der Verjährung mussten sich auch die Parteien in einem Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht München (OLG) auseinandersetzen.

Die im Jahr 2014 verstorbene Erblasserin hinterließ mehrere Töchter sowie ein Testament, in dem sie eine Tochter sowie eine Enkelin zu Alleinerben eingesetzt hatte. Die nicht bedachten Töchter führten zunächst über mehrere Jahre einen Rechtsstreit vor dem Nachlassgericht im Rahmen der Erteilung eines Erbscheins. Im November 2016 entschied das Nachlassgericht, dass die testamentarische Verfügung der Erblasserin wirksam war, und erteilte einen entsprechenden Erbschein. Letztlich rechtskräftig wurde diese Entscheidung im Jahr 2019.

In einem Folgeprozess im September 2020 machten die nicht bedachten Töchter Auskunftsansprüche gegenüber den Erben zur Ermittlung von Pflichtteilsansprüchen und Pflichtteilsergänzungsansprüchen geltend. Bei den Pflichtteilergänzungsansprüchen ging es insbesondere um mögliche ausgleichspflichtige Schenkungen zu Lebzeiten der Erblasserin. Die Erben beriefen sich darauf, dass entsprechende Auskunftsansprüche verjährt seien, was das OLG zumindest teilweise bestätigt hat. Zu unterscheiden war zwischen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen. Grundsätzlich gilt auch für Ansprüche aus der Erbschaft, dass diese nach drei Jahren verjähren. Die Frist beginnt mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall, von der ihn beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung und von der Person des Erben erlangt hat oder zumindest hätte erlangen können.

Bezüglich der Pflichtteilsansprüche stellt das OLG auf den Beschluss des Nachlassgerichts im November 2016 ab. Die drei Voraussetzungen - insbesondere die Kenntnis von der beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung - hatten die Töchter damit bereits im November 2016 mit der Entscheidung des Nachlassgerichts. Entsprechende Ansprüche verjährten damit mit Ablauf des 31.12.2019, also vor Klageerhebung. Nicht verjährt waren hingegen die Pflichtteilsergänzungsansprüche. Die Parteien stritten um die Frage von ausgleichspflichtigen Schenkungen durch die Erblasserin, wobei zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Erben nicht eingewandt haben, dass die Töchter Kenntnis von den Schenkungen gehabt hätten. Insoweit bejahte das Gericht den Auskunftsanspruch der Pflichtteilsberechtigten.

Hinweis: Die Verjährung muss als sogenannte Einrede ausdrücklich geltend gemacht werden. Sie wird nicht zwangsläufig im Rahmen eines Rechtsstreits von einem Gericht berücksichtigt.


Quelle: OLG München, Urt. v. 22.11.2021 - 33 U 2768/21
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Ermittlung ortsüblicher Vergleichsmieten: Selbstfinanzierte Ausstattung der Mietsache muss dauerhaft unberücksichtigt bleiben

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Die Regelungen für eine Mieterhöhung ergeben sich aus dem Gesetz. Und dennoch sind Gerichte mit Einzelfällen betraut, deren konkreten Sachverhalte nicht im entsprechenden Gesetzestext wiederzufinden sind. Genau dafür gibt es beispielsweise das Amtsgericht Hamburg (AG), das im Folgenden darüber zu befinden hatte, welche wertsteigernden Maßnahmen sich Vermieter auf die Fahnen schreiben dürfen und welche eben nicht.

Eine Vermieterin verlangte eine Mieterhöhung für eine im Jahr 1918 erbaute Wohnung. Bei der Berechnung des Erhöhungsbetrags ging sie davon aus, dass die Wohnung mit einer Zentralheizung und einem Bad ausgestattet ist. Die Mieterin entgegnete jedoch, dass sie selbst die Zentralheizung damals eingebaut habe. Das müsse bei der Berechnung der Vergleichsmiete als Grundlage der Erhöhung entsprechende Berücksichtigung finden.

Das sah das AG ebenfalls so. Eine vom Mieter auf eigene Kosten geschaffene Ausstattung der Mietsache - wie hier die Heizung - bleibt bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete grundsätzlich auf Dauer unberücksichtigt.

Hinweis: Eine Mieterhöhung ist kein Buch mit sieben Siegeln. Im Zweifel kann ein Rechtsanwalt helfen und ein rechtssicheres Mieterhöhungsschreiben verfassen.


Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 29.10.2021 - 49 C 119/21
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unzulässiger Anlockeffekt: Kontaktaufnahme nach "Geschenk"-Werbung darf nicht zur Kündigungsrücknahme missbraucht werden

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Wenn ein Kunde das Vertragsverhältnis beendet, ist der eine oder andere Anbieter verführt, den abtrünnigen Geschäftsparter irgendwie "an die Strippe" zu bekommen, um ihn versiert davon zu überzeugen, es sich doch noch einmal anders zu überlegen. Um dem entgegenzuwirken, ist Werbung als irreführend zu betrachten, die zu einer diesbezüglichen Kontaktaufnahme verlocken könnte. Im Folgenden traf es vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) einen Mobilfunkanbieter, der noch versuchte, sich mit dem ungebilligten Missverhalten einer Mitarbeiterin aus der Affäre zu ziehen.

Ein Kunde hatte seinen Mobilfunkvertrag gekündigt. Daraufhin erhielt er eine E-Mail, in der ihm ein Geschenk in Form eines Datenvolumens von 1 GB unter der Bedingung versprochen wurde, dass er bei der Hotline anrufe. Nach Anruf bei eben jener Hotline stellte sich dann jedoch heraus, dass eine Freischaltung dieses Datenvolumens nur dann in Betracht käme, wenn der Mann seine Kündigung zurückziehe. Dagegen klagte der Dachverband der Verbraucherzentralen. Er hielt das Verhalten des Mobilfunkanbieters für unlauter - und das zu Recht.

Es ist laut OLG durchaus irreführend, wenn dem Kunden bei der ihm gegenüber beworbenen Kontaktaufnahme mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt werde, wenn er seine Kündigung zurücknähme. Ebenso sah das Gericht im Gegensatz zu der Argumentation des Mobilfunkunternehmens hier durchaus eine Wiederholungsgefahr. Zwar hatte der Mobilfunkanbieter geltend gemacht, es habe sich um einen "Ausreißer" gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe - das ließ das Gericht jedoch nicht gelten.

Hinweis: Kunden sollten sich bei Abschluss längerfristiger Verträge stets die genaue Kündigungsfrist notieren. So können die Verträge rechtzeitig gekündigt werden, ohne dass Termine und Fristen verpasst werden.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 16.09.2021 - 6 U 133/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angelegenheit der elterlichen Sorge: Behörde muss die Impfpflicht gegenüber beiden Sorgeberechtigten durchsetzen

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Nicht erst seit der Coronapandemie wird die Impfpflicht politisch diskutiert, denn eine solche gibt es bereits gegen Masern für Schüler und Lehrer, in Kitas und Ferienlagern (§ 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Dort gilt die 2G-Regel, da neben einem Impfschutz auch die Immunität nach durchlebter Masernerkrankung nachgewiesen werden kann. Ein solcher Fall landete vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG).

Die Eltern eines achtjährigen Kindes waren offensichtlich Impfgegner und bestritten die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen Regelungen des Infektionsschutgesetzes (IfSG). Sie waren der Behörde schon mit einer unrichtigen Impfbescheinigung und einer nicht akzeptierten Impfunfähigkeitsbescheinigung aufgefallen. Dann hatten sie eine Blutprobe eingereicht, die die Immunität des Kindes nachweisen sollte, wobei Zweifel bestanden, dass es sich um das Blut des Kindes handelte.

Vor dem OVG ging es um etliche rechtliche Aspekte, aber auch um einen familienrechtlichen: Die Behörde hatte ihre Bescheide nämlich nur an den Vater adressiert, nicht aber auch an die Mutter. Die Eltern lebten mit dem Kind zusammen und waren beide sorgeberechtigt. Da Impfentscheidungen aber eine Angelegenheit der elterlichen Sorge sind, über die nur beide gemeinsam entscheiden können, bedarf es einer behördlichen Anordnung gegenüber beiden gemeinsam sorgeberechtigten Elternteilen.

Hinweis: Die ergangene Rechtsprechung zur Impfpflicht gegen Masern wird sich auf die eventuelle Impfpflicht gegen COVID-19 übertragen lassen.


Quelle: OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.10.2021 - 3 M 134/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Angeblicher EC-Kartendiebstahl: Anscheinsbeweis zu nicht ausreichend geschützter PIN ist schwer zu entkräften

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Der Verlust der EC-Karte ist nicht nur ärgerlich sein, sondern kann auch zu wirtschaftlichen Schaden führen. Wenn man sich dann noch dem Vorwurf ausgesetzt sieht, an dem Drama selbst schuld zu sein, quält einen das natürlich zusätzlich. Ob und wann es sich lohnt, bei solch einer Unterstellung gegen seine Bank vor Gericht zu ziehen, weil diese sich eben deshalb weigert, den Verlust auszugleichen, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).

Eine Bank hatte einer Kundin eine EC-Karte zur Verfügung gestellt. Damit konnte die Frau unter Einsatz der ihr mitgeteilten PIN Bargeldabhebungen an Geldautomaten vornehmen. Eines Tages wurden innerhalb einer Stunde an einem Geldautomaten drei Bargeldauszahlungen in Höhe von insgesamt 990 EUR vorgenommen. Das Geld wurde vom Konto der Kundin abgebucht, die erst rund fünf Stunden nach der Abbuchung die Karte sperren ließ. Dabei gab sie an, dass ihr die Karte gestohlen worden sei, und forderte ihre Bank auf, die ihr die abgebuchten Beträge zu erstatten. Die Bank lehnte das ab. Die Bargeldabhebung sei schließlich nur mit der Original-EC-Karte durch Eingabe der PIN möglich. Deshalb gebe es für die Bank einen Anscheinsbeweis dafür, dass derjenige, der das Geld abgehoben habe, Kenntnis von der PIN gehabt haben muss, weil diese nicht ausreichend geheim gehalten worden sei. Das wollte die Bankkundin nicht auf sich sitzen lassen, da sie in dem Umstand, dass sich die Bank auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft, eine wissentliche unlautere Irreführung sah. Jedenfalls wurde die Bank verklagt, es zu unterlassen, das Geld nicht zu erstatten und sich auf den Anscheinsbeweis zu berufen, dass sie als Karteninhaberin die PIN nicht ausreichend geheim gehalten habe.

Das OLG sah sei jedoch keine Irreführung durch das Berufen auf Anscheinsbeweis bei angeblich entwendeten EC-Karten. Eine irreführende geschäftliche Handlung liege nicht vor, wenn sich eine Bank zur Abwehr von Ansprüchen eines Kunden auf die Regeln des Anscheinsbeweises beruft.

Hinweis: Haben Sie eigentlich die Telefonnummer zum Sperren ihrer Kontokarten immer parat? Denn nach Diebstahl oder anderweitigem Verlust der Bankkarten gilt es stets, die Karte schnellstmöglich sperren zu lassen. Notieren Sie sich deshalb die Rufnummer zur Sperrung Ihrer Karte.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 30.09.2021 - 6 U 68/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutter dankt mit Grundstück: Wer seine Eltern pflegt, darf Schenkung erhalten

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

Wer nahe Angehörige zu Lebzeiten intensiv pflegt, darf auch Geschenke erhalten, die letztendlich auch das Erbe desjenigen schmälern, dem dieses Geschenk sonst zugekommen wäre. Was gerecht klingt, musste im folgenden Fall jedoch erst vom Landgericht Koblenz (LG) als Recht gesprochen werden.

In dem zum entschiedenen Fall hatte ein Ehepaar im Jahr 1996 ein Testament errichtet, in dem es sich zunächst wechselseitig zu Alleinerben und die drei gemeinsamen Kinder zu Schlusserben eingesetzt hat. Darüber hinaus war verfügt, dass ein Sohn ein Grundstück als Erbe erhalten sollte. Nach dem Tode des Ehemanns schenkte die überlebende Erblasserin ihren Miteigentumsanteil an dem Grundstück, das eigentlich testamentarisch für den Sohn vorgesehen war, ihrer Tochter. Darüber hinaus wurde ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für das Grundstück im Grundbuch eingetragen. Nach dem Tod der Mutter stritten die Geschwister folglich über die Rechtmäßigkeit dieser Schenkung. Der Bruder forderte von seiner Schwester die Übertragung des Grundstücks an ihn sowie die Bewilligung der Löschung des Wohnrechts.

Das LG hat die Klage des Bruders allerdings abgewiesen. Denn ein Anspruch bestehe laut Gericht nur dann, wenn die Mutter als Erblasserin die Schenkung ausschließlich zur Beeinträchtigung des Erbes des Sohns vorgenommen hätte, es sich somit um eine missbräuchliche Verfügung gehandelt hätte. Hiervon könne nicht ausgegangen werden, da die Erblasserin im Eigeninteresse gehandelt hatte. Nach erfolgter Beweisaufnahme ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tochter sowohl vor der Übertragung als auch im Gegenzug für die Schenkung Pflegeleistungen in erheblichem Umfang erbracht habe.

Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.


Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 18.11.2021 - 1 O 222/18
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mülltonnen auf Radweg: Rechtzeitig erkennbare Gefahren stellen keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Radler und unerwartete Hindernisse beschäftigen mit steigendem Verkehrsaufkommen auf zwei Rädern auch zunehmend die Gerichte. Im Folgenden wurde das Landgericht Frankenthal (LG) mit der Frage befasst, wie es zu einem Unfall kommen konnte, wo die ursächlichen Hindernisse doch rechtzeitig zu erkennen waren.

Ein Mann war auf seinem Rad auf einem Radweg unterwegs, als er eben dort zwei Mülltonnen erblickte. Sein Versuch, diesen mit knappem Abstand auszuweichen, misslang - er fuhr gegen eine der Mülltonnen, stürzte und verletzte sich daraufhin schwer. Von dem zuständigen Abfallentsorgungsunternehmen verlangte er daraufhin Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Die Antwort auf die Frage, wie es zu dem Unfall habe kommen können, lag für das LG nahe: Die Klage hatte wegen ganz überwiegenden Mitverschuldens des Radfahrers keinen Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts kann das Abstellen von Mülltonnen auf einem Radweg selbstverständlich durchaus eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellen. Denn die Tonnen seien ein "ruhendes Hindernis", durch das der Verkehrsfluss erheblich beeinträchtigt werde. Wenn aber das ruhende Hindernis schon von Weitem erkennbar ist, muss der Radfahrer diesem mit einem ausreichenden Seitenabstand ausweichen. Hält er diesen Abstand nicht ein und stürzt, ist der Sturz nicht auf die in dem Hindernis liegende Gefahr, sondern ganz überwiegend auf seine eigene grob fahrlässige Fahrweise zurückzuführen. Auch hier habe der Radfahrer den Mülltonnen weiträumig ausweichen können, sich jedoch bewusst dazu entschieden, an diesen so knapp vorbeizufahren, dass es erst zu dem Sturz habe kommen können.

Hinweis: Verkehrssicherungspflichten dienen nur der Beseitigung von Gefahren, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht rechtzeitig erkennbar sind. Erkennbare Gefahren, vor denen man sich ohne weiteres selbst schützen kann, lösen keine Verkehrssicherungspflicht aus. Die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen kann wegen Mitverschuldens ausgeschlossen sein, wenn das Handeln des Geschädigten von ganz besonderer, schlechthin unverständlicher Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.


Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.09.2021 - 4 O 25/21
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mutwillige Klage: Vor dem Gang vors Familiengericht sollte ein Einigungsversuch durch andere Stellen stehen

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Die Verfahrenskostenhilfe (VKH) ist ein staatliches Instrument, das die Durchsetzung des eigenen Rechts auch Menschen mit geringen bzw. keinen Geldmitteln ermöglichen soll. Dass dieses Ass jedoch nicht aus dem Ärmel gezogen werden sollte, bevor mildere Mittel als der offizielle Klageweg probiert worden sind, zeigt der folgende Fall des Oberlandesgerichts Brandenburg (OLG).

Eine Kinderärztin hatte die Frühförderung eines Kindes empfohlen, aber der Vater hatte nicht zugestimmt. Darauf beantragte die Mutter beim Familiengericht, dies allein entscheiden zu dürfen. Weil sie sich keinen Anwalt leisten konnte, beantragte sie dafür VKH. Das in der Sache zuständige Amtsgericht (AG) wollte zunächst wissen, ob es eine gemeinsame Beratung der Eltern beim Jugendamt gegeben habe, was verneint wurde. Im weiteren Verlauf stimmte der Vater außergerichtlich der Frühförderung zu und erklärte, er sei nie dagegen gewesen, sondern habe sich nicht gut informiert gefühlt. Das Verfahren war somit zwar erledigt, aber die Kosten des Anwalts der Mutter waren jedoch noch offen. Diese Kosten bekam die Mutter auch nicht von der Staatskasse - nicht nach dem AG und nicht nach dem OLG.

Es ist letztendlich auch laut OLG mutwillig gewesen, sofort zu klagen, statt zuerst kostenfreie Angebote - beispielsweise durch das Jugendamt - zu nutzen, wie es auch Selbstzahler getan hätten. Erst wenn außergerichtliche Bemühungen fehlgeschlagen oder erkennbar aussichtslos sind oder gar eine besondere Dringlichkeit besteht, ist die VKH grundsätzlich zu gewähren.

Hinweis: In vielen Städten hat das Jugendamt die Elternberatung an freie Träger delegiert. Sie müssen regional klären, welche Voraussetzungen an den vergeblichen Einigungsversuch geknüpft werden, und dazu auch dem Gericht etwas vortragen. Das betrifft alle Kindschaftssachen wie das Sorge- und Umgangsrecht.


Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.11.2021 - 13 WF 189/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Unerfahrene Reiterin: Auf eigenes Fehlverhalten zurückzuführender Schaden schließt Schmerzensgeldanspruch aus

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Da Reiten ein nicht ganz ungefährlicher Sport ist, ist es umso wichtiger, dass bei der sehr körperlichen Zusammenarbeit von Mensch und Tier die Kommunikation stimmt. Denn kommt es zu einer Verletzung des Reiters oder einer dritten Person, steht mit der Haftungsfrage auch die Frage im Raum, ob die Tiergefahr oder ein Reitfehler dafür ausschlaggebend war. Im Folgenden war es am Oberlandesgericht Oldenburg (OLG), auf diese Frage eine Antwort zu finden.

Eine nicht sonderlich reiterfahrene Frau stieg auf den Rücken eines Pferds, das sichtlich nervös war. Die Reiterin rutschte schließlich mit dem Fuß aus dem Steigbügel und hatte deshalb absteigen müssen. Nach dem Wiederaufstieg aufs Pferd wechselte dieses vom Trab in den Galopp. Dabei fiel die Frau vom Pferd und prallte mit dem Kopf gegen einen Holzpfosten. Sie litt nach der Bewusstlosigkeit an einem Schädel-Hirn-Trauma und verlangte Schmerzensgeld von der Halterin des Pferds. Diese jedoch meinte, die Reiterin habe dem Tier durch ein Anpressen der Beine den Befehl zum Galopp gegeben. Insoweit habe das Tier lediglich gehorcht. Der Unfall beruhe daher nicht auf einer Tiergefahr, sondern auf einem Reitfehler. Eine Zeugin hatte ausgesagt, das Tier sei ganz normal und sanft in den Galopp übergegangen. Die gegnerische Tierhalterhaftpflichtversicherung hatte der Reiterin bereits freiwillig 2.000 EUR Schmerzensgeld gezahlt. Die Frau wollte jedoch mehr Geld - vergeblich.

Denn laut Beweisaufnahme durch das OLG war es auch möglich, dass die Reiterin tatsächlich aus Unsicherheit die Beine angepresst und damit dem Pferd den Befehl zum Galopp gegeben habe, ohne dies eigentlich zu wollen. Damit konnte nicht festgestellt werden, dass sich eine Tiergefahr verwirklicht hat. Das wäre jedoch für eine Zahlung von Schmerzensgeld erforderlich gewesen.

Hinweis: Es ist stets sinnvoll, die Gefahren, die von einem Tier ausgehen, zu versichern. Das gilt insbesondere bei Pferden und Hunden. Wenn es dann einmal zu einem Schaden kommt, steht eine Versicherung hinter dem Halter.


Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 19.10.2021 - 2 U 106/21
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)

Kindeswohl im Mittelpunkt: Eine Steigerung des Umgangs auf hälftiges Wechselmodell trotz elterlicher Uneinigkeit möglich

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Wie sehr sich elterliche Vorstellungen über die Belastbarkeit der eigenen Kinder von deren eigenen Vorstellungen unterscheiden, zeigt der folgende Fall, der final beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) landete. Denn während Vater und Mutter sich über den Umfang des Umgangs uneins waren, hatte das betreffende Kind bereits ganz klare Vorstellungen zum getrennten Familienleben.

Es ging um ein siebenjähriges Mädchen, das als Zweijährige nach der Trennung der Eltern beim Vater auf dessen Bauernhof wohnen blieb, während die Mutter weiter weg zog. Anfangs hatte die Mutter alle 14 Tage Umgang an einem kurzen Wochenende. Schließlich zog die die Mutter wieder in die Nähe des Vaters und wünschte sich ein paritätisches Wechselmodell. Zunächst bekam sie einen erweiterten Umgang; 14-tägig freitags bis dienstags, schließlich bis mittwochs. Der Vater meinte, dies würde ausreichen, und betonte, dass es für das Kind wichtig sei, einen Lebensmittelpunkt zu haben.

Das mit der Sache zuerst befasste Amtsgericht stellte jedoch fest, dass der im Laufe des Verfahrens ausgedehnte Umgang nicht zu einer Überforderung des Kindes geführt habe. Es sei mit beiden Familiensystemen (Stiefeltern, Stiefgeschwister, Großeltern) vertraut und komme damit zurecht. Die abstrakte Forderung des Kindesvaters nach einem Lebensmittelpunkt reiche nicht aus, um ein Wechselmodell in Frage zu stellen. Der Verfahrensbeistand unterstützte die Mutter: Das Wechselmodell erhöhe die Erziehungskontinuität zu beiden Eltern. Es führe bei dem Kind zu mehr emotionaler Stabilität und Sicherheit, bei beiden Eltern leben zu dürfen, und gewährleiste eine gedeihliche Identitätsentwicklung. Auch das Jugendamt hatte sich für ein Wechselmodell ausgesprochen, weil die gute Bindung zu beiden Elternteilen hierdurch gleichermaßen gepflegt und gefördert werden könne.

Auch für das OLG war das Wechselmodell die dem Wohl des Kindes am besten entsprechende Umgangsregelung. Keine Voraussetzung für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist nämlich, dass sich die Kindeseltern über die Wahl dieses Betreuungsmodells einig sind.

Hier gab es zu beiden Eltern eine sichere Bindung und bei der Mutter auch schon erlebten Alltag. Das Mädchen habe begeistert von ihrem Leben in beiden Haushalten und den jeweiligen Urlauben mit beiden Elternfamilien berichtet. Hierbei kamen keinerlei Präferenzen für das Leben in dem einen oder dem anderen Haushalt zum Ausdruck. Sie vermisse jeweils den Elternteil, bei dem sie sich gerade nicht aufhalte. Wenn für das Kind nach seinen Bekundungen beide Elternteile gleichermaßen von Bedeutung sind, dann ist es nur folgerichtig, wenn diese Bindung an beide Elternteile mit einer paritätischen Betreuung gestärkt und aufrechterhalten wird. Die organisatorischen Schwierigkeiten seien überschaubar und nicht viel höher als beim jetzigen Modell. Nach Ansicht des OLG überwiegen die Vorteile des Wechselmodells. Die Auffassung des Kindesvaters, das Kind benötige einen Lebensmittelpunkt, werde nicht durch human- oder sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse abstrakt gestützt. Positiv war die Feststellung, dass beim Kind kein Loyalitätskonflikt erkannt werden konnte. Die erforderliche grundlegende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Kindeseltern war vorhanden.

Hinweis: In der Praxis sind es zumeist die Väter, die statt eines Wochenend- oder erweiterten Umgangs ein Wechselmodell einklagen. Dabei scheitert das Wechselmodell in der Regel an der Hochkonflikthaftigkeit der Eltern und dem darauf beruhenden Loyalitätskonflikt der Kinder, ohne dass es darauf ankommt, wer den Konflikt verursacht.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 26.10.2021 - 6 UF 14/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 01/2022)

Mängelgewährleistungsrecht beim Pferdekauf: Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen nicht automatisch für eine chronische Erkrankung

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Bei Pferdekäufen können schnell große Beträge auf den Tisch kommen. Da ist es klar, dass der eine oder andere Kauf vor einem Gericht landet - so wie der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) zu behandeln hatte. Dabei verlangte die Käuferin eines Dressurpferds nach mehr als zwei Jahren die Rückabwicklung des Kaufvertrags.

Es ging um den Kauf eines Hengstes für 65.000 EUR von einem Zucht- und Ausbildungsstall. Das Tier wurde ärztlich untersucht, besichtigt und reiterlich erprobt. Drei Monate nach dem Kauf kam es plötzlich zu Problemen: Eine Tierärztin diagnostiziert dabei unter anderem einen offenen rechten Maulwinkel. Zweieinhalb Jahre später trat die Käuferin vom Kaufvertrag zurück und behauptete, dass das Pferd bereits bei Übergabe diese Probleme gehabt habe. Es würde schließlich eine Vernarbung in der Mundhöhle vorliegen. Daher klagte sie die Rückabwicklung des Kaufvertrags ein. Recht erhielt sie jedoch nicht.

Das OLG meinte, Vernarbungen im Bereich der Maulwinkel sprechen für sich genommen nicht für eine chronische Erkrankung. Es handelt sich vielmehr um einen Befund, der aufgrund reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Damit lag für die Richter der Mangel bei der Übergabe des Pferds noch nicht vor - und eine Rückabwicklung kam nicht in Betracht. Die Käuferin musste das Pferd behalten und hatte auch keine weiteren Ansprüche auf Schadensersatz, Aufwendungen für Unterhalt, Tierarztkosten und Transport.

Hinweis: Tiere sind im deutschen Recht zwar keine Sachen, sie werden aber als solche behandelt. Deshalb kommt das Mängelgewährleistungsrecht auch bei Tieren zur Anwendung.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 14.09.2021 - 6 U 127/20
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 01/2022)